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Sonntag, 15. Mai 2022

Was unsere "Welt von gestern" von Stefan Zweig's unterscheidet

 Ich lese gerade zum wiederholten Male in Zweig's "Unsere Welt von gestern". Und es drängt mich, Parallelen, aber auch Unterschiede zu unserer heutigen Trauer um die Vergangenheit zu ziehen. 

Stefan Zweig bringt seine Zeit in Österreich vor dem ersten Weltkrieg auf den Nenner Sicherheit und Stabilität. Immer ging alles seinen Gang und wer zur gebildeten und begüterten Schicht gehörte, konnte sein Leben schon bis zur Pension ausrechnen. Als Garanten für diesen Komfort, der den Leuten wegen der Gewohnheit daran nicht mehr bewusst war, nennt er Kaiser Franz, bzw. die 700 jährige Monarchie der Habsburger

Sind Sicherheit und Stabilität auch, was wir heute vermissen? Vordergründig ja. Denn seit zehn Jahren treiben uns die Eliten von einer Krise in die nächste. Die Angst um die eigenen Ersparnisse, die Angst um gesichertes Einkommen, die Angst vor Epidemien und nun die Angst vor einem Atomkrieg. Wir werden auf Trab gehalten. Wenn wir uns früher nach Feierabend oder am Wochenende erholen wollten oder unser Leben verbesserten, fängt heute die zweite Schicht an, nämlich die Absicherung und Planung des weiteren eigenen Lebens. Geht so etwas über Jahre, zehrt es an den Kräften und den Nerven. Ich z. B. bekomme immer wieder mal Zahnschmerzen, die einige Tage später wieder von selbst verschwinden. Als suche sich mein Körper ein Ventil, über das er all den Überdruss und Unwillen ablassen kann.

Aber eigentlich wünsche ich mir nicht frühere Sicherheit und Stabilität zurück, Sondern die Freiheit, wieder selbst wirksam sein zu können. Wenn etwas meine erste Lebenshälfte beschrieb, dann war es die Gewissheit, die Qualität meines Lebens selbst beeinflussen zu können. Ich habe die Gelegenheiten genutzt, die uns unser Gemeinwesen früher bot. Als Kind interessierte mich die Welt der Erwachsenen. Die Autos, über die mein Vater und meine Onkels fachsimpelten. Unser Radion, der Plattenspieler, das Fernsehen. "Aus Forschung und Technik" und "Querschnitte". Aber auch Science Fiction. Deshalb war ich in der Schule wirklich neugierig, zu lernen. Lernen hieß Verstehen. Verstehen hieß, mitdenken zu können. Mitdenken befähigte zum Basteln und Ausprobieren. Ich hielt meine Einstellung für normal. Aber in der Schule lernte ich auch, dass ich damit zu einer Minderheit gehörte. von unseren 23 i-Männchen interessierten sich vielleicht fünf andere genau so. Die Mehrheit lief mit und tat, was nötig war. und eine andere Minderheit verweigerte das Lernen. Und versuchte, die anderen ebenfalls vom Lernen und guter Laune abzuhalten. Sie suchten Streit, neideten den anderen ihre guten Noten und Fähigkeiten. Im Ergebnis bremsten sie das Tempo. Anstatt die Lücke zwischen ihnen und uns durch eigene Anstrengung zu schließen, versuchten sie, uns zu bremsen. Und nur die älteren Lehrer gaben ihnen Kontra und versuchten sie zu disziplinieren. Die neuen Lehrerinnen verhandelten mit ihnen Bedingungen, zu denen die Marodeure bereit wären, im Unterricht wenigstens nicht mehr zu stören. Unser Staat bot allen Kindern kostenlose Schulbildung an. Aber nicht alle erkannten das als Chance. Die meisten kauten gedankenlos auf dem herum, was der Staat ihnen täglich vorlegte.

