Posts mit dem Label kultur werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label kultur werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Montag, 19. Januar 2015

Heideggers "Sein und Zeit" bei WDR5

Was die Quantenmechanik bei den Physikern, war der Existenzialismus bei den Philosophen: Dazu gehört der Schritt von der bestehenden Welt in die mögliche. Vorigen Freitag hatte Jürgen Wiebecke den bis vor kurzem noch Vorsitzenden der Martin-Heidegger-Gesellschaft, Günter Figal, zu Gast.

Ich fasse die Erkenntnisse und Schlüsse der Sendung über Heideggers Werk "Sein und Zeit" mal so zusammen: Unser Leben spannt einen Möglichkeitsraum auf, aus dem heraus das tritt, für das wir uns entscheiden oder was uns zustößt. Bewusst wird uns unser reales Leben, weil wir um seine Befristung wissen. Jedenfalls ab dem Moment dieser Erkenntnis (der "Blitz der Wahrheit").

Dieser stochastische Charakter unseres Lebens wäre damit ein Spiegelbild der Erkenntnisse (oder Modellierungen) aus der Quantenmechanik: Die Welt vor unseren Augen ist eine der vielen möglichen. An welcher Barriere das Wellenteilchen gebrochen wird, steht vorher nicht fest, aber es hat alle Möglichkeiten. Und Schrödingers Katze ist uns eh ein Begriff.

(Später transferierte Heidegger den "Blitz der Wahrheit" für ein Individuum auf eine Gruppe, ein Kollektiv. Von da an wurde seine Philosophie zur Ideologie, in der er pesönliche Ressentiments auslebte.)

Faszinierend finde ich, dass hier eine Denkwelt auf der anderen aufbaut. Wussten beide voneinander oder war "die Zeit reif" für diesen Durchbruch im Denken?

Kommenden Freitag geht es übrigens um "Kapitalismus", zu Gast sein wird Meinhard Miegel.

Freitag, 19. September 2014

Danke, Tim Cook. Danke, U2.

Sagt was ihr wollt. Ich höre die U2 Songs, die Tim Cook mir vorige Woche in die Library gelegt hat. Ich weiß nicht, wie manche Musikkritiker es schaffen, binnen zwei Tagen eine Meinung zu einem Album zu haben. Ich brauche dafür mindestens 5 Tage. Bis sich der erste Song in meinen Ohren festsetzt.

Ja, ich sah den Apple Event. Ja, ich bin Apple Fan seit zehn Jahren. U2-Fan bin ich seit über 30 Jahren. Seit New Year's Day. Ich wertschätze es, wenn man mir etwas schenkt, worauf ich seit fünf Jahren warte. Ja, ein Jahr vergeht immer schneller, je älter man wird. Deshalb vergingen die Jahre schnell ;-)

U2 klingt wie U2 - lauten die Kritiken am neuen Album zusammengefasst. Ich will die nicht. Nicht mal geschenkt. Sagen die Nörgler, die immer was zu nörgeln haben.

Jeder Musiker, jede Band macht spät so ein Album, das wie eine Zusammenfassung aller vorherigen Alben klingt. Ich denke z. B. an Sting und seine "Ten Summoner's Tales", das ich für das beste Sting-Album halte. Wegen Leuten wie Larry Mullen jr. und Vinnie Colaiuta habe ich Schlagzeug gelernt. Bin ich halb taub geworden.

Musik ist wichtig. Ich war ein paar Jahre regelrecht abgehängt, weil meine Favoriten nichts von sich hören ließen. So entdeckte ich die Altmeister wie Status Quo und Led Zeppelin. Und auf der Liste steht -Dank an Leser David- Pink Floyd.

"We don't need no Education" stand auf den T-Shirts unseres letzten Schultages am Gynmansium. Grund genug, sich mit der Band mal intensiver zu beschäftigen. Aber "The Wall" war auch der Soundtrack für meinen Wechsel von der Grundschule zum Gymnasium.

Und so gibt es etliche Soundtracks im Leben eines jeden. Jahre ohne Musik sind Jahre ohne Soundtrack, da ist es schade drum!

Die Aufregung darüber, dass jeder das Album automatisch in seine Library bekam. Stimmt so schon mal nur für diejenigen, die in ihren Einstellungen den automatischen Download aktiviert haben. Aber so haben sie viele bekommen, die es nicht wollten. Vor zehn Jahren galt das umgekehrt: Da haben viele Musik illegal kopiert, ohne dass die Künstler es wollten. Späte Rache.

