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Freitag, 4. August 2023

Meine Filmkritik zu "Oppenheimer" (Aktualisiert)

Vielleicht kann man heute schon sagen, dass die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts das vorläufige Allzeithoch menschlicher Fähigkeiten gewesen ist. Aber auch das Allzeittief. 

Die Entdeckungen, Entwicklungen und Schaffenskräfte in Wissenschaft, Kunst und Technik sind bis heute noch nicht ganz verstanden. Und leider verlieren wir allmählich auch die Fähigkeiten, sie vollends zu verstehen. Weil wir, zumindest im Westen und vor allem in Deutschland, dabei sind, Willen und Leistung zu diffamieren. Dazu gehört es, sich grundsätzlich auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner einigen zu müssen und alles in einfacher Sprache ausdrücken zu sollen.

Und damit bin ich bei meiner rein persönlichen Kritik an dem Film "Oppenheimer", den wir gestern im Cineplex Kino in Berlin Spandau gesehen haben.

Denn auch dieser leidet darunter, mit viel "Haltung" und Spektakel auf viele Likes aus zu sein, aber dabei auch Wahrhaftigkeit und Qualität zu opfern.

Aber nähern wir uns dem Ganzen vom Groben ins Feine. Die Berliner Humboldt Universität war einmal, man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, das Labor der hellsten Geister aus Wissenschaft und Literatur. Etliche Nobelpreisträger, deren Portraits man im Foyer der Universität hängen, zeugen davon.

Was Einstein, Heisenberg, Planck, Schrödinger, Bohr und andere in Berlin und anderswo entdeckten, modellierten, entwickelten, testeten, interpretierten war in kurzer Zeit so viel Stoff über das Verständnis der Beschaffenheit unserer Welt, dass wir bis heute dabei sind, es zu verstehen und Nutzen daraus zu ziehen.

Die Gegenwart der Wissenschaftler war aber leider auch von der Dynamik in einer anderen Disziplin geprägt: politischen Ideologien als neuem Motiv oder auch Vorwand für imperialistische Kriege. 

Und so griffen die Machthaber in Deutschland, den USA und der Sowjetunion sogleich nach den Wissenschaftlern um ein Wettrennen um Atombomben und Raketen zu starten.

Man muss sich das klar machen: Die Grundlagen für die prägendsten Leistungen der Menschheit, die Atombombe und die Mondlandung, wurden in Berlin entwickelt. Die Umsetzung erfolgte aber in den USA (und der Sowjetunion).

Die USA profitierten zweimal von Deutschland: Während des Krieges nahmen sie geflüchtete Wissenschaftler aus Deutschland auf. Nach dem Krieg griffen sie Forschungs- und Entwicklungsergebnisse als Siegermacht aus den deutschen Laboren ab. Wernher von Braun wechselte vom V2-Programm in die NASA und bereitete den Weg zum Mond.

Aber davon handelt der Film von Christopher Nolan nicht. Nicht ganz. Sondern von dem Projektleiter und Atomphysiker Robert Oppenheimer in Los Alamos. Der Zwiespalt zwischen dem Reiz der Erkenntnis und der Verantwortung für den Missbrauch der Wissenschaft wurde bei uns schon in der Schule gelehrt, wo wir in den 80ern "In der Sache Robert Oppenheimer" lasen. Und schon damals war es die Stunde derjenigen, die es in Mathe und Physik nicht so weit brachten, die sich dann aber groß hervortaten, angehenden Physikern und Ingenieuren schon mal ihre moralischen Grenzen und Pflichten aufzeigen zu wollen. Unser linker SoWi-Lehrer verstieg sich zu der Bemerkung, die Mondlandung habe dem Normalverbraucher nur die Teflonpfanne gebracht. 
Dieses Niveau haben wir heute in Deutschland ja im XXL-Format.

Regisseur Nolan nimmt aber nicht exakt diese Richtung sondern passt sich noch mehr an unsere Zeit an. Denn seine Botschaft lautet:

Du sollst Deine Fähigkeiten nicht in den Dienst der bösen Russen stellen. Und: Du sollst den Weltfrieden nicht als Wirkung einer Sicherheitsarchitektur und Abrüstung betrachten sondern als Wirkung einer einzigen Supermacht mit Atomwaffen: Uns!

Denn die Russen kommen immer mit einer Verführung. In den 30er und 40er Jahren war es der Kommunismus (übrigens auch eine deutsche Erfindung). Und was man heute kaum noch weiß: Stalin hatte seine ersten Regierungsjahre dem Marketing der roten Ideologie gewidmet, indem er Moskau als Vorzeigegesellschaft herausputzte. Er beutete russische Städte und annektierte Länder aus um die Welt mit einem Schauspiel in Moskau zu täuschen. Inmitten von Armut, Hunger, Mangel gab es ein Moskau, dem es an nichts fehlte, das sogar glänzte. Journalisten, Intellektuelle und auch Wissenschaftler ließen sich davon blenden und anstecken (Filmtipp: "Red Secrets" von 2019).

Und so gab es auch in den USA kommunistische Bewegungen, die via neu gegründete Gewerkschaften auch helle Köpfe gewannen. So auch einige der Atomphysiker in amerikanischen Universitäten. Oppenheimer flirtet immer wieder mit dieser Ideologie und ihren Protagonisten und zieht keine harten Linien gegenüber nahe stehenden Personen. Weil er die Völker als Bewohner der gleichen Welt denkt und nicht nach ihren Regierungen und Systemen unterscheidet, ist ihm irgendwann die Nicht-Zündung einer Atombombe wichtiger als der Gewinner im Rennen um ihre erste Realisierung zu werden. Der Film wirft die Frage auf: Wenn die Sowjets auch fähig sind, eine Bombe zu bauen. Von wem haben sie das Knowhow? Hat Oppenheimer ein doppeltes Spiel gespielt? Oder jemand aus seinem Projekt?

Oppenheimer diskutiert mit Einstein und anderen die Frage. ob die Zündung einer genügend starken Atombombe, namentlich der Wasserstoffbombe, so außer Kontrolle geraten könnte, dass sich am Ende die ganze Atmosphäre entzündet. Wenn so, sei das ein Grund, sie nie zu bauen. Und so periodisiert er auch nicht Edward Tellers Vorschlag, von der Kernspaltungs- zur Fusionsbombe zu wechseln. Und auch das wird ihm später negativ ausgelegt.

In der Schule hörten wir die Botschaft: "Wenn Du unbedingt Physiker oder Ingenieur werden willst, werden wir Dir aber genau auf die Finger schauen. Im Zweifel solltest Du Deine Arbeit einstellen. Oder sie zumindest für die linke Sache einsetzen."

Die Botschaft von Nolans Film ist: "Bedenke das Wohl des Planeten und lasse Dich nie mit den Russen ein. Wenn die Regierung Dein Projekt sponsert, bestimmt sie auch, was sie mit den Ergebnissen Deiner Arbeit macht. Und die Russen sind die Bösen." Und als Resume: Ohne Oppenheimer hätten wir heute nichts, womit wir die bösen Russen in Schach halten können.

Aber der Kampf gegen die Sowjets war gar nicht Oppenheimers ursprüngliche Motivation. Sondern der Kampf gegen die Nazis, denn Oppenheimer war Jude. Und nach der Kapitulation Deutschlands versiegt Oppenheimers Motivation, die Bombe jemals zu zünden. Aber er wird unter Druck gesetzt und macht weiter. 

Von der "Sache Robert Oppenheimer" zu "Oppenheimer" verschiebt sich also die Botschaft von "Die Bombe an sich ist schlecht und die Wissenschaftler sind Schuld" hin zu "Gegen die Russen ist die Bombe  nicht so schlecht."

Leider blendet der Film viele der interessantesten Fragen gänzlich aus:
  • War der Einsatz von Waffen gegen die Zivilbevölkerung nicht schon damals ein Kriegsverbrechen? (Die Frage wird im Russland-Ukraine Konflikt auch diskutiert.). Inwieweit dürfen Völker für ihre Regierungen bzw. Diktatoren haftbar gemacht werden?
  • Hat der Einsatz zweier Atombomben durch seine Anschauung und abschreckende Wirkung langfristig mehr Menschenleben gerettet als er in Japan gekostet hat?
  • Welche Schuld haben die USA insgesamt durch Bomben auf Zivilbevölkerung auf sich geladen?

Gibt es irgendetwas Neues oder Reizvolles, was den Besuch eines Kinos für diesen Film rechtfertigen könnte? Ich meine: Nein:
  • Nichts rechtfertigt die Dauer von 3h. Ich habe sie als Zumutung empfunden.
  • Keine visuellen Effekte, die das Verständnis von der Zündung einer Atombombe weiter vertiefen. Man hat das so schon gesehen (auch wenn man anerkennen muss, dass Nolan hier auf Computeranimation verzichtet hat und stattdessen eine reale Explosion mit analogen Mitteln gekonnt in Szene gesetzt hat.).
  • Dass die Mc Carthy haften Repressalien Oppenheimers auf der Rache eines gekränkten Wissenschaftsfunktionärs beruhten, wusste ich noch nicht. Diese Erkenntnis nehme ich allerdings als neu mit.
  • Inquisitionen, Verhöre, Drangsalierungen hat man im Film schon x-mal gesehen. 
Meine Empfehlung:
Wen der Stoff interessiert (insbesondere das spannende Projektleben in der Cowboyartigen Stadt Los Alamos) ist mit der Serie "Manhattan" besser bedient.

PS: Interessantes Interview mit Charles, einem Enkel von Robert Oppenheimer: TIME

Donnerstag, 30. März 2023

Sie haben Dilbert abgeholt

 Die VDI Webseite Ingenieur.de hat die deutschsprachigen Dilbert Comic von ihrer Seite genommen. Bei Apple Books gibt es keine Bücher mehr von Scott Adams. Und bei Amazon gibt es nur noch englisch sprachige Bücher von Scott Adams.