Gut, dachte der Staat, dann werden wir nach der Grundschule, diejenigen belohnen, die ihre Chancen erkennen und nutzen. Und er schuf das dreigliedrige Schulsystem. Ich nutzte die Chance aufs Gymnasium zu gehen., Danach nutzte ich die Chance, ein Studium zu beginnen. Alles weiterhin für mich kostenlos, was ich für selbstverständlich hielt. Aber neben mir wuchs die Gruppe derjenigen, die selbst solche Chancen für zu anstrengend hielten und Parolen erfanden wie "Abitur für alle", "Teilhabe für alle". Die den Selbstverantwortlichen noch die Bürde auferlegten, die Unwilligen, Gewaltbereiten weiter "mit zu nehmen". Hinter mir schufen sie das Gymnasium ab und ersetzten es durch die Gesamtschule. Aber schon bei uns tummelten sich viele, von denen ich mich später fragte: Was wollten die eigentlich da und warum wurden sie nicht früh ausgesiebt? In den Klassen 5 bis 7 waren Kloppereien zwischen guten Gymnasiasten und überforderten, neidischen und gewaltbereiten Problemschülern an der Tagesordnung. Wie sehr uns das im Lerntempo bremste, wurde mir erst bewusst, als ich in der Oberstufe meinen Physik-Leistungskurs auf dem Nachbargymnasium belegen musste. Das nämlich war inoffiziell eine Art städtisches Elitegymnasium. Meine Eltern, und die meiner Freunde, hatten sich nicht getraut, uns dort anzumelden. Aus Angst, dort weder leistungsmäßig noch vom Habitus der Eltern aus mithalten zu können. Denn dort trafen sich die Kinder der Oberschicht. Aber mit 18 begann für mich der Ausflug in diese Oberschicht. Und hoppla, das Tempo und die Intensität waren hier höher. Ich musste mich richtig anstrengen (zum ersten Mal), aber ich arbeitete mich bis auf eine 2+ hoch. Was ich auch lernte war: Auch in der Oberschicht gab es Schüler, die nicht in diesen Kurs gehörten, obwohl ihr Vater selbst Ingenieur war. Und der Lehrer siebte sie gnadenlos aus. Ich lernte den direkten Zusammenhang zwischen Anstrengung und Ergebnis.

Und das half mir direkt im ersten Semester meines Studiums, wo Physik wiederum ein Siebfach war. Ich kann an der Uni an und hatte bereits intensives Lernen gelernt. Etliche anderen fielen raus. Auch hier galt wieder: Einsatz lohnt sich. Und eine Stufe ergab hier die nächste. Ich bewarb mich als studentische Hilfskraft an einem Lehrstuhl. Ich bekam den Job. Und machte hier meine Studienarbeit (übrigens bereits über den Einsatz künstlicher neuroyaler Netze in der Netzleittechnik). Und von hier aus bekam ich die Chance als Werkstudent bei RWE in Essen anzufangen. Und hier konnte ich später meine Diplomarbeit machen. Und dann bot man mir hier, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, einen befristeten Traineeevertrag an. Und auch hier musste ich mich wieder anstrengen, denn ich kannte bei RWE niemanden, der mich protegieren konnte. Außer meinem Diplomarbeitsbetreuer, zu dem ich mir meine Beziehung aber selbst erarbeitet hatte. 

Und so weiter. Bis heute würde ich sagen: Alles in allem, habe ich mich meistens als wirksam empfunden. Hoher Einsatz bewirkte neue Fähigkeiten und guten Lohn. Es war "normal", dass die Entwicklung solange nach oben zeigte, solange ich bereit war, Einsatz zu bringen. Aber immer bemerkte ich neben mir auch diejenigen, die ohne Fähigkeiten durch reine Protektion nach oben kamen und solche, die nur an Beziehungen arbeiteten, die sie ohne Anstrengung in hohem Lohn halten würden.

Aber das hat sich geändert. Die leistende einsatzbereite Schicht und Mentalität ist inzwischen eine Minderheit. Staat und Gesellschaft belohnen die Leistungsträger nicht  mehr. Sondern beschuldigen sie, dass sie den Deal nicht mehr einseitig einlösen wollen. In den Institutionen, der Form unseres Gemeinwesens, haben sich Kostgänger breit gemacht, die über die Gesamtschulen und Gesamthochschulen (wenn überhaupt mit einer Ausbildung) in Funktionen kamen, die sie nicht mehr ausfüllen können. Wo sie aber die Macht ausüben. Sie denunzieren die Leistungsträger als "Privilegierte". Leistungsfähigkeit und -bereitschaft werden hier inzwischen als angeborene Privilegien weißer Männer denunziert. Damit einher geht die große Selbstentlastung und der Freispruch von jedweder Aufforderung, selbst etwas leisten zu müssen. Damit einher gehen immer größere Hürden, selbst mal etwas aus den Versicherungskassen bekommen zu können, die man ein Leben lang finanziert hat. Und für sich selbst senken sie fortwährend die Hürden, sich an öffentlichen Kassen bedienen zu können. Obendrauf ziehen sie Millionen von Einwanderern ins Land, deren Unterhalt sie auch noch uns aufbürden wollen. Denn "Deutschland ist ein reiches Land", ist das Lieblingszitat der höheren Söhne und Töchter, die am Leistungsprinzip gescheitert sind, und jetzt dafür sorgen, dass ihr Scheitern als Schuld der Gesellschaft angesehen wird. Sie verbieten ja schon heute den Klügeren den Mund. Sie schaffen die Freiheit ab und installieren den Überwachungsstaat. Denn so wie die Mächtigen früher ihre Geheimdienste brauchten, um sich des Monopols des Staates zu vergewissern, so brauchen sie heute den Zensurstaat, um ihre Dummheit von den Klugen nicht enttarnen lassen zu können.

