Charlottenburg erwacht zu neuem Leben. Gegenüber vom gerade erst eröffneten Hotelhochhaus Waldorf-Astoria sind der Zoo Palast und das Bikinihaus ("Bikini Berlin") saniert worden. Beides sehr gelungen, finde ich. Das Bikinihaus gibt sich humorig. Geht man die Treppe hoch, kann man von oben auf die Affeninsel gucken. Nichts politisches, sondern die Affeninsel im Zoologischen Garten.
Der Gang hat etwas von der New Yorker Highline: Man wandelt hoch entrückt und kann sich auf den oversizeten Bänken ausruhen. Früher ging man hier wohl zwischen zwei Ladenzeilen, was dem zweiteilig wirkenden Gebäude seinen Namen gab..
Zur Straßenseite gibt es Boutiquen mit neuer, ungewohnter Perspektive: Blick auf den Breitscheidplatz und die Gedächtniskirche. Im Parterre findet man ein paar Berliner Modelabels. In "Boxes" - zu deutsch: Tierkäfigen. Und auch hier ist man vis-a-vis mit den Affen. Denen wird also ganz schön was geboten..
Östlich grenzt das 25h-Hotel an, das mit der Monkey Bar und Restaurant im obersten Stock wirbt. Wir wollten es testen und wurden wieder mal daran, dass wir ja in Berlin sind: Nach einer Odysee treppab und mit dem Sonderfahrstuhl hoch.. erfuhren wir oben, dass man vorher telefonisch reservieren muss.
Dienstag, 22. April 2014
Montag, 7. April 2014
Besuch nach 14 Jahren im Westfalenstadion
Wir hatten eins von den "Fankpaketen" ergattert. 2 Tickets für Sitzplätze in der Nordwest Ecke, ziemlich weit oben. Dazu Fanausrüstung und einen Besuch im Borusseum. Und wen trafen wir da? Jürgen Wegmann gab sich die Ehre. 28 Jahre danach..
Apropos 28 Jahre. Die (Andy-) Möllerbrücke hat sich verändert. Wir parkten in Körne West und fuhren mit der S-Bahn. Vorbei an abgerissen Teppichlagern und geschlossenen Tanzschulen. Ich dachte, an der Möllerbrücke steigen wir um auf die Straßenbahn Linie 4. Aber die fährt hier nicht mehr. Geht ja auch nicht. An der Endstation steht jetzt ein Hotel, wo mal eine Schleife war..
Also liefen wir die Lindemannstraße zu Fuß rauf. Durchs Kreuzviertel, vorbei an den alten Fußballkneipen, wo es noch Brinkhoff's gibt.
Dann über die B1. Wie vertraut mir doch dieser Anblick mal war..
Und dieser hier: Die Eingänge zum Stadion Rote Erde, das direkt neben dem...
Westfalenstadion liegt. Vor 14 Jahren waren wir das letzte mal hier. Gegen Schalke. Da war das Stadion schon aufgestockt, aber die Ecken waren noch offen. In eine Ecke hat man jetzt ein Museum gesetzt.
Es ging steil hoch zu unseren Plätzen. Auch saß man da etwas beengt. Aber die Atmosphäre: Einmalig. Es ist so abgedroschen, aber man muss es erlebt haben.
Erst recht bei so einem Spielverlauf. Wolfsburg führte zur Halbzeit 0-1. Nobby Dickel machte in der Pause eine Ansprache: "Das Ding drehen wir noch." Und so geschah es. Reuss und Lewandowski brachten die Borussen in Führung. So muss es sein!
Dann noch ins Borusseum. Hier gibt es den schwarz-gelben Flash :-) Vereinsgeschichte, und die Schatzkammer mit den Pokalen. Ja, so manchen hat der BvB schon gewonnen. Da kann man stolz drauf sein. Jürgen Wegmann gab auch Autogramme. Als wir um eines für "Kurt, den Schalker" baten, geriet Jürgen Wegmann plötzlich ins Schwärmen für Rudi Assauer. Leider geht es nicht allen Verdienstvollen heute so gut, wie sie es eigentlich verdient hätten.
