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Freitag, 19. März 2021

"Ich bin der Ich-bin."

"Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser."

"Ich bin der Ich-bin."

"Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab."

Alle drei Zitate stammen aus der Bibel und sie beziehen sich auf das Gegenstück der materiellen Welt: die geistige Welt. Die Welt der Information, der Deutung und des Bewusstseins.

Ich deute es wie folgt auf meine Weise: 

"Ich bin der Ich-bin" beschreibt das Bewusstsein eines Selbst. Also etwa: Ich bin der, der sich seiner selbst bewusst ist.

Das ist aber gerade gleich meiner Beschreibung von Selbst-Bewusstsein, nach der wir Subjekte uns ein Bild von der Welt machen, ein Modell, in dem wir selbst auch enthalten sind. Die Modellierung der Welt wird zum Selbst-Bewusstsein, sobald das modellierende Subjekt in seinem Modell selbst vorkommt.

Somit hat aus meiner Sicht der Autor der Genesis beschrieben:

  1. Dass der Geist das wesentliche Merkmal Gottes ist.
  2. Dass Gott seine Präsenz in jedem Menschen mit der Figur des im eigenen Denken vorkommenden Selbst verschlüsselt.
Für mich folgt daraus: Gott bzw. Jahweh, ist kein eigenes Subjekt, sondern ein Prinzip, das jedem Wesen innewohnt, das ein Bewusstsein seiner selbst hat. 

Das worauf wir zeigen, wenn man uns fragt, wo unser ich sitzt, ist der Sitz des Geistes, der einem göttlichen Prinzip folgt.

Ich wende aber ein: Wenn wir alle dieses Prinzip verkörpern, bedarf es dann noch einer göttlichen Instanz um es zu erklären?



Sonntag, 23. Februar 2020

Richard Feynman und wie er die Quantenphysik sah

Wenn Sie glauben, Sie verstehen die Quantentheorie... dann verstehen Sie die Quantentheorie nicht.
Richard Feynman (Physiker)

Dieses Zitat habe ich bei Richard Dawkins gefunden. In dem Zusammenhang erklärt er einen wichtigen Unterschied zwischen Wissenschaft und Technologie aus Sicht unserer Sinneswahrnehmung und unseres Verständnisses der Welt - man könnte auch sagen: unserer inneren Modellierung der Welt. Demnach haben wir die großen wissenschaftlichen Erkenntnisse anfangs kaum verstanden. Weil sie kontraintuitiv waren. Dies wiederum, weil unsere Sinneswahrnehmung der physischen Welt einen kleineren Schlitz vom Gesamtspektrum darstellt als die Sehschlitze einer Burka oder Ku-Klux-Klan Umhangs von der sichtbaren Welt erfassen..
Wissenschaft tut -anders als Technologie- dem gesunden Menschenverstand ganz allgemein Gewalt an.
Richard Dawkins

Manche Erkenntnisse wollen wir aber auch nicht wahrhaben, weil sie unseren Interessen und Absichten widersprechen. So erinnere ich mich an eine tiefgehende Enttäuschung im Physik-Leistungskurs. Wir lernten, dass Atome ganz überwiegend aus leerem (im materiellen Sinne) Raum bestehen. Und dass das was wir als Körper und als Berührung eines Körpers wahrnehmen, nicht dem Stofflichen dieses Körpers entspricht, sondern den Feldkräften, die in ihm und um ihn herum wirken. Ich stellte mir also vor, dass ich meine Freundin niemals wirklich berühre. Sondern nur erlebe, wie die Elektronen auf den Außenbahnen ihrer Hautatome die Elektronen um meine Hautatome abstoßen.. Als ich das meinen damaligen Freunden zu erklären versuchte, lachten sie nur. Ich interpretierte ihr Lachen als "selbst Schuld, wenn Du Dich so sehr um Aufklärung bemühst".

