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Mittwoch, 6. Mai 2020

Senior xy... was denn eigentlich genau?

Hausintern diskutieren wir derzeit auf vielen Plätzen, was wir künftig besser können wollen. Ein Auslöser dafür sind die Erfahrungen als "Home Officer".

Angefangen von den Ressourcen in der Infrastruktur (VPN-Zugänge), über die zugreizbare Dokumente und Artefakte und Systeme. Bis hin zum Bedarf neuer Tools, die das Skizzieren mit Eddings auf Flipcharts oder Weißtafeln ersetzen können.

Viele Nachzügler und Skeptiker, die erlebt haben, dass das selbstverantwortliche Arbeiten remote tatsächlich klappt, tun jetzt so, als hätten sie es erfunden. Sie setzen sich jetzt an die Spitze der Bewegung und rufen: "Mir nach!"

Mein Projekt lief natürlich schon vorher "modern". Für uns hat sich wenig geändert. Außer, dass uns Budget nur in Schritten freigegeben wird und ich alle paar Wochen in diesen Runden bin.

Ich bin einerseits eigentlich innerlich "gut aufgestellt". Ich habe keinen Einbrund, keine Unterbrechung erlebt und ich musste auch keine Zeit investieren, um Dokumente von irgendwo nach irgendwo umzuziehen und Wikispace zu beantragen, zu warten usw. Auch reizen mich die Poser-Diskussionen der nacheilenden Propheten nicht. Ich habe das alles schon vor fünf Jahren propagiert. Irgendwann wird es langweilig.

Und da wir gut -und zwar nach Standards- dokumentieren, was wir uns selbst -teils unter Schmerzen, und immer mit den Fachbereichen- klar gemacht haben, ist es für mich auch wenig Aufwand, Budgetrunden vorzubereiten. Ich kann alles im Zusammenhang erklären und ausgehend vom großen Lenkungskreis priorisieren. Ich kann sagen, was wir an Implementierung nicht schaffen und wozu wir Fachbereiche nicht befähigen werden, wenn wir 10 oder 20 Prozent weniger Budget kriegen. So wissen die Entscheider, was sie entscheiden.

So weit so gut also. Von außen besehen.

Innerlich aber geht es mir schon wieder so, wie häufig. Wenn das Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hat, genieße ich eine Weile den Autopilot. Im Homeoffice zumal. Aber die Routine nimmt einem auch ein bisschen den Schwung. Ich dachte erst, mir fehle die körperliche Bewegung und das schlage nun in geistige Trägheit um. Aber was mir eigentlich fehlt, ist ein neues Ziel. Projektziel. Um nicht anfällig für Anfragen von Kollegen zu werden, setze ich jetzt erstmal einen Produktvision-2-Workshop auf die Agenda. Irgendwas mit Standardisierung und Automatisierung und Personalbedarfseinsparung. Ich denke, das wird in der nächsten Zeit gut ankommen..

Am meisten reizt mich daran aber die Frage, wie man da methodisch hinkommt. Klar, wir werden das  ARIS-Mehrebenenmodell nach unten erweitern. Wir werden den ITIL-Servicekatalog dann weiter planen. Und da wir ja auch einer Softwareplattform laufen, muss da auch irgendwas mit Cloud in den Projektsteckbrief. ("Ich will alle 11 Minuten -also immer wenn mir was neues eingefallen ist, deployen können.." ;-).

Aber was bin ich eigentlich? Ich schaue schon gerne über den Tellerrand und weiß gerne, wozu wir was machen. Aber mich öden abgehobene Runden auch an. Ich bin schon gerne da, wo es auch passiert. Auch gerne im direkten Austausch mit den Entwicklern. Und gerne etwas ganz konkretes beisteuernd: Methodik, Kopfwerkzeuge, die Zusammenhänge zwischen Fachbereichszielen und Softwareumfängen.

Mittwoch, 29. April 2020

Der Projekttypus "Drosten"

Den Typus "Drosten" kennt man auch aus der Projektarbeit. Projektarbeit ist auch die Bekämpfung der Covid-19 Pandemie. Sie hat ein klares Ziel: Entschärfung des Risikos an Covid-19 zu sterben (Prio1) oder zu leiden. Die Randbedingung ist: möglichst niedrige volkswirtschaftliche Kosten und möglichst geringe (eigentlich: keine) Einschränkung unserer Grundrechte.