Dann der Weg zurück. Es ist spät geworden. Die Westfalenhalle ist erleuchtert. Auf ihr dreht sich das Unions-U. Ein toller Abend geht zu Ende. Mit einem Sieg in der Tasche, einer Inhalation dieses Vereins, und vielen plötzlich hoch kommenden Erinnerungen, ging es zur S-Bahn.
Apropos 28 Jahre. Die (Andy-) Möllerbrücke hat sich verändert. Wir parkten in Körne West und fuhren mit der S-Bahn. Vorbei an abgerissen Teppichlagern und geschlossenen Tanzschulen. Ich dachte, an der Möllerbrücke steigen wir um auf die Straßenbahn Linie 4. Aber die fährt hier nicht mehr. Geht ja auch nicht. An der Endstation steht jetzt ein Hotel, wo mal eine Schleife war..
Also liefen wir die Lindemannstraße zu Fuß rauf. Durchs Kreuzviertel, vorbei an den alten Fußballkneipen, wo es noch Brinkhoff's gibt.
Dann über die B1. Wie vertraut mir doch dieser Anblick mal war..
Und dieser hier: Die Eingänge zum Stadion Rote Erde, das direkt neben dem...
Westfalenstadion liegt. Vor 14 Jahren waren wir das letzte mal hier. Gegen Schalke. Da war das Stadion schon aufgestockt, aber die Ecken waren noch offen. In eine Ecke hat man jetzt ein Museum gesetzt.
Es ging steil hoch zu unseren Plätzen. Auch saß man da etwas beengt. Aber die Atmosphäre: Einmalig. Es ist so abgedroschen, aber man muss es erlebt haben.
Erst recht bei so einem Spielverlauf. Wolfsburg führte zur Halbzeit 0-1. Nobby Dickel machte in der Pause eine Ansprache: "Das Ding drehen wir noch." Und so geschah es. Reuss und Lewandowski brachten die Borussen in Führung. So muss es sein!
Dann noch ins Borusseum. Hier gibt es den schwarz-gelben Flash :-) Vereinsgeschichte, und die Schatzkammer mit den Pokalen. Ja, so manchen hat der BvB schon gewonnen. Da kann man stolz drauf sein. Jürgen Wegmann gab auch Autogramme. Als wir um eines für "Kurt, den Schalker" baten, geriet Jürgen Wegmann plötzlich ins Schwärmen für Rudi Assauer. Leider geht es nicht allen Verdienstvollen heute so gut, wie sie es eigentlich verdient hätten.
Dann der Weg zurück. Es ist spät geworden. Die Westfalenhalle ist erleuchtert. Auf ihr dreht sich das Unions-U. Ein toller Abend geht zu Ende. Mit einem Sieg in der Tasche, einer Inhalation dieses Vereins, und vielen plötzlich hoch kommenden Erinnerungen, ging es zur S-Bahn.
Mittwoch, 2. April 2014
Herzlichen Glückwunsch zum 40., Westfalenstadion
Ich sach bis heute nich "Iduna-Park", für mich bleibt et das Westfalenstadion. So hieß es zu der Zeit, als ich da regelmäßig hin bin. Mein erstes Mal ist tatsächlich auch fast 40 Jahre her. Irgendein Juniorenendspiel BvB - Schalke in den 70ern. Ein damaliger Schulfreund und sein Vater nahmen mich mit. Dabei interessierte ich mich als i-Männchen gar nicht so dafür. Aber das kam dann. Wambeler SV, nachmittags auf dem Sportplatz an der Grundschule. Fernsehen. Ernst Huberty, Kurt Brumme, man erinnert sich.
