Sonntag, 30. Juni 2013

Marodeure der Moderne - Heute: Abhörbehörden

Was einer betont zu sein, ist er nicht. Was er in anderen bekämpft, das birgt er selbst. Homophobe Kleriker und Neonazis bekämpfen ihre eigene unterdrückte Neigung, oder verbergen ein besonders verachtendes Frauenbild. Werbung weist oft nicht auf die Stärke eines Produktes sondern seine Schwäche ("Mit der Bahn am Stau vorbei fahren.") "Neid" ist kein Privileg der Unterschicht sondern Handlungsmotiv vieler FDP-Mitglieder. Und Rassismus und Antisemitismus sind besonders verbreitet unter Gutmenschen, darunter Literaturnobelpreisträger.

Nach dem gleichen Prinzip lauscht niemand mehr an Nachbars Tür und Wand als der, der Anlass zu übler Nachrede gibt: Staatssicherheit, Geheimpolizisten, Prozesshansel, Denunzianten, Demokratiesimulationen.

Souveräne Zeitgenossen wissen sowohl um ihre eigene Robustheit als auch die Krankheit, die hinter dem Zwang zum Lauschen, Beobachten und Verfolgen steckt. Es verletzt sie nicht gleich. Gleichwohl verbitten sie es sich. Sie fühlen sich durch eine Präsenz in NSA-Blobs auch nicht aufgewertet, wie manche Piraten oder Foristen der linken Tagespresse.

Wer sein eigenes Volk belauscht, hat es vorher betrogen und ausgebeutet. Wer andere Völker belauscht, will Ansätze zu ihrer Manipulation finden. Wer ausländische Industrien belauscht, weiß um die Schwäche der eigenen. Wer andere Regierungen belauscht, verfolgt ob die eigenen Pläne aufgehen.

Was hinter der amerikanischen Paranoia steckt, hat Michael Moore vor zehn Jahren herausgearbeitet und veranschaulicht: Das schlechte Gewissen.

Als der Nachrichtenstand vor einer Woche nur die vollständige Überwachung unserer privaten Telekommunikation hergab, gaben sich Mitglieder unserer Regierung "pragmatisch". Terrorabwehr. Einige im Kanzleramt dachten vielleicht, "unsere Bürger bespitzeln wir immer noch selbst!". Jetzt allerdings wissen sie von ihrer eigenen Überwachung und jetzt verleihen sie den Enthüllungen den Rang eines Eklats.

Unsere Regierung hat mit ihren Verfassungsbrüchen ihr Volk bereits verraten (Bundestrojaner, ESM, die Akzeptanz von Vertragsbrüchen, die Politik der EZB). Ich schließe mich ihrer Empörung deshalb nicht an. Vielmehr hatten wir Grund, den "Dunkelgremien" Schäubles mit eigener Aufklärung etwas nachzuhelfen.

Einerseits heißt es "Terrorfahndung", andererseits ist das Finanzzentrum Frankfurt ein Angriffsschwerpunkt. Hier könnte man denken: Dann steht die NSA doch auf der richtigen Seite? In den USA hat man schon Banker in Handschellen gesehen, bei uns noch nicht. Oder Steuerhinterziehung, Terrorfinanzierung, Geldwäsche - in der EU wird ja längst nicht jedes große Verbrechen verfolgt.

Warum genau fühlen sich manche EU-Politiker so empfindlich getroffen - haben sie was zu verbergen?

Samstag, 29. Juni 2013

Jeans Team, "Alkomerz"

Für mich der Knaller des Jahres. Das neue Album von unseren Nachbarn vom Jeans Team "Das ist Alkomerz" (Link).

Lustig auch die Rezension "Stößchen hier und Stößchen da" von Jens Friebe in der FAZ (Link).