Wenn Merkel die Lenkungskreisvorsitzende ist, ist RKI Chef Wieder der Projekt- bzw. Programmleiter. Und Drosten ist der Fachexperte und Berater der die Merkmale des Problems, des Virus aufdeckt, Gegenmaßnahmen identifiziert und dem Programmleiter empfehlen sollte.

Das Problem mit Drosten ist: Er legt sich nie fest, zu nichts hat er ein Ergebnis, aber alles weiß er besser.

1. Vermeidung von Festlegungen
Bis zur Ermüdung hört man in dem NDR Podcast mit Drosten die Disclaimerfloskeln "das ist in der jetzigen Situation ganz schwierig zu sagen", "vielleicht", "ein bisschen" oder: "Das wissen wir nicht."

2. Keine Ergebnisse
Drosten thematisiert in jedem Podcast ein neues Bewertungs- oder Entscheidungskriterium. Wenn die  Redakteurin ihn dann nach seinen Antworten oder Empfehlungen fragt, antwortet er in der Regel: "Da sind wir dran. Dazu kann ich noch nichts sagen.". Oder: "Da habe ich gerade eine interessante Studie zu bekommen, die muss ich noch lesen." Oder: "Ich habe die Studie gelesen. Die Ergebnisse sind interessant, aber nicht 1:1 auf uns übertragbar."

3. Besserwisserei
Seine Kollegen, die er als Konkurrenten empfindet, wertet er in aller Öffentlichkeit ungeniert ab, wenn sie die gleichen Schwächen zeigen wie er selbst, bzw. es riskieren, Stellung zu beziehen, wenn die Projektleitung solche braucht.
Dem Zwischenbericht von Prof. Streeck kurz vor der Konferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten unterstellte Drosten fehlende Wissenschaftlichkeit. Was hätte er selbst wohl in dieser Situation gesagt oder berichtet: "Wir wissen noch nichts."?

Solche Leute sind in einem Lenkungskreis der schlechtes mögliche Fall: Sie bremsen das Projekt, verhindern Entscheidungen und versauen die Stimmung durch Hetze gegen Kollegen. Aber andererseits scheint er dem Typ zu entsprechen, den die Kanzlerin am liebsten in ihrem Stab hat.

Bitte nicht verwechseln mit Agilität. In agilen Projekten hat man Projektziele und Erfolgskriterien, aber man ist sich über den optimalen Weg nicht sicher. Das entspricht eigentlich der jetzigen Pandemie. Aber die Unsicherheit führt in einem agilen Projekt nicht zu Intransparenz, Entscheidungsschwächen und schlechter Stimmung. Stattdessen hat man zu jeder Zeit Ziel, Richtung und Maßstäbe, ist aber bereit diese nach offener Diskussion zu verwerfen und zu ersetzen. Aber stets so, dass alle verstehen, warum und wozu. Und das ist es, was Merkel und Wieler uns schulden.

Samstag, 18. Januar 2020

Von der Kompetenz des Nein-Sagens

Zu den Dingen, die ich im Berufsleben am wenigsten akzeptiere, ist die Überblendung von Inkompetenz mit Überheblichkeit. "Man muss nichts wissen, wenn man sich alles herleiten kann" - so spricht man, wenn man nichts weiß. Schlimm, wenn man sich obendrein nichts herleiten kann. Auch ist "Wir müssen hier nichts bewerten oder verstehen, wir müssen nur moderieren." kein funktionierender Ansatz für einen Workshop. Wenn man die Struktur des Objekts nicht kennt, weiß man auch nicht, worauf man beim Moderieren achten müsste.

Erfahrung macht schnell, sicher und gut. Natürlich nur, wenn sie sich nicht mit Halsstarre paart, sondern mit Intelligenz und Empathie und mit Offenheit.

Erfahrene gehen sicher mit ihrer Unsicherheit um. Trauen sich auszusprechen, was sie nicht wissen. Unerfahrene, auch -oder insbesondere- Ältere, überspielen eigene Unsicherheit mit Überheblichkeit. Solche, die eine höhere Erziehung genossen haben, verstehen es auch, mit Pose und Rhetorik die anderen in die Defensive zu bringen. Sie versprechen Stakeholdern alles und suchen im Hinterkopf nach Untergebenen, die ihre unhaltbaren Versprechen einlösen müssen. "Ein Berater darf keine Angst zeigen" offenbart die Paranoia des Ahnungslosen.