Es dauerte ein paar Jahre bis zum Besuch des ersten Bundesligaspiels. Gegen Leverkusen. Und gleich mein erstes Gewalterlebnis: In der Straßenbahn Richtung Stadion raubte mir ein Typ, der ein paar Jahre älter und größer war mit einem Messer meinen Schal. Den hatte eine Großtante für mich gestrickt gehabt und es tat mir sehr leid. Die Freunde, die mit mir waren, suchten das weite. Seitdem weiß ich, wie das in solchen Situationen ist.
Trotzdem ging ich weiter hin. Das nächste Heimspiel war gegen Köln und da erinnere ich mich an das Ergebnis 1-0. Zum ersten Flutlichtspiel ging ich mit meinem Onkel, gegen Werder Bremen. Das weiß ich auch noch: 1-0 in der 89. durch Burgsmüller. Von da an hätte ich mir eigentlich eine Dauerkarte kaufen können. Habe ich nicht, nie. So robbten wir uns langsam ran: Von der Nordkurve auf die Südkurve. Einmal waren wir in Block 12, das höchste der Gefühle. Damals gab es noch kein Pyro oder von Ultras professionell hergestellte Riesenbanner. Man zerriss die Ruhrnachrichten aus dem Altpapier. Ein Kumpel zerriss immer seine alten Schulhefte. Beutelweise nahmen wir das mit. Und wenn die Mannschaften zum Spielbeginn aufliefen und aus den Lautsprechern "Heja BvB" erklang sangen wir lauthals mit und schmissen unsere Papierschnipsel in die Luft. In solch einem Konfettiregen zu stehen während Burgsmüller und Co. auf den Rasen liefen war elektrisierend.
Unsere Gruppe wurde größer. Das spannendste Spiel war die Relegation gegen Fortuna Köln. Jürgen Wegmann wird ja manchmal gefeiert für seinen rettenden Treffer in der letzten Minute. Aber ich erinnere mich noch, dass er es war, der im gleichen Spiel vorher ein Tor verhindert hatte, weil er -Achtung:- "so blöd im Weg stand. Deshalb Wegmann: Steh nicht so blöd im Weg, Mann! ;-)
Kaum zu glauben, dass wir im darauf folgenden Jahr 1987 schon zu UEFA Cup Spielen gingen. Bernd Klotz köpfte damals das eine oder andere Tor. Murdo McLeod verhinderte manches Gegentor.
Dann kam die Bundeswehr und ich begann zu studieren. Es war eigentlich so: Als ich anfing, nicht mehr hinzugehen, begann der große Aufschwung des BvB mit der Hitzfeld Ära. Man guckte ran, man hatte sein eigens Appartement. Damals lief sogar die Championsleague im Free-TV. Ich lernte meinen Beitrag zum Erfolg des BvB: Mehr als einmal fielen BvB-Tore wenn ich gerade auf Toilette war. Während des CL Finales baten mich meine Freunde irgendwann doch jetzt mal aufs Klo zu gehen. Und rumms. Ich hörte den Jubel über Ricken durch die Badezimmertür..
Genau heute vor 40 Jahren wurde das Westfalenstadion eingeweiht. Es ist reiner Zufall, dass ich endlich an Tickets gekommen bin um am Wochenende endlich mal wieder dabei zu sein. Und gegen wen geht es? Gegen Wolfsburg..
Es dauerte ein paar Jahre bis zum Besuch des ersten Bundesligaspiels. Gegen Leverkusen. Und gleich mein erstes Gewalterlebnis: In der Straßenbahn Richtung Stadion raubte mir ein Typ, der ein paar Jahre älter und größer war mit einem Messer meinen Schal. Den hatte eine Großtante für mich gestrickt gehabt und es tat mir sehr leid. Die Freunde, die mit mir waren, suchten das weite. Seitdem weiß ich, wie das in solchen Situationen ist.
