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Dienstag, 28. Mai 2024

Gibt es ein erhöhtes Risiko eines Atomkrieges?

Moritz Kütt, Friedensforscher an der Uni Hamburg, sieht im NDR Interview folgende Gründe GEGEN die Zündung einer Atombombe durch Russland:

  • Kaum militärische Vorteile für Russland. 
  • Gefährdung eigener Soldaten, 
  • Zerstörung und Verseuchung von Land, das man annektieren will, 
  • Risiko von Verwehung von Fallout ins eigene Land. 
Er unterscheidet taktische und strategische Atomwaffen nicht nach technischer Ausführung. "Technisch sind da keine Unterschiede. Die Zweckbindung erfolgt nur durch die militärische Führung."

Er sagt auch, Einsatzvorbereitungen im großen Stil würde von Überwachungssatelliten erkannt werden. Die Vorbereitung einzelner Waffen eventuell nicht.

Für eine Einschätzung der Zerstörung der Nuklear Radare (weitreichender, hochauflösender Radarfelder im russischen Hinterland) kam das Interview leider zu früh.

Deshalb eine vorsichtige Einschätzung von mir: Konzeptionell gerät das Gleichgewicht des Schreckens in Schieflage wenn einer Seite die Fähigkeit zur Früherkennung von Angriffen der Gegenseite fehlt. Das könnte die "existenzielle Bedrohung" heraufbeschwören, die die russische Nukleardoktrin bereits zum Anlass für einen nuklearen Erstschlag als "Reaktion" vorsieht.

Allerdings wissen wir nicht, wie stark die Zerstörung ist und wie schnell die Radare repariert werden können. Daraus würde sich ggf. ein begrenztes Zeitfenster ergeben, das der Gegner (die NATO) ausnutzen könnte. Ich hoffe, dass das rote Telefon schon in Betrieb ist, um eine Eskalation zu verhindern.. Denn hier steht nicht ein Atombombeneinsatz in der Ukraine in Rede, sondern ein Präventivschlag gegen die NATO.

Sonntag, 19. Mai 2024

Zeitleiste Russland und NATO 1987 - 2019 (INF Kündigung)

Zum Verständnisaufbau "wann änderte Putin warum seine Politik?" soll folgende Zeitleiste dienen. Wichtige Ergänzungen gerne in den Kommentaren.

1987: Abschluss INF Vertrag (Abrüstung konventioneller und nuklearer Mittelstreckenraketen 500-5.500km Reichweite)

1988: Sowjetische SS12 Raketen, die 1984 stationiert worden waren, werden aus der Königsbrucker Heide bei Bischofswerda (Sachsen) zur Verschrottung nach Kasachstan abtransportiert.

1989: Mauerfall

1990: Deutsche Wiedervereinigung unter den Bedingungen des 2+4 Vertrages.

1991: Demontage der letzten Mittelstreckenrakete gemäß INF. Darüber hinaus beginnen Bush und Gorbatschow mit einseitigen Abrüstungen taktischer Atomwaffen ("Präsidenteninitiative"). USA: Abzug landgestützter Kurzstreckenraketen und Cruise Missiles. Boris Jelzin führt von Gorbatschow begonnene Initiative fort.

1992: GUS-Staaten werden Rechtsnachfolger für sowjetische Mittelstreckenraketen auf ihren Territorien. Im Lissaboner Protokoll bekunden Kasachstan, Ukraine und Weißrussland ihre Absicht, diese an Russland zurück zu geben.

1993: Die Ukraine nennt immer mehr Bedingungen für die Rückgabe ihrer Nuklearwaffen und Verschrottung ihrer Trägersysteme: Sicherheitsgarantien von Russland und USA, finanzielle Kompensation für die Rückgabe.