Ich erinnere mich auch, wie ich in einer anderen Physikstunde über Wahrscheinlichkeitswellen mit meinem Banknachbarn über die Interpretation von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten diskutierten. Er war ein Einserkandidat, ich ein Zweierkandidat. Er fand die Interpretation in unsere Erfahrungswelt gar nicht so wichtig, er nahm sie rein mathematisch. Mir aber war Verständnis einer Sache Bedingung für die Akzeptanz einer Sache. Und ich fragte unseren Lehrer, ob man sagen könne. Wahrscheinlichkeit sei hier nur die Projektion eines Gruppenverhaltens auf ein Element dieser Gruppe. Das bejahte er, ergänzte aber auch: "Wir verstehen die wenigsten Dinge von der Physik. Wir gewöhnen uns nur an sie, halten das aber für Verständnis."

Diese "Erkenntnis" über die menschliche Aufnahmefähigkeit von der Welt nahm ich wiederum mit in meinen Philosophiekurs und konfrontierte uns dort damit. Ich erinnere mich grob daran, dass unser bester Schüler in dem Kurs eine bessere Antwort parat hatte als unser Lehrer. (Daran erkannte ich den Unterschied zwischen Philosophieren und der bloßen Wiedergabe der Philosophien anderer Leute.."

Mit solchen Themen kann man gute Abende bei einem Bier oder zwei verbringen. Aber es zeigt auch, wie viel Arbeit wissenschaftliche Erkenntnis ist. Und selbst wenn man wissenschaftliche Daten in einer Qualität hat, die einem genügen, ist die Interpretation der zugehörigen Mathematik ein großer zweiter Schritt.

Oft dachte ich, wie gut dass ich in dieser Zeit lebe, wo wir die wichtigsten Erkenntnisse alle schon haben. Man kann rückwirkend über die Verteidigungskämpfe von Kirchen und Fürsten lächeln. Dass sie nicht hinnehmen wollten, dass die Erde eine rotierende Kugel ist und sich um die Sonne dreht. "Woran hätten sie die Wahrheit erkennen sollen - sie ist ja kontraintuitiv? Wie hätte eine Erfahrung sein sollen, die die Erde rotieren und um die Sonne ziehen lässt?" zitiert Dawkins die alten Philosophen. Und sagt, dass es dazu keine Antwort gab weil wir keine entsprechende Sinneswahrnehmung haben.
Also dazu hätte ich eine prompte Antwort gehabt: Daran, dass wir weder Fahrtwind noch eine Beschleunigung spüren, hätte ich "erkannt", dass die Erde nicht rotiert oder um die Sonne läuft. Wenn ich im Auto oder im Bus eine Kurve fahre, bemerke ich einen kleinen ausgleichenden Wind. Ich hätte das also auch von einer fahrenden und rotierenden Erde erwartet..
Dawkins sagt, der wandernde Sternenhimmel sei ein weiterer Hinweis auf die Rotation der Erde  gewesen. Aber deren Deutung lag wiederum in der Hoheit der Mächtigen...

So wie heute das Klima. Auch hier bin ich mir ganz sicher: in nur wenigen Jahren werden wir die heutige Hysterie nicht mehr verstehen. Wir werden sie als Symptom der westlichen Dekadenz deuten. Einer Gesellschaft, die an sich selbst satt geworden war. Die verhätschelt, verwöhnt, überfüttert wurde vom Wohlstand, den ihre Väter und Großväter begründet hatten. Die sich neuen Faschisten unterwarf, die -wie früher die Hexen- Andersdenkende für das Wetter, für verhagelte Ernten und Überschwemmungen verantwortlich machen wird.

Ich bin einerseits froh, den Höhepunkt der freiheitlichen Welt miterlebt zu haben. Aber ich bin ratlos und weiß noch nicht wohin, angesichts unseres sich abzeichnenden kulturellen Niedergangs.

Montag, 5. November 2018

Novemberspaziergang

Der 9. November ist ja in unserer Geschichte mehrfach belegt. Etwas aus dem Blick geraten ist uns der Matrosenaufstand von 1918. Die Deutschen waren kriegsmüde und ihrer unfähig-großmäuligen Herrschaft überdrüssig bis zum Exzess (klingt vertraut?).
Die OHL hatte Kaiser und Volk lange hingehalten und die drohende Kriegsniederlage verheimlicht ("Wir schaffen das.").


