Freitag, 5. August 2011

Weg mit den Eurotechnokraten

In der Phantasie unserer Eurotechnokraten handelt es sich bei "den Märkten" oder "den Investoren" offenbar um eine Gruppe gesichtsloser, unbekannter Akteure, die in Absprache Welten bewegen, sich aber durch technokratische Worte beeindrucken und dirigieren lassen wie eine Seniorenreisegruppe aus Haltern Hullern in Berlin Friedrichshain.

Der konservative Kommissionspräsident Barroso z.B. scheint absolut nichts über die Psychologie von Anlegern zu wissen. Seine tapsige Panikmache muss gut gemeint gewesen sein, aber welcher -wenn auch verqueren- Logik folgte er dabei?

Und Währungskommissar Rehn glaubte gestern mit einer nichts sagenden technokratischen Rede die Anleger auf Spur bringen zu können. Ohne eine einzige inhaltliche Aussage wiederholte er: Wir haben einen Plan. Wir sind "zutiefst überzeugt" (also voller Zweifel), dass er funktioniert und wir werden die Ziele verfolgen und prüfen.
Allen Ernstes richtete er solche Worte an die in Panik ausgebrochenen Anleger, Investoren, Börsianer. Wie ein Feuerwehrfunktionär der den flüchtenden Bewohnern eines brennenden Straßenzuges zuruft, ihre Häuser seien - und davon sei er "überzeugt"- feuerfest.

Das erinnert an die Manager von TEPCO, die auch meinten, die Welt mit Technokratensprech zum Narren halten zu können. Technokraten beziehen sich bei ihrem Handeln und Argumentieren nur auf sich selbst. Und sie glauben auch, dass sich die Naturgesetze nach ihren Methoden und Prozessen richten. Aber, wie es ein FAZ-Leser neulich so schön formulierte: "Die Mathematik wird's schon richten."

Die Sache ist auch deshalb so aussichtslos, weil die Verantwortlichen nicht einmal zur Kenntnis nehmen, was vor sich geht. Sie erschlagen die Überbringer schlechter Nachrichten. Die italienische Justiz durchsucht jetzt schon die Büroräume von Ratingagenturen, wenn diese "unbegründet" negative Urteile über italienische Banken abgeben.

Dabei waren es doch die EURO-Funktionäre, die den Ratingagenturen so eine hohe Bedeutung zugewiesen haben. Kurz gesagt: Weil sie selbst vom Fach nicht so viel verstehen, wollten sie Kreditwürdigkeiten von Banken und Unternehmen gerne in eine einzige Zahl zusammengefasst haben. So wie das Prozess- und Methodenleute, die sich nicht um Inhalte und Bedeutungen kümmern, gerne so machen. Sie schauen nicht mehr in den Himmel um abzuschätzen wie das Wetter wird, sondern auf die Kennziffer. Auf diese Weise kann jeder zum Meteorologen werden..

Was gestern eigentlich nur noch fehlte, war eine europäische Gesetzesinitiative, die uns alle zu der Einsicht in die Notwendigkeit verdonnert, gefälligst zuversichtlich zu sein und den Weisheiten und Fähigkeiten der Verantwortlichen zu folgen. Davon blieben wir gestern noch verschont. Genauso wie vor den staatsmännischen Blut-, Schweiß- und Tränenworten eines Philip Rösler oder einer Angela Merkel (etwa: "Wir glauben, dass mehr Optimismus und Vertrauen in den EURO besser für die Menschen wäre und deshalb verpflichten wir die Märkte dazu jetzt per Gesetz.")

Die Akteure wissen NICHTS von der Funktionsweise von "Märkten". Sie sind ihnen fremd. Das muss man verblüfft zur Kenntnis nehmen. Sie, die Kanzlerin und der Wirtschaftsminister, die Physikerin und der Mediziner, haben noch nie einen Fonds, eine Rente oder eine Aktie gekauft und sich vorher in Analysen und Spekulationen begeben. Sie wissen vermutlich noch nicht mal, wie die Preisbewegungen auf ihrem Wochenmarkt um die Ecke zustande kommen. Deshalb fremdeln sie so mit Begriffen wie "Märkte" und "Investoren". Sie halten die für eine gesichtslose, nicht greifbare Gruppe von Hintermännern, die in Absprache alles tun, um die Politiker zu ärgern.

Weil wir kein fähiges politisches Personal mehr haben, bezieht sich dieses auch ständig auf die Größen, die wir mal hatten: Westerwelle auf Genscher, Merkel auf Erhard (obwohl sie ihn ja nie erlebt hat).

