Bei uns geht es seit Anfang diesen Jahres in die Vollen. Prozesse, Methoden und Tools (IT-Systeme) sollen programmartig geplant und implementiert werden. Nicht mehr isoliert jeder kämpft für seins. Schnittstellen sollen an beiden Enden synchron finanziert und umgesetzt werden. Was wir eine Selbstverständlichkeit anmutet, ist für unsere Organisation eine kleine Revolution.
Bis vor kurzem waren dafür noch "ehrenamtliche" Fachkoordinatoren verantwortlich, die sich Zeit und Einsatz dafür von ihrer Kapa fürs eigene Projekt abknappsen mussten. Unsere Chefs sahen es aber nie gerne, wenn wir für eine Sache arbeiteten, die nicht nur ihnen selbst sondern ein bisschen auch anderen nützte. Wie oft hatte ich versucht, sie vom Sinn einer Programmplanung zu überzeugen. Wie oft versucht, Tools und Prozesse Hand in Hand anzugehen und dafür auch die Aufmerksamkeit unserer Bereichsleitung zu wecken? Es war ein mühseliges Geschäft.
Jetzt hat der Vorstand erkannt: Das ändert sich nur, wenn wir die HALs und ALs selbst in die Programmleitungen setzen. Gleichzeitig führen wir mehrere neue Vorgehensweisen ein, die in anderen Industrien seit Jahren und Jahrzehnten etabliert sind: Systems Engineering und das Scaled Agile Framework.
Ich zog mit in die Programmleitung einer der Fachdomänen mit ein. Da die Herren aber sogleich mit der Absicherung ihrer Macht und weniger mit dem Verständnisaufbau wie es künftig gehen soll, beschäftigt waren, blieb die fachliche Arbeit sogleich bei genau einem Mitglied der Fachdomäne liegen: Bei mir.
Und während ich mich durch den Parcour der Planungsrunde mühte und die sich umorganisierende IT gleich mit vertrat, überlegte es sich der Vorstand noch einmal anders. Vor kurzem verkündete er sein ORG Chart 2.0 und dazu auch gleich noch eine Liste gesetzter Tools, die wir bitte mit in die Planungsrunde zu nehmen hätten. Unser Finanzvorstand begleitete diese Mehrbedarfe parallel mit einer Budgetkürzung.
Vorige Woche kam dann unsere Fachdomänenleitung zu dem Schluss, dass es für sie jetzt langsam ernst würde. Bald würden sie ihre neuen Organisationsrollen aufnehmen und vor allem spielen müssen. Unruhe machte sich breit. Und sie suchten Hilfe: Und anstatt zum ersten Mal ihre eigenen Fachleute einzubinden engagierten sie Unternehmensberater. Als die ihnen klar machten, was sie künftig können müssten, reagierten sie noch einmal: Jetzt suchen sie Mitarbeiter, an die sie die Sache delegieren können. Wohlgemerkt nur die Arbeit, nicht die Entscheidung und nicht ihre Vergütung.
Wer für solche Leiter arbeitet, setzt nicht einfach Aufträge um. Er erklärt den Leitenden zuerst, worum es überhaupt geht. Erarbeitet dann Powerpointfolien mit Umsetzungsvorschlägen und läuft tagelang hinter diesen Leitenden für die Freigabe her. Und dann macht er sich an die Arbeit. Und sucht seine Pendants in den anderen Konzernmarken - wo ähnliches stattfindet. Am Ende haben wir die gleiche Organisation wie immer: Gremien, Regeltermine, Anträge, Freigaben und ein Ausmaß an Delegation, bei der die Führungskräfte am Ende glauben, nicht einmal verstehen zu müssen, was sie an ihre Mitarbeiter delegieren.
Lustig, wenn man dann am Wochenende wieder Artikel über die Digitalisierung in Deutschland liest, in denen Manager und Politiker betonen, dass dies ganz wichtige Themen in der "Transformation" seien...