Als sie es dann doch nicht schaffte, empfahl sie dem Kaiser, die Regierung dem Parlament zu übertragen. Aus dem "Wir schaffen das." wird schnell ein "Ihr schafft das." Ein "Wir haben jetzt keine Zeit für lange Debatten." denn "Sie sind jetzt nun mal hier.".


Ludendorff, der sich im Feld verzockt hatte, lenkte den Kanzler zu Friedensverhandlungen und distanzierte sich später von dessen Taten. Er wähnte sich vor anderen "im Felde unbesiegt" so wie Merkel heute nicht weiß "was ich ändern sollte".

So sind sie und so waren sie schon immer, die Staatsmänner und -frauen, die ihr Volk zu opfern bereit sind, um in die Geschichte einzugehen: Großmäulig, pflichtscheu und verräterisch.
Reichspräsident Ebert war übrigens aus dem gleichen Holz geschnitzt: Immer zum Verrat bereit, wenn es der Gunst durch die hohen Herren dienen könnte.



Zurück zum Matrosenaufstand: Der britische Philosoph Thomas Hobbes entwickelte die Theorie des "Naturrechts auf Selbsterhaltung". Ob sich die Kieler Matrosen und Arbeiter auf ihn beriefen, weiß ich nicht. Aber sie lebten seine Theorie.

Und wir könnten es heute auch, wenn ich mir Merkels Politik so anschaue.. Aber vielleicht müssen wir erst noch ein bisschen Material anlegen.

Dienstag, 27. März 2018

Grüne Woche...

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat auf Twitter ein paar gute Frage gestellt:


Derzeit kompensieren sehr viele ungebildete, aber dennoch ambitionierte, Menschen ihre mangelnden Fähigkeiten mit Moral und bezichtigen jeden Meinungsabweichler als verkappten Rassisten. "Rassismus" ist sozusagen der Orkus, auf den sie jede Diskussion hinlenken: Der Grund für Deine abweichende Meinung ist am Ende, dass Du ein Rassist bist.

Die Welt in Rassen zu denken, wie es sog. Antirassisten tun, ist an sich bereits Rassismus. Denn wir sind alle von der Gattung Homo Sapiens. Eher schon ist es Rassismus, Tiere auszurotten. Oder was unsere Urahnen taten, als sie den Neandertaler ausrotteten.

Wir müssen nicht über unseren Umgang mit Außerirdischen phantasieren um das erregende Gefühl einer Begegnung der "dritten Art" zu bekommen. Es genügt eigentlich schon die Vorstellung, ein Neandertaler würde an unsere Tür klopfen und Einlass begehren.

Was hätte Jesus mit ihm gemacht? Hätte er auch ihm gepredigt? Wie hätte er ihm Gottes Liebe zum Menschen erklärt? Oder hätte er ihn einbezogen ins Mensch sein?

Dawkins Frage finde ich sehr gut, weil sie eine der vielen Annahmen von Religionen sichtbar macht: Dass nur der Mensch eine Seele habe. Oder noch tiefer: Dass es überhaupt so etwas wie Seele gebe und ein Privileg des Menschen sei.

Schon wenn wir diese Frage nicht beantworten können, steht für mich ein Grundpfeiler jeder Religion in Frage. 

Am anderen Ende des Spektrums einer solchen Diskussion (hat der Mensch eine Seele?) steht der Zuspruch, dass auch Tiere eine Seele und ein "Wesen" haben. Diese Position beinhaltet zumindest den Erkenntnisfortschritt, dass Tiere auch ein Empfinden haben, z. B. für Schmerz. 

Da wir ja auf Ostern zulaufen, würde ich das mal so zusammenfassen und reimen: Die Wiederauferstehung können wir alle auf jeden Fall feiern. Denn die Natur da draußen ersteht in jedem Fall wieder auf. Und das mutet zumindest mich jedes Jahr mehr an wie ein Wunder. Der Mensch lebt auch nach seinem Tode (seinem Winter) weiter, wenn er für Nachwuchs gesorgt hat. Denn beim ewigen Leben geht es ja nicht um "uns" sondern unsere Gene - diesen Nachweis hat jedenfalls Richard Dawkins zu führen versucht. Und jetzt schließt sich der Kreis: Wie leben in unseren Kindern weiter (if any..) und wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet Ihr niemals.... und so weiter.



