Montag, 30. Mai 2022

Apocalypse now

 Woher kommt unsere Vorstellung, es müsse erst noch schlimmer werden, bevor es wieder besser wird? Dass es erst "knallen" muss. Dass mal einer mit der Faust auf den Tisch hauen muss. Dass man wieder einer "kommen muss, der aufräumt". 

Es scheint Alltagserfahrungen zu entspringen. Ein Konflikt hat lange geschwelt und jetzt haben wir mal "Klar Schiff" gemacht. "Ich muss alle paar Wochen mal drauf hauen, dann geht es wieder." sagte mein früherer Chef über unsere Dienstleistungsfirma. Oder vom Wetter: Wenn es unerträglich heiß und schwül geworden ist wünschen wir uns das erlösende Gewitter.

Im Neuen Testament ist es das große Motiv der Apokalypse. Dem Endkampf zwischen Gut und Böse, bevor Jesus zurück auf die Erde kehrt und ein goldenes Zeitalter einläutet.

Aber woher hatte der Verfasser der Offenbarung sein Motiv? Von den gebärenden Frauen? Die zuerst einen anschwellenden, unerträglichen Schmerz aushalten müssen. Und der erst aufhört, wenn das Kind geboren ist? Das Kind, das als die eigene Erlösung angesehen wird?

Seit den Terrorangriffen vom 11. September suchen auch gebildete Leute nach Zeichen und Deutungen. Nach einem Sinn in einer Welt, die ihnen zunehmend sinnloser vorkommt. In der sich geschaffene Ordnungen auflösen und scheinbar willfährig an das Böse ergeben. Oder das Böse für das Gute halten.

Aber mit so einer Wortwahl habe ich mich schon selbst in die Begriffswelt der Gläubigen der letzten Tage begeben. Aber ist da nicht etwas Wahres dran? 

Gut, könnte man einwenden, wenn du schon den 11. September oder den Krieg in der Ukraine für die Apokalypse hält, was waren dann erst die Weltkriege im vorigen Jahrhundert? Geht es denn noch schlimmer?

Ja, sagen die Klimawandelgläubigen. Diesmal steht "der Planet" auf dem Spiel. Und diese Leute sehen in uns, den Guten das Böse. 

Aber wen interessiert "der Planet"? Die Bibel handelt vom östlichen Mittelmeerraum. Die Stämme Israels gegen den Rest der Welt mit Gott Jaweh auf ihrer Seite. Das Volk, das immer herumziehen musste. Das im gelobten Land ankam, es eroberte und bewohnbar machte. Und wieder vertrieben wurde. Und den Nachkommen, die es irgendwann satt hatten, die verfolgten Sündenböcke zu sein und sich assimilierten. Und wo dann Gott genug hatte und mit der Faust auf den Tisch haute.

Ist da kein Entkommen? Nein, sage ich. Wir dem Ursprungs nach Europäer hatten das Böse 1989 besiegt. Und zehn Jahre hielten wir die neue Freiheit aus. Und erarbeiteten einen rasanten Fortschritt, der unzählige Science Fiction Visionen in die Realität umsetzte. Aber dann ging es einigen schon wieder zu gut und sie begannen, ihren Überdruss an sich selbst über die Welt zu bringen. 

  • In den 90er Jahren bombardierten sie serbische Christen, die sich von kosovarischen Muslimen und Islamisten distanzieren wollten.
  • In den 2000er Jahren denunzierten sie die Christen und Juden, die sich gegen die irakisch-afghanischen Islamisten wehren wollten.
  • In den 10er Jahren öffneten sie Grenzen Europas für Massen und Marodeure, die sich einfach mit ins Boot setzten. Aber nicht mitruderten.
  • In den 20er Jahren wandelten sie die westlichen Staaten in autoritäre Gebilde, die sich ihre Massen zu Konformisten und Denunzianten erzogen. Immer weniger arbeiteten mit und diese mussten immer mehr Steuern zahlen für die, die sich mit an den Tisch setzten und die hinter den Überwachungskameras standen. Und sie provozierten einen Krieg direkt vor ihrer Haustür.
Der Gott des Alten Testamentes war ein strafender. Illoyalität und Verstöße gegen seine Gesetze vergalt er mit harten Strafen. Die Israeliten hatten sich nicht ihn ausgesucht. Er hatte sie sich ausgesucht. Ein Schicksal ohne Entkommen. Ein Gesetz ohne Entkommen. Aber auch eine menschliche Natur vom gleichen Schöpfer. Ein Schöpfer, der sich eine Natur geschaffen hat, die gegen seine Gesetze verstößt und die deshalb regelmäßig angeklagt, verurteilt und bestraft wird. 