Experten und gute Berater haben keine Angst vor Unwissen, die sie verbergen müssen. Was sie nicht wissen oder verstehen, sprechen sie eben an. Denn in der Welt der Digitalisierung überblickt niemand alles. Und nur mit Fragen kommt man in den Dialog.

Ich kenne erfahrene Spezialistinnen, die nie auf die Idee kämen, einen Auftrag außerhalb ihrer Kompetenzzone anzunehmen. Und sie würden das genau so ansprechen. Und wenn ein Kunde sie trotzdem engagieren will, tut er das in Kenntnis des Risikos.

Ich habe mit IT-Architektinnen zusammen gearbeitet, in denen der Satz "Das weiß ich nicht, das müssen wir herausfinden." der Eisbrecher war. Ich habe auch mit Beraterinnen zusammengearbeitet, die nur die Sätze des Kunden repetiert haben. Bis der Kunde merkte, dass bei ihr gar nichts haften bleibt, nichts sortiert, zugeordnet oder bewertet wird. Kein inneres Modell am wirken war, das die Muster der realen Welt bewertete.

Wer zu früh Manager wurde, kennt diese innere Sicherheit des "Nein"-Sagens nicht. Nein ist für sie oder ihn immer eine kleine Niederlage. Ich kenne auch keine funktionierende Strategie, bei der man sich Kompetenz immer dazu kauft und man selbst lediglich "moderiert" oder gar "steuert". Niemand steuert ein Ding, von dem er nichts versteht, irgendwo hin. Darauf gebe ich Brief und Siegel.

Samstag, 2. Februar 2019

In den Gegenverkehr abbiegen

Ich habe damals bei der Bundeswehr einen LKW-Führerschein gemacht. "Das beste, was man da mitnehmen kann." sagten mir damals alle. Ich bin nach der Bundeswehr nie wieder LKW gefahren. Aber trotzdem habe ich aus dieser Fahrschule eine Lehre für's Leben mitgenommen. Und die geht so:

Während für PKW-Fahrer das Linksabbieger das schwierige Manöver ist, ist es für LKW-Fahrer das Rechtsabbiegern. Zumindest, wenn man noch einen Anhänger hinten dran hat. 

Aktuell haben wir ja in Berlin das Phänomen, dass rechtsabbiegende LKWs Fahrradfahrer und Fußgänger überfahren, die sich rechts von ihnen im toten Winkel befinden. (Wobei ich mich immer frage: Wie kann man als Radfahrer und Fußgänger LKWs übersehen? Als Schwächerer achte ich doch automatisch auf die Stärkeren.) Aber das meine ich gar nicht, sondern:

Wegen der Schleppkurve das Anhängers muss man beim Rechtsabbieger meistens bis zur Gegenfahrbahn ausholen. Ich habe da anfangs immer gewartet, dass mich der Gegenverkehr abbiegen "lässt". Mein Fahrlehrer lehrte mich aber: "Da lässt dich keiner. Dieses Recht musst du dir nehmen. Dann weichen die schon zurück."

Und genau so funktionierte es. Man muss zwar langsam, aber stetig abbiegen, um den anderen zu signalisieren: Ich ziehe durch, ich bin vorsichtig, aber wir müssen es alle hinter uns bringen. Wenn man es den andere unmissverständlich klar macht, weichen sie aus.

Das gilt inzwischen auch für den Bürgersteig. Vorbei sind die Zeiten, als man sich tendenziell rechts hielt. Vorbei also, dass man beständig vorwärts kam ohne ständig ausweichen zu müssen. Heutige Zeitgenossen kennen dieses praktische Regel offenbar nicht mehr. Jeder versucht seine Ideallinie zu laufen. Und das in der ständig überfüllten Stadt Berlin. Leute kommen aus dem Kaufhaus und müssen erstmal alle vorbei Strömenden kreuzen.  Leute wollen an der nächsten Kreuzung links, dann schneiden sie schon mal rechtzeitig. Viele schauen auf ihr Smartphone und wissen meistens nicht, wo sie gerade sind. Erst im letzten Moment schauen sie entrüstet auf und weichen dann aus. 

Ich bin früher ausgewichen, heute ziehe ich durch. Ich gehe rechts und erwarte dass vom Gegenverkehr auch. Eine Zeit lang habe ich immer weggeschaut. Weil ich gemerkt hatte: Wenn der andere merkt, dass du ihn bemerkt hast, dann erwartet er, dass du ihm ausweichst. Nichts sehen, nichts hören war also eine Zeit lang meine bequeme Taktik. Inzwischen mache ich es anders: Ich schaue die auf meiner Spur Entgegenkommenden an und halte auf sie zu. Irgendwie aus den Knien heraus gehe ich bewusster. Und dann weichen sie aus. 