Anna R. fährt abweichend auf Gleis 8

Bei Rosenstolz schieden sich die Geister. Schlager mit Stichwortgebern für Verwirrte mit Selbstmitleid?   Anna's Stimme klingt eigentlich anspruchsvoller als manche Texte, die sie transportierte. Aber oft genug traf das Duo auch ins Schwarze. Sagen wir, einfach gute Popmusik. Rosenstolz kuriert am Burnout. Dafür fährt Anna jetzt abweichend in Spandau am "Gleis 8". Da kommen wir leider nicht mehr dran vorbei (siehe unten). Ich glaube, wir verpassen da was:



"Marodeure der Moderne" - Heute: Bahnkunden

Teil 1 - In der S-Bahn

Am Bahnhof Friedrichstraße steige ich um in die S-Bahn Richtung Wannsee. Sie ist nicht so voll wie sonst und ich kann für mich alleine sogar einen Vierer in Beschlag nehmen. Auf dem Nachbarvierer: ein türkischer oder arabischer Student. Und ein weißhaariger Mann im Rentenalter. Groß und schlaksig. Er  hat Kopfhörer auf und sein verkrampfter Gesichtsausdruck vermittelt eine brutale Entschlossenheit zu irgendetwas.

Das nehme ich jedoch nur nebenbei wahr. Bis zu dem Moment, an dem der Alte einen markerschütternden Schrei ausstößt. Zweimal. Als wolle ein Steinzeitmensch ein wildes Tier  beschwören. Wir Umsitzenden schrecken zusammen. Der Student nimmt seine Tasche und wechselt den Platz. Wir anderen tauschen vielsagende Blicke. Meine Geduld ist aufgebraucht. Noch einmal, denke ich, und ich greife ein. 

Er tut es nochmal. Zweimal hintereinander. Sinnlich ist das eine neue Erfahrung. So ein Schrei bewirkt einen Adrenalinausstoß. Jetzt erhebe ich meine Stimme: "Geht's noch?!". Er schaut mich aus den Augenwinkeln an und dann wieder gerade aus. Hat er mich wahrgenommen? Habe ich etwas bewegt? Wir sind in der Anfahrt auf meinen Zielbahnhof. Ich muss irgendwo hin mit meinem Adrenalin. Als er wieder seinen Kopf wackelt, als würde er sich zu einem erneuten Schrei sammeln, stehe ich ruckartig auf, mit einer Bewegung auf ihn zu die einen Schatten auf ihn wirft. Er zuckt. Seine Reflexe funktionieren. Im Rausgehen überlege ich, ob meine Zubewegung auf die Gefahrenquelle auch ein Reflex war.  

Teil 2 - Im ICE

In Braunschweig steige ich um in den ICE nach Berlin. Seit drei Wochen geht das schon so. die ICE-Brücke über die Elbe wurde vom Hochwasser unterspült, die Gleise liegen unter Wasser. Die Bahn leitet um über Braunschweig und Magdeburg. In Magdeburg steigt ein Typ in kurzen Hosen ein und kommt an den Vierer mir schräg gegenüber. An diesem sitzt ein Student (würde ich tippen). Tag, ist dann hier noch frei? - Ja. - Also, ich heiße Michael früher war alles besser, als man noch nicht über Uelzen nach Hamburg fahren musste wie heißt Du denn? - Thomas. - Ja die kriegen hier nüschte mehr auf die Reihe ich komme aus Zossen. 

Er missbraucht die Höflichkeit des Studenten um ihn hemmungslos vollzuquatschen. Eine Art Sozialmissbrauch. Der Typ packt sein Kofferradio aus, stellt es auf den Tisch und dreht auf. Anschwellendes Radiorauschen, lange nicht mehr gehört sowas. Dann findet er einen Sender mit den Andrew Sisters. Zusammen mit dem Bild, das Magdeburg und sein Bahnbetriebswerk vor dem Fenster bietet, kann man sich jetzt wirklich ans Kriegsende versetzt fühlen. Der Zug ruckelt gemütlich vorbei an mechanischen Signalen. Seit dem Siegeszug des iPod ist Radiohören über Lautsprecherboxen ungewohnt. Ein Rentner steht auf und kommt an den Tisch: Ruhe! - Nein. - Ruhe!! - Ich habe keine Kopfhörer, geht nicht anders. - Radio aus!