Nein, sagen die Apokalyptiker. Du hast die freie Wahl, dich für die guten oder die bösen Dämonen zu entscheiden. Für den heiligen Geist oder den Dämon auf der Wanduhr in Deinem Zimmer. Wen du über deine Seele herrschen lässt, bestimmst du selbst.

Doch, so denken inzwischen auch wieder gebildete Leute. Leute, denen man den Blick hinter den Vorhang vorenthält. Gebildete Leute, die sich von weniger gebildeten Leuten, herumkommandieren lassen. Die das nicht wollen, aber die auch keinen offenen Widerspruch wagen. Und die deshalb auf die Erlösung durch die gute höhere Macht hoffen. Und deshalb zum Himmel und in die Medien blicken in der Hoffnung, ein Zeichen zu sehen. 

Und die sich versammeln. Beim Montagsspaziergang, auf dem Hambacher Fest. Immer mehr, und dazu gehören immer mehr Leute auch aus meinem Bekanntenkreis, denken so und halten es nicht mehr aus, diese Widersprüche allein in ihrem Kopf auszutragen. Eine wachsende Anspannung, die auf Erlösung wartet. Den Knall, das reinigende Gewitter oder die Faust auf dem Tisch.

Die Ähnlichkeiten mit den letzten beiden Vorkriegszeiten in Europa sind unübersehbar. Die Staaten rüsten gegen ihre Bürger. Drangsalieren sie mit Formularen, Regeln, Preissteigerungen, Zensur, Gewalttätern (was früher die organisierten Schläger in Uniformen und auf Lastwagen waren sind heute Islamisten, Verwahrloste und die Antifa). Die Grenzen passen immer weniger zu den gewachsenen Völkern. Die Spannungen zwischen immer weniger Fleißigen und immer mehr Mitessern wachsen. Es kommt von allen Seiten und wir sollen uns um immer mehr kümmern. Sollen Afrika retten und Syrien und die Ukraine. An uns selbst sollen wir überhaupt nicht mehr denken.

Der Staat zählt auf die gewaltbereiten Ungebildeten. Und kennt nicht jeder von uns mindestens einen, der nie so richtig erwachsen wurde, der die Verantwortung für sein Leben schon immer gerne auf andere und den Staat abgewälzt hat. Dessen Gehalt auch dann kam, wenn er regelmäßig seine 20 Krankheitstage im Jahr machte und sich Kuren "zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft" verschreiben ließ. Der Abends beim Bier über die Kapitalisten klagte, die endlich etwas abgeben sollten. Und der sicher kein Problem hätte, seine Verwandten und Freunde zu denunzieren, wenn er im Gegenzug "endlich auch mal dran" käme.

Der Westen ist dabei, sich totalitäre Strukturen zu geben, die nicht von einem einzigen Diktator abhängen. Stattdessen wurde ein System geschaffen, in dem die Macht vom System ausgeht. In dem sich viele dumme Menschen gerne unterwerfen und auf nichts mehr hoffen als auf Rache an denen, denen sie nie das Wasser reichen konnten. Das Vorbild ist China. 

Diejenigen, die das auch so sehen, hoffen. Hoffen, dass es erst nach ihrer Zeit so richtig losgeht. Oder hoffen auf Flucht, wenn sie glauben, es noch mitzuerleben. Nur an bessere Zeiten glaubt von den Guten kaum noch einer.

Sonntag, 22. Mai 2022

Wie Propaganda wirkt

Über einen professionellen Lügner sagen die Leute nicht, dass er ein professioneller Lügner sei. Sondern sie sagen: Der kann gar nicht lügen.

Ähnlich ist es mit professioneller PR und Werbung.


Und es gilt auch für professionelle Propaganda in Kriegszeiten. Ihr gehen auch Intellektuelle auf den Leim und lässt sie denken: "Gut, dass es das bei uns nicht gibt."


Sie benutzt den gleichen Trick wie Change Agents in Großorganisationen: Sie stellen nicht selbst Wertungen und Forderungen in den Raum, weil sie um deren Ablehnung wissen.

Sondern geben den Leuten die Informationshäppchen, aus denen sie selbst die gewünschten Schlüsse ziehen und Forderungen formulieren.


Daran musste ich gerade nach dem Hören der aktuellen Podcast Episode von Lanz & Precht denken. Ich halte von beiden nicht viel und hörte nur mal rein, weil mein Podcastprogramm es mir empfahl. Es ging um "das Böse" und handelte von: Putin. Ich hörte rein - und blieb kleben. Die beiden haben es wirklich drauf, so zu reden, dass man davon besoffen wird. Als würde man einem interessanten Thekengespräch nebenan folgen.