Trotzdem ging ich weiter hin. Das nächste Heimspiel war gegen Köln und da erinnere ich mich an das Ergebnis 1-0. Zum ersten Flutlichtspiel ging ich mit meinem Onkel, gegen Werder Bremen. Das weiß ich auch noch: 1-0 in der 89. durch Burgsmüller. Von da an hätte ich mir eigentlich eine Dauerkarte kaufen können. Habe ich nicht, nie. So robbten wir uns langsam ran: Von der Nordkurve auf die Südkurve. Einmal waren wir in Block 12, das höchste der Gefühle. Damals gab es noch kein Pyro oder von Ultras professionell hergestellte Riesenbanner. Man zerriss die Ruhrnachrichten aus dem Altpapier. Ein Kumpel zerriss immer seine alten Schulhefte. Beutelweise nahmen wir das mit. Und wenn die Mannschaften zum Spielbeginn aufliefen und aus den Lautsprechern "Heja BvB" erklang sangen wir lauthals mit und schmissen unsere Papierschnipsel in die Luft. In solch einem Konfettiregen zu stehen während Burgsmüller und Co. auf den Rasen liefen war elektrisierend.
Unsere Gruppe wurde größer. Das spannendste Spiel war die Relegation gegen Fortuna Köln. Jürgen Wegmann wird ja manchmal gefeiert für seinen rettenden Treffer in der letzten Minute. Aber ich erinnere mich noch, dass er es war, der im gleichen Spiel vorher ein Tor verhindert hatte, weil er -Achtung:- "so blöd im Weg stand. Deshalb Wegmann: Steh nicht so blöd im Weg, Mann! ;-)
Kaum zu glauben, dass wir im darauf folgenden Jahr 1987 schon zu UEFA Cup Spielen gingen. Bernd Klotz köpfte damals das eine oder andere Tor. Murdo McLeod verhinderte manches Gegentor.
Dann kam die Bundeswehr und ich begann zu studieren. Es war eigentlich so: Als ich anfing, nicht mehr hinzugehen, begann der große Aufschwung des BvB mit der Hitzfeld Ära. Man guckte ran, man hatte sein eigens Appartement. Damals lief sogar die Championsleague im Free-TV. Ich lernte meinen Beitrag zum Erfolg des BvB: Mehr als einmal fielen BvB-Tore wenn ich gerade auf Toilette war. Während des CL Finales baten mich meine Freunde irgendwann doch jetzt mal aufs Klo zu gehen. Und rumms. Ich hörte den Jubel über Ricken durch die Badezimmertür..
Genau heute vor 40 Jahren wurde das Westfalenstadion eingeweiht. Es ist reiner Zufall, dass ich endlich an Tickets gekommen bin um am Wochenende endlich mal wieder dabei zu sein. Und gegen wen geht es? Gegen Wolfsburg..
Verpass auf dem Weg ins Büro den Frühling nicht
Hermann Hesse lehrte in seinen Büchern und Briefen die "kleinen Freuden des Lebens". Gerade jetzt sollte man mit offenen Augen ins Büro gehen. Die gelben Osterglocken und Forsythien sehen, die weißen Baumblüten. Den blauen Himmel.
1904 schrieb er in "Peter Camenzid":
Hat er nicht recht? Liegen uns das eigene Leben, der eigene Weg, Garten, Freunde, Familie, Beruf nicht näher als das was uns die Onlinezeitungen unablässig aufs Auge drücken? Fängt das eigene Leben nicht damit an, morgens die Amsel im Garten zu hören, das Fenster zu öffnen um den Geruch des Gartens hereinzulassen? Auf die Dämmerung zu achten, während der Kaffee durch die Maschine läuft? An anstehende Geburtstage, die Osterurlaubsplanung und so weiter?
Mag sein, denken die Schreiber bei SPIEGEL, Tagesspiegel, stern und taz. Mag sein, denken sie, aber du hast kein Recht, an dich zu denken. Sie schreiben sich die Finger wund um uns von unserem eigentlichen Leben abzulenken. Du sollst nicht in den Himmel schauen und nicht auf den Forsythienstrauch. Du sollst an die Krim denken, an die Akropolis und an Afrika. Du sollst gelesen haben um nicht als Ignorant zu gelten. Du sollst die Weltwirtschaft verstanden haben und was deine Stulle mit den Ressourcenkriegen in Afrika zu tun hat. Und wenn du dich weigerst, dich von deinem Leben ablenken zu lassen, verpassen dir die Beamten der privaten Zensurbehörden einen Stempel "Rechts".
