Donnerstag, 11. August 2011

Der Unterschied zwischen Experten und Beratern

Ihre Selbstsicherheit konnten sie nur aus ihrer Unwissenheit beziehen.
Franz Kafka, "Der Process"

In der Beziehung Kunde - Berater/Fachmann gibt es ein Paradoxon, das fast immer zu Konflikten führt. Der selbstsichere, Führungsstärke ausstrahlende Anbieter bekommt den Auftrag. Später entpuppt sich diese Stärke als Schwäche und sogar als Hindernis.

Der in der Ausschreibungsphase stark Auftretende vermittelt, dass er sein Metier versteht, sein Kunde also kein Risiko eingeht. Er vermittelt Selbstsicherheit, wird sich also auch gegen andere Mitspieler, wie Lieferanten oder andere Spezialisten durchsetzen können, wenn das Projekt unübersichtlich werden sollte.

Nach der Beauftragung legt er schon bald einen Plan fürs Projekt vor. Und verkündet, wen und was er dafür braucht. Führungsstärke, Sicherheit. Dann kommt die erste Bodenwelle. Der Kunde erinnert seinen Dienstleister an die Besonderheiten, die er in der Ausschreibung genannt und im Gespräch wiederholt hatte. Und damit bringt er den selbstischeren Dienstleister von seinem geplanten Weg ab. Das will dieser nicht und versucht er zu vermeiden: "Das geht nicht." Er sieht seine Planung, sein Budget, seinen Zeitplan in Frage gestellt. Und er weiß vor allem noch nicht die Methode wie er bei diesem für ihn unbekannten Ziel landen soll.

Genau diese Kompetenz aber, Führung durch ein noch unbekanntes Gelände, suchen viele Kunden. Einen Partner, der ihnen zuhört, ihre Wünsche versteht und auf Machbarkeit prüft, unter Aufbietung all seiner -möglichst mannigfaltigen- Erfahrung.

Handwerker z.B. sind ein sehr konservatives Metier. Gegen sie haben kreative Architekten, Ausstatter, Designer auf der Baustelle nur selten eine Chance. Der Handwerker scheut den Umgang mit unbekannten Mitteln und lehnt ab. In der ersten Welle des Internet war es ähnlich. Viele gute und keinesfalls unrealistische Ideen wurden nicht umgesetzt, weil sie für SAP-Berater, Middlewarehandwerker und ihre Sponsoren in den IT-Abteilungen das Risiko des Unbekannten bargen: "Das ist unrealistisch."

Diese Dienstleister sind sicher, aber nur auf ihrem schmalen, ausgetrampelten Pfad. Sie sind auch nicht kundenorientiert. Spätestens im dritten Kundengespräch entpuppt sich ihre "Selbstsicherheit" als Sturheit. Sie "korrigieren" Aussagen des Kunden, wenn diese nicht in das Schema des standardisierten Dienstleisters passen. Sie vergessen ganz und gar den Charakter der entstandenen Beziehung: Kunde und Auftragnehmer.

Der Unterschied zwischen Beraten und Dienstleisten ist die Unklarheit des Lösungsweges, manchmal sogar der Aufgabenstellung zu Beginn des Projektes. Der Berater legt Wert auf die Analyse und sagt zu, eine Lösung zu suchen, sobald die Aufgabenstellung klar ist. Der Dienstleister erwartet eine klare Aufgabenstellung. Der Berater muss sicher in der Beziehung sein. Ihm ist klar, dass bereits die Klärung der Aufgabenstellung eine Leistung ist. (Diesen Typus gibt es auch unter Dienstleistern, Handwerkern, Werkstätten, aber eher selten. Findet man einen solchen, ist er Gold wert. Übrigens kommen immer mehr Baumärkte auf die Idee über Video handwerkliche Anleitungen zu ihren Produkten anzubieten..)

Im Unterschied zum Berater legt sich der Experte die Aufgabenstellung so zurecht, dass sie in sein Erfahrungsschema passt. Was seine Erfahrungen angeht, sucht er immer nur mehr vom Gleichen. Das ist seine Art, dem Kunden Sicherheit zu vermitteln: Durch Unflexibilität. Weicht der Kunde davon ab, verunsichert er den Experten. Den empfundenen Druck versucht dieser mit Gegendruck abzuwehren: "Dann ist Ihr Termin gefährdet. Sie sind der Erste, der das so haben will. So sind wir alle nicht eingespielt. Am besten kaufen Sie bei meinem langjährigen Partner etwas aus dem Katalog, dann sind wir morgen fertig." Im schlimmsten Fall versucht der Experte, wenn er sich in Frage gestellt fühlt, seinen Kunden mit Fachwissen auszustechen, am besten noch vor anderen Projektteilnehmern, um deren Zustimmung einzuholen und sich endlich wieder stark zu fühlen.

