Samstag, 25. August 2012

Lehrreiches Interview

Einer großen Kontroverse geht meist eine Informationsphase voraus. Wir erfahren zuerst beiläufig, dann immer häufiger Neuigkeiten über ein wachsendes Problem. Dann kommen die ersten Politikermeinungen über die Relevanz der Problemsymptome. Und dann setzt die Diskussion ein. Weil wir uns dank Internet gut informiert fühlen, beteiligen wir uns an der Diskussion. Zu diesem Zeitpunkt sind wir aber (durch Filterung und Wiederholung) bereits gelenkt worden ohne dass wir es bemerkt haben. "Abweichende" Meinungen erscheinen uns dann meist völlig abseitig, unüberlegt oder schlicht als Zeichen von Inkompetenz.

So ist das auch in der Finanzkrise und der Frage, ob Deutschland weitere Rettungsgelder bereitstellen soll.

Mir schien das Problem der Griechen z.B. völlig hausgemacht. Mit frisierten Zahlen haben sie sich in die EU gestohlen. Die Oberschicht hinterzieht -wie überall in der Welt- Steuern und die normalen Griechen beziehen Renten für Tote. Die Konsequenz konnte nur lauten: Kommt mal runter, spart und treibt Eure Steuern ein.

Das Argument von Sigmar Gabriel, wir sollten weiter retten, weil wir damit unsere Exporte und Arbeitsplätze stützen schien mir eine typische Milchmädchenrechnung der Sozen. Rechte Tasche linke Tasche, das ist kein nachhaltiges Wirtschaften.

Wie sollen wir diese Sicht eigentlich bewerten, wenn wir doch über die wahren Gründe, Kalküle und Ziele deutscher Europapolitik nie etwas erfahren haben? Schon immer hörten wir, unser Anliegen sei "der Frieden in Europa". Klar. Das gilt ja auch für den nahen Osten und den arabischen Frühling, nicht wahr? Und das galt auch beim Zerfall Jugoslawiens, nicht wahr?

Falsch. Fischer waren die Muslime in Bosnien egal, Westerwelle die Bürger auf den Marktplätzen des Maghreb und Schröder und Kohl wussten, wie wir unseren Nachbarn den EURO als Zugeständnis verkaufen, aber in Wahrheit profitieren werden. Wobei das zweierlei "wir" sind.

Das große "wir" war das in den Zeitungsanzeigen, -artikeln und Wahlplakaten. Klar, ohne Währungsumtausch wird Europa ja viel einfacher. Und mit einer große Währungsunion werden wir endlich so stark wie die USA.

Über die Wahrheit wurde nie gesprochen. Wie immer, wenn es ums Geld geht. Auf Offenbarungen wie die Rede des damaligen Dresdner Bank Vorstandes Reichenbach über den Börsenboom der New Economy im Hotel Adlon stößt man immer nur zufällig.

Eine große Ausnahme ist das Interview der Süddeutschen mit einem griechischen Finanzexperten namens Panagiotou (Link). Er malt das große Bild von Deutschland in der Krise nach dem Börsencrash nach 2001. Demnach war es deutsche Politik, die EU zu erweitern um die beitretenden Länder mit billigem Geld zu versorgen so dass sie sich den Import deutscher Waren leisten können. Das hat auch Sigmar Gabriel so gesagt, aber nicht so, dass wir die Zusammehänge richtig verstanden hätten. Er war ja damals auch Teil des Kabinetts von Schröder, und auch wie er, Niedersachse.

Das billige Geld verleitete die EU Länder parallel zu wachsenden Ausgaben. Mit Anleihen, die auch deutsche Banken gerne zeichneten.

Die zweite Finanzkrise des letzten Jahrzehnts brachte das Kartenhaus zum Einsturz. Deutsche Politik war es nun, die im Feuer stehenden Anleihen in deutschen Depots zu retten. Merkel und Schäuble verhinderten konsequente Schuldenschnitte zulasten privater Gläubiger. Es folgte eine Verlagerung der Risiken der Privaten auf öffentliche Kassen. Und nun ist Deutschland so weit, Griechenland fallen zu lassen.

Es ist von vorne bis hinten eine Story, bei der Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden und die Öffentlichkeit früh genug in die falsche Richtung gelenkt wurde. D.h. eine typisch deutsche Story.