Diese Vorstellung von Ostern, das die Überwindung des Winters feiert ist übrigens an die Jahreszeiten geknüpft. Würde die Erde exakt "gerade" rotieren, gäbe es diese nicht. Wäre sie zu sehr geneigt, würde evtl. kein Lebewesen den polaren Winter überleben. Bzw. nicht über das Stadium von Amöben hinauswachsen können.

Das einfachste ist es, sich Ostern einfach am Anblick der erwachenden Natur zu erfreuen. Und statt Hawkins wieder mal Hesse oder Goethe zu lesen.


Montag, 18. September 2017

Seele und Geist - Konstrukt und Illusion

In the order of appearance: Jorge Luis Borges, Richard Dawikins, Thomas Metzinger, Yuval Noah Harari  und auch (mit Einschränkung) Carlo Strenger- um nur einige zu nennen.

Sie alle analysierten unsere Vorstellungen von Geist und Seele und kamen zu dem Schluss: Da ist nichts. Da ist nicht nur nichts nachweisbar, da ist auch nichts zu postulieren.

Unser "ich" ist ein Konstrukt unseres Gehirns. Ein Modell von der Realität, in dem der Denkende selbst vorkommt. So entsteht die Illusion von Selbstbewusstsein. Viele Erfahrungen oder Beobachtungen, mit denen wir einen "begeisterten" Mensch postulieren, lässt sich ebenso für höher entwickelte (Säuge-)tiere postulieren. Den Strom der Erfahrung, Beobachtung, des Willens, des Strebens nach Vorteil.

Die Seele, die neben oder in unserem Geist wohnen soll und unsterblich sein soll, halten die Genannten auch für eine Illusion. Aber die meisten Menschen halten an ihr fest wie an einem letzten Strohhalm.

Die Konstruktion mehrerer Ichs (Schizophrenie) wird als Geisteskrankheit bezeichnet, oder als intellektuelle Leistung - je nach Blickwinkel. Aber warum soll dann nicht schon das erste Ich eine Konstruktionsleistung sein?

Die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit und der unserer nächsten Verwandten ist zunächst ein Schock. Nach dem Berappeln bewirkt sie plötzlich Freiheitsgefühle. Alles eine Stufe tiefer hängen, nichts ist so wichtig wie der momentane Genuss des Lebens selbst.

Warum nicht den Schritt weitergehen und anerkennen: Da ist auch kein "Ich"? Die relativierende Wirkung dieser Erkenntnis halte ich für genau so befreiend wie die der eigenen Sterblichkeit. Da ist kein "ich" das unbedingt nach optimiertem Glück streben muss und ständig Angst haben muss, eine Optimierung zu verpassen. Da ist auch kein "ich", dass mit Niederlagen fertig werden muss. Schmerz ist schlimm, ja. Verlust ist schlimm. Aber das ich das so denkt ist ein Konstrukt. Und die Seele, die dieses Konstrukt heilig spricht, ist eine Illusion.

Montag, 11. September 2017

Wolfgang Merkel über die moralische Überheblichkeit der Eliten

Diese Radiosendung kann ich weiterempfehlen. Jürgen Wiebicke hatte Wolfgang Merkel vom WZB (Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin) zu Gast. Bitte weiterlesen, auch wenn die Reizworte "Sozial" und "Berlin" darin vorkommen. Jürgen Wiebicke tickt zwar erklärtermaßen auch eher links, will es von der anderen Seite aber wirklich wissen. Deshalb wird in seinen Sendungen offen diskutiert.

Die Stärke von Wolfgang Merkels These ist m. E., dass sie einen unausgesprochenen (weil zensierten) Antagonismus endlich auf den Punkt bringt. Die Frontlinie des unterdrückten öffentlichen Diskurses verläuft zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen. Letzteren Begriff hatte ich öfter gehört, aber nie weiter verfolgt - Merkel hat ihn erklärt.