Wer auch heute noch Dilbert Fan ist, sollte sich sputen. Einige deutsche Online Buchhändler bieten Scott Adams noch an. Aber ich weiß nicht, ob die Verlage sie weiterhin beliefern oder ob das schon Restbestände sind.

Was ist passiert?

Scott Adams soll sich im Februar 2023 "rassitisch" geäußert haben. Etwa in dem Sinne, man solle sich von bestimmten Leuten Fernhalten. Mehr weiß ich nicht und ich will es auch nicht wissen. Vielleicht wurde Scott nur ohne Kontext zitiert? Und wer weiß, was ich in einem Interview über Kreuzberg oder Neukölln sagen würde, wenn man mich kurz nach Silvester interviewen würde?

Ich weiß nicht, wie ich reagieren kann. Die Dilbert Streifen sprechen bis heute die Wahrheit. Auch über Maskenpflichten, die Scott Adams ohne Scheu aufs Korn genommen hatte. Aber wahrscheinlich setzte er sich genau damit auf die Fahndungsliste. Und dann kam das Ende.

Cancel ist keine Kultur. Cancel ist eine Vorstufe zu Faschismus. Bücher aus dem Sortiment zu nehmen, Comics von einer Webseite zu nehmen ist nicht so viel anders als Bücher zu verbrennen.

Montag, 18. Juli 2022

Uwe Tellkamp beschreibt die tiefe Gesellschaft

Liest hier noch jemand gerade Uwe Tellkamps neuen Roman "Der Schlaf in den Uhren"? 

Ich bin gerade auf Seite 270, kann also noch nicht vollends mitreden. Aber so viel kann ich schon sagen: Ich hatte beim Verständnis der Bürgerrechtsbewegung in der DDR und dem Mauerfall nie bedacht, dass es mit dem DDR Bürgertum auch eine Art Kontinuität über die Systemwechsel hinweg gab. (In  Tellkamps Roman symbolisiert durch das tiefe Bergwerk, neben dem tiefen Staat die tiefe Gesellschaft). Ich wähnte das nur in der alten Bundesrepublik (in der ich aufgewachsen bin) und natürlich in den Zeiten davor. 

Es war immer so, dass Leute aus den nicht so privilegierten Schichten (das meine ich jetzt nicht im "woken" Sinne) für die Freiheit kämpften und ihre Existenz riskierten. Und wenn sie errungen war, ritten die gehobenen Stände durch das geöffnete Tor in die Burg und nahmen die Plätze ein. Die Abgekämpften  lag erschöpft in der Ecke. (letzte Beispiele: Angela Merkel erntete die Früchte der Arbeit von Alice Schwarzer, Guido Westerwelle trampelte auf dem Pfad von Klaus Wowereit in den Regenbogen.) 

Uwe Tellkamp legt den Finger in die Wunde des DDR Bürgertums, der de Maizieres, der Pfaffen (von Kasner über Stolpe bis Gauck) und so weiter. Und deshalb schreit das Feuilleton empört auf. Wollte es sich doch damals als Denker und Lenker der Wende und heute als moralische Instanz verstanden wissen. 

In der umstrittenen "Doku" von 3sat äußerten Feuilletonchefs von ZEIT und FAZ ihr Unverständnis über das Unverständnis von Tellkamp über die einseitig, konforme Ausrichtung der veröffentlichten Meinung: "Sie müssen verstehen, dass ein Lehrer aus dem Bürgertum seine Kinder natürlich wiederum seine Kinder in den Klavierunterricht und ins Theater schicken wird." Das gleiche gelte für Kulturfunktionäre. Und da sei es doch "normal", dass sich dadurch eine homogene Haltung in den Kolumnen der wichtigsten Zeitungen ausbilde. Er sei "verwundert, dass Uwe Tellkamp das erst jetzt klar wurde". 

Uwe, Du Dummerchen, hast Du das jetzt erst bemerkt? Selbst schuld, wenn Du Dir die Deutungsansprüche der Herren immer mit Qualität erklärt hast. Du musst unbedingt die "Kritik der zynischen Vernunft" nachholen. Die moralische Instanz ist nicht die, die die veröffentlichten Maßstäbe selbst vorlebt - sondern wer erkennt, und wie z. B. der brutzelnde Böhmi mit schiefem Lächeln vom Zwangsgebühren-finanzierten Sessel aus verkündet, dass das ganze doch ironisch gemeint ist. Beziehungsweise doch nur für die gelte, die man lenken wolle. 

Tja, liebe Bürgerrechtler. Jetzt werdet Ihr ein zweites Mal hinters Licht geführt. Wir wissen heute, dass die Runden Tische eine Idee des um Kontinuität "besorgten" DDR Bürgertums waren. Die Pfaffen redeten Euch ins Gewissen. Und schon als in Rumänien das Kommando Nicolae Ceaucescu zur Tat Schritt, fingen sie hier zu lamentieren an, dass man jetzt langsam mal einen Schlussstrich unter die SED-Herrschaft ziehen müsse. (Es gehe schließlich um Pensionsansprüche und den sozialen Frieden, der "Zivilgesellschaft"). Daran rüttelt Tellkamp, und deshalb versuchen sie, ihn zu ächten.. 

Dienstag, 27. Oktober 2020

Weltspartag, Halloween, Allerheiligen

 Bei uns zu Hause stand ein Sparschwein im Küchenregal. So, dass man nach dem Auspacken der Einkäufe das Klimpergeld aus dem Portemonnaie gleich los werden konnte. Dieses Sparschwein war uns Kindern gewidmet. Auch wohltätige Verwandte (Großeltern) durften hier, wenn sie wollten ;-).

Und einmal im Jahr, zum Weltspartag, wurde das Sparschwein geöffnet. Und zwar am "Weltspartag". Die Sparkasse bewarb diesen immer rechtzeitig in ihrem Schaufenster. Als ich in der Grundschule war, wurden wir aufgerufen, am Weltspartag, dem Letzten im Oktober, unsere Spardosen und -schweine mitzubringen. Eltern waren mit eingeladen. Wer wollte konnte sein Sparbuch mitbringen, damit das Ersparte nicht in bar nach der Schule verprasst würde ;-)

Im Sachunterricht wurde uns erklärt, wozu Sparen gut ist und das leuchtete mir unmittelbar ein. Und dann wurden wir von der Klassenlehrerin in die Aula geführt. Wir stellten uns da an, wo sonst nach den Sommerferien die Bücher ausgegeben wurden. In Schlange stehend verglichen wir die Gewichte unserer Spardosen uns -schweine und schüttelten sie heftig. Dann kam der spannende Moment. Man stellte sein Sparschwein hin und der Sparkassenbeamte öffnete es und zählte laut vor. Dann fragte er "Sparbuch oder bar" und die Mutter antwortete: "Sparbuch". Zur Belohnung und damit wir Kinder nicht enttäuscht waren, bekamen wir noch Werbegeschenke von der Sparkasse. Eine eigene Spardose oder ähnliches.

Und mit der lernte ich dann auf eigene Faust zu sparen. Wechselgeld vom Taschengeld kam in diese Spardose. Ich zog mir immer eine Grenze, bis zu welchem Nennwert Münzgeld in die Dose kam. Bis 2 DM-Stücke war es noch zu verkraften. Aber Fünfer zu sammeln bekam ich nur selten hin. 

Der Lerneffekt des Sparens ist ja: Es tut nicht weh, wenn man es tut. Aber man belohnt sich am Zahltag selbst (gefühlt fast wie aus dem Nichts). 

Die Sparkasse entwickelte mit ihren wiederkehrenden Aktionen bei mir damit auch einen Sinn fürs Geld überhaupt. Auf dem Heimweg von der Schule las ich immer die Aktienkurse auf der Schautafel an der Eingangstür. Ich merkte mir die Kurse von Unternehmen, die ich kannte. Insbesondere den vom Stromversorger VEW. Und solange ich diesen Kurs las kannte er nur eine Richtung: Nach oben. 

Der Weltspartag liegt fünf Wochen nach meinem Geburtstag, vier Wochen nach Erntedank (womit er meiner Meinung nach noch am ehesten korrespondiert) und einen Tag vor Allerheiligen, was in NRW ein Feiertag ist. Gefühlt markierte er auch den Wechsel von den leuchtenden Herbsttagen zum grauen, nebligen November. 

An Allerheiligen war es damals oft schon spürbar kalt. Manchmal hatten wir schon die erste Frostnacht gehabt. Wir gingen mit Einbruch der Dunkelheit mit Teelichtern und Tannenschmuck auf den Friedhof. Meine Oma begleitete uns. Die Erwachsenen trugen ihre guten Sachen, gerne einen Persianer- oder Kamelhaarmantel. An den Gräbern angekommen, entzündeten sie Teelichter, schoben sie in das rote Glas und stellten diese auf die Gräber. Dazu der Tannenschmuck. Und das taten nicht nur wir, sondern viele andere. So dass es auf dem dunklen Friedhof überall schimmernde und flackernde Teelichter gab. 

Für mich als Kind war das immer der Beginn der Vorweihnachtszeit, denn optisch sah es schon fast aus wie Advent. Man beging solche Tage damals ja wirklich leise. Ich weiß nicht, was meine Oma und meine Eltern an den Gräbern dachten. Man kann dort ja wirklich gedenken und Andenken. Man kann aber auch rein mit dem Ritual beschäftigt sein (und vielleicht sogar froh darüber). 

Halloween gab es damals noch überhaupt nicht. Wohl aber den Geburtstag eines Schulfreundes einen Tag nach Allerheiligen. Und so war der Wechsel von Oktober auf November damals schon eine gestaltete Zeit. 