Eine Gesellschaft, die sich wehrlos diesen Marodeuren der Moderne ergibt, sich in Selbstzensur und Opferbereitschaft übt, ist zum Niedergang verurteilt. Und zwar einem Niedergang, der sich exponentiell beschleunigen wird. Zuerst werden nur die Goldränder abbröckeln. Dann bröckeln Putz und öffentliche Infrastruktur. Dann sieht es hier irgendwann so aus wie zum Ende der DDR und sie werden sagen: Schuld ist der Kapitalismus. Und sie werden die leistende Minderheit immer mehr beschuldigen und belasten. Und dann brechen irgendwann die Fundamente weg und dann wankt das Ganze. Und wenn es irgendwann nichts mehr zu verteilen gibt, werden die Bestien wieder erwachen. Und die Bestien werden nicht nur Hunger haben. Sie werden sich für die moralisch Höherwertigen halten und mit Selbstjustiz durch die Straßen ziehen. Die Anfänge davon kann man heute schon sehen.

Und dann werden wir beides verloren haben: Unseren Fortschritt und Stabilität.. 

Mittwoch, 24. Februar 2021

Der Enkeltrick klappt nur mit Untertanen

 Jetzt ist auch jemand aus unserem Kreis beinahe auf den Enkeltrick hereingefallen. "Ja, hier ist dein Enkel. Ich habe gerade einen Unfall gehabt. Ich brauche dringend 20.000 EURO." - "Ok, und wo steckst du?"

Auch wenn es eine mir nahe stehende Person ist, ich muss meiner Fassungslosigkeit Luft machen. Wie kann man sich mit ein, zwei Sätzen völlig kritiklos zu so etwas hinreissen lassen? Wie kann man nicht in Frage stellen, ob da alles stimmt? Nicht einmal auf die Idee kommen, wenigstens nach dem Namen des (einzigen) Enkels zu fragen? Und dann mir nichts, dir nichts sich bereit erklären, alles was man hat, oder noch mehr, an irgendeine Autobahnraststätte zu bringen?

So etwas klappt nur mit Leuten, die auch sonst alles glauben  und befolgen was ihnen gesagt wird.  Dazu genügt eine bestimmende Stimme im Imperativ. Und schon marschieren sie los und geben sich auf.

Der Enkeltrick klappt nicht aus dem Affekt, sondern aus dem Jahrzehnte lang gelernten Untertanen-Selbstverständnis. 

Unser Beinaheopfer kam zum Glück noch auf die Idee, seine Schwägerin anzurufen, die dann diese Harakiriaktion zum Abbruch brachte.

Aber ehrlich gesagt habe ich ansonsten kein Mitleid mit Leuten, die nicht gelernt haben ihre Dinge selbst in die Hand zu nehmen, selbst zu denken und Fragen zu stellen.

Sonntag, 13. Juli 2014

Berlin, Hauptstadt eines verschnarchten Europas

Wendezeit - ohne uns

Mein iPad piept im Minutenrhythmus. Die App "Red Alert" pusht eine Warnmeldung, sobald eine Hamasrakete Kurs auf eine israelische Stadt nimmt. Wieder einmal wird Geschichte gemacht, und Europa kapiert sie nicht. In Irak und Syrien entsteht eine neue Diktatur. Sie wird ihre Auslegung des Koran zu ihrer Doktrin machen, nach den Ölvorräten des Irak greifen - allerdings zu dumm sein, diese zu verwerten. Denn sie ruft die ungebildeten, frustrierten männlichen Jungfrauen unter den Muslimen zu sich. Ihr Gründungsmythos sind die Hamas Raketen auf den einzigen demokratischen, zivilisierten Staat im nahen Osten: Israel.