1994: Budapester Memorandum (Quelle) im Rahmen der Umgestaltung der OSZE zur KSZE. Russland, USA und England geben Kasachstan, Ukraine und Weißrussland Sicherheitsgarantien gegen nukleare Bedrohungen für deren Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag. Die drei GUS Staaten liefern die "geerbten" Nuklearwaffen an Russland ab. Für sie selbst waren sie nicht nutzbar, da Russland exklusiv über die Freischaltcodes verfügte. Frankreich und China geben den drei GUS Staaten eigene Sicherheitsgarantien.

Die letzten russischen Truppen verlassen deutschen Boden.

1996: Die Auslieferung der Nuklearwaffen an Russland ist umgesetzt. Die russische Duma unterzeichnet das Memorandum nie und bezeichnet es als "Absichtserklärung". 10 Jahre später kommt eine Diskussion über die Rechtsverbindlichkeit des "Memorandums" in Gang.

1999: USA beschließen neues Raketenabwehrsystem gegen ballistische Interkontinentalraketen ("National Missile Defense"). Stationierungsorte sollen u. a. auch Polen und Tschechien sein.

2000: Putin löst Jelzin ab.

2001: Ende der weiteren gegenseitigen Überwachung. INF vollständig umgesetzt. Ukraine setzt ihre Verpflichtungen aus dem Budapester Memorandum vollständig um.

2004: Russland (Verteidigungsminister Iwanow) erklärt Wille, aus dem INF-Vertrag auszusteigen.

2006: Gasstreit zwischen Russland und Ukraine. Die Ukraine ruft die Unterzeichner des Memorandums an, ihre Sicherheitsgarantien in Anspruch nehmen zu wollen.

2007: Die USA testen erfolgreich NMD Umsetzung. Putin erklärt INF Vertrag für obsolet da neue Nuklearmächte nicht an ihn gebunden sind.

2008: Russland testet in der Nähe von Wolgograd neue Marschflugkörper.

2009: Barack Obama erklärt Verzicht auf NMD Standorte Polen und Tschechien (wohl im Zuge seiner Neufokussierung von Europa in Richtung Pazifik). Putin lobt ihn dafür. Russland und die USA erneuern ihre Sicherheitsgarantien für die Ukraine auch über das Auslaufen des START-Vertrages hinaus.

2011: Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien. Der vom Westen unterstützte "Arabische Frühling" greift auf Syrien über, wo er russische Interessen berührt. Er will ein Chaos wie es im arabisch geprägten Nordafrika nach dem Sturz der dortigen Diktaturen (und dem tlw. Ersatz durch Islamisten) entstanden ist, und der EU die unkontrollierte Masseneinwanderung beschert hat, an der eigenen Südflanke vermeiden. Deshalb unterstützt er den Diktator Assad. Die USA mischen dort mit, um eine islamistische Oberhand durch den Iran zu vermeiden. Syrien ist seitdem der der erste Stellvertreterkrieg in unserer Sicherheitssphäre.

2014: Russland annektiert die Krim. England und die USA, die UNO und Deutschland werten dies als Verstoß des Budapester Memorandums. Russland kontert den Vorwurf, England und USA würden das Memorandum durch ihre Einmischung in ukrainische Angelegenheiten und damit deren Integrität verletzten.

2017: Die NYT berichtet über zwei neue russische Bataillone mit Marschflugkörpern und wertet dies als Verletzung des INF Vertrages.

2019: Die USA kündigen den INF-Vertrag. Kurz darauf auch Russland. Seitdem können Russland und die USA wieder landgestützte atomare Mittelstreckenwaffen stationieren.

2022: Putin marschiert in die Ukraine ein. Neben Syrien ist sie damit der zweite Schauplatz (engl.: "Theatre") für einen Stellvertreterkrieg in unserer Sicherheitssphäre.



Mittwoch, 1. Mai 2024

Wie viel ist der NATO Artikel 5 im Kriegsfall wert?

Die NATO Mitglieder kriegen nicht einmal die Versorgung der Ukraine mit Munition hin. Wie soll da im "Verteidigungsfall" der Artikel 5 funktionieren? 