Übrig geblieben ist davon heute nur noch Halloween. Die Kinder laufen am 31. Oktober abends tatsächlich um die Häuser Berlins und sagen "Süßes, sonst gibts Saures". Die Supermärkte verkaufen extra dafür große Bonbontüten. 

Ich habe nichts gegen Halloween. Ja, es kommt aus dem Keltischen, aber es ist auch ein Gedenken an tote Helden (bzw. Heilige). Und meiner Generation wurde es erst mit dem Carpenterfilm  bekannt. Irgendwann feierten wir die erste Halloweenparty. Damit war der Wechsel vom stillen Gedenken mit Kerzen an echten Gräbern von eigenen Verwandten zum hellen, schaurigen Feiern vollzogen. Es ist in dem Sinne auch ein Gedenken, weil der Raum voller Todesandeutungen ist. Aber zwischen 20 und 30 bezieht man das ja nicht auf sich, sondern sucht eher den sanften Schauder.

Heute ist mir wieder mehr danach, Allerheiligen so wie in der Kindheit zu begehen. Denn stille, schwere Gedenkfeste haben wir im Jahr eigentlich nur noch bei Beerdigungen. Und das muss ja nicht sein.



Montag, 3. August 2020

Sommerfrische 2020

Schon oft hatte ich mich über die Rückständigkeit des Brandenburger Havellandes geärgert und beschwert. Doch jetzt, in diesem Coronasommer, bin ich heimlich froh. Denn genau das hält uns nun Touristenströme vom Leibe. Gerade weil es in Dörfern und Vororten rund um die Seen hier keine Läden, keine Supermärkte, Getränkemärkte, Pensionen oder gar Hotels gibt, ist es hier auch zur Hochsaison leer. Das gilt für die Badestrände, die Uferwege und auch auf dem Wasser. Nur wer selbst aus der Gegend stammt oder zum Stammgast wurde, ist auch in diesem Jahr hier.

Und so bleibt uns eine der wichtigsten Voraussetzungen für Erholung erhalten: Ruhe. Damit meine ich nicht Friedhofsruhe, sondern die Abwesenheit von Leuten, auf die ich Rücksicht nehmen müsste, oder von denen ich Rücksicht erwarten würde. Mit denen ich das Kreuzen von Wegen aushandeln müsste. Ich laufe einfach durch den Garten, über den Uferweg, den wir uns unter Nachbarn teilen, auf den Steg und steige die Leitersprossen herunter ins Wasser. Gewöhne mich an die Wassertemperatur. Prüfen die Klarheit des Wassers, das Wachstum der Algen und den Stand des Schilfes. Und das Wasser ist klar, die Algen wachsen und ebenso das Schilf. Von rechts kreuzt Erpel Donald mit seiner ganz schön gewachsenen Familie meinen Weg. Sonst nichts. Ich tauche ins Wasser und stoße mich ab und schwimme raus ins Blaue. Die Sonne hatte mich vorher auf der Liege durchgeglüht, jetzt genieße ich die Abkühlung. Und den Effekt, den man nur auf dem Wasser, auf Bergwipfeln oder in der Luft hat: Man lässt alles hinter sich. Die Großwetterlage der Welt. die zerbröselnde Demokratie, Masken, Bauarbeiterangebote und unbeantwortete Botschaften in der Messenger-App. Alles egal, ich bin im Wasser. 

Früher, in den Aufzeichnungen von Stefan Zweig und Hermann Hesse, hieß das Sommerfrische. Zu den Zeiten in denen ich an den Strand von Mallorca, Tarragona oder des Balkan musste, bemitleidete ich die Zeitgenossen der 20er Jahre oder Jahrhundertwende immer, dass sie die Wellen des Mittelmeeres nicht kannten und mit Badeseen in der Umgebung Vorlieb nehmen mussten. Heute bin ich so dankbar, dass ich all das hier haben kann ohne zuvor im Stau oder in Schlangen stehen zu müssen. Auch genieße ich es, meinen Urlaubsort zu kennen. Auch das nimmt Stress. Ich muss keine Karten studieren, Sprachen lernen. Ich weiß, was ich wo rechtzeitig besorgen muss. 

Ich verstehe Herman Hesse, wenn er in seinen Sommertagebüchern davon schrieb, wie weit der (erste) Weltkrieg weg war. Wie er sich damit begnügte, ein Stück Brot und eine Flasche Wasser in den Rucksack zu stecken, und an seinen Badesee im Tessin zu ziehen. Wie er alleine wechselte zwischen dem Aufheizen am Strand und dem Abkühlen im Bergsee. Wie er abends auf dem Rückweg in seiner "Grotte" im Dorf Halt machte für ein Abendbrot und ein Glas Wein oder zwei oder drei. Wie er sich auf das Dorfleben einließ. Mal war Sommerfest, mal irgendein Geburtstag oder eine Hochzeit. Vor allem aber hatte er alle Sinne offen für die Natur. Und auch diese erlebt man nur richtig, wenn man seine Landschaft kennt. Wenn man den Stand des Kalenders morgens daran festmacht, ob die Sonne noch am linken Fensterrand aufgeht, oder schon in die Mitte gewandert ist. Und vor allem, um welche Uhrzeit sie aufgeht. Ende Juni war das um viertel vor fünf. jetzt hat sich der Sonnenaufgang schon auf halb sechs vorgearbeitet. Ein untrügliches Zeichen, dass wir im Hochsommer sind und es bereits wieder abwärts geht. 

Aber auch an den Äpfeln und Beeren im Garten kann ich es ablesen. Kaum waren wir froh, den ganzen Tag barfuß und in kurzen Sachen herumzulaufen weil die Temperaturen über 20 Grad gestiegen waren, schon sind wir im letzten richtigen Sommermonat August angekommen. Aber immerhin, noch haben wir anderthalb Wochen vor uns. 

Zurück auf der Liege lese ich ich durch meinen Bücherstapel. Voriges Jahr nahm mich der NASA Film über die Mondlandung voll in seinen Bann. Mitten im Hochsommer, bei weit über 30 Grad erlebten wir den Countdown der Apollo 11 Mission. Und im Kino herrschte passend die Hitze von Florida. Wir zitterten mit bei der Landung der Fähre, als der Prozessor Überlast meldete. Als wir später wieder in der gleißenden Sonne waren, vom Glück der erfolgreichen Landung beseelt, fühlte ich mich eine Sekunde lang wie im Kennedy Space Center.

Dieses Jahr lese ich das Buch über die Pluto-Mission, das David mir dankenswerter Weise geschenkt hatte. Und es ist genau so spannend. In Englisch, aber flüssig zu lesen, weil gut geschrieben. Zuerst betrachte ich die Seiten mit den Fotos. Die jubelnden Wissenschaftler und Ingenieure und Stakeholder. Diese tiefe, erlösende Freude, wenn eine große Sache endlich klappt. Und ich denke, habe ich wirklich den richtigen Beruf gelernt? Ja, habe ich. Ok, aber war ich manchmal zu bequem, um vielleicht meinen Kindheitstraum (NASA-Astronaut!) zu verwirklichen? Mit Sicherheit ja. Und sind Autos nicht wenigstens fast so spannend wie Raketen? Naja, ein bisschen.

Trost und Identifikation finde ich dann doch in den Kapiteln 2 und 3, als es darum geht, durch die Behördeninstanzen Budget für die Mission zu bekommen. Wie man in endlose Runden geschickt wird, um seine Mission zu begründen. Vor Hierarchen, die die Gründe doch kennen müssen, sonst säßen sie doch sicher nicht dort?? Und wie es unerwartet weiter geht und dann doch wieder gestoppt wird. Wie man mühsam erarbeitete Beziehungen wieder verliert, weil ein wohlgesonnener Sponsor einen neuen Karriereschritt macht oder in Rente geht. All das kenne ich denn doch auch aus meiner Arbeitswelt.  
Und doch ja, solche Momente, in denen man die Luft anhielt und sich mit dem Team freute, dass alles hielt und abholt, wenn man mit einem neuen IT-System zum ersten Mal live ging, hatte ich ja schon auch. Und auch die Belohnung und das Ansehen, wenn auch nur in einer überschaubaren Ecke meines kleinen Universums. 
Und der Weltraum fasziniert mich doch auch immer nur in seiner Totalen. Im Anblick der Milchstraße, des Mondes, der Sternbilder. Der Fotos von Jupiter und Saturn. Wenn ich dann von Spezialisten lese, die die Spektren von Atmosphären analysieren, mühsam Großphotographien auf wandernde oder retardierende Planetenbewegungen absuchen, usw., all die detaillierte, langwierige Kleinarbeit ist dann doch weniger etwas für mich. Die Arbeitsteilung von Weltraummissionen ist so groß wie die in meiner Arbeitswelt. Am Ende kann man nie auf einen zeigen, es war immer Teamarbeit. Man ist entweder der, der die große Idee hatte, oder der, der sie konkretisiert, in einen Plan herunter gebrochen hat. Arbeitspakete geschnürt hat. Und dann die, die diese Arbeitspakete umgesetzt haben. Dann die Komponenten- und Systemtester usw. usf.. Auch der erste Mann auf dem Mond, war kein lonesome Cowboy sondern der körperlich und kognitiv hart trainierte Umsetzer eines Plans (allerdings der erste, der es körperlich erlebte). 

Aber ist genau das dann nicht das Wesen unserer Kultur? Wie wir gemeinsam Großes vollbringen? Zum "Großen" gehört doch schon unser Alltag. In Frieden, meistens in Gesundheit, gesättigt, unterhalten, entlastet von 1.000 dummen Handgriffen?