Dann legt er nach: In der ersten Klasse sitzen die größten Arschlöcher, ich gehe in die zweite. Macht sich eine Dose Bier auf und rülpst zweimal vernehmlich. Wo kommst du noch mal her, fragt er den Studenten. - Aus Dortmund.

Donnerstag, 27. Juni 2013

"Reisende nach Wolfsburg steigen bitte in Braunschweig um."

Gestern fuhr ich mit dem Auto nach WOB. Zwei Stunden hin, zweieinhalb zurück.

Die Kollegen im 5:48h Zug erlebten folgendes:

  • Ansage des Zugchefs vor Magdeburg: "Der Anschluss in Magdeburg nach Wolfsburg konnte leider nicht warten. Reisende nach WOB steigen bitte in Braunschweig um."
  • In Braunschweig sahen die Kollegen nach WOB gerade abfahren. Drei Minuten Wartezeit waren doch nicht drin. 
Nachträgliche Erklärung: Verspätungen werden im Fern- und Nahverkehr unterschiedlich bestraft. Bei strengen Verträgen mit den -regionalen- Auftraggebern, können drei Minuten schon zu teuer sein. Dann fährt der Regionalzug eben ohne die verspäteten Pendler. Selbst Schuld..

Sonntag, 23. Juni 2013

Wie ICE-Vorstand Berthold Huber Wolfsburgpendler abhängt


Erster Hauptsatz der Lebenserfahrung:

Die Summe aller großen Probleme im Leben ist immer gleich. Und wenn Du glaubst, sie durch Lebenserfahrung überwunden zu haben, denken sich die Manager im Bahntower am Potsdamer Platz etwas Neues aus.
Dass ich einmal täglich acht Stunden in Zügen und auf Bahnhöfen verbringen würde um meinem Beruf nachzugehen, hätte ich nicht geglaubt. Zu Beraterzeiten brauchte ich von Gelsenkirchen bis Wien via Flughafen Düsseldorf nicht so lange wie heute mit der Bahn von Berlin nach Wolfsburg.

„Was pendelt Ihr auch so weite Strecken und arbeitet nicht in Berlin?“ - „Weil es in Berlin keine guten Jobs für Ingenieure gibt. Wowereit und sein Senat haben sich nicht gekümmert. Außerdem ist die Bezahlung auf Brandenburgniveau während die Mieten und Abgaben steigen.“ Und mein Bewerbungsgespräch bei Bombardier damals habe ich vom Bahnof Spandau aus abgesagt, weil mein Zug nach Henningsdorf Verspätung hatte. Ich blieb deshalb beim Auto als Berufsgegenstand..

Umsonst früh aufstehen..

4:00 Aufstehen
5:15 Letzter Blick auf Bahn.de, ob mein ICE 5:48 pünktlich sein wird. Er wird.
5.30 Ankunft Hauptbahnhof Berlin. Noch Zeit, also ab in die Bahn Lounge. Doch vergeblich, um die Zeit hat sie noch geschlossen.
5:45 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 5 Minuten später.“
5:50 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 10 Minuten später.“
5:55 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 20 Minuten später.“
6:00 „Auf Gleis 13 fährt jetzt ein: ICE abc nach Köln. Ursprüngliche Abfahrt 4:48.“

Wäre ich so früh aufgestanden, nur um hier mehr als eine Stunde herum zu stehen, hätte ich mich als Warlord zum Bahntower aufgemacht. So bin ich nur wütend.

Millionenumsatz - aber keine Infos

Einstieg in den verspäteten ICE. Der Zugchef begrüßt uns als wenn nichts wäre. Erste brauchbare Information nach dem belästigenden Pflichttext: Informationen von der Transportleitung über Anschlüsse in Magdeburg und Braunschweig liegen nicht vor. Diese Anschlüsse sind wichtig, denn die ICEs fahren Wolfsburg nicht mehr an. Obwohl sie könnten. Aber die mindestens 300 Dauerkarteninhaber sind den Bahnvorständen Ulrich Homburg und Fernverkehrs-Chef Berthold Huber egal.