Samstag, 18. August 2012

Street fighting years - die Kampffußgänger kommen

Das mit den Kampfradlern hat sich in Berlin ein bisschen beruhigt. Mit etwas mehr gegenseitiger Aufmerksamkeit und Rücksicht und weniger Vorurteil geht es inzwischen besser, habe ich festgestellt. Dafür haben wir eine neue Gattung, die "auf Asphalt" für Erregung sorgt.

Es fing schon vor Jahren an mich zu nerven, dachte aber es liege an mir. Wenn ich in Berlin zu Fuß unterwegs bin, muss ich immer häufiger anderen ausweichen. Die mich entweder nicht sehen, keine Lust haben selbst auszuweichen oder gezielt einen pubertären oder führungskräftepädagogischen  "Machtkampf" suchen. Die Berliner Gehwege sind in der Regel breit genug, man teilt sie sich aber immer mehr mit Radwegen, Cafestühlen, Baugerüsten, Infoständen und Events. Glück, wenn man zu zweit nebeneinander gehen und sich unterhalten kann. Fast ausgeschlossen, dass zwei Paare einander passieren können.

Ich merkte früh, dass ich mit Aufmerksamkeit, also dem Blick auf den oder die Entgegenkommenden, Bereitschaft zum eigenen Ausweichen signalisiere. Dann musste ich immer selbst ausweichen. Dann experimentierte ich mit Weggucken (zumindest vorgetäuschtem). Und ich lernte: Dann übernimmt der Entgegenkommende die Verantwortung für die Vermeidung einer Kollision. Das funktioniert also, ist aber eigentlich eine Egolösung. Vernünftig wäre es, wenn immer der ausweicht, der das gefahrlos kann. Und Paare gehen halt beide hintereinander.

Da Berlin jedes Jahr einen Tourismusrekord bricht, kommen mir auch immer häufiger nicht nur Paare sondern gleich Dreier- oder Viererriegel entgegen, die ihren Spaß nicht für einen dummen Passanten unterbrechen wollen. Das erfordert dann schon mehr Entschlossenheit. Von einem früheren Gelsenkirchener Polizisten lernte ich die Zauberwirkung des Wörtchens "Gasse!". Am besten mit einer unterstreichenden Handbewegung.

Jeder Mensch hat einen Nahbereich in den er andere ungern eindringen lässt. Deshalb registrieren einen die Unaufmerksamen im letzten Moment vor einer Kollision doch. Es gibt vor allem immer mehr Männer, und ich vermute es sind die, die ihre Lebenszeit hauptsächlich vor der zweidimensionalen Flatscreen verbringen, die ihre eigene Körpermaße nicht kennen und zwar vor allem ihre Breite. Die ecken dann schon mal an und sind dann ganz erschrocken, dass sie durch andere nicht durchlaufen können.

Einige ihrer Kollegen mit Anzug und Krawatte hingegen haben es immer eilig und beanspruchen bewusst Wegevorrecht. Am Potsdamer Platz sind das die Kollegen von Pfizer. Die leben in dem Irrtum, in dem viele Soziopathen (wegen ihrer Leichtmatrosigkeit von manchen auch "Businesskasper" genannt - schönes Wort, gelernt von einem früheren Kollegen) leben, wenn sie draußen oder im Supermarkt oder vor der Fahrbahnverengung vor einer Baustelle unterwegs sind: Die anderen sind die Dummen und haben sie vorbei zu lassen. Inzwischen habe ich mehr als einmal beobachtet, wie sie vor der Kaisers Kasse in den Postdamer Arkaden eine Lektion bekamen.

Von einem Bekannten hörte ich diese Woche folgendes. Am Donnerstag regnete es in Strömen und er musste -ohne Schirm- am Bahnhof umsteigen. Er ging möglichst nah an der Bahnhofswand um so wenig wie möglich nass zu werden. Entgegen kam ihm ein Manager mittleren Alters im Anzug - und MIT Schirm. Ratet, wer wem auswich? Er beharrte auf seinem trockenen Weg so dass beide voreinander stehen bleiben musste. Er war partout nicht bereit, nachzugeben. Vielleicht ein Zwang, vielleicht Versagensangst, das zivilisiert-höfliche Verhalten könne ihm als Führungsschwäche ausgelegt werden. Vielleicht aber auch Aggro. Und wie fast immer gab auch hier am Ende der Klügere nach.