Kosmopoliten:
- Gut ausgebildet, weit gereist - sich auf beides etwas einbildend.
- Identifizierung über Distinktion von den Identitäten der unteren Schichten: Nation, Kultur.
- Sich den alten Ideologien überlegen gebend.
- Moral als neue Ideologie - Merkel: "Nicht selten eine doppelbödige Moral".
- Nach außen: "No nations, no borders". Privat die eigenen Kinder auf der Privatschule anmeldend.

Kommunitaristen:
- Pragmatischer Politikansatz: Mich interessiert nur, was mich (meine Kommune) betrifft.
- Identifizierung durch Bewusstsein des Unterschiedes zwischen sich selbst und anderen.
- Das eigene Leben selbst in die Hand nehmend, allerdings mit der Betonung auf der Verantwortung für eigene Gruppe. (Die Abgrenzung vom Liberalismus verläuft also an der Grenze, für den der Einzelne primär Verantwortung hat.)

Wolfgang Merkel selbst findet sich in beiden Ansätzen wieder, kritisiert aber vor allem die überhebliche Abgrenzung der Kosmopoliten von den Andersdenkenden - ein in sich widersprüchliches Verhalten, was denen aber nicht auffällt. Indem Sozialdemokraten die Sorgen von Arbeitern und Angestellten ignorierten oder verhöhnten öffneten sie die Türen für Protestbewegungen und -parteien.
Als Liberaler schaut man sich beide an und sagt: Es gibt keine Gesellschaft, auch keine Kommune. Es gibt Individuen und Familie - and that's it (Margaret Thatcher). Mir gefällt an dem Diskurs nur die Klärung der Position, von der aus die frühere Mitte der Bundesrepublik die heutige "Weltelite" kritisiert.

Tiefer will ich nicht gehen. Ich nehme das als Ausgangspunkt künftiger Diskussionen über das vermeintlich "Unaussprechliche" mit. Wer mir mit "Rechtspopulismus" kommt, den hole ich vom Ross.

Link zur Sendung "Radio Philo": WDR
Link zu Wolfgang Merkel: WBZ


Montag, 8. Juni 2015

Die Toskana ist relativ schön

"Some dreams grow old and then they just die."
Jim Kerr

1983 sah ich Folge 8 von Carl Sagan's "Unser Kosmos", die Einsteins Relativitätstheorie anhand eines Erlebnisses in der Toskana erklären wollte. Einstein radelt im Frühling durch die blühende Toskana und stößt an einer Kreuzung fast mit einem Pferdefuhrwerk zusammen. Sie kennen den Rest: Würde er sich mit Lichtgeschwindigkeit auf die Kreuzung zu bewegen, ein Beobachter sähe eine andere Gleichzeitigkeit.. (oder doch nicht? Auflösung in Minute 16.)


Aus: "Cosmos" (ab Minute 10:50 wird's romantisch)

Die Szenen waren von der Kamera so schön eingefangen, dass ich von da an unbedingt mal im Frühjahr in die Toskana wollte. Nicht, um dort mit Pferdefuhrwerken zusammenzustoßen, sondern um durch blühende Landschaften zu wandern oder zu radeln.

Nur 32 Jahre später war es so weit. 30 Lichtjahre sind ja der Mindestabstand für die sichere Beobachtung einer Supernova. Hätte ich am Strand von Scarlino also eine solche am Himmel entdeckt, hätte ich mir keine Sorgen machen müssen.


Stattdessen stießen wir aber auf ganz andere relativistische Dinge. Zum Beispiel gibt es im Europa der zwei Geschwindigkeiten auch zwei Arten von Räumen. Solche mit Mautgebühr und solche ohne. Wir haben mehr als 100 Euro für Vignette, Brennerautobahn und Autostradas ausgegeben. In Deutschland zahlten wir: nix. Man darf also seine eigene Geschwindigkeit nicht zur Lichtgeschwindigkeit addieren, aber man muss seine Mautgebühren zur eigenen Kfz-Steuer addieren. Das ist sozusagen die spezielle Relativitätstheorie der EU-Kommission.


Aber gegeben, dass wir schon dort sind. Was sehe ich da? Genau das, was auch in dem Sagan-Video zu sehen ist: Radfahrer, Pferdefuhrwerke, Landhäuser, Mohn und viele Zypressen auf Hügeln. Aber -wie so oft im Leben- als ich davor stand, war es nicht das was ich erhofft hatte.