800 Pendler x 4.090 EUR/Bahncard100 = 3,3 Mio EUR Jahresumsatz

auf einem Gleisabschnitt von 200km Länge. Das sind 6.135 EUR pro Kilometer. Was müssen wir tun, damit die Manager im Bahntower das erkennen?

Pressekonferenz in der Festung Berlin

Als Bahnpendler muss man Umstiege vermeiden, denn hier verliert man bei Verspätungen am meisten Zeit. Berthold Huber hatte am Mittwoch eine Pressekonferenz zu dem unseligen Thema „Elbehochwasser“ gegeben. Er nutzte den Tag, an dem Berlin Mitte für Barack Obama komplett abgeriegelt war um zu einer PK am Potsdamer Platz einzuladen. Nie konnten sich blöde Rückfragen so gut vermeiden lassen wie an diesem Tag.

Einladung zur Pressekonferenz 
„Vorstellung Interims-Fahrplan aufgrund der Hochwassersperrungen“ am 19. Juni 2013, 10:00 Uhr, im BahnTower, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin, 21. OG 
Berlin, 18. Juni 2013 
Sehr geehrte Damen und Herren, 
durch die andauernde Sperrung der Schnellfahrstrecke Hannover-Berlin aufgrund des
Hochwassers wird die DB ab Freitag, 21. Juni 2013, interimsweise den Fahrplan der
Fernverkehrszüge nach bzw. von Berlin für die nächsten Wochen anpassen. DB Fernverkehrs-Vorstand Berthold Huber wird Ihnen die Maßnahmen zur bundesweiten Stabilisierung des Zugverkehrs im Einzelnen erläutern und steht für O-Töne zur Verfügung.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen. Bitte beachten Sie die temporären Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen anlässlich des US-Präsidentenbesuchs rund um den BahnTower. In den Bereichen von Ebertstraße, Bellevuestraße, Lennéstraße, Auguste-Hauschner-Straße, Hansvon-Bülow-Straße, Voßstraße, Ben-Gurion-Straße, Potsdamer Straße und am Potsdamer sowie Leipziger Platz kommt es zu Sperrungen. Der Zugang zum BahnTower ist morgen nur über die kleine Drehtür auf der Westseite (Hintereingang) möglich. Führen Sie bitte Ihren Personalausweis/Pass mit sich und kalkulieren Sie für die Anfahrt mehr Zeit ein
Für weitere Fragen steht Ihnen Daniela Bals gerne zur Verfügung: Tel. +49 (0) 30 297-60020, daniela.bals@deutschebahn.com. 
Mit freundlichen Grüßen 
Jürgen Kornmann

Die Fahrplaninfos gab die Bahn nicht etwa am Vorabend in die Server, sondern am Freitagmorgen. Am ersten Tag des „Notfahrplans“ ging dann auch alles schief, was schief gehen kann, siehe oben.

Vor Magdeburg

In der vertrödelten Anfahrt auf Magdeburg war für uns spannende Frage: Hier umsteigen oder in Braunschweig? In der Nacht auf Freitag hatte es ein Gewitter gegeben. Zuviel für die Bahn. Alle Signalanlagen entlang der Magdeburgstrecke waren gestört. Wir erduldeten einen Stop-and-Go Verkehr wie sonst mit dem Auto in Berlin Mitte.

„Informationen von der Transportleitung liegen mir nicht vor. Achten Sie deshalb bitte auf die Lautsprecheransagen in Magdeburg. Wir danken für Ihre Reise mit der Deutschen Bahn.“ In Magdeburg strömten die Wolfsburgpendler zu den Türen und hielten ihre Köpfe raus, nach Informationen über Anschlüsse lechzend. Doch der einzige Anschluss der angesagt wurde, war der Regionalzug am Nachbargleis Richtung Frankfurt/Oder über: Berlin.

Hieß: Der Zug nach Wolfsburg war abgefahren. Warten auf 300 Pendler schien der Transportleitung unnötig. Die 300 Pendler darüber zu informieren auch.