Worauf ich hinaus will: Bei komplexen Projekten, in denen mehrere völlig unterschiedliche Kompetenzen zusammen spielen müssen, um herauszufinden, ob und wie nah an den Kundenvorstellungen man ein Projekt umsetzen kann, ist auffällige Selbstsicherheit zu Beginn ein Indiz für mangelnde Flexibilität und unter Stress vielleicht sogar auch für mangelnden Respekt (weil die Art der Beziehung vergessen wird) - im schlimmsten Fall muss man unterwegs diesen Experten gegen einen anderen auswechseln. Wer nur mit seinen Wettbewerbern gleichziehen will, braucht nur den Standardexperten. Wer sich differenzieren will, braucht einen guten Berater, der bei Bedarf einen Satz unterschiedlicher, aber guter Experten kennt. Zu erkennen am Feedback zur Aufgabenstellung und dem Fokus auf einer Vorgehensweise, in der man zwischendurch entscheiden kann, wie es weitergeht und ob es überhaupt weitergeht.

Für den Berater hingegen ist ein neues Projekt auch immer eine psychologische Hürde. In dem Sinne, dass man in der Frühphase, in der sich seine Beziehung zum Kunden erst bilden muss, gerne nur gute Nachrichten bringt. Er verwöhnt seinen Kunden damit allerdings. Es ist eine Hürde, erkannte Probleme sofort zu artikulieren. Aber das muss er tun, sofort nach der ersten Bodenwelle, die ihm die erste positive Annahme in Frage stellt.

Der Unterschied zwischen Experten und Beratern

Ihre Selbstsicherheit konnten sie nur aus ihrer Unwissenheit beziehen.
Franz Kafka, "Der Process"



In der Beziehung Kunde - Berater/Fachmann gibt es ein Paradoxon, das fast immer zu Konflikten führt. Der selbstsichere, Führungsstärke ausstrahlende Anbieter bekommt den Auftrag. Später entpuppt sich diese Stärke als Schwäche und sogar als Hindernis.



Der in der Ausschreibungsphase stark Auftretende vermittelt, dass er sein Metier versteht, sein Kunde also kein Risiko eingeht. Er vermittelt Selbstsicherheit, wird sich also auch gegen andere Mitspieler, wie Lieferanten oder andere Spezialisten durchsetzen können, wenn das Projekt unübersichtlich werden sollte.



Nach der Beauftragung legt er schon bald einen Plan fürs Projekt vor. Und verkündet, wen und was er dafür braucht. Führungsstärke, Sicherheit. Dann kommt die erste Bodenwelle. Der Kunde erinnert seinen Dienstleister an die Besonderheiten, die er in der Ausschreibung genannt und im Gespräch wiederholt hatte. Und damit bringt er den selbstischeren Dienstleister von seinem geplanten Weg ab. Das will dieser nicht und versucht er zu vermeiden: "Das geht nicht." Er sieht seine Planung, sein Budget, seinen Zeitplan in Frage gestellt. Und er weiß vor allem noch nicht die Methode wie er bei diesem für ihn unbekannten Ziel landen soll.



Genau diese Kompetenz aber, Führung durch ein noch unbekanntes Gelände, suchen viele Kunden. Einen Partner, der ihnen zuhört, ihre Wünsche versteht und auf Machbarkeit prüft, unter Aufbietung all seiner -möglichst mannigfaltigen- Erfahrung.



Handwerker z.B. sind ein sehr konservatives Metier. Gegen sie haben kreative Architekten, Ausstatter, Designer auf der Baustelle nur selten eine Chance. Der Handwerker scheut den Umgang mit unbekannten Mitteln und lehnt ab. In der ersten Welle des Internet war es ähnlich. Viele gute und keinesfalls unrealistische Ideen wurden nicht umgesetzt, weil sie für SAP-Berater, Middlewarehandwerker und ihre Sponsoren in den IT-Abteilungen das Risiko des Unbekannten bargen: "Das ist unrealistisch."



Diese Dienstleister sind sicher, aber nur auf ihrem schmalen, ausgetrampelten Pfad. Sie sind auch nicht kundenorientiert. Spätestens im dritten Kundengespräch entpuppt sich ihre "Selbstsicherheit" als Sturheit. Sie "korrigieren" Aussagen des Kunden, wenn diese nicht in das Schema des standardisierten Dienstleisters passen. Sie vergessen ganz und gar den Charakter der entstandenen Beziehung: Kunde und Auftragnehmer.



Der Unterschied zwischen Beraten und Dienstleisten ist die Unklarheit des Lösungsweges, manchmal sogar der Aufgabenstellung zu Beginn des Projektes. Der Berater legt Wert auf die Analyse und sagt zu, eine Lösung zu suchen, sobald die Aufgabenstellung klar ist. Der Dienstleister erwartet eine klare Aufgabenstellung. Der Berater muss sicher in der Beziehung sein. Ihm ist klar, dass bereits die Klärung der Aufgabenstellung eine Leistung ist. (Diesen Typus gibt es auch unter Dienstleistern, Handwerkern, Werkstätten, aber eher selten. Findet man einen solchen, ist er Gold wert. Übrigens kommen immer mehr Baumärkte auf die Idee über Video handwerkliche Anleitungen zu ihren Produkten anzubieten..)