Andersherum, sind es nicht genau diese Komplexitäten, von denen ich mich hier auf der Liege und im Wasser erholen will? Ist es nicht das einfache Leben der Bauern und der Bergbewohner im Tessin? Nein! So wirkt es nur auf die, die es schauen. Auch ein Hermann Hesse lebte von den Tantiemen seiner Bücher. Er malte die Dörfer und schrieb über die Leute. Aber weder pflügte er den Acker, noch trieb er das Vieh noch bückte oder streckte er sich zur Obst- oder Weinlese. Sein Haus, den Holzvorrat, sein Brot und Wein bezahlte er mit den Früchten seiner vorherigen langen geistigen Arbeit. Und auch seiner Leiden als Knabe, als Sohn und Schüler. Als Bürger und Antiheld. Als Beneideter, Unterschätzter, Unverstandener. Genau wie ein Ingenieur oder Wissenschaftler.

Und so schließt sich der Kreis. Dass ich hier liegen kann, und nicht mit den Massen auf Mallorca oder an der Ostsee, dass ist nicht Ausfluss meiner kleinen Ansprüche und Anstrengungen sondern meiner großen Ansprüche und Anstrengungen. 







Donnerstag, 10. Oktober 2019

Nobelpreis und Buchmesse

Die  Nobelpreisvergaben und die Frankfurter Buchmesse sind immer noch zwei Ereignisse, auf die ich mich im Herbst freue. Das ist aber mehr alte Gewohnheit. Da gab es früher immer gute Artikel und Beilagen in den großen Tageszeitungen. Man konnte ein Wochenende durchlesen und verstehen. Man konnte versinken, abtauchen in andere Welten.

Heute sind entweder meine Ansprüche gestiegen oder das ganze ist verflacht. Die FAZ beschreibt die Nobelpreise immer noch sehr ausführlich schon am nächsten Tag. Und auch so, dass man das Wichtigste versteht - was haben die Preisträger gemacht und warum hat das die Wissenschaft weitergebracht? Aber ich lese es seit einiger Zeit immer mit dem Hintergedanken daran, an wen die in den letzten Jahren Friedensnobelpreise und Literaturnobelpreise vergeben haben. Da war der Eindruck entstanden, der Nobelpreis gehöre jetzt auch zu den Substanzen, die von einer neuen Generation substanzloser Moralisten missbraucht und verschlissen werden.

Um so mehr freute mich gestern der Literaturnobelpreis für Peter Handke. Ich habe zwar kein Buch von ihm zu Ende geschafft. (Vielleicht wurde er mir einfach nur zu früh aufgezwungen in der Schule.) Dafür habe ich das eine oder andere frühere Interview von ihm in Erinnerung. Und dass er mal für die Serben Partei ergriff. Damals war das für mich ein Zeichen dafür, dass die Linken sie auch nicht alle stramm haben. Wie konnte er nur? Aus intellektueller Überheblichkeit? Oder war er der erste, der verstanden hatte, worum es den Serben eigentlich ging..? Ich bin hier auch in manchen Fragen zu einer "Neubewertung" gekommen.

Dann aber wieder Kommentare in der Art, "dann sollten sie zum Ausgleich wenigstens den Friedensnobelpreis an Greta vergeben". Sollte das passieren, interessiert mich diese Veranstaltung endgültig nicht mehr. 

Ähnlich die Buchmesse. Deutsche Nachwuchsautoren haben ja schon lange nichts mehr mitzuteilen. Wenn man die eine oder Rezension liest oder Berichte von Lesungen und sog. Festivals und "Literaturtagen" in der Wannsee Villa oder anderswo, dann überkommt einen nicht einmal mehr Mitleid. So viel Nabelschau und wortreiche Leere gibt es glaube ich in keinem anderen Land. Aber es passt andererseits zu den Leuten, die mir in der U-Bahn und S-Bahn gegenüber sitzen. Oder die man auf Veranstaltungen sieht, wenn man sich doch mal überwindet, hinzugehen (Danish hat da gerade sehr schön von seinem Besuch der Berlin Foto Week geschrieben: Link :-).

Ich lese seit langem nichts mehr, was mich nicht in irgendeiner Weise berührt. Deshalb kommen die "Gabentische" in Buchhandlungen meistens nicht in Frage für mich. Ich muss mich durchwühlen, suchen, sporadisch lesen, um mal einen Treffer zu landen. Auch zu den großen Themen Wiedervereinigung, Europa, den Verfall unserer intellektuellen Substanz, zündende Beiträge zu Forschung und Technik.. von unserer Seite: nichts.
Auch Fachliteratur: von deutscher Seite: fast nichts.

Und so nehmen Nobelpreis und Buchmesse allmählich Plätze ein wie Weihnachten und Silvester. Man macht es halt, es war ja mal schön. Aber die eigene innere Struktur ist längst darüber hinweg.

Samstag, 20. Juli 2019

Burning down the Bücherstapel

"I'm an ordinary guy
Burning down the house"
Talking Heads

"Burn down chart: Graphik, die in Scrum den Fortschritt eines Produktes oder Sprints anzeigt".
Scrum Lehrbuch

Die erste Woche Urlaub ist rum. Habe nur gelesen, gelesen was sich angesammelt, besser: angestaut hatte. Und Podcasts gehört. Und Schlaf nachgeholt. Heute sind wir kurz zurück in unsere Berliner Wohnung. Ich sitze an unserem iMac, draußen wird es dunkel auf dem iPhone brummen Gewitter- und Sturmwarnungen von unserem Smarthome Betreiber.. Ich habe mir eine Dose Weißbier aufgemacht. Eine Dose..!

An mindestens einem Tag habe ich unsere Datsche nicht einmal verlassen. Vielleicht auch an zweien. Atemlos durch den Sommer. Den Klima-EU-Seenotsommer. Denn Ursula-Annegret-Angela Sommer. Den glücklichen Kindersommer.



Was da so rumlag: FAZ Artikel aus dem ICE, Ebook von Bret Ellis ("Weiß"), ef-Ausgaben von David und gedruckte Bücher - und bei denen ganz oben: "Die schützende Hand". Doch der Reihe nach.

Was uns unsere Lehrer nie sagten, aber wo wir dann selbst drauf kamen: Der Wert der Literatur liegt in der Antwort auf deine Frage, ob die spinnen oder du. Und wenn es nicht unerschrockene, oder vielleicht nur unabhängige Autoren gäbe wie Bret Ellis, wüssten wir es nie.

Er hat aufgeschrieben, wie unendlich es ihn annervt, wie sich sein langjähriger Freundeskreis über Clinton und Trump zerstritten hat. Wie offen Freunde bekennen, es würde genügen, wenn die "Eliten" (sic!) in New York und Los Angeles den Präsidenten wählen würden, denn sie wüssten es am besten.. Was sie meinen: Besser als der Plebs, der sich um die Zukunft seiner Arbeitsplätze Gedanken macht.

Diese Freunde haben die Kinder erzogen, die heute an amerikanischen Universitäten Sprechverbote erteilen und Safe Spaces verlangen, in denen ihr Egozentrismus unwidersprochen bleibt. Und wenn der Egozentrismus gar keine Argumente mehr hat, dann wirft er sich auf den Boden und kriegt den Moralischen. .. Tja, und das schwappt dann eben halt auch nach Europa rüber. Hier werden bezopfte und offenbar gewisse Leute entzückende reifeverzögerte Teenager zu Helden erkoren, wenn sie von uns Panik verlangen.

Doch, Panik empfinde ich schon manchmal. Und immer öfter. Aber nicht, weil mir das Wetter nicht passt. Sondern wenn mir z. B. wieder einmal klar wird, was genau Zweig vor dem 1. und Tucholsky vor dem 2. Weltkrieg meinten, als sie sagten: Unsere Welt ist untergegangen - adieu!

Gelesen habe ich das schon n mal. Aber inzwischen fährt es mir in die Glieder. Denn es ist so. Unsere Welt. Ist untergegangen. Unsere Welt der Freiheit, der Begeisterung für Forschung und Technik, für Erfinder, Gründer, Sportler und Künstler. Des Wissen-Wollens und Können-Wollens. Ist untergegangen.

Meine bessere Hälfte sagt, ihr sei das schon länger klar als mir, denn schließlich stehe nicht ich zweimal in der Woche bei Lidl oder Rewe an der Kasse und fühle mich als Minderheit im eigenen Land. "Doch", entgegne ich, "in dem Digital Lab, da gehörte ich auch zu einer Minderheit. Aber nach kurzer Zeit merkte ich: sie alle beherrschen C++ und Englisch. Und sie ticken wie wir." - "Das glaubst du auch nur." - "Doch, zumindest die Europäer und die Amerikaner, vielleicht sogar die Russen." - "Ich will keine Minderheit im eigenen Land sein", fordert meine bessere Hälfte. "Du warst doch selbst schon in New York, um dort zu arbeiten. Wir haben dort geheiratet und sind immer gerne gereist. Fast wären wir in der Schweiz gelandet."

Ellis sagt: Die Identitätspolitik ist das Problem. Genauer: Der Drang, ein Held zu werden, in dem man herausfindet, in welchem Sinne man Opfer ist. Und dann sucht man den Schuldigen - den Täter- und das ist die Mehrheit. Also: die Mehrheit ist der Täter. Die Mehrheit darf auch nicht über Identität sprechen - denn sonst wird sie vom Verfassungsschutz verfolgt, oder beobachtet. Vom Verfassungsschutz! Könnte sein, dass der Verfassungsschutz wiederum inzwischen von den Fassungslosen beobachtet wird..

Womit ich bei der "schützenden Hand" wäre. Und dem sog. NSU Komplex. Kommissar Dengeln ist die Sprechpuppe von Wolfgang Schorlau. Und es ist eine gute Idee, die Wahrheit im Gewande des Fiktionalen zu verkaufen. Dann wird man evtl. nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Das ist etwas, was der Sohn vom RAF Opfer Buback noch lernen sollte.