Ich selbst habe erst einmal eine Kollision erlitten. Ich bin eigentlich nicht zu übersehen und eine Kollision mit mir will man eigentlich nicht. Trotzdem erwischte es mal einen Radfahrer, der auf mich zuhielt, als ich -wieder- am Potsdamer Platz auf den Radweg ausweichen musste, weil der gesamte Platz für einen Event abgesperrt war. Übrigens für jeden sichtbar. Ich war schon halb durch, da kam er mir mit Dauerklingeln entgegen. Ich hielt kurz die Hand hoch, damit er mich abwartet. Aber nein.. Wir erwischten einander an der Schulter.

Es passierte nichts, er fuhr und ich ging weiter. Andere Bekannte hatten da vor kurzem mehr Pech. Ich weiß von zwei Radlerunfällen, bei denen einmal der Schuldige und einmal der weniger in Mitleidenschaft gezogene anschließend Anzeige gegen den anderen stellte. Das läuft wohl oft so, dass sich beide erstmal erschrecken. Dann prüft man sich und sein Rad, und wenn sich der Schreck gelegt hat, fahren beide weiter. Manchmal stürzt einer von beiden aber auch richtig. Bei Radlerunfällen ist es kaum vorhersehbar, wer den größeren Schaden davonträgt, weil es sehr darauf ankommt, wer wen wo erwischt. Zuhause erzählt man die Story dann. Und wenn dann ein Anwalt oder ein Erfahrener dabei ist, gibt der einem den Tip: Du, da geht noch was. Erstatte Anzeige!

Fazit: Wer Autofahrer spießig findet, wird zumindest in Berlin eines besseren belehrt. Die Straßenkampfjahre haben hier auch für Fußgänger begonnen.

Donnerstag, 16. August 2012

Nebelkerzen beim Steuerabkommen mit der Schweiz

Ist NRW Finanzminister Walter-Borjans der einzige, der die Finte in dem sog. "Steuerabkommen" mit der Schweiz erkannt hat?
Die Schweizer Kreditinstitute sollen in Zukunft die deutsche Abgeltungsteuer wie deutsche Zahlstellen direkt einbehalten. Dabei werden grundsätzlich dieselben Erträge wie in Deutschland (Zinsen, Dividenden, sonstige Erträge, Veräußerungsgewinne) mit dem gleichen Steuersatz von 26,375 %, d. h. 25 %Kapitalertragsteuer + 5,5 % Solidaritätszuschlag, erhoben. 
Quelle: Wikipedia

Steuerhinterziehung wird hier lediglich unter dem Blickwinkel des in der Schweiz (anonym) arbeitenden Vermögens betrachtet. Dabei sind selbst hier für große Vermögen die pauschalen 25% Kapitalertragsteuer schon mal eine Besserstellung gegenüber einer individuellen Vertsteuerung, wie auch schon in Deutschland. Der Schweizer Bankenverband tat in einem Dradio Interview gestern so, als hebele er mit diesem Hinweis alle Kritik an dem Steuerabkommen aus (Link).

Aber das ist gar nicht der Punkt. Walter-Borjans wies in einem weiteren Interview darauf hin, dass der Tatbestand der Steuerhinterziehung in Deutschland mit der anschließenden Verbringung in die Schweiz (anonym, zugriffssicher) mit dem Abkommen überhaupt nicht geregelt wird (Link). Hier lauern aber die Dickfische: Wer einen in Deutschland erwirtschafteten Ertrag oder Gewinn von 1 Mio EUR nicht versteuere hinterziehe damit leicht  420.000 EUR. In der Schweiz werfe die 1 Mio dann pro Jahr je nach Anlage klasse mehrere 10.000 EUR ab, auf die künftig 25% fällig würden, also 2.500 EUR pro 10.000 EUR Ertrag.

Das feiert Schäuble als Eindämmung von Steuerhinterziehung. Auf die 420.000 EUR verzichtet er in diesem Beispiel aber weiterhin. Wessen Interessen das dient, ist sonnenklar: Den Schweizer Banken, für die sich die Anlagesumme, von der sie für die Anlage eine Provision erhält, nicht schmälert. Und den Steuerhinterziehern.

Der NRW Finanzminister hat aufgepasst und versucht Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Dafür sollte er das Bundesverdienstkreuz bekommen.