Im Unterschied zum Berater legt sich der Experte die Aufgabenstellung so zurecht, dass sie in sein Erfahrungsschema passt. Was seine Erfahrungen angeht, sucht er immer nur mehr vom Gleichen. Das ist seine Art, dem Kunden Sicherheit zu vermitteln: Durch Unflexibilität. Weicht der Kunde davon ab, verunsichert er den Experten. Den empfundenen Druck versucht dieser mit Gegendruck abzuwehren: "Dann ist Ihr Termin gefährdet. Sie sind der Erste, der das so haben will. So sind wir alle nicht eingespielt. Am besten kaufen Sie bei meinem langjährigen Partner etwas aus dem Katalog, dann sind wir morgen fertig." Im schlimmsten Fall versucht der Experte, wenn er sich in Frage gestellt fühlt, seinen Kunden mit Fachwissen auszustechen, am besten noch vor anderen Projektteilnehmern, um deren Zustimmung einzuholen und sich endlich wieder stark zu fühlen.



Worauf ich hinaus will: Bei komplexen Projekten, in denen mehrere völlig unterschiedliche Kompetenzen zusammen spielen müssen, um herauszufinden, ob und wie nah an den Kundenvorstellungen man ein Projekt umsetzen kann, ist auffällige Selbstsicherheit zu Beginn ein Indiz für mangelnde Flexibilität und unter Stress vielleicht sogar auch für mangelnden Respekt (weil die Art der Beziehung vergessen wird) - im schlimmsten Fall muss man unterwegs diesen Experten gegen einen anderen auswechseln. Wer nur mit seinen Wettbewerbern gleichziehen will, braucht nur den Standardexperten. Wer sich differenzieren will, braucht einen guten Berater, der bei Bedarf einen Satz unterschiedlicher, aber guter Experten kennt. Zu erkennen am Feedback zur Aufgabenstellung und dem Fokus auf einer Vorgehensweise, in der man zwischendurch entscheiden kann, wie es weitergeht und ob es überhaupt weitergeht.



Für den Berater hingegen ist ein neues Projekt auch immer eine psychologische Hürde. In dem Sinne, dass man in der Frühphase, in der sich seine Beziehung zum Kunden erst bilden muss, gerne nur gute Nachrichten bringt. Er verwöhnt seinen Kunden damit allerdings. Es ist eine Hürde, erkannte Probleme sofort zu artikulieren. Aber das muss er tun, sofort nach der ersten Bodenwelle, die ihm die erste positive Annahme in Frage stellt.

Mittwoch, 10. August 2011

Dorfsaujournalisten an der Börse

Volkswirtschaft wurde doch nur erfunden, damit die Astrologie seriöser wirkt.
ARD-Börsenkorrespondent.





Tja, wer ist da unseröser: Volkswirte oder Börsenredakteure?



Beispiel Handelsblatt:



Am vorigen Freitagmorgen schrieb Chefredakteur Gabor Steingart in seinem Newsletter:

Es herrsche "die totale Angst" kommentierte gestern Abend der Chef-Anlageexperte des größten US-Geldverwalters Blackrock. Aus den Zutaten einer Schulden-, Währungs- und Vertrauenskrise ist ein giftiger Cocktail entstanden. Das Gegengift heißt Zuversicht. Die schwarzen Tage heißen schließlich auch deswegen so, weil sie so selten sind.


Also klare Analyse: Die Schulden sind das Problem.



Am Montagmorgen schrieb er:

An den New Yorker Börsen deutet sich nach der Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit ebenfalls eine weitere Talfahrt an. Die Futures der führenden Indizes eröffneten den außerbörslichen Handel am Sonntagabend mit deutlichen Abschlägen. Die Aktienfutures für den Dow-Jones-Index der Standardwerte, für den breiter gefassten S&P-500 und für die Technologiebörse Nasdaq notierten in den ersten Minuten allesamt um mehr als zwei Prozent tiefer.


Und gestern, am Dienstag schrieb Gabor Steingart:

Unsere Titelgeschichte "Der Schwarze Montag" beschreibt die düstere Stimmung des gestrigen Börsentages - und wie man ihr in dieser Woche entkommen kann. Auch der einzige Lichtblick wird analysiert: Die Intervention der Europäischen Zentralbank (EZB) beruhigte immerhin den Anleihemarkt. Der Aufkauf italienischer und anderer südeuropäischer Staatsanleihen ist ordnungspolitisch falsch - weil eine Notenbank die Inflation bekämpfen soll, nicht die drohende Insolvenz von Staaten. Er ist zugleich europapolitisch richtig, weil alle anderen Akteure derzeit kopflos sind. Bundesbank-Chef Jens Weidmann kritisierte intern diese Staatsanleihen-Aufkäufe, freilich erst nachdem die Zustimmung durch die Mehrheit des EZB-Direktoriums gesichert war.


Und tatsächlich sanken die Börsenindizes heftig nach unten. Der DAX lag gestern bis zu 7% im Minus, nur um gegen Abend nach oben zu drehen. Als die FED eine mindestens zweijährige weitere Niedrigzinsphase in Aussicht stellte.



Ich will nicht unterschlagen, dass Steingart die positive "realwirtschaftliche" Lage schon vorher dagegen setzte:

Die Weltwirtschaft wird um rund vier Prozent wachsen, wenn jetzt nicht das Börsengewitter das Haus der Realwirtschaft in Brand steckt.