Und was sagt die "Wertegemeinschaft" EU dazu? Immerhin hat sie die Hamasraketen mitfinanziert.  Die EU appelliert. Nicht an den Aggressor, sondern sein  Opfer. Jetzt bitte nicht "überreagieren", Israel. Nein, Israel, halte den vollbärtigen Frauenschändern auch noch die linke Wange hin. Frank-Walter Steinmeier wird in der Zwischenzeit für Gespräche "miteinander" sorgen, denn das "miteinander" palavern, Israel, das ist es, was den EU-Regierungen immer ganz besonders am Herzen liegt. Palavern ohne Ergebnis, das ist es was die EU Elite am besten kann.

Europa weiß nichts. Europa schafft es weder, ordnend einzugreifen, noch sich von den Aggressoren und ihren Ölfässern unabhängig zu machen. Es schaltet seine Atomkraftwerke ab und subventioniert Milliarden in chinesische Solarzellenschrauber, die zuvor deutsche Patente analysiert und nachgebaut haben.

Wirtschaftsförderung

In den "Lenkungskreisen" unserer Institutionen in Politik und Wirtschaft sitzen Leute, die dort, wo früher Tüftler und Überzeugungstäter agierten, Zuflucht vor der rauhen freien Marktwirtschaft gesucht haben. Menschen mit Planungssicherheit und einem Abschluss in "Administration". Die von nichts wissen, wie man es anschiebt, aber auf alles Rollende ihr Etikett für die Abrechnung ihres Bonus kleben. Die "Berlin-Partner", eine Art Kinderhort für Politiker- und Verwaltungssprößlinge, zählt allein 200 Köpfe,

Elektrotechnik

Ein Edison, Bosch oder Daimler oder auch Porsche hätte heute in seinem Konzern keine Chance mehr. Denn was Du brauchst um etwas neues zu schaffen, ist die Möglichkeit, es sofort auszuprobieren. Du brauchst ein Haus in der Stadt, wo unten oder im Hof die Werkstatt liegt und Deine Wohnung darüber. Fällt Dir beim Abendessen ein, wie Du den Elektromotor wickeln musst, kannst Du sofort in die Werkstatt laufen und es ausprobieren. Ohne Bestellanforderung, Terminplanung, Budgetantrag usw.. Schräg rechts gegenüber wohnt und arbeitet der technische Zeichner und links um die Ecke der Ankerwickler. Gleich morgen früh besprichst Du mit beiden Deinen neuen Plan.

So war es. In Berlin, in Stuttgart und Umgebung und im Ruhrgebiet. Heute hast Du da Wirtschaftsförderer, Stadträte und Senatoren die sich den ganzen Tag neue Knüppel ausdenken, die sie Dir zwischen die Beine werfen. Know-how haben sie auch: Das Spezialwissen über die hunderttausend Gesetze und Verordnungen, die Du beim Gründen beachten musst. Den Zeitungen erzählen sie, sie fördern Existenzgründer und Ansiedler. Echte Existenzgründer werden Dir aber erzählen, dass Du gar nicht erst anfangen solltest, wenn Du diese Herrschaften wirklich benötigen solltest. Aber Vorsicht: Solltest Du Deinen Wagen tatsächlich zum Anspringen kriegen, stehen sie morgen auf der Matte und wollen Feedback für ihre Reports an den Senator.

Unser aller tiefsitzender Jobfrust -auch wenn es mal gut läuft- hat mit dieser Unfreiheit zu tun, sich keinen Millimeter mehr vor- oder rückwärts bewegen zu können, ohne dafür eine Genehmigung zu brauchen. Und in Unwissenheit über die Zusammenhänge gehalten zu werden. Und die Mittelmäßigkeit all dieser Administrationsexperten.

Software

Das Softwaregeschäft gehört zu den wenigen Branchen, in denen man auch heute noch einfach selbst etwas ausprobieren kann. Ich glaube, deshalb ist es beim Nachwuchs so populär. Alle anderen Zugänge haben wir ihnen verschüttet. Die jungen Leute flüchten weniger in virtuelle Scheinwelten und Oberflächlichkeiten sondern in den einzigen Raum, zu denen ihre Elterngeneration keinen Zugang hat. Sie weiß intuitiv, wie wichtig es ist, selbst etwas zum Laufen zu kriegen.