Und das gilt nur für dein privates Leben, wenn du dich entscheidest nach Feierabend aufs Smartphone zu schauen oder einen Parkspaziergang zu machen. Aber auch zwischen Morgendämmerung und Feierabend hält man dich vom Eigentlichen ab. Wolf Lotter schreibt in der neuen Ausgabe der brand eins unter dem Titel "Ruhe, bitte!" (Link):
Die Firma unternimmt jedoch alles, um uns von Problemlösungen abzuhalten. Sie steckt uns in Großraumbüros für einen besseren Informationsfluss. So bleibt kein Telefonat von Kollegen geheim, kein Witz unerzählt, kein Ärger an den Kollegen ausagiert, keine Besprechung auf die Beteiligten beschränkt. Und natürlich steht die Tür eines Großraumbüros immer offen, so dass sich jeder eingeladen fühlt, ein Bedürfnis sofort abladen zu können und befriedigt zu bekommen.
Und so wie die Medien uns zum Zwecke ihres eigenen Lebensunterhaltes ständig von uns selbst ablenken so lenkt uns auch das Management ständig von unserem eigentlichen Arbeitsauftrag ab. Wolf Lotter:
All das kostet uns Nerven und Kräfte. Wir sind dauernd an mehreren Fronten unterwegs. Wir sind mehr mit der Abwehr der Ablenkung beschäftigt, als mit dem worauf wir uns konzentrieren wollen.
Es ist aber reine Übungssache all das abzuschütteln. Den Blick zum Himmel und aufs Grün muss ich mir nicht mehr angewöhnen. Wenn ich unserem Großraumbüro in Wolfsburg entkommen will, beginne ich meinen Marsch durch nicht genutzte Besprechungsräume. Nirgendwo kann ich so gut arbeiten. Meistens aber nur für eine oder zwei Stunden. Dann rückt die Besetzung für das nächste Meeting ein.
1904 schrieb er in "Peter Camenzid":
Ich wollte erreichen, dass ihr euch schämet, von ausländischen Kriegen, von Mode, Klatsch, Literatur und Künsten mehr zu wissen als vom Frühling, der vor Euren Städten sein unbändiges Treiben entfaltet, und vom Strom, der unter euren Brücken hinfließt, und von den Wäldern und herrlichen Wiesen, durch welche eure Eisenbahn rennt.
Hat er nicht recht? Liegen uns das eigene Leben, der eigene Weg, Garten, Freunde, Familie, Beruf nicht näher als das was uns die Onlinezeitungen unablässig aufs Auge drücken? Fängt das eigene Leben nicht damit an, morgens die Amsel im Garten zu hören, das Fenster zu öffnen um den Geruch des Gartens hereinzulassen? Auf die Dämmerung zu achten, während der Kaffee durch die Maschine läuft? An anstehende Geburtstage, die Osterurlaubsplanung und so weiter?
Mag sein, denken die Schreiber bei SPIEGEL, Tagesspiegel, stern und taz. Mag sein, denken sie, aber du hast kein Recht, an dich zu denken. Sie schreiben sich die Finger wund um uns von unserem eigentlichen Leben abzulenken. Du sollst nicht in den Himmel schauen und nicht auf den Forsythienstrauch. Du sollst an die Krim denken, an die Akropolis und an Afrika. Du sollst gelesen haben um nicht als Ignorant zu gelten. Du sollst die Weltwirtschaft verstanden haben und was deine Stulle mit den Ressourcenkriegen in Afrika zu tun hat. Und wenn du dich weigerst, dich von deinem Leben ablenken zu lassen, verpassen dir die Beamten der privaten Zensurbehörden einen Stempel "Rechts".