Zusammengefasst: Die Unternehmen stehen gut da, aber die Schuldenkrise könnte alles vermasseln. Das konnte man nachvollziehen. Das drückte sich in den Kursen der vorigen zwei Wochen auch aus. Obamas Spruch von den Märkten, die steigen und sinken aber der Kreditwürdigkeit der USA, die bleibe, wirkte in diesem Nachrichten- und Meinungsumfeld fast naiv.



Und heute Morgen? Nachdem die Börsen gestern ins Plus drehten, müssen die Propheten erneut die Richtung wechseln. Das Handelsblatt schreibt:





Verrückte Welt der Märkte: Als die Aktienbörsen nach der denkwürdigen Herabstufung der US-Bonität am Montag erstmals wieder öffneten, folgte weltweit der erwartete Kurseinbruch. Amerikas Staatsanleihen verbuchten hingegen satte Gewinne - obwohl Standard & Poor's doch gerade den Ratingdaumen gesenkt hatte. Klares Zeichen, dass die Welt auch weiterhin Amerika ihr Geld anvertraut.

..

„Wirkliche Sorge macht das Wachstum, nicht die US-Schulden“, meint Randall Forsyth, renommierter Kolumnist des US-Finanzmagazins „Barron's“. Kein Zweifel: Da steht es in den USA nicht zum besten, aber auch global verdüstert sich das Bild: China zieht die Zinsschraube an, Europa schnallt den Gürtel merklich enger. „Die US-Schuldensituation ist, so bedrohlich sie langfristig wirkt, das geringste der drängendsten Probleme der Weltwirtschaft“, so Forsyth.


Also: Zuerst hatten wir den Thriller um die Einigung von Demokraten, Reps und Tea Party mit der drehlehrbuchmäßigen Einigung um kurz vor Zwölf. Dann die fehlende Erleichterung an den Börsen, Unsicherheit. Hmm, warum atmet die Börse denn nicht auf..? Hm, komisch. Dann ein paar Tage hin und her und dann die Abstufung der US-Krediwürdigkeit von S&P mit der Begründung, man halte die Politik für künftig unfähig, ernste Angelegenheiten schnell zu regeln. Danach folgte der Börsenabsturz nach der Überlegung: "Jetzt werden alle Regierungen sparen und Steuern erhöhen müssen. Wichtige Konsumausgaben und Infrastrukturinvestitionen werden ausfallen. Hm, schlecht für die Unternehmen. Vielleicht drohen sogar Staatspleiten."



So weit, so logisch. Aber diese Story jetzt einfach ad acta zu legen mit Begründung "die Schulden sind gar nicht das Problem", ist schon dreist. Das kann man so auslegen, dass da die starken Hände die schwachen Hände in die Panik treiben wollten um glänzend da stehende Unternehmen billig einzusammeln.



Das ist Dorfsaujournalismus. An so etwas sollten sich Medien mit Anspruch auf Seriösität nicht beteiligen.

Montag, 8. August 2011

Die Erregermaschine läuft auf Hochtouren

In den Wirtschaftsredaktionen wimmelt es von nacheilenden Propheten. Volkswirte, Anlageberater, Professoren - sie sind alle hier. Und dozieren die Kurse von gestern und "prophezeien" die Fortschreibung des Trends. Geht es aufwärts (bis vor wenigen Tagen), so wird es noch lange aufwärts gehen. Geht es abwärts, wird es noch lange abwärts gehen. Deutsche Wirtschaftskompetenz? Fehlanzeige.

Den Vogel schießen mal wieder die ab, die in Lokführer- und Fluglotsenstreiks die größte Gefahr für unsere Konjunktur sehen.

Wohlgemerkt: Ich unterschätze die Krise nicht. Ich habe ein ganz ungutes Gefühl und deshalb suche ich fundierte Analysen und Erklärungen. Aber die finde ich in deutschen Zeitungen nicht. Da muss ich schweizerische, englische oder amerikanische Medien ausweichen.

Hier der Stand der "Nachrichten":






Sonntag, 7. August 2011

Bedeutung der Ratingstufen von S&P

Sie sind die Codes, nach denen inzwischen die Welt sortiert wird. Aber was bedeuten sie im Einzelnen? Wikipedia listet sie wie folgt:

Investmentwürdig (Investment Grade)
AAA Zuverlässige und stabile Schuldner, höchste Qualität
AA Gute Schuldner, etwas höheres Risiko als AAA
A Wirtschaftliche Gesamtlage ist zu beachten
BBB Schuldner mittlerer Güte, die momentan zufriedenstellend agieren

Nicht als Investment geeignet (Non-Investment Grade)
BB Sehr abhängig von wirtschaftlicher Gesamtlage
B Finanzielle Situation ist notorisch wechselhaft
CCC Spekulative Bonds, niedrige Einnahmen des Schuldners
CI ausstehende Zinszahlungen
SD Zahlungsausfall in einigen Bereichen
R unter regulatorischer Aufsicht, möglicherweise selektiver Zahlungsverzug/-ausfall in Zukunft
D in Zahlungsverzug
NR keine Bewertung (NR = Non Rated)


Die Ratings von AA bis CCC können durch + oder - modifiziert sein, um die relative Stellung innerhalb eines Ratings anzuzeigen.
Z. B. AA+, AA-, BBB+
Anleihen mit Ratings unterhalb von BBB werden als Junk-Bonds oder High-Yield-Bonds bezeichnet. Sie bieten einerseits sehr hohe Zinszahlungen, andererseits ist die Ausfallquote höher. Fällt eine Anleihe aus, ist ein Totalverlust des eingesetzten Geldes möglich.

