Freitagmorgen vier Uhr. Warum bin ich so früh wach wenn ich doch heute Abend lange durchhalten - wenn möglich, einen klaren Sternenhimmel fotografieren will. Ein leichtes Ziehen im Nacken. Ah, denke ich, falsch gelegen. Also richtig legen und noch mal versuchen einzuschlafen. Ich döse, ich weiß nicht wie lange. Weiß nicht mal ob ich noch mal eingeschlafen war. Gut, dann also den Griff zum bewährten Einschlafmittel: Podcasts hören. Dabei schlafe ich gut ein. "Bayern 2 Radio Wissen - das Radio, das auf mich hört" dröhnt mir der Jingle ins rechte Ohr. Jetzt bin ich endgültig wach. Und dann beginnt ein Bericht über Italo Calvino, den Autor von "Wenn ein Reisender in einer Winternacht" und "Herr Palomar".
Ein Autor, der über seine Beobachtungen, sein Nachdenken über sie, seine Assoziationen und über das Schreiben geschrieben hat. Darüber, wie man von Hölzchen auf Stöckchen, vom Hundersten ins Tausendste kommt. Ja, denke ich, so geht es mir auch. Nur dass ich diese Gedankensprünge und -wanderungen stets als Vorwand nahm, nicht zu schreiben. Sei es, bewusst so zu entscheiden. Sei es, es unbewusst vor mir her zu schieben, weil ich auf einen besseren Moment warte. Und während des Wartes schoben schon wieder hunderte neue Gedanken, die noch nicht vollendeten beiseite. Aber stets dachte ich, kein Problem, denn die neuen Gedanken sind ja die Weiterentwicklung der früheren Gedanken. Ich versäume also nichts, wenn ich warte -dachte ich- denn meine Gedanken werden immer besser. Am besten wäre es, am Ende meines Lebens den letzten Gedanken aufzuschreiben, denn der müsse die Quintessenz aller -ALLER- vorherigen sein.
Dann berichteten die Autoren von den Beobachtungen Calvinos am Meer. Er wollte in Worte fassen, was eine Welle ist. Und er merkte, das das nicht geht, ohne ihren Kontext zu beschreiben. Und dass die Beobachtung im Prinzip zu keinem Ende führe. Die Oberflächen der Dinge sind unendlich, sagte er so oder ähnlich.
Wenn ich also nachher aus dem Haus gehe, die letzten Kurzstreckenkarte löse, in die S-Bahn steige, dann suche ich mir eine Nische an einer der gegenüberliegenden Türen, an denen die Leute nicht ein- und aussteigen. Denn ich will noch mal auf mein iPhone schauen (auf das private). Neue Emails? Neue Meldungen auf Twitter, Facebook, Whatsapp, LinkedIn, Xing... Und da ich es tue, wird mir wieder klar, dass das nichts als Zeitvertreib ist. Also hole ich das dienstliche Handy aus der Tasche. Hat die Kollegin, die ihre letzte Email nach 19h und ihre erste um 8h zu schreiben pflegt, wieder etwas rausgehauen? Der rote Punkt über der EmailApp sagt 4 neue Emails. Alle, die sie mit auf dem Verteiler hat, sehen das etwa um diese Zeit jetzt auch. Ich klicke auf den roten, appellierenden Punkt und starte das Emailprogramm. Von den 4 neuen Emails, sind zwei Terminabsagen, eine neue Einladung und eine Email ist eine Weiterleitung einer Urlaubsmeldung eines Mitarbeiters vom IT-Dienstleister unseres Kunden. Und da ich es lese, wird mir wieder klar, dass das nichts als Zeitvertreib ist. Denn inzwischen bin ich fast schon am Ziel.