Beide bauen ein Bild von Putin auf, das einen erstarren lässt. "Da war am Anfang die U-Boot Katastrophe der Kursk. Wo den Männern unten im Polarmeer die Batterien ausgingen. Zuerst geht das Licht aus, dann wird es kalt und der Sauerstoff geht aus. Und oben feiert Putin eine Gartenparty. Und lehnt internationale Hilfsangebote ab." - "Ja, der Soundso hat ja neulich darauf hingewiesen, dass wir nie vergessen dürfen, dass Putin durch und durch ein Agent ist. Der hat keine Empathie mehr. Der erwartet von seinem Personal, dass es funktioniert, andernfalls ist es wertlos." - "Ja, und unsere ZDF Korrespondentin in Moskau sagt, dass man dort immer häufiger das Gerücht hört, die vermeintlich Tschetschenische Sprengstoffanschläge auf Moskauer Hochhäuser hätte der Geheimdienst selbst durchgeführt, um einen Anlass für einen Krieg zu konstruieren."


Atemlose Spannung. Irgendwann wird mir klar: Hier wird ein Monster aufgebaut. Das Monster eines Diktator den man wohl schon bald nicht mehr für einen Menschen halten soll. Und dann kommen die Beispiele aus der -richtig- Nazizeit. Wie skrupellos wir alle unter bestimmten Bedingungen werden können. Soll heißen: Es steckt in jedem von uns, und jetzt kommt es gerade bei Putin zum Vorschein.

Lanz bringt auch noch Beispiele aus dem Drohnenkrieg der USA. Wie unempathisch der Druck auf den Knopf vonstatten geht. Aber nur als Beispiel. Der aktuelle Akteur ist Putin.


Unsere Medien bauen gerade das Bild vom Bösen an sich auf, und es trägt Putins Gesicht. Vorsicht: Genau das ist Kriegspropaganda. Und man erkennt es gerade daran, dass man denkt: Gut, dass es bei uns solche nachdenklich, gebildeten Medienmacher gibt anstatt solch platter Propaganda wie in Russland.

Man muss sich beim Lesen, Hören und Schauen selbst beobachten: Was wird mir hier gerade vermittelt? Was baut sich da gerade in mir auf? Ah, der brutale Putin, der nicht nur abtrünnige Agenten vergiften lässt, sondern auch eigene Matrosen drauf gehen lässt, wenn sie versagt haben.

Ich bin weit davon, Putin in Schutz zu nehmen. Aber welchen Zweck verfolgen Medien, die solche Bilder aufbauen? Welchen anderen Zweck, als unsere Zustimmung zur Eskalation eines Krieges zu erzeugen?

Sonntag, 15. Mai 2022

Was unsere "Welt von gestern" von Stefan Zweig's unterscheidet

 Ich lese gerade zum wiederholten Male in Zweig's "Unsere Welt von gestern". Und es drängt mich, Parallelen, aber auch Unterschiede zu unserer heutigen Trauer um die Vergangenheit zu ziehen. 

Stefan Zweig bringt seine Zeit in Österreich vor dem ersten Weltkrieg auf den Nenner Sicherheit und Stabilität. Immer ging alles seinen Gang und wer zur gebildeten und begüterten Schicht gehörte, konnte sein Leben schon bis zur Pension ausrechnen. Als Garanten für diesen Komfort, der den Leuten wegen der Gewohnheit daran nicht mehr bewusst war, nennt er Kaiser Franz, bzw. die 700 jährige Monarchie der Habsburger

Sind Sicherheit und Stabilität auch, was wir heute vermissen? Vordergründig ja. Denn seit zehn Jahren treiben uns die Eliten von einer Krise in die nächste. Die Angst um die eigenen Ersparnisse, die Angst um gesichertes Einkommen, die Angst vor Epidemien und nun die Angst vor einem Atomkrieg. Wir werden auf Trab gehalten. Wenn wir uns früher nach Feierabend oder am Wochenende erholen wollten oder unser Leben verbesserten, fängt heute die zweite Schicht an, nämlich die Absicherung und Planung des weiteren eigenen Lebens. Geht so etwas über Jahre, zehrt es an den Kräften und den Nerven. Ich z. B. bekomme immer wieder mal Zahnschmerzen, die einige Tage später wieder von selbst verschwinden. Als suche sich mein Körper ein Ventil, über das er all den Überdruss und Unwillen ablassen kann.