Ich bemerke bei jungen Männern unterschiedliche Reaktionen. Europäer weichen einfach aus, pragmatisch. Arabischstämmige junge Männer versuchen oft zusätzlich ihre gefühlte Niederlage zu überspielen, in dem sie ruckartig ihren Schritt ändern, so als hätten sie bemerkt, ohnehin in der flachen Richtung unterwegs zu sein. Zumindest aber, dass sie ihre Richtung eh gerade wechseln wollten. Offenbar ist ihnen das Wer-weicht-wem-aus-Spielchen eine wichtige Angelegenheit. Vielleicht ein Kampf um die Hackordnung auf der Straße? Dann würde es mich um so mehr freuen :-)

Aber auch im Berufsleben wende ich diese Vorgehensweise an: Als fachlich Verantwortlicher IT-Projektleiter oder Product Owner hört man von Anspruchsgruppen was sie wollen, brauchen, herbeisehnen. Darunter immer auch diejenigen, die sich über alle anderen priorisieren wollen und dafür eigentlich immer nur eine Begründung parat haben: "Das hat keinen höheren Zweck, das MUSS einfach." Weil es Gesetz ist, weil der Produktionsstart davon abhängt, weil wir sonst alle ins Gefängnis kommen und Gott weiß warum noch.

Inzwischen fahre ich beim Abbiegen in diesen Gegenverkehr einfach voll rein und sage: Sorry, solange ich keine Begründung höre, die ich verstehe, biegen wir weiter ab. Bitte gehen sie zur Seite. 

Diese Neinsager -Der Podcaster Phil McKinney nennt sie "Corporate Antibodies" - geben sich nie gesprächs- oder kompromissbereit. Manche, weil es ihnen ums Ego geht, sich einmal am Tag gegen irgendwen durchgesetzt zu haben. Manche, weil ihnen das Herumdiskutieren, Entscheidungen über Kompromisse treffen zu lästig ist, oder sie schlicht überfordert.

In solchen Fällen rate ich: direkt in die Augen blicken, und einfach ohne zu zögern abbiegen.

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Deutsch als Fremdsprache

Mein Projekt ist international besetzt und ich habe hier schon öfter beschrieben, dass die Zusammenarbeit auf Akademiker- und Ingenieursniveau im großen und ganzen sehr gut funktioniert - jedenfalls brauchen wir keine Moralprediger oder Integrationsprogramme dafür.
(Aber ich sage auch: Daraus folgt kein Schluss für Moabit oder Neukölln, für Marxloh oder den Dortmunder Norden.)

Trotzdem wird mir in diesen Tage ein Problem bewusst, das mich die ganze Zeit ein wenig behindert und auch verlangsamt: Die Projektsprache englisch.

Wir schreiben und sprechen auf Englisch. Nur wenn eine Gruppe mit gleicher Muttersprache unter sich ist, spricht sie diese.

Und wir alle merken: In der eigenen Sprache sind wir schneller und genauer. Wir werden uns der Macht eines reichen Wortschatzes bewusst und empfinden es fast als körperliche Behinderung, nicht sagen zu können, was wir meinen, weil wir wieder einmal eine englische Vokabel oder Redewendung nicht wissen. Beim Dokumentieren löst man das Problem, in dem man in einem eigenen Browserfenster dict.cc oder linguee.de öffnet. Es macht einen aber langsamer, wenn man immer wieder nachschlagen muss.

Im Gespräch allerdings nervt es, wenn man immer wieder fragen muss 'what is this in English"?

Unter den Kollegen sind etliche, die bereits deutsch können, weil sie "schon länger hier leben". Aber selbst mit ihnen rede ich langsamer und einfacher. Weil ich von meiner eigenen Dankbarkeit ausgehe, die ich jemandem gegenüber habe, wenn er loud and clear mit mir spricht.

Dies erzeugt eine "kognitive Last" wie es die Psychologen aus der Abteilung "Autonomes Fahren" nennen.