Zu den lästigen Routinen im Berliner Morgentrubel gehört das sich Durchboxen aus der S-Bahn auf die Rolltreppe, und all die Treppen. Anders als in anderen Großstädten bilden sich in Berlin keine Bahnen, in denen man schnell vorwärts kommt. Nein, hier kreuzt dauernd jeder jeden. Die Aufmerksamen (=die Erwachsenen) weichen den wichtigen Leuten aus, die auch auf öffentlichen Wegen ihren Blick nicht vom Smartphone abwenden können. In der anderen Hand tragen sie einen Kaffee. Manchmal bleiben sie abrupt stehen, um an ihrem Kaffee zu nippen. Manche von ihnen direkt vor mir. Was lesen die da, was duldet jetzt keinen Aufschub? Ich nehme an: die Ablenkung von sich selbst.
Am Bürogebäude angekommen, endlich. Vor dem Fahrstuhl die nächste Geduldsprobe. Er hat zwei Schächte, man ein Geräusch wie ein Hochgeschwindigkeitsfahrstuhl, braucht aber ewig. Vor dem Fahrstuhl sammeln sich die Angestellten. Und da die Wände hier vollverspiegelt sind, weiß -wie schon in der S-Bahn- niemand, wohin mit seinem Blick. Und im Fahrstuhl geht es so weiter. Man weiß nicht, wohin mit dem Blick, denn auch hier herrscht Vollverspiegelung. Wer denkt sich so etwas aus?
Wir halten noch zweimal, dann sind wir endlich da, wo ich hinwollte. Nur noch einmal die Karte zücken, dann bin ich endlich im Büro.
Freitag, 25. August 2017
Mittwoch, 16. August 2017
Darwin, Dawkins und der "gesunde" Egoismus
Darwin - "Die Entstehung der Arten"
Richard Dawkins schrieb 1976 über das "Egoistische Gen" und gehört seitdem zu den am meisten mißverstandenen Autoren. So missverstanden wie Charles Darwin, auf den er sich bezieht.Darwin gilt unter Linken als ein Verfechter des Egoismus, um nicht zu sagen "Neoliberalismus", der ebenfalls zu den bewusst missverstandenen bzw. missbrauchten Begriffen zählt. Und um die Reihe komplett zu machen, füge ich noch Itai Yanai und Martin Lercher mit ihrem Werk "The Society of Genes" von 2016 hinzu, die sich auf Richard Dawkins beziehen.
Die genannten Biologen beschreiben die Dinge wie sie sind, oder zu sein scheinen. Unsere Gesellschaft ist aber so, dass sie den Überbringer der schlechten Nachricht zu steinigen pflegt, gerade so, als sei jeder Beobachter auch der zugehörige Schöpfer. Das könnte daran liegen, dass die zur Beobachtung Unfähigen natürlich auch zur Analyse und Schlussfolgerung unfähig sind. Und natürlich erst recht zur Schöpfung von irgendetwas. Wozu diese Zeitgenossen aber in besonderer Weise fähig sind -jedenfalls aus ihrer Sicht- ist die moralische Bewertung dessen, was sie nicht verstehen.
"Darwinismus" gilt Linken und Grünen -insbesondere Pazifisten- als Gründer einer politischen Denkrichtung, nach der sich in jeder Gesellschaft der Stärkere durchsetzen soll und dies auch tut. Diese Interpretation beruht auf der falschen Übersetzung des Wörtchens "fittest". Wenn der Zeitgeist draußen gerade der Fitness das Wort redet, übersetzt man die englische Fitness natürlich mit Stärke und nicht mit Anpassung. Aber das wussten Sie, lieber Leser, sicher schon.