Aber eigentlich wünsche ich mir nicht frühere Sicherheit und Stabilität zurück, Sondern die Freiheit, wieder selbst wirksam sein zu können. Wenn etwas meine erste Lebenshälfte beschrieb, dann war es die Gewissheit, die Qualität meines Lebens selbst beeinflussen zu können. Ich habe die Gelegenheiten genutzt, die uns unser Gemeinwesen früher bot. Als Kind interessierte mich die Welt der Erwachsenen. Die Autos, über die mein Vater und meine Onkels fachsimpelten. Unser Radion, der Plattenspieler, das Fernsehen. "Aus Forschung und Technik" und "Querschnitte". Aber auch Science Fiction. Deshalb war ich in der Schule wirklich neugierig, zu lernen. Lernen hieß Verstehen. Verstehen hieß, mitdenken zu können. Mitdenken befähigte zum Basteln und Ausprobieren. Ich hielt meine Einstellung für normal. Aber in der Schule lernte ich auch, dass ich damit zu einer Minderheit gehörte. von unseren 23 i-Männchen interessierten sich vielleicht fünf andere genau so. Die Mehrheit lief mit und tat, was nötig war. und eine andere Minderheit verweigerte das Lernen. Und versuchte, die anderen ebenfalls vom Lernen und guter Laune abzuhalten. Sie suchten Streit, neideten den anderen ihre guten Noten und Fähigkeiten. Im Ergebnis bremsten sie das Tempo. Anstatt die Lücke zwischen ihnen und uns durch eigene Anstrengung zu schließen, versuchten sie, uns zu bremsen. Und nur die älteren Lehrer gaben ihnen Kontra und versuchten sie zu disziplinieren. Die neuen Lehrerinnen verhandelten mit ihnen Bedingungen, zu denen die Marodeure bereit wären, im Unterricht wenigstens nicht mehr zu stören. Unser Staat bot allen Kindern kostenlose Schulbildung an. Aber nicht alle erkannten das als Chance. Die meisten kauten gedankenlos auf dem herum, was der Staat ihnen täglich vorlegte.

Gut, dachte der Staat, dann werden wir nach der Grundschule, diejenigen belohnen, die ihre Chancen erkennen und nutzen. Und er schuf das dreigliedrige Schulsystem. Ich nutzte die Chance aufs Gymnasium zu gehen., Danach nutzte ich die Chance, ein Studium zu beginnen. Alles weiterhin für mich kostenlos, was ich für selbstverständlich hielt. Aber neben mir wuchs die Gruppe derjenigen, die selbst solche Chancen für zu anstrengend hielten und Parolen erfanden wie "Abitur für alle", "Teilhabe für alle". Die den Selbstverantwortlichen noch die Bürde auferlegten, die Unwilligen, Gewaltbereiten weiter "mit zu nehmen". Hinter mir schufen sie das Gymnasium ab und ersetzten es durch die Gesamtschule. Aber schon bei uns tummelten sich viele, von denen ich mich später fragte: Was wollten die eigentlich da und warum wurden sie nicht früh ausgesiebt? In den Klassen 5 bis 7 waren Kloppereien zwischen guten Gymnasiasten und überforderten, neidischen und gewaltbereiten Problemschülern an der Tagesordnung. Wie sehr uns das im Lerntempo bremste, wurde mir erst bewusst, als ich in der Oberstufe meinen Physik-Leistungskurs auf dem Nachbargymnasium belegen musste. Das nämlich war inoffiziell eine Art städtisches Elitegymnasium. Meine Eltern, und die meiner Freunde, hatten sich nicht getraut, uns dort anzumelden. Aus Angst, dort weder leistungsmäßig noch vom Habitus der Eltern aus mithalten zu können. Denn dort trafen sich die Kinder der Oberschicht. Aber mit 18 begann für mich der Ausflug in diese Oberschicht. Und hoppla, das Tempo und die Intensität waren hier höher. Ich musste mich richtig anstrengen (zum ersten Mal), aber ich arbeitete mich bis auf eine 2+ hoch. Was ich auch lernte war: Auch in der Oberschicht gab es Schüler, die nicht in diesen Kurs gehörten, obwohl ihr Vater selbst Ingenieur war. Und der Lehrer siebte sie gnadenlos aus. Ich lernte den direkten Zusammenhang zwischen Anstrengung und Ergebnis.

Und das half mir direkt im ersten Semester meines Studiums, wo Physik wiederum ein Siebfach war. Ich kann an der Uni an und hatte bereits intensives Lernen gelernt. Etliche anderen fielen raus. Auch hier galt wieder: Einsatz lohnt sich. Und eine Stufe ergab hier die nächste. Ich bewarb mich als studentische Hilfskraft an einem Lehrstuhl. Ich bekam den Job. Und machte hier meine Studienarbeit (übrigens bereits über den Einsatz künstlicher neuroyaler Netze in der Netzleittechnik). Und von hier aus bekam ich die Chance als Werkstudent bei RWE in Essen anzufangen. Und hier konnte ich später meine Diplomarbeit machen. Und dann bot man mir hier, in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, einen befristeten Traineeevertrag an. Und auch hier musste ich mich wieder anstrengen, denn ich kannte bei RWE niemanden, der mich protegieren konnte. Außer meinem Diplomarbeitsbetreuer, zu dem ich mir meine Beziehung aber selbst erarbeitet hatte. 