Samstag, 11. August 2012

Schauplatz der letzten Schlacht in Weltkrieg 2: Seelow

"Im Ersten Weltkrieg verloren ingesamt
9.737.000 Menschen ihr Leben,
davon 500.000 Zivilisten. 
Im Zweiten Weltkrieg wurden
55.293.500 Menschen getötet,
davon 24.475.800 Zivilisten. 
In der Schlacht um die Seelower Höhen
fielen 33.000 sowjetische, 12.000 deutsche
und 5.000 polnische Soldaten."
Tafel im Museumsfoyer der Gedenkstätte Seelower Höhen (Link)

Man hat es schon x-mal gelesen oder in Dokumentationen gehört, aber immer wieder ist es Wahnsinn. Im zweiten Weltkrieg wurden fast so viele Menschen getötet, ermordet wie die Bundesrepublik, in der ich aufgewachsen bin, Einwohner hatte. Noch lange Zeit nach dem Gorbatschow die DDR Bürger ermutigt hatte, die Mauer niederzureißen, hatten "östliche" Namen wie Oder und Polen für mich einen zerbrechlichen Klang. Als wir 2003 zum ersten Mal durch Polen reisten, war mir unsere Geschichte so gegenwärtig wie nie zuvor.

Im sogenannten Oderbruch (was das Binnendelta der Oder, das Sumpfland bezeichnet, Link) fand die letzte große, entscheidende Schlacht gegen Nazideutschland statt. Die Oder ist hier westlich und östlich von Höhenzügen flankiert, die das Queren der Oder und der Etappe im flachen Gelände zu einem riskanten Manöver machten. Auf den Seelower Höhen standen die Deutschen und hielten ihre Geschütze auf die anstürmenden Russen und Polen.



Hier errichteten die Sowjets später ein Mahnmal zu Ehren ihrer getöteten Soldaten. Soldatengräber und ein Denkmal. Und ein kleines Museum. Darin der Tagebucheintrag einer gebürtigen Seelowerin. Es zeigt, dass man sich im Krieg (oder Krisen allgemein) nie sicher sein kann. Seelow lag östlich von Berlin mitten in Deutschland, es war also keine Frontstadt. Es hatte auch keine Industrie und war deshalb kein Ziel für Bombenangriffe. Aber es lag westlich der Oder strategisch wichtig für die in die Defensive geratenen Nazis. Hitler verlegte große Teile des Heeres hier hin, als ihm klar wurde, dass es zu Ende gehen könnte. Und so wurde das Städtchen Seelow in den letzten Kriegswochen zum Schauplatz einer blutigen Schlacht.


Im Museum gibt es einen kleinen Filmraum, in dem eine Dokumentation über die Schlacht gezeigt wird. Keine Angst, falsche Heroisierungen finden hier nicht statt. Stattdessen wird dokumentiert, wie die Nazis gegen Ende Zivilisten in Uniformen steckten, schlecht ausrüsteten und in die Schlacht schickten - anstatt sie zu evakuieren.



Im Gästebuch etliche Einträge von Überlebenden und Hinterbliebenen. "Unser Großvater war hier 1945 verwundet worden. Er wollte unbedingt noch einmal nach Seelow. Als er es gesehen hatte, sagte er, 'Jetzt ist es gut.'"




Die Soldatengräber und das große sowjetische Ehrenmal lassen einen verstummen. Viele der gefallenen Soldaten waren nicht mal zwanzig Jahre alt. Todesangst, Todesmut, es den Nazis heimzahlen, sie besiegen wollen. Im Geschosshagel und Geschützdonner. Vertrauen müssen auf die Strategie und Taktik der sowjetischen Offiziere. Der Dokumentationsfilm zeigt Flüchtlinge (dann doch) und Gefangene, die beim Abmarsch von den umstehenden Sowjetsoldaten immer wieder mit bloßwn Fäusten geschlagen werden. Man kann es ihnen nicht verdenken. Ich hoffe nur, dass auch ein paar deutsche Offiziere darunter waren.

Hier der Ausblick der deutschen Seite auf das Schlechtfeld gen Osten:


Ein letzter Blick auf die Gedenkstätte. Dann entscheiden wir: Wir fahren weiter Richtung Oder.


Fahrt durch das Oderbruch, in dem im Frühjahr die Schlecht tobte.


Kurz vor der Brücke über die Oder, im Küstriner Kiez, stehen auf der rechten Seite ein paar alte Häuser. Wenn Steine reden könnten..


Dann fahren wir rüber. Nach Polen.



Ruhig und friedlich fließt die Oder. Wir fahren zuerst mit dem Auto rüber. Und immer wieder: Hätte uns das einer 1988 vorhergesagt, als wir zwischen Abitur/LK Geschichte und Wehrdienst waren. Die Grenzstation gibt es noch, aber keine Schranken oder Posten. Man fährt einfach durch.