Samstag, 6. August 2011

Eurokrise an der Supermarktkasse in Mitte

Soll das Globalisierung sein? Es gibt nur noch Pfandflaschen. Aber das System entpuppt sich als komplizierte Marktbarriere. "Sixpack Radeberger nehmen wa nich zurück, dit ist keen Fehler vom Automaten. Ansonsten Radeberger nur als Nullfünfer. Wir nehmen Hasseröder Sixpack, aber nur aus der Rabattaktion, sonst ham wa dit nich." Also leere Flaschen mal wieder heimtragen. Oder im Auto noch ne Woche spazieren fahren.

Noch sinnfreier ist das System bei den PE-Wasserflaschen. Auch hier wird peinlich geprüft. Aber nach der Annahme sofort zerquetscht. "Fürs Recycling spielt dit in der Tat keene Rolle, ob da Ja! oder Gerolsteiner druff steht." "???" - "Ja, nee, das muss ja in der Summe hinkommen: Ausgabe = Einnahme. Wir müssen da peinlich drauf achten. Steht auch im Kleingedruckten, da willijense ein, wense hier eenkoofen."

Heute vormittag reichte es mir mal wieder. Den leeren Kasten wurde ich im dritten Anlauf los. Die gleiche Marke in 0,33 nicht mehr. Ich sann auf Vergeltung für Merkels ökologisch-logistisch perfektioniertes Pfandsystem mit Zero Sinn. An der Kasse zahlte ich bar und bekam merkwürdig glänzende Euro- und Centstücke zurück. Die schaute ich mir -trotz langer Schlange hinter mir- genau an. Wusste ich's doch: Münzen aus unseren Problemländern Griechenland und Spanien. "Nee tut mir leid, EUROS aus GR und ESP nehme ich nicht an." gab ich dem Kassierer die Münzen zurück. "Wie bitte?" - "Nee, steht bei mir im Kleingedruckten: Seit Inkraftreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus nehme ich keine Prägungen aus Risikoländern mehr an. Bitte geben sie mir deutsche EUROS." - "Ick hab nur die, junger Mann. Und jetze?" - "Fragense doch mal an der Nachbarkasse." - Da drohte die Schlange hinter mir, die sich bis jetzt amüsiert hatte, plötzlich ins Wutbürgertum umzukippen. "Nee, ist schon gut. Gebense her, ich nehm'se. Es war eh das letzte mal."

Freitag, 5. August 2011

Weg mit den Eurotechnokraten

In der Phantasie unserer Eurotechnokraten handelt es sich bei "den Märkten" oder "den Investoren" offenbar um eine Gruppe gesichtsloser, unbekannter Akteure, die in Absprache Welten bewegen, sich aber durch technokratische Worte beeindrucken und dirigieren lassen wie eine Seniorenreisegruppe aus Haltern Hullern in Berlin Friedrichshain.

Der konservative Kommissionspräsident Barroso z.B. scheint absolut nichts über die Psychologie von Anlegern zu wissen. Seine tapsige Panikmache muss gut gemeint gewesen sein, aber welcher -wenn auch verqueren- Logik folgte er dabei?

Und Währungskommissar Rehn glaubte gestern mit einer nichts sagenden technokratischen Rede die Anleger auf Spur bringen zu können. Ohne eine einzige inhaltliche Aussage wiederholte er: Wir haben einen Plan. Wir sind "zutiefst überzeugt" (also voller Zweifel), dass er funktioniert und wir werden die Ziele verfolgen und prüfen.
Allen Ernstes richtete er solche Worte an die in Panik ausgebrochenen Anleger, Investoren, Börsianer. Wie ein Feuerwehrfunktionär der den flüchtenden Bewohnern eines brennenden Straßenzuges zuruft, ihre Häuser seien - und davon sei er "überzeugt"- feuerfest.

Das erinnert an die Manager von TEPCO, die auch meinten, die Welt mit Technokratensprech zum Narren halten zu können. Technokraten beziehen sich bei ihrem Handeln und Argumentieren nur auf sich selbst. Und sie glauben auch, dass sich die Naturgesetze nach ihren Methoden und Prozessen richten. Aber, wie es ein FAZ-Leser neulich so schön formulierte: "Die Mathematik wird's schon richten."

Die Sache ist auch deshalb so aussichtslos, weil die Verantwortlichen nicht einmal zur Kenntnis nehmen, was vor sich geht. Sie erschlagen die Überbringer schlechter Nachrichten. Die italienische Justiz durchsucht jetzt schon die Büroräume von Ratingagenturen, wenn diese "unbegründet" negative Urteile über italienische Banken abgeben.