"Artikel 5 
Die Parteien vereinbaren, daß ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, daß im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Vor jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten." 

Ob die NATO auf den Angriff eines ihrer Mitglieder mit Gesprächen oder Waffen reagiert, steht also überhaupt nicht fest. Sondern wird erst dann diskutiert und beschlossen werden. 

Wir haben schon im Februar 2022 gesehen, wie unterschiedlich die Bewertungen der NATO Mitglieder für die russische Invasion waren. Je weiter weg von der Front desto entspannter die Einschätzung und unwilliger die Haltung zu einer Reaktion. 

Sind wir mit dieser Erfahrung nicht zurückgeworfen auf die Landkarte? Hängt nicht das Schicksal jedes europäischen Landes jetzt vor allem davon ab, wo es geographisch liegt? Und werden sich daraus wieder neue Bündnisse ergeben, die nicht so schwerfällig und groß wie die NATO sind? Ein Bündnis im Baltikum, als direkte Frontstaaten. Ein weiteres von den Ostseeanrainern. Und noch eines im westlichen Kontinentaleeuropa. Man kann davon ausgehen, dass sich die europäischen Länder nicht gegenseitig angreifen werden. Aber ihre Solidaritätsbereitschaft stelle ich mal dahin. 

Im Krieg zählt der Raum. Der Abstand. Die Flugzeiten der Waffen, die die verfügbare Zeit für eine Reaktion bemessen. Man kann die jüngere europäische Geschichte auch anders lesen, rein geographisch. Deutschlands Einigungskriege zur Reichsgründung waren ein Sieg Preußens über west- und süddeutsche Länder und den Rauswurf Österreichs für die preußische Dominanz. Die Wiedervereinigung 1989 lief umgekehrt: West- und süddeutsche Länder übernahmen das Erbe, dass die Kommunisten aus Preußen gemacht hatten. Preußen ist bis heute erledigt. Sachsen muckt immer noch auf. Und der Südwesten opfert seine Assets gerade einer evangelisch-ökologischer Ideologie, die jetzt - da ihre Entmachtung droht, zu den Waffen ruft. Alles andere ist wie immer: Russland ist einfach "da" und jede Außenpolitik eines europäischen Landes muss sich zu ihm positionieren. 

Wenn diese Positionen aber in Gruppen zerfallen ist auch der Raum für neue Spielchen eröffnet. Der hintere Westen wird die Frontstaaten als seine Bauern betrachten. Frankreich sieht sich als Dame mit Nuklearmacht und Deutschland darf die Rolle des Königs annehmen. Also dessen, der alles bezahlt, der aber selbst nur ein Kästchen weiterrücken kann. Diese Erkenntnis läuft m. E. gerade. 

Dennoch braucht Europa eine gemeinsame militärische Aufstellung. Die Luftverteidigung muss an der Front stehen. Russische Bomber, Marschflugkörper und Raketen müssen vorne abgefangen werden. Dahinter liegt die 2. Verteidigungslinie. Und durch Deutschland geht die 3. Linie. Aber diese Architektur entsteht nicht durch bilaterale Absprachen, wie derzeit bei der tschechischen Initiative zur Einsammlung von Munition für die Ukraine. Es braucht eine zentrale Planung, die den NATO-Mitgliedern Aufträge und Ressourcen zuweist. Und es braucht mehr Verbindlichkeit als heute im Artikel 5 steht. Es muss einen Plan geben, wie man zumindest auf einen ersten Angriff Russlands auf ein NATO-Mitglied reagieren wird. Danach wird jeder Plan ohnehin hinfällig. Bei richtiger Aufstellung sind wir Russland überlegen. Als dekadenter Verein, in dem im Ernstfall jeder zunächst mal an sich denkt, können wir durch schnelle Kriegsführung überrumpelt werden.