Aber in Berlin geht es damit nach Feierabend weiter. Auf dem Heimweg mal eben am Wittenbergplatz aussteigen und bei Kamps ein frisches Brot kaufen? Du kommst in den Kamps Laden und da sind drei neu eingereiste Araber. Die Schlange ist sehr lang, weil die Verkäufer immer wieder nachfragen müssen, was die Kunden meinen. Auch gibt es gar nicht mehr alle Sorten, die man früher gerne gekauft hat. Stattdessen versucht man mir jetzt ein Walnussbrot aufzuschwatzen. Ja, die Tagesbestellung war etwas zu klein gewesen ("Wissen wir doch nicht, was die Kunden so wünschen.").

Beim Zahnarzt das gleiche. In meiner Nähe gibt es gleich drei Stück: eine polnische Ärztin (Taff, gut,  spricht aber nur polnisch und englisch mit polnischem Akzent). Dann einen kurdischen Nachwuchsarzt (gut, aber spricht kein englisch und nur gebrochen deutsch). Nur einer ist Deutscher. Und er fragte mich als erstes, warum ich denn für's Nachgucken den Arzt gewechselt hätte.. Schon habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen und in einem Verhör zu sein.

In der U-Bahn, im Bus überall hörst Du alle Sprachen - wie in Babylon.

Deutsch als Fremdsprache ist eine kognitive Dauerlast. Es strengt an und ich merke das nun am Jahresende. Ich meide Termine und Anrufe. Wenn ich an meinem Schreibtisch Features beschreibe, bin ich sehr vertieft in die Sache. Mein RAM ist zu 100% gefüllt.

Dann fliegt die Tür auf und ein Product Owner steht im Raum: "May I ask you a question?". In dem Moment verschwindet mein mühsam aufgebautes Konstrukt im RAM zu mindestens 50%. Schon bevor ich mich entschiede habe, ob ich auf den "Störer" eingehe. Da wir aber alle eine Kultur der helfenden Hand leben, damit keine Inseln oder Silos entstehen, höre ich zu und Räume Zeit ein. Damit vermeide ich es, den Kollegen zu blockieren, blockiere mich aber selbst. Und fange neu an, über das Feature nachzudenken.

Gerade deshalb wird Heimarbeit für mich immer wichtiger. Nur dann schaffe ich tatsächlich geistige Arbeit.

Und ich ziehe das Fazit: Die besten der Welt (hüstel..) zusammen zu rekrutieren und keine Limits für Fremdsprachenanteil zu setzen, erhöht die Dauerbelastung durch den Faktor Sprache. Für das Projekt erhöht sie das Risiko von Missverständnissen. Die einzige Maßnahme dagegen ist ein sehr guter fachlicher Wortschatz. Aber der wächst nur durch Übung. Die schwedischen Kollegen sind da z. B. schon sehr viel weiter. Was sie sprechen kann man immer getrost gleich so dokumentieren.

Es isoliert einen persönlich auch etwas. Das Gefühl, nicht verstanden zu werden, ist unter Muttersprachlern schon gegeben. In "Eine-Welt-Projekten" ist es noch viel höher. Da ist viel Propaganda und Fassade im Spiel..

Freitag, 6. April 2018

Digital Labs in Berlin

Ein alter Traum wird jetzt wahr: Berlin wird Sammelbecken digitaler Projekte. Immer mehr Konzerne gründen Digitallabore, Softwarehäuser, Tochterunternehmen. Warum in Berlin? Weil die anderen auch schon hier sind, ist die plausibelste Erklärung. Vor 10 Jahren hieß es: Weil man Informatikabsolventen am einfachsten nach Berlin locken kann - falls sie nicht eh schon hier studiert haben.

Und so kommt es, dass Berliner immer seltener in die Umgebung pendeln müssen, sondern die Arbeit zu ihnen kommt. Da die Wohnungen aber knapp sind, ziehen immer mehr in die Randbezirke oder Brandenburger Städte wie Teltow und pendeln dann nach Mitte.

Was interessant ist: Diese Projekte und Labore werden international besetzt. Nicht selten ist die Projektsprache englisch und die Projekte rekrutieren sich international. Man kann derzeit "Auslandserfahrung" mitten in Berlin sammeln.

Wer sich vor zwei Jahren als Product Owner auf dem Berliner Arbeitsmarkt anbot, fand schlicht nichts. Inzwischen trudeln die Benachrichtigungen über offene Stellen mehrmals pro Woche ein. Selbst wenn man den Kreis sehr eng um die eigene PLZ zieht.

