Mittwoch, 19. Dezember 2018

Deutsch als Fremdsprache

Mein Projekt ist international besetzt und ich habe hier schon öfter beschrieben, dass die Zusammenarbeit auf Akademiker- und Ingenieursniveau im großen und ganzen sehr gut funktioniert - jedenfalls brauchen wir keine Moralprediger oder Integrationsprogramme dafür.
(Aber ich sage auch: Daraus folgt kein Schluss für Moabit oder Neukölln, für Marxloh oder den Dortmunder Norden.)

Trotzdem wird mir in diesen Tage ein Problem bewusst, das mich die ganze Zeit ein wenig behindert und auch verlangsamt: Die Projektsprache englisch.

Wir schreiben und sprechen auf Englisch. Nur wenn eine Gruppe mit gleicher Muttersprache unter sich ist, spricht sie diese.

Und wir alle merken: In der eigenen Sprache sind wir schneller und genauer. Wir werden uns der Macht eines reichen Wortschatzes bewusst und empfinden es fast als körperliche Behinderung, nicht sagen zu können, was wir meinen, weil wir wieder einmal eine englische Vokabel oder Redewendung nicht wissen. Beim Dokumentieren löst man das Problem, in dem man in einem eigenen Browserfenster dict.cc oder linguee.de öffnet. Es macht einen aber langsamer, wenn man immer wieder nachschlagen muss.

Im Gespräch allerdings nervt es, wenn man immer wieder fragen muss 'what is this in English"?

Unter den Kollegen sind etliche, die bereits deutsch können, weil sie "schon länger hier leben". Aber selbst mit ihnen rede ich langsamer und einfacher. Weil ich von meiner eigenen Dankbarkeit ausgehe, die ich jemandem gegenüber habe, wenn er loud and clear mit mir spricht.

Dies erzeugt eine "kognitive Last" wie es die Psychologen aus der Abteilung "Autonomes Fahren" nennen.

Aber in Berlin geht es damit nach Feierabend weiter. Auf dem Heimweg mal eben am Wittenbergplatz aussteigen und bei Kamps ein frisches Brot kaufen? Du kommst in den Kamps Laden und da sind drei neu eingereiste Araber. Die Schlange ist sehr lang, weil die Verkäufer immer wieder nachfragen müssen, was die Kunden meinen. Auch gibt es gar nicht mehr alle Sorten, die man früher gerne gekauft hat. Stattdessen versucht man mir jetzt ein Walnussbrot aufzuschwatzen. Ja, die Tagesbestellung war etwas zu klein gewesen ("Wissen wir doch nicht, was die Kunden so wünschen.").

Beim Zahnarzt das gleiche. In meiner Nähe gibt es gleich drei Stück: eine polnische Ärztin (Taff, gut,  spricht aber nur polnisch und englisch mit polnischem Akzent). Dann einen kurdischen Nachwuchsarzt (gut, aber spricht kein englisch und nur gebrochen deutsch). Nur einer ist Deutscher. Und er fragte mich als erstes, warum ich denn für's Nachgucken den Arzt gewechselt hätte.. Schon habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen und in einem Verhör zu sein.

In der U-Bahn, im Bus überall hörst Du alle Sprachen - wie in Babylon.

Deutsch als Fremdsprache ist eine kognitive Dauerlast. Es strengt an und ich merke das nun am Jahresende. Ich meide Termine und Anrufe. Wenn ich an meinem Schreibtisch Features beschreibe, bin ich sehr vertieft in die Sache. Mein RAM ist zu 100% gefüllt.

Dann fliegt die Tür auf und ein Product Owner steht im Raum: "May I ask you a question?". In dem Moment verschwindet mein mühsam aufgebautes Konstrukt im RAM zu mindestens 50%. Schon bevor ich mich entschiede habe, ob ich auf den "Störer" eingehe. Da wir aber alle eine Kultur der helfenden Hand leben, damit keine Inseln oder Silos entstehen, höre ich zu und Räume Zeit ein. Damit vermeide ich es, den Kollegen zu blockieren, blockiere mich aber selbst. Und fange neu an, über das Feature nachzudenken.

Gerade deshalb wird Heimarbeit für mich immer wichtiger. Nur dann schaffe ich tatsächlich geistige Arbeit.

Und ich ziehe das Fazit: Die besten der Welt (hüstel..) zusammen zu rekrutieren und keine Limits für Fremdsprachenanteil zu setzen, erhöht die Dauerbelastung durch den Faktor Sprache. Für das Projekt erhöht sie das Risiko von Missverständnissen. Die einzige Maßnahme dagegen ist ein sehr guter fachlicher Wortschatz. Aber der wächst nur durch Übung. Die schwedischen Kollegen sind da z. B. schon sehr viel weiter. Was sie sprechen kann man immer getrost gleich so dokumentieren.

Es isoliert einen persönlich auch etwas. Das Gefühl, nicht verstanden zu werden, ist unter Muttersprachlern schon gegeben. In "Eine-Welt-Projekten" ist es noch viel höher. Da ist viel Propaganda und Fassade im Spiel..

1 Kommentar:

  1. Die Nichtbeherrschung der deutschen Sprache durch Deutsche ist ein weiteres trübes Kapitel. Wer ist noch imstande, anspruchsvollere Texte anzufertigen, seine Gedanken klar zu Papier zu bringen? Was richtet die Genderei an, die Leichte Sprache, das Kindergartengerede in den Medien, die Dauerpropaganda? Unfähigkeit in der Sprache und Unfähigkeit im Denken bedingen einander.

    Die Dauerberieselung, das (vorsätzliche!) Lügen, Verdrehen und Ablenken aller möglichen Aktueure und Medien führt zu einer gedanklichen Deformation mit üblen Folgen. Bekommt man hundert- oder tausendmal, direkt oder indirekt, etwas erzählt, bleibt immer etwas hängen, das unreflektiert als wahr angesehen wird.

    Insgesamt verarmt die Sprache, und komplexe Sachverhalte können irgendwann gar nicht mehr ausgedrückt werden: Kein Wunder, daß der Innovationsstandort Deutschland am Ende ist. Und daß der Rohstoff, von dem Deutschland über Generationen hinweg gelebt hat, nämlich die Köpfe seiner Ingenieure, Physiker und Denker, immer knapper wird. Das ist ganz nüchtern festzustellen.

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