Also trat ich einen Schritt zurück und fragte mich, was mich damals an der Fernsehsendung so fasziniert hatte, wenn nicht die Toskana an sich (oder ihr Bild). War es die Vorstellung einer Landschaft, die einen jungen Wissenschaftler inspiriert? War es Sagans Erzählung, war es Einstein?

Statt Einstein hatte ich Montaigne im Gepäck, der inspirierte mich auch. Es hatte wohl nichts mit der Toskana zu tun gehabt. War es das Wort "Toskana"? Die italienische Sprache eignet sich ja zur Anregung unserer Phantasien: Verona, Siena, Toskana - das ist reine Musik.

Oder war es die größenwahnsinnige Reflexion, ich werde später nur durch genügend schöne Landschaften radeln müssen um auf das nächste große Ding zu kommen..?

Mir ging dann auf: Es war die Übereinstimmung der Entrücktheit der Landschaft mit der des Wissenschaftlers. Wobei Entrücktheit bei mir nicht negativ besetzt ist. Ich könnte auch sagen, die zweifache Introvertiertheit war es, die mich ansprach. Nur hat sich seitdem vieles getan. Am Ende des Tages verstand ich, dass es viele Dinge gibt, bei denen unser Glück darin besteht, sie nicht getan zu haben. Denke ich darüber nach, fallen mir noch ganz andere Sachen ein, von denen ich mal glaubte, sie versäumt zu haben aber später Gelegenheit bekam, meine damalige Intuition und den Unterschied zu heute zu verstehen. Vertrauen wir auf unsere Intuition. Und entrümpeln unsere Bucketlist.



Samstag, 11. April 2015

Radio "Philo" über Angst und Infantilisierung

Lob an WDR5 Radio Philo für einige der letzten Sendungen. Jürgen Wiebicke und Gundi Große (Redaktion) hatten interessante Gäste: Susan Neiman ging es um die infantile Gesellschaft, die die gebürtige Amerikanerin in Deutschland beobachtet. Und mit Heinz Bude ging es um unsere Angstgesellschaft. Beiden Beobachtungen ist gemein: die Verweigerung von Freiheit und Verantwortung.

Infantile Gesellschaft

Gesprächsabend der Philosophin Susan Neiman mit Freunden (alle in ihren 60er Jahren).
Sie: "Ich schreibe ein Buch über das Erwachsenwerden."
Freund:  "Oh, was für ein blödes Thema. "
Anderer Freund: "In der Tat. Mein Held war immer Peter Pan."

Nicht Erwachsen zu werden, galt damals vielen Alt-68ern als Form des Widerstands. Doch eigentlich -so Neiman- ist Erwachsenwerden, d. h. das mutige Bekenntnis zur Freiheit und Verantwortung für sein Leben zu übernehmen (sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu führen), die beste Voraussetzung für Widerstand. Aber natürlich nur, wenn man wirklich Verantwortung für einen Widerstand übernehmen will.

Kant erfand nicht nur das Wort von der selbstverschuldeten Unmündigkeit, sondern sagte auch: "Die Gesellschaft will keine mündigen Bürger haben. Es ist viel einfacher infantilisierte Menschen zu manipulieren und ruhig zu stellen als selbst denkende Bürger."
Neiman:
"Unsere Gesellschaften unterstützen diese Infantilisierung: Ich finde es  schon bezeichnend, dass die mächtigste Politikerin Europas 'Mutti' genannt wird. .. Ihre Botschaft ist ständig eine Beschwichtigung: Macht ruhig weiter, Mütti kümmert sich. Da braucht Ihr keine Alpträume über Griechenland zu haben."
Wer Kinder großgezogen habe, wisse wie man Kinder ablenken muss, um sie von ihrem Willen zu lösen. Wir als Erwachsene seien ebenfalls fast permanent abgelenkt. Auch ohne "soziale" Medien. Wir bekommen die Botschaft, Erwachsenwerden heiße möglichst viel Spielzeuge zu sammeln. Nur bezeichnen wir diese Spielzeuge verschleiernd als "Werkzeuge". Bei deren Benutzung haben wir  immer mehr unwichtige Entscheidungen zu treffen (Konfigurationen) und Aufmerksamkeiten zu zollen (Benachrichtungen, Updates..). Dabei vergessen wir, dass die wichtigsten Entscheidungen für unser Leben -anders als das Smartphone- nicht in unseren Händen liegen. Aber wer darauf hinweise, werde für kindisch gehalten. Das heißt, die die uns für eigene Zwecke infantilisieren wollen, werfen uns Infantlität vor, wenn wir uns dagegen wehren. (Das erinnert mich an die Prophezeiung von Ignazio Silone, nach der der neue Faschismus in der Gestalt des Antifaschismus daher kommen werde.)
Erwachsensein ist die Fähigkeit mit einem Auge zu sehen wie sie ist, und mit dem anderen Auge zu sehen, wie sie sein sollte. Das ist kein Zustand des Stillstandes. Die meisten Menschen geben leider irgendwann eine der Blickweisen auf.
Susan Neiman