Der anonyme Auftrag für Dengler lautet: "Finden Sie heraus, wer Böhnhardt und Mundlos getötet hat." Wer die NSU Leaks nicht komplett gelesen hat, der findet hier eine gute Summary. Die Wahrheit könnte Sie allerdings beunruhigen. Aber das war auch schon in den 70er Jahren so. Und übrigens beide Male galt: Die meinen nicht Sie, liebe Leser. Weder die RAF noch der NSU hatte jemals Sie im Visier. Im Visier haben Sie nur die Islamisten. Noch darf man das sagen. Aber da muss ich schon wieder an Tucholsky denken, nachdem er nach Göteborg geflüchtet war (sic! - so etwas macht mich unruhig: wenn die Gemeinsamkeiten immer mehr werden und man schon weiß, dass es kein gutes Ende nimmt!).

Ich könnte mal aufstehen - denke ich bei der Lektüre- ins Wasser gehen. Die Leiter vom Steh herunter gehen, Mich vom Steg abstoßen - und diesen ganzen Driss hinter mir lassen. Deshalb geht der Mensch ja aufs Wasser und in die Luft: Die Probleme bleiben an Land!

Zurück auf der Liege, greife ich zur ef. Und lese Andre Lichtschlags geniale Metapher des Europäischen Hauses - als es noch eine Miteigentümerversammdlung, und keine Kolchose "Rote Raute". Es ist ein Unterschied, ob man sich mit seinen Nachbarn nur über das Gemeinsschaftseigentum verständigen muss: Den Flur, den Hof, die Tiefgarage, das Dach. Und dass man dafür Rücklagen bildet, und dann abstimmt, wofür sie als nächstes ausgegeben werden.

Die Wandlung zur Union a la Merkel beinhaltet dann: Die Enteignung aller Eigentümereinkommen und Wohnungen. Die Zentralisierung der Entscheidungen über die Mittelverwendung. Und zur Einstimmung eine Party für jeden Dahergekommen mit der Rechnung an die Zwangsgastgeber.

Genau so ist das! Es ist schön, von anderen zu lesen, dass sie es auch so sehen. Oder noch besser: von ihnen die Augen geöffnet zu bekommen, wie weit es eigentlich schon ist.

Die Akten lügen nicht, sagt der pensionierte Ex-Vorgesetzte zu Kommissar Dengeln. Und was Lichtschlag schreibt, wissen wir auch eigentlich - sogar aus der Zeitung. Aber man muss die Punkte richtig verbinden.

In einer der DVD-Beamer Filmnächte, die wir uns -manchmal mit den Nachbarn- geben, sahen wir Lars von Trier's "The House that Jack built". Es geht um einen Serienmörder. Der sich am Ende ein Haus aus Leichen baut - eine Reminiszenz an Brueghel und Bosch. Aber dann wieder die These: Unsere Kultur sei sublimierte Gewalt. Und die Nazis seien nur das Allzeit-Hoch (man verzeihe mir dieses Bild) dieser Sublimation gewesen. - Dazu sage ich: Nein. Da ist keine Gewalt in mir, die ich dauernd irgendwo hin lenken müsste. Es sind die anderen, die mich manchmal rasend machen. Aber nicht eo ipso. Und ich brauchen kein Gewaltverdrängensgelüste um mich für Kultur zu interessieren und zu berauschen.

Aber ich weiß: die vom Neid bewegten Milieus, die müssen irgendwo hin mit ihren Gewaltphantasien. Kann man ja nicht täglich im Büro oder Samstags beim Grillen ausleben.

Nein, an mir lag es nicht, als unsere Welt von gestern unterging. Ich hätte sie gerne noch ein bisschen behalten und genossen. Denn ich bin inzwischen in dem Alter, wo ich langsam mal dran gewesen wäre mit Ernten. Immer nur reingebuttert und jetzt endlich mal oben auf. Aber das können sie nicht haben, die sozialliberalen, vom Staat finanzierten "Eliten" und ihre verwöhnten Wechselbälger.

Ich weiß, dass es zu spät ist. Weil die Masse -obwohl mehrheitlich mit dem "für-alle-Abitur"- denkt zu langsam. Hört lieber der Mutti zu. Aber Mutti zieht bald aus. Und dann wartet der Heli auf sie. Und dann sollte man alles weitere im Kopf schon mal durchgespielt haben...

Sonntag, 23. Juni 2019

"Teilen"

Die GroKo tut Deutschland nicht gut. Ich zum Beispiel merke das am Verlust meiner politischen Sprache. Ich kann denken, was mich an der GroKo aufregt. Aber ich habe inzwischen so viele Scheren im Kopf, dass ich es kaum aussprechen kann. Also eigentlich könnte ich es aussprechen, aber nicht wenn Sie dabei sind. Ich kenne Sie ja nicht, und ich weiß nicht, wie Sie denken. Ob Sie mein Problem auch kennen - oder wie man heute sagt: "teilen".

"Teilen" ist so ein Modebegriff geworden, an dem kann man die ganze GroKo aufwickeln. Teilen klingt nach "teil mit deinem Bruder", klingt nach bravem Verhalten. Klingt auch nach christlichem Verhalten, St. Martin teilte ja seinen Mantel. Es klingt also nach moralischem Verhalten, wenn ich etwas "teile". Klingt, als würde ich etwas abgeben von dem was ich habe und anschließend davon selbst weniger haben. Darin lag doch immer das Gute, das Moralische nicht wahr? Weil es selbstlos ist.

Aber es ist nicht das, was die neuen Generationen - wie heißen die jetzt: Y oder schon Z? - darunter verstehen.
Die mögen schon das Moralische am "Teilen", ja. Genauer: Sie mögen es, für moralisch gehalten zu werden, wenn sie sagen "ich teile". Deshalb haben es inzwischen auch die Politiker aufgegriffen, die diese Generation wählt. Frau Göring-Eckardt und Frau Baerbock, die teilen auch sehr viel.

Das Problem ist: Sie teilen gar nich im christlichen Sinne. Sie teilen am liebsten, was sie gar nicht besitzen  z. B. die Gehälter anderer Leute. Oder unsere Kultur. Oder "unseren Wohlstand". Auf Wahlplakaten in Kreuzberg werben die Grünen immer mit Plakaten, die aussehen, als hätten sie Kinder gemalt. Kinder in einem Kinderladen. Beaufsichtigt von einer Latzhose. Kinder, schön teilen. Und diese Kitaelternattitüde ist es ja, die hier mitschwingt und die wiedererkannt werden soll.

Teilen ist so magisch. Jesus teilte die Fische, die gar nicht alle wurden. Und Annalena Baerbock teilt den Strom aus dem Blockheizkraftwerk an der polnisch-deutschen Grenze. Der Strom wird ja auch nicht alle, sagt Frau Baerbock - so wie die Fische bei Jesus. Wer "teilt" muss nichts beweisen. Muss auch keine Ahnung haben. Und auch nichts zum teilen. Denn es sind hier nicht die Teilenden, die etwas abgeben.

Vor ein paar Jahren haben die Millenials am liebsten digitale Musik "geteilt". Da waren sie weder Autor noch Komponist. Aber sie "teilten" die Musik mit ihren Freunden. Wir sagten früher verleihen, wenn wir uns eine Platte gekauft hatten und ein Freund eine andere, die wir auch gut fanden und dann haben wir sie anschließend einander geliehen. Auf die Idee, das moralisch aufzuwerten, indem wir es "teilen" nennen, kamen wir nicht. 

In den sozialen Netzen teilen Teilende gerne ihre Gedanken. "Teilen" ist hier ein Synonym für "Aufdrängen". So wie ich jetzt hier gerade Euch meine "Gedanken" aufdränge, nein: mit Euch teile. In den beruflichen Netzwerken posten die Postenden gerne Links zu Beiträgen von anderen. Und kriegen prompt Antworten wie: "Danke fürs Teilen!". Or in English: "Thanks for sharing!".

Fazit: "Teilen" steht für das Primat unserer Zeit: die Doppelmoral. 

Wie war ich darauf gekommen? Ach ja, Verlust meiner Sprache. 

Mehr denn je müssen wir darauf achten, welche oder wessen Sprache wir konsumieren oder gar inhalieren. Man läuft heute leicht Gefahr, sich intellektuell sehr einseitig zu ernähren. Mir ist das jetzt auch bewusst geworden. Ich habe nur noch Zeitungen und Blogs über das Zeitgeschehen gelesen. Wenn ich einen Roman pro Jahr schaffe und wirklich zu Ende, dann war das viel in den letzten Jahren. Und obwohl ich so viel Aktuelles lese, verliere ich die Sprache dafür zu sagen, was ich eigentlich meine ohne das Risiko irgendwo in einer Schublade zu landen.

Ich weiß im Innern, dass meine Sicht, meine Perspektive und meine Meinung, die von meinen Interessen herrührt, berechtigt ist. Aber wie sagen?

Im vorigen Jahrzehnt, mit September 11, George W. Bush und so weiter da habe ich dicke Romane von amerikanischen Autoren gelesen. Jonathan Franzen, Siri Hustvedt, Paul Austen, Euginidis usw. Und amerikanische und europäische Intellektuelle, die hart Stellung gegen Bush, Schröder und Blair bezogen. Sie alle bereicherten nicht nur meinen Horizont sondern auch meinen Sprachraum. 

Die Lösung ist also, mir wieder mehr Zeit für Offline Lektüre zu reservieren und Bücher nicht nur zu kaufen - sondern auch lesen - am Stück und zu Ende.

Mir ist bewusst geworden, wie wichtig Literatur und ihre Lektüre sind. Die eigenen Gedanken werden ohne sie Gefangene, die den Kopf nicht mehr verlassen.