Und natürlich ist es so, dass die Konzern- aber auch die Verwaltungstöchter Spezialisten in neuesten Technologien suchen, vorzugsweise mit reichlich Erfahrung. Und so trifft man viele alte Bekannte wieder, was schön ist. Es ist eine wirtschaftlich gute Zeit für Informatiker und Ingenieure. Und zwar nicht, weil wir eine gute Wirtschaftspolitik haben. Die haben wir weder im Bund noch im Land. Angetrieben wir das ganze vor allem aus einer diffusen Mischung aus Verlustängsten. Angst, Boden an das Silicon Valley zu verlieren. Aber auch das Zinsdoping treibt diese Entwicklung. Und zwar noch mehr als Ende der 90er Jahre.

Die Arbeit in diesen neuen Arenen macht Spaß. Dennoch gibt es nirgendwo eine kontaktlose Veränderung in den alten Strukturen. Man hat die Besitzstandswahrer in jedem Fall auf der Bühne. Die Frage ist nur, ob als Kunden oder Kollegen. Und so manches Modernisierungsprojekt wird als "agil" deklariert, losgetreten und dann sofort wieder ausgebremst. Gas und Bremse gleichzeitig. Man ist so lange nicht agil, wie man einem Modernisierungsverweigerer mit Macht ausstattet.

Diese Verweigerer können auch in den eigenen Reihen schlummern. Immer noch glauben viele Ex-Manager aus großen IT-Häusern, dass es genügt sich eine Kompetenz bei Wikipedia anzulesen. Die sagen ihren jungen Beratern ins Gesicht: Geh mal dahin, aber positioniere dich nicht. Und lass dir keine Angst oder Unsicherheit anmerken.

So geht es nicht. Mag sein, dass IBM und Siemens jahrelang so gemanagt wurden. Aber so macht man heute keine Projekte mehr. Und deshalb wird so manches Digitallabor nicht überleben, wenn es nicht rechtzeitig entrümpelt wird.

Aber auch das Gegenteil gibt es: Kindergeburtstage, in denen viel geredet und posiert wird, aber nichts bewertet, nichts entschieden und nichts umgesetzt wird. Wo man einen Dummen sucht, der kurz vor Terminen schnell etwas aus dem Ärmel schüttelt.

Es dauert halt lang, bis eine tief sitzende Mentalität überwunden wird.

Samstag, 10. Juni 2017

IT-"Modernisierung"

"Mach neu!"
Peter Fox

Auslöser für die Modernisierung einer IT-Landschaft kenne ich nur zwei:
- Die Systembetreuer gehen bald in Rente oder Pension.
- Jemand hat nachdem etwas passiert war, angeordnet, dass jetzt "etwas passieren" muss.

Gründe für eine Modernisierung kann es noch viel mehr geben, aber die lösen nichts aus.

"Landschaft" heißt, da müssen mehrere zusammenspielende Komponenten angefasst werden. Und sofort entstehen Fragen wie:
- Ist die Anzahl der Komponenten fachlich oder technisch begründet?
- Allgemeiner gefasst: Wie begründet sich die heutige Architektur?

Solch ein Vorhaben ist ein Aufbruch ins Ungewisse, machen wir uns nichts vor. Was aber gewiss ist: Für alle demnächst startenden Aktivitäten und vor allem Dokumentationen sollte sich das Programm eine Basis in Form von Standards geben:
- Klärung der Vorgehensweise, Standards, Tools, Ablage etc.
-- Dies ist um so dringender, je arbeitsteiliger das Projekt organisiert wird.
--- Insbesondere zwischen extern und intern.
--- Insbesondere wenn agil entwickelt wird (gemeinsame Anforderungsklärungssitzungen)
- Zentrale Stellen für zentrale Fragen die immer wieder hoch kommen werden:
-- Anforderungsmanagement
-- Architekturmanagement

Sollte jemand auf die Idee kommen, diese zentrale Stelle bräuchtet Ihr nicht und Ihr könntet auch ohne dies "schon mal" starten, werdet Ihr schnell merken, wo Ihr da hinkommt:

- Jede Stelle benutzt ihre Tools und Standards.
- Jedes Teilptojekt nutzt Vorgehensweisen, die es kennt oder ihm am besten passen.
- Am Ende wird nichts zusammen passen und kann nicht übergreifend analysiert und gestaltet werden.

Das klingt trivial und muss man niemandem mehr sagen? Habt Ihr eine Ahnung..