Und das gilt nur für dein privates Leben, wenn du dich entscheidest nach Feierabend aufs Smartphone zu schauen oder einen Parkspaziergang zu machen. Aber auch zwischen Morgendämmerung und Feierabend hält man dich vom Eigentlichen ab. Wolf Lotter schreibt in der neuen Ausgabe der brand eins unter dem Titel "Ruhe, bitte!" (Link):
Die Aufmerksamkeitsgesellschaft ist in Wahrheit eine Ablenkungsgesellschaft. Aktionismus rückt an die Stelle von überlegtem Tun.Er meint damit, dass das konzentrierte Arbeiten an Lösungen und Ideen dem fortlaufenden Umwälzen der Probleme gewichen ist. Es heißt nicht mehr "tue Gutes" sondern: "Rede darüber". Unablässig wird nur noch kommuniziert. Auch die Arbeit an Powerpointfolien, die dem Entscheider begreiflich machen sollen, worum es gerade geht, ist Kommunikation. Denn, so lernte ich in meinem ersten Beruf in einem DAX-Unternehmen:
Wenn ein Unternehmen ein Problem hat, dann hat es meist ein Kommunikationsproblem.Damit hatte er sicher recht. Aber das Management reagierte auf unser Nichtwissen nicht mit mehr Information. Vielmehr expandierte es in Regionen und Kulturen, von denen es nichts verstand und deshalb Anlass zu Misstrauen sah und verbarrikadierte die zum Arbeiten und Problemlösen wichtigen Informationen hinter noch mehr Regeln. "Need to know" heißt das so schön doppeldeutig.
Die Firma unternimmt jedoch alles, um uns von Problemlösungen abzuhalten. Sie steckt uns in Großraumbüros für einen besseren Informationsfluss. So bleibt kein Telefonat von Kollegen geheim, kein Witz unerzählt, kein Ärger an den Kollegen ausagiert, keine Besprechung auf die Beteiligten beschränkt. Und natürlich steht die Tür eines Großraumbüros immer offen, so dass sich jeder eingeladen fühlt, ein Bedürfnis sofort abladen zu können und befriedigt zu bekommen.
Und so wie die Medien uns zum Zwecke ihres eigenen Lebensunterhaltes ständig von uns selbst ablenken so lenkt uns auch das Management ständig von unserem eigentlichen Arbeitsauftrag ab. Wolf Lotter:
So geht es auch den Organisationen nicht darum, sich auf eine Problemlösung zu konzentrieren, sondern fleißig den Bestand zu erhalten und seine eigene Beschäftigung zu legitimieren. Viel reden, wenig sagen und noch weniger tun.Das hat Folgen. Die Verweigerung, eine Aufgabe auch einmal zu Ende bringen zu dürfen, verweigert uns auch den Stolz und tiefe Zufriedenheit über das Ergebnis. Arbeit lenkt uns nicht von uns selbst ab, wenn man uns mal machen lässt. Wenn wir in sie versinken, etwas schaffen und dann wieder auftauchen. Danach würden wir zufrieden nach Hause gehen. Oder in den Park.
All das kostet uns Nerven und Kräfte. Wir sind dauernd an mehreren Fronten unterwegs. Wir sind mehr mit der Abwehr der Ablenkung beschäftigt, als mit dem worauf wir uns konzentrieren wollen.
Es ist aber reine Übungssache all das abzuschütteln. Den Blick zum Himmel und aufs Grün muss ich mir nicht mehr angewöhnen. Wenn ich unserem Großraumbüro in Wolfsburg entkommen will, beginne ich meinen Marsch durch nicht genutzte Besprechungsräume. Nirgendwo kann ich so gut arbeiten. Meistens aber nur für eine oder zwei Stunden. Dann rückt die Besetzung für das nächste Meeting ein.
Abonnieren
Posts (Atom)