Montag, 1. April 2019

Crash der Unternehmenskulturen

Es war nicht mein Plan. Aber was kann man schon planen? Es gab die Gelegenheit, die Punkte zu verbinden, wie das bei Plattformen so ist.  Ich bin zurück aus dem "Digital Lab" beim Hersteller. Zurück in der großen Struktur, im Gesamtprodukt, in das alle Zulieferungen enden sollen.

Perspektivwechsel - ich sagte es- erweitern den Horizont ungemein. Ich habe die Scaled Agile Vorgehensweise nun intus und merke, wie überholt doch die alten Organisationsformen sind. Wofür nur in alles in der Welt brauchen wir so viele untere und mittlere Leitende?

Es dauerte Tage bis ich Zugriff auf alle Systeme hatte, die ich brauche. Und es werden täglich mehr Ordner mit MS Office Dokumenten, die ich kennen soll, aber deren Zugriff mir man verweigert. Abteilungsleiterrituale aus der alten "Wissen-ist-Macht"-Welt.

Wikis haben wir hier auch. Aber auch diese werden gemanagt wie "finalisierte" Management"vorlagen". D. h. wir können hier nichts gemeinsam entwickeln. Man muss irgendwo Entwürfe im Dokumentenmanagement ablegen, die Zugriffe verwalten und dann mit anderen in Versionen besprechen, wo wir hinwollen. Und es dann ins Wiki kopieren.

Für die Diskussion über die Wikiseite oder Fragen+Antworten haben wir dann wieder etwas anderes. Usw.

Ich war ja nur drei Jahre weg. Aber es kommt mir vor wie ein Flashback ins vorige Jahrhundert. Zum Glück gibt es auch viele Gleichgesinnte und wir werden uns schon irgendwie durchkämpfen. Mein Akku ist jedenfalls voll.

Gewachsene Hauptabteilungsleiter leiten "Task Forces" und "Steuerkreise". Nicken viel, kommentieren manches, fragen wenig. Nach der Sitzung dann widerrufen sie ihre Beschlüsse, die sie in der Sitzung nicht verstanden hatten. Was machen wir mit denen? Sie umerziehen?

Nein, die müssen weg.

Aber auch auf der anderen Seite Extrema. Videos von anderen "Labs", die mich wie Kindergarten anmuten. Endzwanzigerinnen, die jede Menge Events erfinden, um die "Happiness" der Entwickler zu erhalten. Wären nicht Selbstverantwortung und Sinngebung die viel besseren Motivationen? Nein, hier bevorzugt man eine Mischung aus "Wir haben hier das Topmanagement mit im Lab." und weil die dann wieder alles bremsen "motivieren wir uns morgens beim gemeinsamen Frühstück".

Außenstehende könnte die Gesamtschau wie eine komische Oper anmuten. Mich hätte so etwas früher aufgeregt. Inzwischen amüsiert es mich.

Und beiden, der Managementlähmschicht und dem Kindergarten, wird es schon bald anders gehen. Wir kommen gerade aus der unbeschwerten Zeit eines langen Aufschwungs und fahren in eine globale Abschwungphase. Die Politik arbeitet nach Kräften daran, unsere Industrie lahm zu legen. Gestern war in der FAZ ein langer Artikel über die Entstehung der NO2 Grenzwerte. Völlig gaga. 40 Mikrogramm - völlig unbegründet, aus dem Bauch geschrieben. "Expertenschätzung" nennt man es, wenn es keine Beweise oder auch nur vermutete Wirkmechanismen gibt. Die Protokolle der entscheidenden Sitzung über die 40 Mikrogramm sollen bei einem Hochwasser vernichtet worden sein... Dazu die Vorgaben über die CO2-Senkung.

Unsere Umweltpolitiker sagen zu allem ja und Amen. Kommen zurück nach Hause und geben kund: "Unseren Ingenieuren wird schon etwas einfallen. Jetzt können die mal zeigen, was sie können." Pustekuchen!

Denn die, die etwas können, bereiten sich gedanklich schon auf Altersteilzeit oder Vorruhestand vor. Haben ihre Bonuszahlungen schon lange in Zeitkarten umgewandelt und sehen das rettende Ufer vor sich. Können sich ein Leben im Garten oder auf Weltreise im Campingbus vorstellen. Und die Lähmschichten, Kindergärtner und Moralapostel einfach mal selbst ranlassen.

Ich komme also zurück aus einer Startup-Kultur und erlebe nun, dass die besten mit Ausstiegsgedanken beschäftigt sind, wenn wir gemeinsam in "Runden" sitzen.

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Deutsch als Fremdsprache

Mein Projekt ist international besetzt und ich habe hier schon öfter beschrieben, dass die Zusammenarbeit auf Akademiker- und Ingenieursniveau im großen und ganzen sehr gut funktioniert - jedenfalls brauchen wir keine Moralprediger oder Integrationsprogramme dafür.
(Aber ich sage auch: Daraus folgt kein Schluss für Moabit oder Neukölln, für Marxloh oder den Dortmunder Norden.)

Trotzdem wird mir in diesen Tage ein Problem bewusst, das mich die ganze Zeit ein wenig behindert und auch verlangsamt: Die Projektsprache englisch.

Wir schreiben und sprechen auf Englisch. Nur wenn eine Gruppe mit gleicher Muttersprache unter sich ist, spricht sie diese.

Und wir alle merken: In der eigenen Sprache sind wir schneller und genauer. Wir werden uns der Macht eines reichen Wortschatzes bewusst und empfinden es fast als körperliche Behinderung, nicht sagen zu können, was wir meinen, weil wir wieder einmal eine englische Vokabel oder Redewendung nicht wissen. Beim Dokumentieren löst man das Problem, in dem man in einem eigenen Browserfenster dict.cc oder linguee.de öffnet. Es macht einen aber langsamer, wenn man immer wieder nachschlagen muss.

Im Gespräch allerdings nervt es, wenn man immer wieder fragen muss 'what is this in English"?

Unter den Kollegen sind etliche, die bereits deutsch können, weil sie "schon länger hier leben". Aber selbst mit ihnen rede ich langsamer und einfacher. Weil ich von meiner eigenen Dankbarkeit ausgehe, die ich jemandem gegenüber habe, wenn er loud and clear mit mir spricht.

Dies erzeugt eine "kognitive Last" wie es die Psychologen aus der Abteilung "Autonomes Fahren" nennen.

Aber in Berlin geht es damit nach Feierabend weiter. Auf dem Heimweg mal eben am Wittenbergplatz aussteigen und bei Kamps ein frisches Brot kaufen? Du kommst in den Kamps Laden und da sind drei neu eingereiste Araber. Die Schlange ist sehr lang, weil die Verkäufer immer wieder nachfragen müssen, was die Kunden meinen. Auch gibt es gar nicht mehr alle Sorten, die man früher gerne gekauft hat. Stattdessen versucht man mir jetzt ein Walnussbrot aufzuschwatzen. Ja, die Tagesbestellung war etwas zu klein gewesen ("Wissen wir doch nicht, was die Kunden so wünschen.").

Beim Zahnarzt das gleiche. In meiner Nähe gibt es gleich drei Stück: eine polnische Ärztin (Taff, gut,  spricht aber nur polnisch und englisch mit polnischem Akzent). Dann einen kurdischen Nachwuchsarzt (gut, aber spricht kein englisch und nur gebrochen deutsch). Nur einer ist Deutscher. Und er fragte mich als erstes, warum ich denn für's Nachgucken den Arzt gewechselt hätte.. Schon habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen und in einem Verhör zu sein.

In der U-Bahn, im Bus überall hörst Du alle Sprachen - wie in Babylon.

Deutsch als Fremdsprache ist eine kognitive Dauerlast. Es strengt an und ich merke das nun am Jahresende. Ich meide Termine und Anrufe. Wenn ich an meinem Schreibtisch Features beschreibe, bin ich sehr vertieft in die Sache. Mein RAM ist zu 100% gefüllt.

Dann fliegt die Tür auf und ein Product Owner steht im Raum: "May I ask you a question?". In dem Moment verschwindet mein mühsam aufgebautes Konstrukt im RAM zu mindestens 50%. Schon bevor ich mich entschiede habe, ob ich auf den "Störer" eingehe. Da wir aber alle eine Kultur der helfenden Hand leben, damit keine Inseln oder Silos entstehen, höre ich zu und Räume Zeit ein. Damit vermeide ich es, den Kollegen zu blockieren, blockiere mich aber selbst. Und fange neu an, über das Feature nachzudenken.

Gerade deshalb wird Heimarbeit für mich immer wichtiger. Nur dann schaffe ich tatsächlich geistige Arbeit.

Und ich ziehe das Fazit: Die besten der Welt (hüstel..) zusammen zu rekrutieren und keine Limits für Fremdsprachenanteil zu setzen, erhöht die Dauerbelastung durch den Faktor Sprache. Für das Projekt erhöht sie das Risiko von Missverständnissen. Die einzige Maßnahme dagegen ist ein sehr guter fachlicher Wortschatz. Aber der wächst nur durch Übung. Die schwedischen Kollegen sind da z. B. schon sehr viel weiter. Was sie sprechen kann man immer getrost gleich so dokumentieren.

Es isoliert einen persönlich auch etwas. Das Gefühl, nicht verstanden zu werden, ist unter Muttersprachlern schon gegeben. In "Eine-Welt-Projekten" ist es noch viel höher. Da ist viel Propaganda und Fassade im Spiel..

Mittwoch, 12. Dezember 2018

Weihnachten über die Jahre...

"No one notices the customs slip away"
Al Stewart, On The Border (1979)

Ich war um 1h das erste mal wach. Durch die offenen Türen konnte ich unsere Weihnachtsbaumbeleuchtung sehen. Das beruhigte mich sehr und ich hätte wieder einschlafen können. Aber ich fand den Anblick zu schön, um einfach wieder weg zu dämmern. Außerdem war es einer der ganz wenigen Momente in diesem Monat, in dem niemand etwas von mir wollte..