Zurück zur Musik. Das Album klingt nach mehrmaligem Hören echt gut. Finde ich.

Übrigens ebenso wie z. B. Suzanne Vega's (Ex-Nachberin meiner Frau) Album, dass sie Ende Januar veröffentlichte.

Ich sage: Danke, Tim Cook, dass Du dafür tief in die Tasche gegriffen hast. Danke, U2.

Sonntag, 3. November 2013

"Unvermögen vor dem Tor" - Ein Besuch im Olympiastadion

Ja ja, die Doppeldeutigkeit in der Überschrift hat sich hoffentlich vermittelt. Wenn Schalke oder Dortmund ins Olympiastadion kommen, gehen wir hin. Das ist schließlich der Zweck des Wiederaufstiegs von Hertha BSC.

Und natürlich fahren wir mit der S-Bahn hin. Es geht alles normal, wir denken: weil wir ziemlich spät dran sind und die meisten schon längst im Stadion sind. Als wir ankommen, werden wir mit der natürlichen Begabung der Berliner Verwaltung für Organisationsaufgaben konfrontiert. Das halbe Stadion steht noch vor den Toren. Der Grund: Die Ordner haben quer zur Eingangsrichtung die Taschenkontrolle stationiert. Und die hier kontrollieren sind nicht die Hellsten unter den Blauen. Ist man da durch, steht man sich für die nächste Kontrolle (Kartenscan) gegenseitig im Weg.

Aber die Wartezeit wird uns von einem hackenstrammen Schalker Fan verkürzt. Er liegt auf dem Boden und schreit rum. Als die Sanis anrücken schreit er noch lauter nach einem Arzt. Zuerst dachte ich: Ein Replay von Otto Sanders Schlüsselszene ("Not in the condition to f...")?. Nein, ein ganz normaler Spieltag in Berlin. Offene Therapie ist hier genau so normal wie offener Vollzug.

Als wir endlich drin sind, läuft das Spiel schon. Trotzdem wollen wir unsere traditionelle Stadionwurst und 'n Bier.

Versuch am ersten Stand: "Bratwurst ist aus. Ham nur noch Currywurst."

Versuch am zweiten Stand: "Ja gut, dauert aber 7 Minuten." - "Ok, dann geben Se schon mal n Bier." - "Gibts nicht hier, gibts da drüben." Sie zeigt auf einen Bierstand, der gefühlt im gegenüberliegenden Strafraum liegt..

Irgendwann sind wir mit allem versorgt. Dass die Suche nach einer Toilette am Marathontor vorbei führt, lass ich jetzt mal weg.

Endlich geht es auf die Gegentribüne. Ich hatte extra Tickets am Rand des Blocks gekauft, so dass wir ruhig später kommen und ggf. eher gehen können. Doch auch hier weit gefehlt. Der Zugang von der Seite, an der unsere Plätze liegen, ist versperrt, weil der Ordner schon Feierabend und zu gemacht hat. Also ab zur anderen Seite und von dort durchquetschen.

Kaum sitzen wir fällt das 0-1 für Schalke. Yeaahh!

Spielerisch muss man weder Hertha noch Schalke groß erwähnen. Es ist ein Hin- und Hergekicke im Mittelfeld. Ein gegenseitiges Auflauern auf des Gegners Unvermögen vor dem Tor. Aber darauf ist Verlass an diesem Novembernachmittag. Schön ist das nicht.

Dann sehen wir auf der Anzeige, dass Hoffenheim gegen die Bayern führt. Yeaahh! Wenigstens etwas. Jetzt könnten sie abpfeifen.

In der Pause macht sich unser Schalker Banknachbar auf zum Bierstand. Mit traurigem Gesicht kommt er zurück: "Bier ist alle."

Liebe Schalker, nicht nur hier meint man manchmal, dass die Mauer noch steht und man selbst auf der falschen Seite. In diesem Moment schiesst Max Meyer den Ball über die Berliner Mauer an die Latte.

Die Stimmung im Stadion ist so, dass man meint bei einem Heimspiel von Schalke zu sein. Gesänge, Trommel, die Schalker machen hier die Musik. Nur als der vierte Offizielle 4 Minuten Nachspielzeit anzeigt, kommt Unmut auf. Doch die Schalker geben die richtige Antwort. In der 94. macht Julian D. alles klar. Jubel!