Dann machen wir kehr und fahren zurück. Parken das Auto und gehen noch mal zu Fuß über die Oderbrücke. Wir sehen ein Rentnerehepaar, vielleicht auf der Suche nach irgendwelchen Spuren.



Die Grenze ist grün, es ist August. Die Oder fließt weich und leise unter uns durch. Gut, dass irgendwann Schluss war mit Krieg, Diktatur und Revanchismus. Soweit darf es nie wieder kommen. 

Hier noch ein (mehrteiliges) Video auf Youtube: Link

Freitag, 10. August 2012

Der Starnberger See des Ostens: Neuruppin

Als ich noch in Potsdam arbeitete, bekam ich oft den Tipp, doch mal nach Neuruppin zu fahren. Sei ein schönes Städtchen, und Geburtsstadt von Theodor Fontane. Da ich kein Fontanefreund bin (genauer: war) zog es mich nie dorthin. Ich kannte bis dahin schon Stadt Brandenburg, Potsdam, Frankfurt Oder und Cottbus und dachte: den Rest kann ich mir schon denken.

Doch weit gefehlt. Wem das Havelland zu verschnarcht und nachlässig, Frankfurt Oder zu verzweifelt und Cottbus zu weit draußen ist, der sollte trotzdem in die Prignitz fahren. Wenn man vom Havelland nordwärts fährst und einem irgendwann auffällt, dass die Dörfer und Höfe nicht mehr so runtergekommen aussehen, dann ist man in der Prignitz. Und wenn Du geglaubt hast, bis auf Potsdam sei Brandenburg doch ziemlich arm, dann fahr nach Neuruppin. Es ist der Starnberger See des Ostens. Nur weiß das kaum jemand.



Neuruppin ist gut erhalten und renoviert. (Wozu dann noch den Soli zahlen? fragt der Touri aus dem Westen. Wer weiß die Antwort..?) Man findet leicht einen Parkplatz im alten Stadtkern. Und fragt sich zuerst zum Fontanehaus durch, dann "hat man das wech"..

Ist es das..?



Nein, das ist es nicht. 
Das ist es:



 Fontane wuchs gut behütet in einer Apothekerfamilie auf, wurde aber Dichter. Die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" sind ein gewichtiges Werk über die Geschichte Brandenburgs. Man muss nicht alles gelesen haben, aber man findet hier u.a. die Erklärung, warum es "Mark" heißt und was es mit dem "Märkischen Kreis" in NRW zu tun hat.

Ok, von hier gleich weiter zum Denkmal von Karl Friedrich Schinkel, dem Stadtplaner und Architekten des Preußischen Klassizismus. Es steht im Stadtpark, gleich neben einer stattlichen deutschen Eiche.



Nach soviel Geschichte zurück in die Gegenwart. Zum See. Es gibt ein exklusives Ufer, wer hier keine Villa hat, der sieht den See nicht.






Und gegenüber liegen die Therme und das Wellness Hotel. Man fühlt sich wie am Starnberger See. Ist das wirklich Brandenburg?



Ist es. Ein Besuch lohnt sich. Und wie gesagt: Am besten mit einem Besuch des Tucholsky Museums in Rheinsberg verbinden. Auf dem Weg zur Ostsee oder nach Berlin.

Mittwoch, 8. August 2012

Tucholsky Museum auf Schloss Rheinsberg

"Europa geht es gar nicht gut.
Die dicke Luft ist schwüle.
Doch manchen gibt's
Dem ist die Krise 
Wasser auf die Mühle."

Der letzte Eintrag im Gästebuch des Tucholsky Museums war ein Seufzer: "Ach, hätten wir heute doch einen wie ihn." Ich habe versucht, ihm Hoffnung zu machen: "Ham wa doch: Georg Schramm."


Tucholsky schrieb "einfach", was ihm offensichtlich war. Und was er sah, wurde immer brutaler. Aufrüstung, Drill, Profit, Krieg, Kriegsgewinnler, Dolchstoßlegende. Zu sehen was ist, war eine Kunst, denn es wurden andere Geschichten erzählt. Ihm aber war klar: Folgt man der Spur des Geldes, werden in Europa ganz andere Grenzen sichtbar: Die zwischen den Schichten der Gesellschaft.

Für die "Obrigkeit" war Krieg nicht mehr nur Gesellschaftsspiel, um an Ansehen zu gewinnen. Verglichen mit dem Aufbau von Fabriken, riskanten Investitionen war er auch der direktere Weg, sich bestehende Reichtümer anzueignen.