Und so weiter. Bis heute würde ich sagen: Alles in allem, habe ich mich meistens als wirksam empfunden. Hoher Einsatz bewirkte neue Fähigkeiten und guten Lohn. Es war "normal", dass die Entwicklung solange nach oben zeigte, solange ich bereit war, Einsatz zu bringen. Aber immer bemerkte ich neben mir auch diejenigen, die ohne Fähigkeiten durch reine Protektion nach oben kamen und solche, die nur an Beziehungen arbeiteten, die sie ohne Anstrengung in hohem Lohn halten würden.

Aber das hat sich geändert. Die leistende einsatzbereite Schicht und Mentalität ist inzwischen eine Minderheit. Staat und Gesellschaft belohnen die Leistungsträger nicht  mehr. Sondern beschuldigen sie, dass sie den Deal nicht mehr einseitig einlösen wollen. In den Institutionen, der Form unseres Gemeinwesens, haben sich Kostgänger breit gemacht, die über die Gesamtschulen und Gesamthochschulen (wenn überhaupt mit einer Ausbildung) in Funktionen kamen, die sie nicht mehr ausfüllen können. Wo sie aber die Macht ausüben. Sie denunzieren die Leistungsträger als "Privilegierte". Leistungsfähigkeit und -bereitschaft werden hier inzwischen als angeborene Privilegien weißer Männer denunziert. Damit einher geht die große Selbstentlastung und der Freispruch von jedweder Aufforderung, selbst etwas leisten zu müssen. Damit einher gehen immer größere Hürden, selbst mal etwas aus den Versicherungskassen bekommen zu können, die man ein Leben lang finanziert hat. Und für sich selbst senken sie fortwährend die Hürden, sich an öffentlichen Kassen bedienen zu können. Obendrauf ziehen sie Millionen von Einwanderern ins Land, deren Unterhalt sie auch noch uns aufbürden wollen. Denn "Deutschland ist ein reiches Land", ist das Lieblingszitat der höheren Söhne und Töchter, die am Leistungsprinzip gescheitert sind, und jetzt dafür sorgen, dass ihr Scheitern als Schuld der Gesellschaft angesehen wird. Sie verbieten ja schon heute den Klügeren den Mund. Sie schaffen die Freiheit ab und installieren den Überwachungsstaat. Denn so wie die Mächtigen früher ihre Geheimdienste brauchten, um sich des Monopols des Staates zu vergewissern, so brauchen sie heute den Zensurstaat, um ihre Dummheit von den Klugen nicht enttarnen lassen zu können.

Eine Gesellschaft, die sich wehrlos diesen Marodeuren der Moderne ergibt, sich in Selbstzensur und Opferbereitschaft übt, ist zum Niedergang verurteilt. Und zwar einem Niedergang, der sich exponentiell beschleunigen wird. Zuerst werden nur die Goldränder abbröckeln. Dann bröckeln Putz und öffentliche Infrastruktur. Dann sieht es hier irgendwann so aus wie zum Ende der DDR und sie werden sagen: Schuld ist der Kapitalismus. Und sie werden die leistende Minderheit immer mehr beschuldigen und belasten. Und dann brechen irgendwann die Fundamente weg und dann wankt das Ganze. Und wenn es irgendwann nichts mehr zu verteilen gibt, werden die Bestien wieder erwachen. Und die Bestien werden nicht nur Hunger haben. Sie werden sich für die moralisch Höherwertigen halten und mit Selbstjustiz durch die Straßen ziehen. Die Anfänge davon kann man heute schon sehen.

Und dann werden wir beides verloren haben: Unseren Fortschritt und Stabilität.. 

Sonntag, 8. Mai 2022

Agilität und Demokratie brauchen Struktur

Ohne Massenmedien ist Demokratie in Deutschland nicht vorstellbar. Denn wen sollten die Leute wählen, wenn ihnen niemand sagt, wen? "Die plötzliche Freiheit ist das schlimmste." sagte eine mir bekannte Rentnerin. Sagten vielleicht auch viele Deutsche nach 1848, 1918 und 1989? 

Und nein, das hat nichts mit deutscher Ordnungsliebe zu tun. Diese halte ich noch für eines der konstruktivsten Wesensmerkmale der Deutschen. Denn nur was eine stabile, die Funktion unterstützende Struktur hat, kann etwas bewegen. Ordnung entspringt also der Erkenntnis, dass es wenig Sinn macht, sinn- und planlos irgendwie hin und her zu diffundieren. 