Also setzte ich die iPod Kopfhörer auf und klickte mich durch zum Podcast von SWR2 Wissen. Ein sehr interessanter Beitrag über Kurt Gödel. Den Mathematiker, der die mathematische Beweisführung in einen Algorithmus wandelte, ich glaube es war das, was mein Matheprofessor "induktive Beweisführung" nannte (und was ich mich stets weigerte als Beweisführung anzuerkennen - aber ich bin kein Mathematiker). Logische Schlüsse in eine "Sprache" zu wandeln, so dass sie berechenbar werden, das ist eine reife Denkleistung.

Der Moderator interviewte einige Mathematikprofessoren und eine Biographin. Einen der Profs imponierte am meisten, dass Gödel mit "gerade mal sieben Veröffentlichungen" in die Geschichte eingegangen sei. Tja, kann man da sagen, so ist das mit Substanz und Verdichtung. Ich entnahm dem "Feature", dass Gödel ein tiefer, intensiver, getriebener Denker gewesen sein muss, der einer Ahnung auf der Spur war. Manchmal hat man ja eine blitzartige Ahnung von etwas und sucht dann einen bewussten Weg dorthin. Vielleicht ging es ihm so. Jedenfalls habe ich erst heute Nacht verstanden, was uns unser Matheprof. damals beibringen wollte, als wir uns unterm Weihnachtsbaum mit Klaus Habethas Höherer Mathematik quälten. Auch Hilberträume fielen mir wieder ein, waren das nicht die unendlichen aber dennoch abzählbaren Zahlenmengen?

Gödels Biographin interessierte sich hingegen mehr für sein Essverhalten und seine "mysteriöse Beziehung" zu einer Tänzerin. Und dass er seinen ersten Kuss auf der Rückseite eines Ausleihscheins der Universitätsbibliothek vermerkte. (Ich kann da mithalten und bin damit vor 20 Jahren mal in ein Verhör geraten: Im Inlay einer R.E.M. CD schrieb ich mal die Emailadresse einer Softwareingenieurin im Dortmunder Technologiepark auf. Wir fuhren 3x die Woche im selben Bus. Aber was ich ihr damals beweisen wollte gelang mir weder induktiv noch deduktiv. Aber Ende gut, alles gut.. :-)

Bei der Schilderung der Spaziergänge Gödels mit Einstein in Princeton schlief ich wieder ein. "Die Heimwege zu Fuß mit Einstein sind das einzige, was mich noch morgens aufstehen lässt." soll er nach dem Tod seiner Frau mal notiert haben. Er litt unter der Einsamkeit und schätzte das gute Gespräch mit einem befreundeten ebenbürtigen Kollegen - wer kann das nicht verstehen?

Als ich wieder wach wurde war ich froh, dass ich mir den Arbeitstag für Heimarbeit "freigeschaufelt" hatte, denn ich wollte noch ein bisschen darüber sinnieren. Vordergründig musste ich ein paar Features runterschreiben. Aber was im Kopf schon parat liegt, kann man mit einer schmalen Partition der Gehirnressourcen erledigen. Auf der größeren sinnierte ich meinem ersten Weihnachten als Student nach. Im Nachhinein muten Zeiten bestandener Prüfungen immer nostalgisch an. 1989 war ein bewegter Herbst und ebenso die Weihnachtszeit. Die Rumänen machten mit den Ceaușescus kurzen Prozess. Und wir quälten uns durch die Klausuren in Mathe und Physik. Ohne ebendiese Leistungskurse im Abitur hätte ich das nicht geschafft.

Aber der Kontrast zwischen dem abstrakten Mathematikstoff und dem sehr konkreten Weihnachtsbaum, unter dem ich las, hatte etwas..

Ich bin noch nicht in dem Alter, in dem Freunde sterben. Aber was ich vorhin beim Einkaufen in der Mail erlebt habe, ist das Wegsterben alter Bräuche. Nein, keine Kinderchöre, die für Spenden singen. Oder dass Passanten in der Ubahn oder auf dem Bürgersteig etwas weniger asozial oder raumunfähig sind. Selbst wenn wir über kommerzielle Bräuche reden: sie sterben weg.

Es gab eine Zeit, da wurden Produkte und Lebensmittel weihnachtlich verpackt oder dekoriert. Da gab es die Sachen von Sturz, Riegelein und wie sie hießen und heißen. Heute gehen die Supermärkte auf Nummer sicher: Ein, zwei Aussteller von Lindt oder Ferrero und damit hat es sich. In der Menge so bemessen, dass restlos verkauft wird und nach Weihnachten nichts ausverkauft werden muss.

Auch war früher mehr geschmückt oder dekoriert. Oder bilde ich mir das ein? Mich mutet es an, als würden die Händler das Geschäft noch machen wollen, aber sich nicht mehr zum Anlass bekennen müssen. Früher warfen wir ihnen vor, Bräuche kommerziell auszunutzen. Coca Cola Trucks, was für ein Mist, heulten die Grünen. Heute beziehen sich Händler immer weniger auf diese Bräuche. Und warum wohl..?

Das ist traurig. Wenn die Bräuche schwinden, dann schwindet Identität. Dann schwindet die Gewissheit über das Selbstverständliche. Das ist an sich leider nicht mehr neu, aber mir scheint, es erwischt allmählich auch Weihnachten im Einzelhandel..

Freitag, 2. November 2018

Sa sdarówje!

Freitag. Der schönste Tag der Woche (wie man am Rhein sagt :-) )! 
Einerseits: Was, schon wieder eine Woche rum? Andererseits, puh.

Wir hatten in Schweden einen Workshop "unter uns". Sozusagen zur Begradigung all der Missverständnisse um unsere Plattform, um die Vorgehensweisen, um Rollenspiele. Früher hätte ich gesagt: "einheitliche Sicht" auf die "Prozesse" und "Aufgaben".



Vor allem aber: Besser kennen lernen. Endlich kennen sich alle ein bisschen besser und hören auf, einander beeindrucken und sich absichern zu wollen. Aber hey: Wir sind ja alle erst vor ein paar Monaten zusammen gekommen. Und haben schon etwas erreicht. Aber man muss bedenken, dass das Zusammenwachsen so vieler Leute aus fast allen Kontinenten Zeit braucht.

Interessant dann auch die Abendgespräche. WIe gut verstehen sich Russen mit Ukrainern wirklich? Inder mit Pakistani, Mexikaner mit US-Amerikanern? Gut, wir sind unter Entwicklern, Nerds. Und Du kannst alle sofort mit einer Spielkonsole mehr begeistertn als mit einem Themenabend über Politik. 
Aber alle Verhalten sich eher so, wie es m. E. auch nur geht: An der Oberfläche bleiben. Hier und da eine Anspielung. Aber dann: Nasdarowje!

Ein ukrainischer Kollege ist in der Stadt aufgewachsen, die früher Trägerraketen und Flugzeugträger für die Sowjetarmee gebaut hat. Es sei eine Zeit gewesen, in der Forscher 10x so viel verdienten, wie Direktoren im Verwaltungsapparat. Deshalb habe auch er diese Richtung einschlagen wollen. Dann aber, nach der Auflösung der UdSSR seien alle Guten sofort abgehauen. Und die Firmen mussten wegen Fachkräftemangel schließen. Deshalb wurde das alles nach China verkauft…
Ich erzählte ihm vom Stahlguss an der Ruhr, der auch nach China verkauft wurde. Und er hob sein Glas und sagte "Sa sdarówje".
Tja, und auch bei Volvo kennt man den chinesischen Weg ja inzwischen besser als man je wollte.. Es ist kein Zufall, dass wir keine Chinesen in unserem Projekt haben.

An solche Abende werde ich mich später erinnern. Die Erlebnisse der Privatleute sind doch anders als die veröffentlichten Meinungen. Und wieder einmal denke ich an „DIe Welt von gestern“, die Weltbühne usw. Bevor alles zusammenbrach glaubten sie sich auf einem niemals endenden Fortschrittspfad.

Die Russen verstehen an Angela Merkel nicht, warum sie die Schleusen geöffnet hat. Sie kennen die tschetschenischen Terroristen. Eine russische Kollegin wollte sogar partout weg aus Dänemark, weil sie es dort nicht mehr ausgehalten habe, wie „die da“ die Stadt verwahrlosen.

Und während wir in einer Wikinger Kellerbar so sprechen predigt mein heimischer Präsident den Chemnitzern seine Moral. Und wie die tagesschau schreibt: Er winkte, aber keiner reagierte. Warum wohl..?
Warum fährt er nach Chemnitz und nicht nach Freiburg? Wo sich sogar die „linksautonoment Betreiber des Clubs White Rabbit“ über das aufdringliche Verhalten der Flüchtlinge beschwert haben“ (FAZ(. Ich frage mich: Beschwert? Bei wem denn (diese Nazis..)?

Diese Zeit bietet Stoff für etliche Essays, Romane, Blogposts. Man braucht nur einen Rückzugsort, an dem man zur Besinnung kommen kann.

Ich bin einen Tag eher als die Kollegen zurück gereist. Ich habe mir gedacht, den Freitag nutze ich. Alle außer Haus und ich kann in aller Ruhe meine Planung aktualisieren. Keiner, der zur Tür reinplatzt und eine tiefe Frage hat. Es könnte der schönste Tag der Woche werden :-)

Dienstag, 9. Februar 2016

"Es wird gewesen sein." - Roger Willemsen

Sie gehen in immer kürzeren Abständen von uns, die Guten. Und einige so relativ jung, dass sie mit ihren Werken eigentlich noch nicht am Ende sein konnten. Sie gehen so auffallend früh, als wüssten sie mehr als wir. Und so als würde jeder der schon gegangen ist den nachholen, den er dort am meisten vermisst.