Mode

Die Herausgeberin der deutschen "Vogue" beklagte diese Woche in der RBB Abendschau die Unfähigkeit und das Desinteresse des Wowereit Senates, die eigene Modebranche zu einem Geschäft weiterzuentwickeln. Das fange mit einer Terminplanung an, die sich in Konkurrenz zu den großen Modeschauen lege. Die "Bread and Butter"-Winterausgabe verlässt nun Berlin Richtung Barcelona. Antwort von Kathrin Lompscher, stadt"entwicklungs"politische Sprecherin der Linkspartei: "Es wäre gut, wenn die Bread-and-butter das Tempelhofer Flughafengebäude dann komplett verlassen würde." Wer es nicht glaubt: Abendschau gucken: Link
Symbolisch auch, dass die Fashionweek in diesem in ein Rotlichtmilljöh Jahr umziehen musste. Die Straße des 17. Juni ist dieses Jahr für die Pommes- und Bierbuden der Fanmeile reserviert. Wowereit lässt grüßen.

In einigen Jahren wird ein neuer Stefan Zweig mal aufschreiben, was unsere Epoche in Europa gekennzeichnet hat. Erleben tun wir diese "Welt von gestern" aber jetzt.

Sonntag, 30. Juni 2013

Marodeure der Moderne - Heute: Abhörbehörden

Was einer betont zu sein, ist er nicht. Was er in anderen bekämpft, das birgt er selbst. Homophobe Kleriker und Neonazis bekämpfen ihre eigene unterdrückte Neigung, oder verbergen ein besonders verachtendes Frauenbild. Werbung weist oft nicht auf die Stärke eines Produktes sondern seine Schwäche ("Mit der Bahn am Stau vorbei fahren.") "Neid" ist kein Privileg der Unterschicht sondern Handlungsmotiv vieler FDP-Mitglieder. Und Rassismus und Antisemitismus sind besonders verbreitet unter Gutmenschen, darunter Literaturnobelpreisträger.

Nach dem gleichen Prinzip lauscht niemand mehr an Nachbars Tür und Wand als der, der Anlass zu übler Nachrede gibt: Staatssicherheit, Geheimpolizisten, Prozesshansel, Denunzianten, Demokratiesimulationen.

Souveräne Zeitgenossen wissen sowohl um ihre eigene Robustheit als auch die Krankheit, die hinter dem Zwang zum Lauschen, Beobachten und Verfolgen steckt. Es verletzt sie nicht gleich. Gleichwohl verbitten sie es sich. Sie fühlen sich durch eine Präsenz in NSA-Blobs auch nicht aufgewertet, wie manche Piraten oder Foristen der linken Tagespresse.

Wer sein eigenes Volk belauscht, hat es vorher betrogen und ausgebeutet. Wer andere Völker belauscht, will Ansätze zu ihrer Manipulation finden. Wer ausländische Industrien belauscht, weiß um die Schwäche der eigenen. Wer andere Regierungen belauscht, verfolgt ob die eigenen Pläne aufgehen.

Was hinter der amerikanischen Paranoia steckt, hat Michael Moore vor zehn Jahren herausgearbeitet und veranschaulicht: Das schlechte Gewissen.

Als der Nachrichtenstand vor einer Woche nur die vollständige Überwachung unserer privaten Telekommunikation hergab, gaben sich Mitglieder unserer Regierung "pragmatisch". Terrorabwehr. Einige im Kanzleramt dachten vielleicht, "unsere Bürger bespitzeln wir immer noch selbst!". Jetzt allerdings wissen sie von ihrer eigenen Überwachung und jetzt verleihen sie den Enthüllungen den Rang eines Eklats.

Unsere Regierung hat mit ihren Verfassungsbrüchen ihr Volk bereits verraten (Bundestrojaner, ESM, die Akzeptanz von Vertragsbrüchen, die Politik der EZB). Ich schließe mich ihrer Empörung deshalb nicht an. Vielmehr hatten wir Grund, den "Dunkelgremien" Schäubles mit eigener Aufklärung etwas nachzuhelfen.