Aber genau das halten viele, die jetzt ungelernt in die Softwarebranche strömen, für Agilität. "Gebt Eure alten Vorstellungen auf und geht mit uns, mit der neuen Zeit. Werdet agil!" Rufen die, die gehört haben, dass bei uns jetzt viel von "Mindset" die Rede ist. Die jetzt hoffen, und glauben machen wollen, auf Fachkompetenz komme es jetzt gar nicht  mehr an. Sondern nur noch darauf, pseudofortschrittlich und vor allem soziologisch daher zu quatschen. Und da sind sie auch schon, Bachelors of Art, die Filmstudioassistenten, die Superschlauen die Festanstellungen nach dem Abitur für "superlangweilig" hielten und lieber "was mit Medien machten". 

Agilität ist, wenn wir jeden Tag neu darüber reden, was wir als nächstes machen und "was der Kunde will". Für ihren größten Widersacher halten diese Erwachten die Fachkompetenzen. Und unter diesen am meisten die Architekten, "Architekten sind Statiker - wir aber müssen agil denken." 

Falsch. Denn Agilität ist vielmehr die Kunst, von einem stabilen funktionalen Zustand in einen anderen stabilen funktionalen Zustand zu wechseln, ohne sich auf dem Weg dorthin im Chaos zu verlieren. Ständige Fluktuationen kosten nur Zeit und Energie. Und gehen in keine Richtung. Deshalb brauchen wir sie beide: Den, der um den Bedarf über das gewünschte Systemverhalten weiß. Und den, der um die Struktur weiß, die zu diesem Verhalten auf stabile Weise fähig ist. 

D. h. es laufen etwa folgende Analyseschritte ab:

Ist-Struktur --- ermöglicht---> Ist-Fähigkeiten

Ist-Fähigkeiten ---- ermöglichen ---> Ist-Verhalten

Soll-Verhalten ---- erfordert -> Soll-Fähigkeiten

Soll Fähigkeiten ----erfordern ---> Soll-.Struktur

Die hohe Kunst ist es, eine Struktur zu schaffen, die man gut auf neue Anforderungen anpassen kann. Wenn diese Kunst erfüllt ist, würde ich von einem agilen Projekt sprechen. Die Ungelernten propagieren aber, dass Agilität bedeute, man brauche keine Struktur mehr.

Aber nicht nur die Ungelernten stören. Auch Manager, die auf dem Weg zur neuen Struktur, das Soll-Verhalten oder Randbedingungen ändern, z. B. Terminvorgaben. Wenn man merkt, dass zwei Jahre Entwicklungszeit zu wenig waren, dann bedeuten zwei Jahre mehr Entwicklungszeit keinen Gewinn, wenn sich gleichzeitig die Anforderungen ändern. Dann wird man wieder da landen, wo man noch mal zwei Jahre bräuchte. (Aber ein CEO hat dann schon vier Jahre gewonnen, in denen er dem Aufsichtsrat unheimlich starke Visionen und Strategien präsentiert hat - und die Defizite der Organisation...).

Das Fazit der verzweifelten Kompetenzen lautet: Es war ohne Agilität schon schlimm. Aber jetzt ist es noch schlimmer. Jetzt werden sie für ihre Planlosigkeit auch noch gefeiert. Und sie werden die Folgen bei uns abladen. Als denjenigen, die mit der "neuen Freiheit und Selbstverantwortung" nicht umgehen konnten. Denn natürlich haben sie die operative Umsetzung ihrer Vorgaben komplett bei uns abgeladen.

Und im Intranet, dem Binnen-Massenmedium der Konzerne, wird es heißen: Die alten weißen Männer haben den Fortschritt behindert. Deshalb müssen wir sie loswerden. 

Vielleicht muss man mit dieser Erkenntnis auch die Skepsis gegenüber der Einführung von Demokratie verstehen. Vielleicht weniger gegenüber der Demokratie, sondern gegenüber den real existierenden Demokraten. Wenn Struktur und Stabilität verpönt sind, weil sie auch Missstände zementiert hatten, dann kann jeder Depp auf Fortschritt machen, indem er Demokratie und Freiheit propagiert. Und sich mittels Medien zu inszenieren weiß. Die Inkompetenten kommen in Demokratie über die Medien an die Macht. Wer die Medien kontrolliert, kontrolliert die Demokratie. Weil die Mehrheit der Regierten zu bequem ist, entweder selbst zu kandidieren oder sich selbst auf den Weg zu den Quellen zu machen.

Für die wissenden Systemarchitekten ist das ein Dilemma: Sie wissen, die alte Struktur kann die neuen Anforderungen nicht - aber immerhin die alten, und zwar stabil. Und zu der neuen Struktur werden sie nicht gelangen, weil die manipulierte Mehrheit von Strukturen nichts mehr wissen will. Die Mächtigen aber leben jetzt davon, ständig neue Anforderungen durch das Projekt zu jagen. 