Reisendeninformationen

Wir waren im informationstechnischen Nirgendwo. Das, obwohl die Bahn am Potsdamer Platz ein großes Projekt „Reisendeninformationen“ betreibt. Aber die Leute dort beschäftigen sich -fern vom Gleis- mehr mit WLAN Hotspots in Fernzügen als mit der Versorgung mitgenommener Pendler mit Reisendeninformationen.

Unser Zugchef hatte nicht nur keine aktuellen Anschlussinformationen. Er hatte auch keine  Fahrplaninformationen über Anschlüsse auf dieser umgeleiteten Strecke. Im Zug lagen nur die alten  Faltblätter aus, die nicht mehr gelten.

In Braunschweig

Hier hatten wir dann mehr Glück. Unser ICE hatte soviel Verspätung herausgefahren, dass wir den nächsten Regionalzug nach Wolfsburg passend erreichten.

Aber auch das muss man erlebt haben: Neben Hannover ist Braunschweig die Stadt aus der die meisten Menschen nach Wolfsburg pendlen. Es sind tausende. Aber die Bahn stellt hier einen zweiteiligen Schienenbus auf einer eingleisigen Strecke bereit, den dieser sich mit entgegenkommenden ICEs teilt. Der Schienenbus ist hoffnungslos überfüllt. Nicht nur mit Berufspendlern, sondern auch vielen Berufsschülern bzw. Auszubildenden.

Wenn die Sonne auf diesen unklimatisierten Schienenbus scheint wird es hier drin richtig ungemütlich. Fenster kann man nicht öffnen. „Komforteinbußen“ nennt Ulrich Homburg in Talkshows solche Zumutungen.

Ausgelaugt ankommen

Die Fahrt dauert 30 Minuten, wir steigen in Fallersleben um und nutzen von hier einen Bus. Als wir in Wolfsburg ankommen haben wir fast vergessen, warum wir überhaupt hier sind. Wir fühlen uns gerädert und übermüdet. Aber der Arbeitstag liegt noch vor uns. Dreieinhalb Stunden haben wir gebraucht. Zurück kann es noch länger dauern. Bis dahin beobachten wir mit einem Auge die Bahnwebsite und bekommen wir Angebote von entnervten „Werksfahrern“, die längst aufs Auto umgestiegen sind.

Ich entscheide mich trotzdem, auch zurück mit der Bahn zu fahren, denn im Zug kann ich immerhin arbeiten. Denke ich und ahne nicht, dass ich wieder eine falsche Annahme treffe.

Auf der Rückfahrt erleben wir am Hbf Braunschweig erstmal 45 Minuten Verspätung. Ankommt ein ICE aus Köln, der mal ein aus zwei Zugteilen bestand. Eine Hälfte wurde wohl unterwegs aufgerieben, jetzt verteilen sich die Passagiere auf die verbliebene. In den Gängen sitzen bereits -pro Waggon- 20 Leute auf dem Boden. Uns bleiben die Stehplätze in den Übergängen. Es ist so warm und stickig, dass wir beschließen, in Magdeburg wieder auszusteigen, denn dort hält zeitgleich wieder der Regionalzug nach Frankfurt Oder - angeblich am selben Bahnsteig.

Doch als wir ankommen, fährt er ab.

Unterwegs im Güterwagen

Wir bleiben stehen. Schweißperlen rinnen, Ärmel werden hochgekrempelt. Eine Schaffnerin drängelt sich durch mit einem Serviertablet vom Speisewagen in die 1. Klasse.  1. Klasse haben mein Kollege und ich auch, aber wir stehen nicht mal erstklassig. Für die Bahn sind wir nur Fracht. Immer gewesen. Es scheint in die DNA eingewebt zu sein. Wir müssen Platz machen, aufstehen, zusammenrücken, damit der Umsatz mit dem Speisewagen nicht unter den Zumutungen uns gegenüber leidet.