Einerseits heißt es "Terrorfahndung", andererseits ist das Finanzzentrum Frankfurt ein Angriffsschwerpunkt. Hier könnte man denken: Dann steht die NSA doch auf der richtigen Seite? In den USA hat man schon Banker in Handschellen gesehen, bei uns noch nicht. Oder Steuerhinterziehung, Terrorfinanzierung, Geldwäsche - in der EU wird ja längst nicht jedes große Verbrechen verfolgt.

Warum genau fühlen sich manche EU-Politiker so empfindlich getroffen - haben sie was zu verbergen?

Samstag, 29. Juni 2013

"Marodeure der Moderne" - Heute: Bahnkunden

Teil 1 - In der S-Bahn

Am Bahnhof Friedrichstraße steige ich um in die S-Bahn Richtung Wannsee. Sie ist nicht so voll wie sonst und ich kann für mich alleine sogar einen Vierer in Beschlag nehmen. Auf dem Nachbarvierer: ein türkischer oder arabischer Student. Und ein weißhaariger Mann im Rentenalter. Groß und schlaksig. Er  hat Kopfhörer auf und sein verkrampfter Gesichtsausdruck vermittelt eine brutale Entschlossenheit zu irgendetwas.

Das nehme ich jedoch nur nebenbei wahr. Bis zu dem Moment, an dem der Alte einen markerschütternden Schrei ausstößt. Zweimal. Als wolle ein Steinzeitmensch ein wildes Tier  beschwören. Wir Umsitzenden schrecken zusammen. Der Student nimmt seine Tasche und wechselt den Platz. Wir anderen tauschen vielsagende Blicke. Meine Geduld ist aufgebraucht. Noch einmal, denke ich, und ich greife ein. 

Er tut es nochmal. Zweimal hintereinander. Sinnlich ist das eine neue Erfahrung. So ein Schrei bewirkt einen Adrenalinausstoß. Jetzt erhebe ich meine Stimme: "Geht's noch?!". Er schaut mich aus den Augenwinkeln an und dann wieder gerade aus. Hat er mich wahrgenommen? Habe ich etwas bewegt? Wir sind in der Anfahrt auf meinen Zielbahnhof. Ich muss irgendwo hin mit meinem Adrenalin. Als er wieder seinen Kopf wackelt, als würde er sich zu einem erneuten Schrei sammeln, stehe ich ruckartig auf, mit einer Bewegung auf ihn zu die einen Schatten auf ihn wirft. Er zuckt. Seine Reflexe funktionieren. Im Rausgehen überlege ich, ob meine Zubewegung auf die Gefahrenquelle auch ein Reflex war.  

Teil 2 - Im ICE

In Braunschweig steige ich um in den ICE nach Berlin. Seit drei Wochen geht das schon so. die ICE-Brücke über die Elbe wurde vom Hochwasser unterspült, die Gleise liegen unter Wasser. Die Bahn leitet um über Braunschweig und Magdeburg. In Magdeburg steigt ein Typ in kurzen Hosen ein und kommt an den Vierer mir schräg gegenüber. An diesem sitzt ein Student (würde ich tippen). Tag, ist dann hier noch frei? - Ja. - Also, ich heiße Michael früher war alles besser, als man noch nicht über Uelzen nach Hamburg fahren musste wie heißt Du denn? - Thomas. - Ja die kriegen hier nüschte mehr auf die Reihe ich komme aus Zossen. 

Er missbraucht die Höflichkeit des Studenten um ihn hemmungslos vollzuquatschen. Eine Art Sozialmissbrauch. Der Typ packt sein Kofferradio aus, stellt es auf den Tisch und dreht auf. Anschwellendes Radiorauschen, lange nicht mehr gehört sowas. Dann findet er einen Sender mit den Andrew Sisters. Zusammen mit dem Bild, das Magdeburg und sein Bahnbetriebswerk vor dem Fenster bietet, kann man sich jetzt wirklich ans Kriegsende versetzt fühlen. Der Zug ruckelt gemütlich vorbei an mechanischen Signalen. Seit dem Siegeszug des iPod ist Radiohören über Lautsprecherboxen ungewohnt. Ein Rentner steht auf und kommt an den Tisch: Ruhe! - Nein. - Ruhe!! - Ich habe keine Kopfhörer, geht nicht anders. - Radio aus!

Dann legt er nach: In der ersten Klasse sitzen die größten Arschlöcher, ich gehe in die zweite. Macht sich eine Dose Bier auf und rülpst zweimal vernehmlich. Wo kommst du noch mal her, fragt er den Studenten. - Aus Dortmund.