Wir haben nicht mal Mitte Februar und beklagen schon folgende Verluste:

  • Maja Maranow
  • Black
  • Glen Frey (Eagles)
  • David Bowie
  • Maurice White (Earth, Wind and Fire)
  • Artur Fischer
  • Roger Willemsen
Gut, nicht alle auf einer Stufe und meine Auswahl ist subjektiv. 

Aber Roger Willemsens Tod ist schon ein Schlag. Er war mir ein Augenöffner. Er konnte in sich versinken, reinhören und wieder auftauchen und berichten.

Mir ist so, als hätte er beim Verfassen von "Der Knacks", in dem er seinen Umgang mit Krisen erklärte, schon etwas geahnt oder gewusst. "Es wird gewesen sein" beschrieb er seinen Krisenmodus, der aus dem Futur 2 bestand. Futur 2 ist die Hoffnung für alle Leidenden. Passt für Aktive wie für Fatalisten. 

Montag, 8. Februar 2016

Der schlechteste Rosenmontag aller Zeiten

Was für ein finsterer Rosenmontag ist das heute.

Mein Plan war:
  • Rosenmontag Urlaub nehmen - für ein lustiges langes Wochenende.
  • Samstags ins Ruhrgebiet fahren - in Dortmund und Gelsenkirchen feiern.
Und so kam es tatsächlich:
  • Am Dienstag bekam ich eine Grippe, an der ich jetzt noch arbeite.
  • Am Sonntagabend fingen die Absagen der Rosenmontagszüge an - vorgeblich wegen "Sturmwarnungen".
  • Am Rosenmontag hielten die Kölner die Stellung und zogen durch die Stadt.
  • Die Düsseldorfer zeigten ihre -viel mutigeren- Wagen vor dem Rathaus. 
  • Am Nachmittag kam die Nachricht, dass Roger Willemsen seiner Krebskrankheit erlegen ist.
Hier einige Interviews mit Roger Willemsen. An diesem so ganz anderen Rosenmontag.


"Eher fragt man sich, welches Buch muss unbedingt noch geschrieben werden. Welches Buch muss ich noch lesen. Man wird geiziger mit der Zeit."
Roger Willemsen im Interview mit Jörg Tadeausz, August 2015



"Ich erzähle mein Leben als eine Kette von Pleiten, weil ich glaube das humanisiert eher als die Einsamkeit der Triumpfe, an die wir uns kaum erinnern können. Wenn man schon ein Image hat, dann muss man es schänden."
Roger Willemsen im Interview mit Harald Schmidt, März 2007

Dienstag, 29. Dezember 2015

Meine Dezemberbücher

Dezember Literatur (meine):

  • Rainald Goetz, "loslabern" (2008)
  • Gustave Le Bon, "Psychologie der Massen" (1895
Nicht zu Ende geschafft:

  • John Brockmann (Hrsg.), "Worüber müssen wir nachdenken?" (2014)
  • Jonathan Franzen, "Unschuld" (2015)
  • Benham T. Said, "Islamischer Staat" (2015)
Goetz hilft, das vorige Jahrzehnt in Berlin zu verstehen, Le Bon, das vorige Jahrhundert. Mir wichtig: Dank Goetz weiß ich jetzt sicher, dass die gesponnen haben und nicht ich. Und dass ich nichts verpasst habe, wenn ich abends nicht in diesen selbstbezüglichen Ick-bin-jetzt-Berliner-Kreisen Mannheimer MBA-AbsolventInnen war.

Le Bon erklärt, warum zu viel Intelligenz in der Massengesellschaft zur Erfolglosigkeit verdammt. Die Massen lernen nicht durch Einsicht sondern durch Nachahmung. Um nachahmlich zu sein, darf man ihnen als Führer geistig nicht zu weit voraus sein. Wer unnachahmlich seiner Zeit zu weit voraus ist, dem folgt keiner. Man darf auch nichts erklären, dann verliert man seinen Nimbus (vgl. Max Frisch, Homo Faber: "Der Mann will die Frau als Rätsel um sich an seinem Unverständnis zu berauschen."). Beides hatte Schröder begriffen und das FAZ-Feuilleton bückte sich fortan, um sich an den tiefer gehängten Decken nicht den Kopf zu stoßen.

Goetz erklärt das Phänomen "24-Jährigkeit", Le Bon den Erfolg der Schröderhaftigkeit. Liest man beides zusammen, hat man Berlin in den Jahren zwischen 2001 und 2008 verstanden.

Freitag, 13. November 2015

Christian McBride Trio, "Fried Pies"

Die Woche wäre fast geschafft. Aber das sagt DIESE Woche auch über uns.. Nicht unterkriegen lassen, nicht zu viel Medien inhalieren. Sondern zum Feierabend entspannen. Das hier ist die Musik, die wir an den Abspännen amerikanischer Serien so lieben. Jazz bringt uns runter. Im positiven Sinn!



Freitag, 6. November 2015

Samstag, 31. Oktober 2015

"Doom & Gloom", Rolling Stones

"I had a dream last night that I was piloting a plane
And all the passengers were drunk and insane
I crash landed in a Louisiana swamp
Shot up a horde of zombies
But I come out on top"
Happy Halloween, Frau Fahimi will als Generalsekretärin gehen. Und als Staatssekretärin wiederauferstehen..

Donnerstag, 23. April 2015

Zwei in einem Boot

Jemanden ins Boot zu holen ist inzwischen keine positive Metapher mehr. Hab ich eh nie gemocht. Erstens wurde ich im Beruf dazu oft aufgefordert, wenn man mir das wichtigste dazu noch vorenthielt: ein Boot. Zweitens hatte es schon immer den Touch einer Geiselnahme: "Machen Sie ihn zum Teil unserer Schicksalsgemeinschaft" meinte das. Wenn man mit jemandem "in einem Boot" ist, stellen sich neue Fragen: Wer rudert? Wer rudert sitzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Sein Gegenüber sieht, wo es hin geht - profitiert also doppelt. Und wo geht es überhaupt hin? Und wenn man kentert, was hat man davon, wenn man es zu zweit oder mehreren tut?

Die Metapher funktioniert also nur in dem Sinne, dass man mit jemandem eh zu tun hat, sich mit ihm aber uneinig ist. Sitzt man in einem Boot, muss man sich dann über die Richtung einigen. Und wenn einer kentert, der andere mit.

Was aber, wenn man sich Idioten ins Boot geholt hat? Oder zu welchen ins Boot gestiegen ist? Dann geht auch dieser Schuss - wie bei der verriegelten Cockpittür- nach hinten los. Dann gibt es keine Rettung.

Europa ist dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass es strandende Bootsleute nicht so gut gebrauchen kann. Die Krise könnte hier erst noch kommen und es könnten sich umgekehrt europäische Flüchtlinge auf nach Afrika machen.

Wir Europäer sitzen in einem Euroboot. Und hier kreisen die Gedanken eher darum, wie man aus einem Boot wieder aussteigen kann, ohne es zum Kentern zu bringen. Auch dafür haben wir keine Lösung. Die einzige Losung lautet: Es muss alles so bleiben wie es ist. Wir haben keinen Plan B. Und wie Wolfgang Münchau diese Woche schrieb: Auch keinen Plan A.

Haben wir Europäer eine Vorstellung davon, was in den terrorisierten Ländern gerade vor sich geht? Wie sollten wir. Wissen wir nicht, wir wissen aber: Selbst schuld. Bzw. nicht unsere Schuld.

Neulich habe ich den Wim Wenders Film über den Fotografen Sebastian Salgado  ("Das Salz der Erde") gesehen. Fotos aus einer Zeit, zu der ich schon lebte. Und doch Fotos von biblischer Symbolkraft. Kriegsflüchtlinge, Goldminenarbeiter, Hochland. Doch, ich habe eine Idee davon, was in der Welt da draußen los ist.

Lautet die Idee von Europa nicht "nie wieder Krieg"? Seien wir froh, dass wir keinen haben. Die zweite Idee war doch "Freihandel". Wer miteinander handelt, bekriegt sich nicht. Wer also Sanktionen verhängt, bereitet sich auch ein bisschen auf Krieg vor. Blöd, wenn man im gleichen Moment öffentlich bekennen muss, dass das eigene Militär im Prinzip handlungsunfähig gemacht worden ist.

Weit und breit keine großen Ideen, keine großartigen Köpfe. Keine antreibenden Visionen. Nichts. Nur ideenlose Politiker von denen die wichtigste Botschaft in den Nachrichten ihre Stirnfalten über der Designerbrille sind. Aber auch keine Intellektuellen mehr. Nicht mal 3sat Kulturzeit kann man mehr schauen ohne die nervende, quengelnde Selbstabwertung Europas.

"Europa" wird nichts tun. Denn immer wenn es drauf ankommt, delegieren sie die Verantwortung durch ihre tausendzähligen Organigramme. Und in zwei Wochen werden die Bilder von kenternden Menschen im Mittelmeer aus den Medien wieder verschwunden sein. Das kennen wir schon (zählen Sie mal die Schlagzeilen aus diesem Jahr rückwärts auf: von Piech über Germanwings und Maut bis Edathy.)

Das Mare Nostrum wird keine Cosa Nostra Europas.

Freitag, 17. April 2015

Schlagseiten

Hillary Clinton

Stéphane Charbonnier

Giannis Varoufakis und Alexis Tsipras

Ferdinand Piech und Martin Winterkorn

Hans-Wilhelm Müller Wohlfahrt, Jürgen Klopp

Gerhard Schröder und Gabriele Krone-Schmalz

Günter Grass und Klaus Bednarz