Dawkins - "Das egoistische Gen"
Richard Dawkins addiert zu der auf zufälligen Mutationen und den auslesenden Effekten der Umwelt beruhenden Evolution einen aktiven Motor: das Gen und seine egoistische Ausrichtung. Und aufgepasst, wieder lauert die Gefahr einer Missinterpretation: Dawkins sagt, das Gen ist egoistisch auf der individuellen Ebene, nicht der Ebene seiner Gattung. Wenn alle individuellen Gene einer Gattung einen Überlebensvorteil aus einem Merkmal beziehen, dann profitiert die gesamte Gattung davon. Auch der Mensch - so Dawkins- handele egoistisch auf individueller Ebene, und die Gattung profitiere davon. Allerdings mit dem Unterschied, dass die Kultur (inklusive Forschung und Technologie) eine zusätzliche Hebelwirkung bewirke.Was Linke auch nicht so gerne hören werden ist, dass selbst scheinbar altruistisches Handeln in Wahrheit egoistisch sein kann. Und gerade da bin ich der Meinung, liefert unsere Zeit gerade Anschauungsbeispiele in Hülle und Fülle. Nämlich Menschen, die öffentlich Forderungen erheben und dabei so tun, als würden sie altruistische Motive verfolgen. In Wahrheit aber nichts anderes als egoistische Motive verfolgen, also Vorteile für sich auf individueller Ebene verfolgen, indem sie altruistisch auf der Ebene der Gattung vortäuschen. Wenn Sie Zeitung lesen, wissen Sie wovon ich spreche. Wenn Sie sich ausschließlich aus öffentlich-rechtlichen Medien informieren sollten, bin ich mir allerdings nicht ganz so sicher.
Um ein unverfängliches Beispiel zu geben: Wenn Eltern sich um ihre Jungen kümmern und dabei auch Lebensrisiken eingehen, dann tun sie das scheinbar für die Erhaltung ihrer Gattung. Aber aus der Diskussion über den demographischen Faktor wissen sie, worin der Egoismus in der Aufzucht von Nachkommen liegt ;-).
Aber selbst wenn wir eine Gruppe annehmen, in der das altruistische Verhalten dominiert, wird sie nicht verhindern - so Dawkins- von egoistischen Gruppen unterwandert zu werden, die von diesem altruistischen Verhalten dominiert. Dawkins schrieb auch (1976), dass das Aussterben einer Gruppe viel langsamer von Statten geht, als ein "Hieb- und Stichwechsel einen Konkurrenzkampfes". - Prophetische Worte..
Im weiteren Verlauf seines Werkes entwickelt Dawkins die Idee der Auslese einer Gattung über die Auslese von Individuen einer Gattung hin zur Auslese von Genen und Genabschnitten in einem Individuum. Für Dawkins findet der Kampf der Gene ums Überleben bei der Fortpflanzung statt: wie viel bekommt das Kind von der Mutter mit, wie viel vom Vater? Übrigens lässt sich von dort auch eine Theorie für unseren Familiensinn ableiten. Ich hoffe, dass kein Linker das Buch vor dem Bundestagswahlkampf am 24.9.2017 lesen wird...
Yanai und Lercher - "Das geheime Leben der Gengesellschaft im Menschen"
Yanai und Lercher schließlich interpretieren Dawkins Sicht weiter. Für sie ist Krebs ein Beispiel dafür, wenn einzelne Individuen sich nicht an die Regeln halten und das Boot in dem sie selbst sitzen zum Kentern und Untergang bringen. Sie erklären damit auch, wie wichtig die "innere Sicherheit" des Körpers ist, nämlich die sozusagen "Autonomen" vom Immunsystem rechtzeitig zu erkennen und unschädlich zu machen. Die Autoren identifizieren wie Dawkins unsere Gene als Hauptschauplatz unseres Daseinskampfes. Sie gehen soweit zu sagen, dass nicht wir Gene haben, sondern die Gene haben uns - als Vehikel für ihr Weitertragen der Geninformation von Generation zu Generation.Fazit:
Ich ziehe aus der Lektüre von Dawkins einerseits und Yanai/Lercher andererseits folgende Schlüsse:1. Unser Verständnis vom Wesen des Lebens hat gerade erst begonnen.
2. Wir müssen die Denkblockaden, die Moralisten um Darwin errichtet hatten, überwinden und die Erkenntnisse der Forschung in unser Verständnis einfließen lassen. Wir müssen überhaupt Forschung in der Mikrobiologie und Genetik erlauben.
3. Wir müssen scheinbar altruistisches Handeln, das in Wahrheit nur dem Ego dient, enttarnen und benennen. Dieses Phänomen ist in der westlichen Welt fast selbst zu einem Krebsgeschwür geworden, das im Begriff ist, das Immunsystem zu überwinden.
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