Für einen weiteren Irrtum halte sie die Erwartung, erwachsen zu werden heiße mehr Sicherheit im Leben zu bekommen. Sie fordert vielmehr: "Bereitet junge Leute auf die Unsicherheiten im Leben vor."

Kritik:
Die Beobachtung der Infantilisierung teile ich. Ich meine, sie kommt auch oft in Form von Verdummungsangriffen daher. Verdummungsangriff entweder als Versuch uns zu verdummen. Oder unsere Dummheit bereits voraussetzend. Angriffe geführt aus der Haltung eines sich für klüger haltenden und sich uns verdummen zu dürfen anmaßenden Aggressors. Beispiel: Die Begründung der Einführung der PKW-Maut im Bundestag.

Gesellschaft der Angst

Heinz Bude meint:
In den westlichen Gesellschaften bietet Herkunft keine Sicherheit mehr. Es haben die an Sicherheit verloren, deren Herkunft Garant für Wohlstand und Ansehen war.
An die Stelle der Herkunft seien Leistung und persönliche Verbindungen getreten. Niemand steht mehr für einen ein, außer man selbst. (Denn auch Verbindungen funktionieren nur nach Geben und Nehmen.)

Keine Generation habe deshalb je so gute Chancen gehabt wie die heute 20jährigen. Ihnen schreibt er eine "demographische Rendite" in Form vieler offener Stellen am Arbeitsmarkt zu. Dennoch sei diese Generation eher pessimistisch - Stichwort "Generation Praktikum".
Bude erklärt sich diesen Widerspruch mit Verlustangst: "Ja es geht uns gut, aber wie lange noch?" Die Deutschen "trauen dem Braten nicht." Ergebnis: Verbitterung, Verdruss, Verzagtheit.

Bude fragt rhetorisch:
Was ist ein gelungenes Leben, was ist mein Maßstab dafür, ob ich mich verlaufen habe oder auf der richtigen Spur bin? Antwort: Diesen Maßstab gibt es nicht. Es wird sich immer erst im Nachhinein erweisen, ob das Leben gut war. 
(Ich erinnere i. d. Zshg. an die Sendung von Ende Dez. 2013 "Was ist das gute Leben?"). Dennoch empfinden wir nach Bude eine Schuldigkeit gegenüber den Möglichkeiten des Lebens. Wer die -im Nachhinein- falschen Entscheidungen treffe, empfinde eine Schuld gegen sich selbst. Nicht nur, wenn ihm die falsche Entscheidung geschadet habe, sondern bereits, wenn er nicht den optimalen Nutzen für sich gezogen habe.

Bude:
Die Freiheit lässt uns zittern und wir suchen -nach Sartre- Zuflucht bei den anderen. Und empfinden ihnen gegenüber wiederum Zweifel, in der Angst, sie könnten sich von uns abwenden..
Dilemma: Es geht uns gut, aber es nagt der Zweifel darin getäuscht zu werden. Haben wir keine Urteilskraft mehr, wie es uns gerade geht, weil man uns widersprüchliche Signale (oder Schweigen) sendet?