Dass die Industrialisierung Krieg immer brutaler machte, musste nicht die hinter sicheren Linien  kratzen. Empathie für grausam Verwundete, "Gefallene", Hinterbliebene hatte man schlicht nicht. Man wurde der Brutalität schließlich nicht angesichtig so wie Fleischkonsumenten heute, wenn sie bei Massentierhaltern ihre Wurst kaufen.


Und nach dem Krieg waren die Soldaten, vor allem die Offiziere arbeitslos. Aber Heckenschützen konntense nu auch im Lande gebrauchen. "Gegen Demokraten.."

Krieg können wir uns nicht mehr vorstellen. (Ausgenommen die Berufssoldaten, die wir nach Arabien entsenden.) Und das gilt hoffentlich für ganz Europa.

Aber was wir wieder erleben ist die Kaltschnäuzigkeit, mit der in (leere!) Kassen gegriffen wird. Um private Gläubiger auszuzahlen. Aus Kassen, die hauptsächlich der unselbständig Beschäftigte und der (unselbständige) Konsument befüllen. In Vertretung für die, die eigentlich am dransten wären. Diese Woche veröffentlichte der britische Guardian eine Studie, die wieder mal bestätigte, dass die "Schuldenkrise" in Wahrheit eine Krise der organisierten Steuerhinterziehung ist. Würden die "Obrigkeiten" der Krisenländer aus der Illegalität zurückkehren, wären alle Probleme gelöst. Die Hinterziehungen spanischer und griechischer Oberschichten sind aber auch das Problem deutscher Obrigkeiten, also ebenfalls Steuerhinterzieher. Denn es sind vor allem ihre Anlagen, die sie als Gläubige untoter EURO-Staaten im Feuer stehen lässt.

Beide haben sich zulasten dritter geeinigt: Lasst die Ehrlichen die Dummen sein. Die, denen ihre Steuern direkt vom Gehalt abgezogen werden. Der Schuldennachlass für Griechenland war ihnen eine Lehre. Nachdem sie ihre griechischen Anleihen schon auf 30% abgeschrieben hatten, holten die Regierungen doch noch einiges für sie raus. Danach verkauften sie. Inzwischen sind die Rettungsfonds für sie eingesprungen und der IWF. Und der hat gestern die Ansage gemacht, dass er von den Steuerzahlen einen erheblichen Schuldennachlass für Griechenland erwarte, andernfalls ziehe er sich zurück. Jetzt sind wir am dransten. In der Kulisse droht Merke mit Krieg und Frieden. Damit ist die Referenz, der Weimarer Replay, komplett.



Naja, und kommen uns die Verwicklungen von Polizisten und Geheimdienstlern ("Verfassungsschutz"!) in den Rechtsterrorismus nicht auch bekannt vor?

Wenn Gewitter droht, scharen sich die Deutschen um Präsidenten und Kanzler. Die Intellektuellen um Gauck. Die, die was zu verlieren haben, um Merkel. Und die, die immer noch glauben, es gehe ihnen da unten gut, wenn es denen da oben noch besser geht, scharen sich auch um Merkel.

"Europa, das ist nicht Spanien, Frankreich, Italien. 
Europa, das sind Arbeitslose, Arbeiter, Unternehmer, Soldaten."

Wo man sich oben einig ist, dass man sich zulasten der mittleren und unteren Schichten schadlos halten wird, braucht man Sündenböcke. Und Söder und Dobrindt gaben diese Woche zum besten, wie das laufen wird. Wahrscheinlich gibt es bald auch wieder Typen, die ihr Kunststudium abbrechen, um an Castings in Wirtshäusern teilzunehmen. Schon heute tummeln sich in Parteien vorrangig wieder die, die man woanders nicht gebrauchen kann.


Was dem Versteher und Schreiber K.T. eben auch ein Dorn im Auge war: Der stumpfe Geist, der da oben weht. Die Anzahl von Kriegs- zur Anzahl von Heinrich-Heine-Denkmälern verhalte sich wie die Macht zum Geist, schrieb er. 

Und auch das gilt heute wieder.



Das Tucholsky Museum (Link) im Schloss Rheinsberg liegt ca. 90km nördlich von Berlin. Es war Schauplatz seiner ersten Veröffentlichung als Schriftsteller ("Rheinsberg - Bilderbuch für Verliebte"). Nicht zu verwechseln mit "Schloß Gripsholm", das in Schweden liegt und Schauplatz einer späteren Erzählung war, die inzwischen auch zweimal verfilmt wurde.