Man ermattet äußerlich, wenn man so transportiert wird. Innerlich regt sich immer noch Widerstand. Mir fallen böse Bilder ein. Ich erinnere mich an den „Zug der Erinnerung“. An die Bilder von Güterwagen, die die damaligen Manager der Reichsbahn so kalkuliert hatten, dass der Umsatz maximal und die Kosten minimal waren. Die Bahn knöpft den Initiatoren des Erinnerungszuges Gebühren für Gleise und Bahnhöfe ab. Muss man mehr wissen über das Selbstverständnis der Herren Homburg, Huber, Grube und Co. um ihr Verhalten auch uns gegenüber zu verstehen?
Ja natürlich ist diese Anspielung krass und viele werden es unpassend finden. Was ich meine ist, mir ist das Menschenbild der Bahnvorstände klarer geworden. Dass der Blick der Personenverkehrsvorstände auf die Passagiere der gleiche ist, wie der des Güterverkehrvorstandes auf seine Fracht. Es geht nur um Profit. Abgesichert durch die Eisenbahnversordnung, die bereits 1938 die Transportierten mit minimalen Rechten versehen hat.

Siemens

In der Zeitung lese ich, dass sich Ulrich Homburg über Siemens aufgeregt hat, weil die auf einer Veranstaltung Zugwartung als Dienstleistung angeboten haben. Die WELT schreibt (Link):
Die Bahn fühlt sich nun düpiert. "Das würde bedeuten, wir tun nicht alles, um unsere Züge ordentlich in Schuss zu halten. Oder wir sind zu blöd dazu", grollt Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg.
So viel Reflexionsvermögen ist man von Ulrich Homburg gar nicht gewöhnt. Zum Thema Klimaanlagen gibt er zum besten (Tagesspiegel):
„Die Klimaanlagen verhalten sich so, wie wir es erwartet haben“, bekennt vielsagend Ulrich Homburg, Personenverkehrs-Vorstand der Deutschen Bahn.
Homburg erklärt den Ausfall der Klimaanlagen mit deren Alter. Dass er dafür verantwortlich ist, ist jedem klar außer ihm. Dass die Prüfintervalle verkürzt und die Zulassung der immer komplizierter werdenden Anforderungen des Vorstands an die Züge immer langwieriger werden, auch das verantwortet allein Ulrich Homburg. Wer vor einem Börsengang auf Verschleiß fährt muss sich nicht wundern, wenn ihm anschließend auf die Finger gehauen wird.

Wir Pendler grübeln intensiv über Alternativen. Der Wohnungsmarkt in Wolfsburg ist leergefegt, Braunschweig ist nicht billig. Herziehen wollen wir nicht, und wenn dann nur ein Zimmer. Aber nicht ab 400 EUR.

Das Auto als Alternative

Oder der Umstieg aufs Auto? Leben wir nicht von Autos? Wir können uns so organisieren, dass wir mit Kollegen fahren, mit denen wir eh oft zu tun habe. Besprechungen im Auto. Statt Emails über WLAN im Zug. Oder Telefonate mit Mithörern.

Man verfährt pro Auto für die 500 km hin und zurück 50 Liter Sprit. 80 EUR. Zu dritt sind das 27 EURO, zu viert 20 EUR pro Kopf. Zuzüglich Öl und Wartung.

Es wird Zeit, dass wir eine solche Mitfahrerbörse im Intranet organisieren!

Montag, 10. Juni 2013

Hauptsache Wittenberge geht's gut

Was soll dieser Hype um Wittenberge? Ist diese Stadt mehr wert als andere? Flussaufwärts haben einige ganz schöne Opfer gebracht. Manche freiwillig, manche unfreiwillig. Dammbrüche, Polder, Havelrückstauung. Andere Städte wie Rathenow kommen ins Zittern, obwohl sie mit der Elbe überhaupt nichts zu tun haben.

Was Wittenberge auszeichnet: Gestern wurde klar, dass ihr Deich zu niedrig ist. Deshalb erfolgte mal eben ein Aufruf nach Berlin Freiwillige zum Sandsackpacken zu schicken. Leider konnten wir dem nicht folgen, weil wir -wieder mal- von einem Radrennen eingesperrt waren.