Sonntag, 1. Mai 2022

Wenn die Kriegsangst in die Magengrube rutscht

Vier Jahre ist es schon her, dass ich hier über meine Arbeit in einem internationalen Softwareprojekt in Berlin geschrieben hatte, Über Infotainment im Auto. Über die Welt als Dorf von Ingenieuren, die man irgendwo rekrutieren und sofort an Bord nehmen kann. Über die einzige erlebte Grenze die zwischen unserem Startup-Schnellboot und dem Konzernmutterschiff, dass sich nie bewegen wollte.

Und wir hatten viele Leute an Bord, deren Länder miteinander im Clinch oder sogar im Krieg lagen, also auch Russen und Ukrainer. Ich weiß noch, wie wir in Göteborg abends in einer Kneipe saßen und mir ein Projektkollege aus der Ukraine die frühere Marineindustrie am schwarzen Meer erklärte. Welch hohe Bedeutung die Ukraine für die frühere UdSSR gehabt hatte. 2018 lag der russische Angriff auf die Krim schon vier Jahre zurück, Und ich muss gestehen, in meinem Bewusstsein spielte das kaum eine Rolle. Viel vertrauter waren mir die Diskussionen zwischen einem US-amerikanischen Kollegen und einem aus Pakistan ("Ich could see your fighter planes towards Afghanistan from my window." - "Ah, the same as I had your islamists in my supermarket?"). Uns wurde die Absurdität von Krieg bewusst, wenn man sich persönlich kennt, Krieg ist Stellvertreterkrieg. Immer.

Inzwischen ist kaum noch einer der damaligen ersten Crew in dem Projekt tätig. Und die Frage, ob man im Auto einen Apple Music Account braucht kommt mir vor wie eine Diskussion über Sachertorte in Sarajevo 1914.

Mit Krieg und Kriegsgefahr ist es mit so vielen anderen Phänomenen. Man kann das alles vom Kopf her denken und diskutieren. Das ist ja der bevorzugte Diskurs von Bullerbü bis Prenzlberg über "Seebrücken", Windräder und Waffengänge. Man hört das und denkt. Aber man lebt auch - und erlebt manches. Und manches überlebt man nur durch Zufall: Nein, ich bin kein Rassist (bis ich zum ersten Mal beinahe selbst drauf gegangen wäre). Nein, ich bin kein Pazifist (bis ich zum ersten Mal selbst Uniform und Waffe trug). Nein, wir dürfen jetzt keine Angst zeigen und müssen Gegenrüsten (bis man die Panzertransporte selbst an einem Bahnübergang vorbei fahren sieht).

Was für Stefan Zwei die Heimkehr aus dem Strandurlaub in Ostende im Sommer 1914 war, steht uns allen noch bevor. Es hatte sich über Jahre eine Anspannung aufgebaut, die kaum noch auszuhalten war. Wer in der Lage war, selbst nachzudenken und sich möglichst bei Quellen zu informieren, zog sich aus allem zurück, was ein Risiko darstellte. Insbesondere den Rückzug aus der Großstadt aufs Land. Raus aus der Hauptströmung, die sich aufheizt, weil sie mit propagandistischem Dauerfeuer gegen "den Feind" gehetzt wird. Aufs Land, wo man sich mit vertrauenswürdigen Freunden aus allen Himmelsrichtungen persönlich trifft. Und nein, die Völker zogen 1914 nicht von sich aus enthusiastisch in den "Ausflug nach Paris". Dieser kurze Moment der Euphorie entsprang der sich entladenden jahrelangen Anspannung (so wie wir es beinahe zum Ende der Coronamaßnahmen erlebt hätte). Und den Blaskapellen, die die Kaiser durch Berlin und Wien schickten, um wie der Rattenfänger von Hameln, junge unwissende Propagandakonsumenten als Kanonenfutter zu rekrutieren. Damals wie heute, missbrauchten die gebildeten, in Sicherheit lebenden Stände das Volk da unten für ihre Zwecke Die von ihnen selbst angestimmte Propaganda geglaubt zu haben werfen sie ihnen nach der Katastrophe als Feigheit vor.

Die Kriegsangst rutscht irgendwann aus dem Kopf in die Magengrube. Wenn einem so richtig klar wird, was der Fall ist. Das Bewusstsein persönlicher Bedrohung. Und diese Kriegsangst ist es, die Leute Petitionen für Olaf Scholz schreiben lässt. Es muss keine persönliche Qualität von Scholz sein, dass er zögert. Ein Informationsvorsprung gegenüber uns kann das auch schon erklären. So ein Informationsvorsprung wie ihn Hans-.Dietrich Genscher während der NATO Übung Winter/Cimex im Februar / März 1989 hatte. Ich selbst nahm an dieser Übung als Wehrdienstlleistender Fernmelder teil.