Dabei waren es doch die EURO-Funktionäre, die den Ratingagenturen so eine hohe Bedeutung zugewiesen haben. Kurz gesagt: Weil sie selbst vom Fach nicht so viel verstehen, wollten sie Kreditwürdigkeiten von Banken und Unternehmen gerne in eine einzige Zahl zusammengefasst haben. So wie das Prozess- und Methodenleute, die sich nicht um Inhalte und Bedeutungen kümmern, gerne so machen. Sie schauen nicht mehr in den Himmel um abzuschätzen wie das Wetter wird, sondern auf die Kennziffer. Auf diese Weise kann jeder zum Meteorologen werden..

Was gestern eigentlich nur noch fehlte, war eine europäische Gesetzesinitiative, die uns alle zu der Einsicht in die Notwendigkeit verdonnert, gefälligst zuversichtlich zu sein und den Weisheiten und Fähigkeiten der Verantwortlichen zu folgen. Davon blieben wir gestern noch verschont. Genauso wie vor den staatsmännischen Blut-, Schweiß- und Tränenworten eines Philip Rösler oder einer Angela Merkel (etwa: "Wir glauben, dass mehr Optimismus und Vertrauen in den EURO besser für die Menschen wäre und deshalb verpflichten wir die Märkte dazu jetzt per Gesetz.")

Die Akteure wissen NICHTS von der Funktionsweise von "Märkten". Sie sind ihnen fremd. Das muss man verblüfft zur Kenntnis nehmen. Sie, die Kanzlerin und der Wirtschaftsminister, die Physikerin und der Mediziner, haben noch nie einen Fonds, eine Rente oder eine Aktie gekauft und sich vorher in Analysen und Spekulationen begeben. Sie wissen vermutlich noch nicht mal, wie die Preisbewegungen auf ihrem Wochenmarkt um die Ecke zustande kommen. Deshalb fremdeln sie so mit Begriffen wie "Märkte" und "Investoren". Sie halten die für eine gesichtslose, nicht greifbare Gruppe von Hintermännern, die in Absprache alles tun, um die Politiker zu ärgern.

Weil wir kein fähiges politisches Personal mehr haben, bezieht sich dieses auch ständig auf die Größen, die wir mal hatten: Westerwelle auf Genscher, Merkel auf Erhard (obwohl sie ihn ja nie erlebt hat).

Ich verstehe längst nicht alles, was da vor sich geht. Mir kommen nur viele Verläufe reichlich bekannt vor. Ein nach innen gewandter Technokrat hält stur an seiner Sicht auf die Welt fest, bis man ihn stürzt oder alles um ihn zusammenbricht. Sie betonen in immer kürzeren Abständen, was nicht mehr der Fall ist, und dementieren gleichzeitig, was unübersehbares Faktum ist.

In der CDU darf man inzwischen offen sagen, dass die Einführung des EURO eine Bedingung der Franzosen zur Zustimmung zur deutschen Einheit war. Das war leicht zu verhandeln, denn auch Kohl hatte von Wirtschaft keine Ahnung. (Welche weiteren geheimen Staatsverträge oder direkten Absprachen zwischen Kohl und Mitterand bestanden, werden wir wohl erst nach Kohls Ableben erfahren..) Kohl führte ja auch in Deutschland eine Währungsunion ein ohne Rücksicht auf Verluste und Spekulationen. Vorbild muss ihm der deutsche Zollverein gewesen sein: Der einheitlichen Währung folgt die politische Einigung und Stärke. Und wenn Kohl immer von der deutschen Wiedervereinigung als Vorbote der europäischen Einigung sprach, meinte er damit den EURO - auf Biegen und Brechen.

Nach dem EURO kamen noch einige andere Technokratenprojekte, wie z.B. "einheitliche Bildungsstandards", eine Art Ratingsystem für Hochschulabschlüsse. Auch hier gilt: Die Sache muss nur formell vergleichbar sein, Inhalte und Qualitäten sind egal.

Unsere Regierungen reden vom EURO als Garant für Frieden in Europa. Das ist eine intellektuelle Geiselnahme. Sie wollen uns damit den Mund verbieten, weil auch sie selbst keine Erklärung dafür nachreichen können. Sie behaupten einfach und setzen darauf, dass wir uns beeindrucken lassen. Es ist eine Argumentation mit niederen Instinkten, die mehr über den Sprecher als über den so Angesprochenen aussagt. (Ähnlich wie das Dauerargument "Neid" der eitlen Marodeure in den Vorstandsetagen früherer Qualitätsunternehmen).

Der Anblick dieses Schauspiels macht sprach- und kraftlos. Wir stellen schnell Spontandemos gegen die Guttenbergs, Koch-Mehrins, die Mehdorns und Grubes und gegen Atomkraft auf die Beine. Gegen das klandestine EURO-System ist das schwieriger zu bewerkstelligen. Weil wir -außer der Abschaffung des EURO- kein konkretes Ziel benennen können. Aber vielleicht müssen wir auch da größer denken, so wie die Protestler des arabischen Frühlings.

Wir brauchen keinen EURO, um uns in Europa zusammengehörig zu fühlen. Billigflieger und Markenketten tun dafür viel mehr. Wir können uns günstig überall besuchen dank EasyJet, wir können billig telefonieren oder netzwerken, wir schauen auf Straßen und Plätzen gemeinsam Fussball, wir finden in allen Einkaufsstraßen die gleichen Marken. Wie leiden aufrichtig mit, wenn es irgendwo in Europa einen Amoklauf oder Anschlag gibt. Mehr muss man für die europäische Einigung nicht tun.