Kritik:
Die Angstbeherrschtheit vieler Zeitgenossen lässt sich m. E. nicht leugnen. So viel Konformität und Bereitschaft zur Fremdsteuerung war selten. Der Mainstream sowieso. Aber auch die Guten sind in der Defensive. Sie sind ernüchtert und stellen keine hohen Erwartungen mehr. Ich selbst habe immer noch den Dot.com Crash in den Knochen, wenn ich tief in mich reinhöre. Dafür aber auch mehr Bewusstsein für das was gut ist. Ich erlebe Verstörtheit bei Mächtigeren, die mich über Angst steuern wollen und dabei ihre Wirkungslosigkeit erleben.

Was mich allerdings tief verstört: Wenn ich Menschen sagen höre, dass andere sie definieren sollen. "Was ich gut kann, muss mein Chef mir sagen." Oder (Neurentner): "Die plötzliche Freiheit, das war das schlimmste." Die alles Gute um sie herum verpassen, weil sie aus der Defensive nicht mehr herauskommen. Oder, das Gute sehen, aber nur auf dem Display ihres Smartphones - mit Selfies beschäftigt. Den Nachweis einer Teilhabe sichernd. Aber was für eine Teilhabe ist das..?

 Streit und Kritik sind ja selbst im politischen Raum verpönt. Ein kräftiges Wort auf Twitter und man verliert zehn Follower. Nein, der gute Ton ist die dezente Andeutung, die dem Leser den Schluss nahe legt. Die Artikulierung eigener Interessen, die zur Aufdeckung von Interessenskonflikten führen könnte, ist tabu. Derzeit zu besichtigen in der sog. "Alternative" für Deutschland.

Am Ende stimme ich zu: Es gibt ein Regiment, eine Machtausübung, die nur andeutet, die Gehorsam erwartet und jede sich erhebende Stimme über sich selbst erschrecken lässt, weil sie die Stille erschüttert. Uns gewahr werden lässt, wie still es ist. Die Menschen sollen sich in ihre Kinderzimmer, auf die Bauteppiche und die Appstores verziehen. Die einzige von oben vergönnte Freude soll Erleichterung sein, dass die letzte Angst vielleicht doch unbegründet war.

Nicht gelitten zu haben, soll genug Freude sein.
"Grübeln Sie nicht zu viel."
Jürgen Wiebicke

Montag, 19. Januar 2015

Heideggers "Sein und Zeit" bei WDR5

Was die Quantenmechanik bei den Physikern, war der Existenzialismus bei den Philosophen: Dazu gehört der Schritt von der bestehenden Welt in die mögliche. Vorigen Freitag hatte Jürgen Wiebecke den bis vor kurzem noch Vorsitzenden der Martin-Heidegger-Gesellschaft, Günter Figal, zu Gast.

Ich fasse die Erkenntnisse und Schlüsse der Sendung über Heideggers Werk "Sein und Zeit" mal so zusammen: Unser Leben spannt einen Möglichkeitsraum auf, aus dem heraus das tritt, für das wir uns entscheiden oder was uns zustößt. Bewusst wird uns unser reales Leben, weil wir um seine Befristung wissen. Jedenfalls ab dem Moment dieser Erkenntnis (der "Blitz der Wahrheit").

Dieser stochastische Charakter unseres Lebens wäre damit ein Spiegelbild der Erkenntnisse (oder Modellierungen) aus der Quantenmechanik: Die Welt vor unseren Augen ist eine der vielen möglichen. An welcher Barriere das Wellenteilchen gebrochen wird, steht vorher nicht fest, aber es hat alle Möglichkeiten. Und Schrödingers Katze ist uns eh ein Begriff.

(Später transferierte Heidegger den "Blitz der Wahrheit" für ein Individuum auf eine Gruppe, ein Kollektiv. Von da an wurde seine Philosophie zur Ideologie, in der er pesönliche Ressentiments auslebte.)

Faszinierend finde ich, dass hier eine Denkwelt auf der anderen aufbaut. Wussten beide voneinander oder war "die Zeit reif" für diesen Durchbruch im Denken?

Kommenden Freitag geht es übrigens um "Kapitalismus", zu Gast sein wird Meinhard Miegel.