Ich verstehe längst nicht alles, was da vor sich geht. Mir kommen nur viele Verläufe reichlich bekannt vor. Ein nach innen gewandter Technokrat hält stur an seiner Sicht auf die Welt fest, bis man ihn stürzt oder alles um ihn zusammenbricht. Sie betonen in immer kürzeren Abständen, was nicht mehr der Fall ist, und dementieren gleichzeitig, was unübersehbares Faktum ist.

In der CDU darf man inzwischen offen sagen, dass die Einführung des EURO eine Bedingung der Franzosen zur Zustimmung zur deutschen Einheit war. Das war leicht zu verhandeln, denn auch Kohl hatte von Wirtschaft keine Ahnung. (Welche weiteren geheimen Staatsverträge oder direkten Absprachen zwischen Kohl und Mitterand bestanden, werden wir wohl erst nach Kohls Ableben erfahren..) Kohl führte ja auch in Deutschland eine Währungsunion ein ohne Rücksicht auf Verluste und Spekulationen. Vorbild muss ihm der deutsche Zollverein gewesen sein: Der einheitlichen Währung folgt die politische Einigung und Stärke. Und wenn Kohl immer von der deutschen Wiedervereinigung als Vorbote der europäischen Einigung sprach, meinte er damit den EURO - auf Biegen und Brechen.

Nach dem EURO kamen noch einige andere Technokratenprojekte, wie z.B. "einheitliche Bildungsstandards", eine Art Ratingsystem für Hochschulabschlüsse. Auch hier gilt: Die Sache muss nur formell vergleichbar sein, Inhalte und Qualitäten sind egal.

Unsere Regierungen reden vom EURO als Garant für Frieden in Europa. Das ist eine intellektuelle Geiselnahme. Sie wollen uns damit den Mund verbieten, weil auch sie selbst keine Erklärung dafür nachreichen können. Sie behaupten einfach und setzen darauf, dass wir uns beeindrucken lassen. Es ist eine Argumentation mit niederen Instinkten, die mehr über den Sprecher als über den so Angesprochenen aussagt. (Ähnlich wie das Dauerargument "Neid" der eitlen Marodeure in den Vorstandsetagen früherer Qualitätsunternehmen).

Der Anblick dieses Schauspiels macht sprach- und kraftlos. Wir stellen schnell Spontandemos gegen die Guttenbergs, Koch-Mehrins, die Mehdorns und Grubes und gegen Atomkraft auf die Beine. Gegen das klandestine EURO-System ist das schwieriger zu bewerkstelligen. Weil wir -außer der Abschaffung des EURO- kein konkretes Ziel benennen können. Aber vielleicht müssen wir auch da größer denken, so wie die Protestler des arabischen Frühlings.

Wir brauchen keinen EURO, um uns in Europa zusammengehörig zu fühlen. Billigflieger und Markenketten tun dafür viel mehr. Wir können uns günstig überall besuchen dank EasyJet, wir können billig telefonieren oder netzwerken, wir schauen auf Straßen und Plätzen gemeinsam Fussball, wir finden in allen Einkaufsstraßen die gleichen Marken. Wie leiden aufrichtig mit, wenn es irgendwo in Europa einen Amoklauf oder Anschlag gibt. Mehr muss man für die europäische Einigung nicht tun.

Wir müssen uns mit keinen neuen Fronten zwischen den Nationen drohen lassen. "Republiken führen gegeneinander keinen Krieg" (Kant). Die Front verläuft längst zwischen uns hier in der Mitte und denen da oben. Die kosten uns zuviel und bringen uns mehr Schaden als Nutzen. Weg mit ihnen.

2 Kommentare:

  1. Anonym6.8.11

    Gut geschrieben, gern gelesen.

    Wir haben keine Demokratie mehr, wir leben in einer dubiosen Eliten-Oligarchie. Wir haben auch keine Markwirtschaft, sondern einen Börsen- und Bankenfeudalismus. Für letztere gelten die "Regeln des Markts" jedenfalls schon lange nicht mehr.

    Wer sind all diese Barrosos, Rompuys, Ashtons, Almunias, Trichets? Woher kommen die, was wollen die, was leisten die? Hat die irgendeiner gewählt?

    Wenn die EU crasht, ziehen die sich auf ihre Latifundien zurück und werden in ihren 650-Seiten-Memoiren schreiben, daß alles anders gekommen wäre, wenn man nur auf sie gehört hätte.

    Prognose: wir werden eine Renationalisierung im größten Stil erleben. Ungarn/Orban als Vorgeschmack. In Deutschland wird eine noch zu klonende Mischung aus Guttenberg, Sarrazin und Haider die Macht ergreifen. Spätestens am 30. Januar 2033. (Makabrer Scherz, sorry.)

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  2. Ich glaube auch, dass wir uns auf der Zeitachse rückwärts bewegen.

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