Wir müssen uns mit keinen neuen Fronten zwischen den Nationen drohen lassen. "Republiken führen gegeneinander keinen Krieg" (Kant). Die Front verläuft längst zwischen uns hier in der Mitte und denen da oben. Die kosten uns zuviel und bringen uns mehr Schaden als Nutzen. Weg mit ihnen.

Freitag, 29. Juli 2011

Der neue neue Käfer

Und jetzt: Werbung!

Da ich vom Käfer sprach: Auf dem Walk of Fame am Potsdamer Platz stehen gerade welche rum:

Denn: Im Oktober kommt ein neuer Beetle in die Läden. Er hat vom alten Käfer mehr als der sog. New Beetle, der in den Neunzigern raus kam. In Berlin sieht man einen roten Beetle Design (mit kleinem Heckspoiler) herumfahren. Der sieht gut aus und wird dem Mini sicher Konkurrenz machen.

Startpreis für das Basismodell (1,2 Liter, 77kW, 5,9 Liter Benzin/100km): 17.000 EUR. Die Rennversion RS (der Blaue auf dem Foto) kostet 135.000 EUR. Mehr Infos hier.







Donnerstag, 28. Juli 2011

Massenindividualisierung durch LED-Design

In der vorletzten Ausgabe nahm das brand eins Team die Frage unter die Lupe, ob es "intelligentes Leben im Konzern" gibt (Link). Wolf Lotter bringt darin einen interessanten Zusammenhang zur Sprache:

Es sind die Großunternehmen, gegen die der Einzelne keine Chance hat. Aber es sind die gleichen Unternehmen, die dem Einzelnen den Zugang zu Innovationen ermöglichen. Durch Standardisierung und Massenproduktion, die Preissenkungen ermöglicht.

Deshalb sei die Prozessinnovation mindestens genau so wichtig wie die Produktinnovation. Es wird erst zu einem Fortschritt für alle, wenn es nicht nur neu und nützlich ist, sondern auch günstig herstellbar durch standardisierte Arbeitsabläufe und Maschinen.

Das stimmt.

Heute geht man noch einen Schritt weiter. Der VW Käfer war ein Massenprodukt. Zum Kultobjekt der Amerikaner wurde er durch die richtige PR: Die "Herbie"- Filme gaben dem Auto die Hauptrolle und machten es populär. Das Produkt war die Marke.

Heute liegt die Herausforderung nicht darin, ein Produkt massenhaft herzustellen, sondern massenhaft variabel zu halten. Nicht das Produkt wird standardisiert, sondern seine sogenannten Module. Alles Unsichtbare wird gerastert und standardisiert. Alles Sichtbare individualisiert.

Dabei muss es weiterhin einzelne Elemente geben, an denen man die Marke wieder erkennt. Bei den iPods ist es das Click-Wheel. Bei Baukastenautos ist es die Front. (Im Rückspiegel des Vordermanns entscheidet sich, wie viel Respekt man auf der linken Spur hat. Meine persönliche Erfahrung ist, dass ohne eingeschaltete Beleuchtung ca. 1/4 rechtzeitig nach rechts rüberziehen, mit Beleuchtung 3/4.) Die Unterscheidung der Modellklassen erfolgt hier künftig hauptsächlich über die Anordnung der LED Beleuchtung. (Die derzeitige strasschmuckartige Gestaltung mancher Frontleuchten ist sicher Geschmackssache.) Die leuchtstarken LED brauchen nicht viel Platz und eignen sich hervorragend zum Design. Indem Tagfahrlicht in manchen Ländern zum Gesetz in anderen zur Gewohnheit wird, wirkt es wie früher die Neonlichter der Werbung. Auch bei Tag schon weitem zu sehen, nicht zu übersehen, etwas aufdringlich und eine Marke transportierend. LEDs sind der günstigste Weg, Baukastenprodukten eine Signatur zu geben.

Massenindividualisierung durch LED-Design

In der vorletzten Ausgabe nahm das brand eins Team die Frage unter die Lupe, ob es "intelligentes Leben im Konzern" gibt (Link). Wolf Lotter bringt darin einen interessanten Zusammenhang zur Sprache:

Es sind die Großunternehmen, gegen die der Einzelne keine Chance hat. Aber es sind die gleichen Unternehmen, die dem Einzelnen den Zugang zu Innovationen ermöglichen. Durch Standardisierung und Massenproduktion, die Preissenkungen ermöglicht.

Deshalb sei die Prozessinnovation mindestens genau so wichtig wie die Produktinnovation. Es wird erst zu einem Fortschritt für alle, wenn es nicht nur neu und nützlich ist, sondern auch günstig herstellbar durch standardisierte Arbeitsabläufe und Maschinen.

Das stimmt.

Heute geht man noch einen Schritt weiter. Der VW Käfer war ein Massenprodukt. Zum Kultobjekt der Amerikaner wurde er durch die richtige PR: Die "Herbie"- Filme gaben dem Auto die Hauptrolle und machten es populär. Das Produkt war die Marke.