Merkel, Platzeck, Kamerateams, Sondersendungen. Hauptsache Wittenberge geht's gut..

Samstag, 8. Juni 2013

"You still know nothing 'bout me"


"Run my name through your computer
Mention me in passing to your college tutor
Check my records, check my facts
Check if I paid my income tax
Pore over everything in my C.V.
But you'll still know nothing 'bout me
You'll still know nothing 'bout me"
Sting




Kennen Sie jemanden, den die Behörden im Rahmen von Zensus 2011 persönlich befragen mussten? Sehen Sie. 


Ein Prisma als Veranschaulichung für das Potenzial von Datenanalysen habe ich schon vor zehn Jahren bei IBM verwendet. Allerdings nicht für staatliches Handeln. Man beobachtet das Kundenverhalten, erkennt Muster, bildet Kategorien. Das Ziel ist, jedem das anzubieten, was er typischerweise kauft:  Das bekannte "Kunden, die A gekauft haben, kauften auch B." erfordert schon eine konkrete Vorauswahl des Kunden. Die Kunst ist, ihn anhand seines Verhaltens einzuschätzen, bevor er etwas in den Einkaufskorb gelegt hat. Eine Art Rasterfahndung im Marketing.


Solche Analysen und Datenbankabfragen brauchen jedoch immer eine Suchrichtung. Sie beantworten Fragen, die man selbst stellt. Was Geheimdienste jedoch am liebsten hätten ist, den Computer auch die Frage formulieren zu lassen: "Nach welchem Verhaltensmuster muss ich denn suchen?" Auch dafür gibt es längst Ansätze. Riskant wird es, wenn die Verantwortung für die Rasterfahndung an die Algorithmen übergeben wird und man glaubt, an der Intelligenz der Analysten sparen zu können. Dann  entstehen die Horrosszenarien aus der Science Fiction: Ein falscher Schritt und man gerät in eine Nummer, aus der man nicht mehr herauskommt. Denn das System irrt sich nicht..

Samstag, 1. Juni 2013

"Zug der Erinnerung" in Wolfsburg und Berlin

Die Deportationsverbrechen der Nazis wären ohne die leistungsfähige Informationstechnik von Hollerith bzw. IBM und die Logistik der Reichsbahn nicht möglich gewesen. Die Millionen von Opfern wurden durch die Verschneidung von Personendaten aus Meldeämtern und Kirchenbüchern identifiziert. In den Güterwaggons der Bahn wurden sie abtransportiert.

Drei Tage in verschlossenen Güterwagen. Stehplätze. Keine Toiletten. Im Sommer brütende Hitze, weil man kein Fenster öffnen kann. Im Winter klirrende Kälte ohne Heizung. Die Menschen wurden als "Fracht" betrachtet, mit der man halt Geld verdient. Und zwar um so mehr, je enger man sie zusammenpfercht. Das sind die Regeln der Bahnwirtschaft.

Vorgestern hielt der "Zug der Erinnerung" am Hbf Wolfsburg. Mit dem VW-Werk im Hintergrund ergab das ein historisches Bild. Thema der Ausstellung in den Waggons sind die "Kinder von Westerbok"in Holland. Von dort deportierte die Bahn vor 70 Jahren Kinder ins Vernichtungslager Sobibor.

Wer meint, dass der Bahnvorstand selbst hier an die Wurzeln seines Geschäftes erinnert, irrt. Das überlässt sie Privaten. Stattdessen verdient sie lieber Geld an ihnen. Für die Benutzung von Gleisen und Bahnhöfen verlangen die Herren Grube, Kefer, Homburg und Co. von dem gemeinnützigen Verein jährlich 10.000 EUR. Man ist von diesen Herren Kaltschnäuzigkeit bei ihren täglichen Zumutungen an Pendler und Reisende gewöhnt. Aber das hier ist und bleibt ein ganz besonderer Skandal.

An diesem Wochenende macht der Zug der Erinnerung Halt am Berliner Hbf. Am 4. Juni steht er am Bf Friedrichstrasse.

Informationen: Zug der Erinnerung e. V.