Vordergründung sollte diese "Stabsrahmenübung" die Abläufe der NATO Führungsebenen erproben. Hierzu bauten wir in einem Wald in Schleswig-Holstein Fernmeldeverbindungen per Kabel und Richtfunk auf, über die dann NATO Offiziere ihre Kommunikation abwickelten. Für uns Fernmelder hieß das immer Stress am Übungsanfang (Infrastruktur aufbauen) und am Ende (Abbau). Dazwischen verbrachten wir langweilige Tage auf unserem Trupp. Es herrschte Winter. Wir hatten keine Toiletten. Wir hatten einen Dieselgenerator, einen beheizten Trinkwassertank. Und Lebensmittel wurden von der MatV gebracht. 

Wie ich erst später vom damaligen Sturmgeschütz der Demokratie erfuhr, offenbarten die US-Vertreter auf dieser Übung, wie sie die NATO wirklich dachten: Als Klassengesellschaft aus Opfer- und Führungsstaaten. Es gab nicht DIE Abschreckung, und nicht DIE Atomraketen. Kaum jemand las damals mal tiefer, um die Bedeutung von Kurz-, Mittelstrecken und Interkontinentalraketen wirklich zu verstehen. Um es zu verstehen, muss man Clausewitz und Brzesinsky gelesen haben. Nichts setzt die Bedingungen und die Rolle eines Landes in einem Krieg mehr als dessen geographische Lage. Und da sind die Staaten zwischen zwei Supermächte nur deren Spielbälle und Opferanoden. 

Ronald Reagan und George Shultz gaben im Februar 1989 folgendes Planspiel über unsere Leitungen bekannt: Wir beantworten die konventionelle Offensive der Sowjets mit einem taktischen Einsatz atomarer Kurzstreckenraketen auf die zentraleuropäischen Vasallen der UdSSR. Russland selbst sollte verschont bleiben, weil das eine "Eskalation" zum Einsatz von Interkontinentalraketen hätte bedeuten können, also einen Angriff auf die USA selbst. Und das wollten die Amis nicht. Nein, sie kalkulierten eine ebenso taktische Antwort des Kreml ein: Kurzstreckenraketen auf die Bundesrepublik und andere westliche Länder Mitteleuropas. 

Ob das der Sinn des Artikel 5 des NATO Vertrages sei, darüber stritten Kohl und Genscher mit ihren "Freunden". Und ich gehe jede Wette ein, dass man die Sache bis heute in den USA, und womöglich auch UK und Frankreich genau so denkt. Würden NATO-Frontstaaten angegriffen, würden die USA die Frage oder Sorge nach dem Risiko einer Eskalation aufwerfen. Die USA zeigten sich weder von der Enthüllung noch vom deutschen Protest beeindruckt. Unmittelbar nach der Übung planten sie die nächste in genau demselben Stil. (Und hat das vielleicht irgendeine Rolle beim Ende des kalten Krieges gespielt?)

Und übrigens: Waren wir uns beim Abfeiern von Reagan und Gorbatschow in Reykjavik bewusst, dass die beiden Supermächte dort nur über ihre eigene Sicherheit verhandelten? INF und die START Verträge handelten von Interkontinentalraketen, nicht Kurzstreckenwaffen. Wir Deutschen hatten davon fast nichts, außer etwas entspannteren Supermachtspräsidenten bei den 2+4 Verhandlungen zur Wiedervereinigung.

Und ich bin sicher, dass der Kreml das schon immer genau so gesehen hat: Die mitteleuropäischen Staaten sind Opferstaaten - einzig und allein wegen ihrer geographischen Lage. Im Kriege bedeutet Raum einen Zeitgewinn. Und das ist die Flugzeit von Angriffsraketen. Die Zeit, die der Angegriffene hat, um den Angriff zu erkennen und zu reagieren. 

Wenn man also versucht, Putins echte Eskalationsbereitschaft in seiner Drohgebärde zu erkennen, sollte man wieder daran denken. Auch er wird den Krieg auf Europa begrenzen wollen. Ich glaube, er würde seine Satellitenstaaten alle angreifen. Vielleicht auch noch Polen. Und in einer höheren Eskalation auf Deutschland. Aber niemals die USA, solange diese nicht ihn angreifen.

Das alles sind schon wieder Kopfgedanken. Aber wenn sie erstmal in die Magengrube rutschen. Wenn unsere Abschreckung bis hierher nicht funktioniert hat, auch weil unsere Uschi-Truppe niemand mehr ernst nehmen muss. Dann überlegt man sich wirklich haarscharf, ob eine Eskalation in Form von Waffenlieferungen (zu einem Proxy) wirklich in unserem Interesse ist. Ich neige zu der Antwort: Nein.