Heute liegt die Herausforderung nicht darin, ein Produkt massenhaft herzustellen, sondern massenhaft variabel zu halten. Nicht das Produkt wird standardisiert, sondern seine sogenannten Module. Alles Unsichtbare wird gerastert und standardisiert. Alles Sichtbare individualisiert.

Dabei muss es weiterhin einzelne Elemente geben, an denen man die Marke wieder erkennt. Bei den iPods ist es das Click-Wheel. Bei Baukastenautos ist es die Front. (Im Rückspiegel des Vordermanns entscheidet sich, wie viel Respekt man auf der linken Spur hat. Meine persönliche Erfahrung ist, dass ohne eingeschaltete Beleuchtung ca. 1/4 rechtzeitig nach rechts rüberziehen, mit Beleuchtung 3/4.) Die Unterscheidung der Modellklassen erfolgt hier künftig hauptsächlich über die Anordnung der LED Beleuchtung. (Die derzeitige strasschmuckartige Gestaltung mancher Frontleuchten ist sicher Geschmackssache.) Die leuchtstarken LED brauchen nicht viel Platz und eignen sich hervorragend zum Design. Indem Tagfahrlicht in manchen Ländern zum Gesetz in anderen zur Gewohnheit wird, wirkt es wie früher die Neonlichter der Werbung. Auch bei Tag schon weitem zu sehen, nicht zu übersehen, etwas aufdringlich und eine Marke transportierend. LEDs sind der günstigste Weg, Baukastenprodukten eine Signatur zu geben.

Mittwoch, 27. Juli 2011

Zitat der Woche (Larry Ellison)

Steve Jobs ist im Kopf ein Ingenieur und im Herzen ein Künstler. Das ist eine ganz seltene Mischung in unserer Industrie und begründet seinen großen Erfolg.
Larry Ellison

Zitat der Woche (Larry Ellison)

Steve Jobs ist im Kopf ein Ingenieur und im Herzen ein Künstler. Das ist eine ganz seltene Mischung in unserer Industrie und begründet seinen großen Erfolg.
Larry Ellison

Dienstag, 26. Juli 2011

Kein Innovationsmanagement ohne Redakteure

Die Empfehlungssysteme von amazon, iTunes und dem Apple Appstore entwickeln sich zur Käseglocke. Kurzfristig finde ich es gut, wenn ich zu einem Suchmuster weitere Angebote bekomme. Darunter Raritäten, die ich selbst nie finden würde.

Aber meine Suchprofile ändern sich. Bzw. sollen sich manchmal ändern, dann suche ich Inspiration. Dann weiß ich nur, dass ich nichts weiß. Genau da versagt das Profiling.

Aber auch manche realen Läden versagen. Wenn ich vor einem alphabetisch sortierten Bücherregal stehe, vergesse ich, was ich je gelesen habe. Ähnlich gehts mir bei Saturn und Mediamarkt, die ich nur noch in Ausnahmefällen besuche.

Ich brauche Tips, wie sie früher das Radio brachte. Einen Moderator. Einen Alan Bangs, Wolfgang Neumann und ihre Redakteure. (Ok, es gibt inzwischen immerhin einen Stefan Laurin, der Neuvorstellungen bloggt.)

Da ich selbst die Zeit nicht habe, mich durch alle Neuveröffentlichungen zu wühlen, brauche ich eine Vorsortierung, deren Qualitätskriterien ich teile. Die aus der langen Liste eine kurze macht, aus der dann ich auswählen kann.

Das ist übrigens im Innovationsmanagement nicht viel anders. Die Zulieferer sind die Kreativen und stellen ihren OEMs (Auto-, Geräteherstellern) Ideen und Produktprototypen vor. Oft sagen die zuerst: Och, nee. Zu innovativ. Das kauft keiner, das ist zu sperrig, wird nicht akzeptiert, erfordert zu viele Voraussetzungen. Ähnlich wie bei neuen Stilen in der Kunst.

Dann vergeht ein bisschen Zeit. Man sieht die Ideen plötzlich woanders und denkt: Muss wohl doch was dran sein. Spinnt die Sachen ein wenig selbst weiter. Und ist am Ende überzeugt, die Idee selbst gehabt zu haben. Und fragt dann seine Zulieferer, ob sie so etwas wohl realisieren könnten....

Die Marketingstrategen kennen das inzwischen. Die Kreativen schmerzt es immer wieder. Die Ideen, mit denen der OEM zu seinem Zulieferer zurück kommt, bilden die kurze Liste. Der OEM hat quasi Redaktionsarbeit gemacht. Die langen Ideenlisten abgeklopft auf Brauchbares. Es gibt auch externe Redaktionen, die ihm dabei behilflich sein können: Marktforschungsinstitute. Aber Vorsicht: Die fragen Kunden oft auch nur nach dem, was die schon kennen. Mehr vom Gleichen. Und auf eigene Ideen kommen Kunden nun mal nicht. Sie wollen inspiriert werden.

Aus dieser kurzen Liste entstehen später Produktinnovationen, die sich in Verkaufshitparaden bewähren müssen. Hit oder Niete?