Auf dem Rückweg sind alle Bierstände von Schalkern belagert. Da stelle ich mich nicht an, um meine 4 EURO Pfand zurück zu kriegen. Da sehe ich von weitem eine junge Frau unter einem Schild "Pfandrückgabe". Doch noch praktisch veranlagt die Berliner, denke ich noch so bei mir. Beim Näherkommen sehe ich, dass sie permanent den Kopf schüttelt. "Ich nehme nichts mehr an, mein Geld ist alle."

Gut, ich nehme den Bembel mit nach Hause. Die S-Bahn ist voller Holländischer Schalkefans. Glauben jedenfalls ein paar Berliner, die die laut fragen, wo denn dieses "Vlaanderen" liegt, das auf auf den Kapuzenpullis der Schalker steht.. Ein kurzes Gespräch, das mit lautem Gelächter endet, klärt die Sache auf.

"Wie auch immer," ruft der Berliner, "wir Berliner freuen uns über Euren Besuch und dass Ihr hier Geld ausgebt. Wir haben es nämlich nicht so dicke, brauchen jede Hilfe und können uns keine so guten Spieler leisten." Antwort der Schalker: "Das ham wa gesehen!" Gelächter.

Mit drei Punkten im Gepäck lächelt man alles weg, ist ja klar. Trotzdem, ich komme erst wieder -wenn ich da Tickets ergattern kann- wenn die Dortmunder kommen. Am letzten Spieltag.

Dienstag, 29. Oktober 2013

Tue Gutes - aber lass Dich dafür bezahlen - Die ARD Fernsehlotterie zieht Konsequenzen

Jahrzehntelang glaubte ich, bzw. nahm stillschweigen an, es beschäftigte mich eigentlich nicht, dass die Prominenz, die für Fernsehlotterien wirbt, dies pro bono tut. Dass sie hier etwas spendet, was sie von der Fernsehgemeinde zuvor aufgenommen hatte: Vertrauen.

Wenn ein Thomas Gottschalk, ein Jörg Pa... Pilava oder eine Monica Lierhaus für die Aktion Mensch warben, dachte ich Größe zu schauen.

Bis zu dem Moment, in dem die Diskussion um das Honorar für Monica Lierhaus losbrach. Erinnern Sie sich: Nein, es waren nicht 45.000 EUR pro Jahr, sondern 450.000!

Begründet wurde dies mit der Prominenz, Bekanntheit, dem Vertrauensvorschuss seitens der Zielgruppen. Übergangen wird dabei, dass wir es sind, die diesen Leuten dieses Vertrauen geben. Und zu den Gründen, warum wir dies tun, gehört die Annahme, dass diese auch mal etwas für einen guten Zweck spenden. So wie der eine oder andere von uns auch, jedenfalls soll uns das "Vorbild" ja anregen.

Dafür bezahlen lässt sich in der Tat auch nur diese Generation von GEZ-Empfängern. Einem Wim Thoelke wäre das sicher zu blöd gewesen.

Die ARD hat jetzt beschlossen, Konsequenzen zu ziehen. Von 2014 an verzichtet sie auf den Prominentenbonus und will Betroffene als Werber einsetzen. Man darf gespannt sein, ob diese dann auch etwas dafür bekommen.



Samstag, 26. Oktober 2013

"Aufklärerisch wäre es, unsere Natur wieder zu akzeptieren"

Wir kommen mit der Aufklärung erst weiter, wenn wir uns (wieder) unsere Natur eingestehen und nicht weiter versuchen, die Vernunft von der Natur weiter zu entfernen. Mit diesen Worten hat der Berliner Religionsphilosoph im philosophischen Radio im WDR die richtige Antwort auf den grünen Zeitgeist gegeben. Einen Zeitgeist, der begonnen hat, Biologie für ein "soziales Konstrukt" zu halten.

Mit Natur ist hier das in uns angelegte gemeint, die Natur, die zur Freude, zum Rausch, zur Befriedigung führt. Nicht die Natur, die die Tempolimit- und Rauchverbotsfreunde "schützen" wollen.

Intelligent Design vs. Sozialkonstrukte
Über George W. lachen und sich selbst für aufgeklärt halten, weil er dem "intelligent Design" anhängt. Und dann Geschlechter zu Konstrukten erklären. Die Natur da draußen auf den Sockel heben, aber die eigene Natur wie etwas fremdes, aufgezwungenes abstreifen wollen. Die Probleme mit dem eigenen Selbst, dem stockenden Heranreifen, der tiefen Verzweiflung über die Einsamkeit, die Beziehungsunfähigkeit, diese Verunsicherung -wenn nicht Depression- zu einem Lifestyle erheben und massenhaft über die Gesellschaft kippen und zu deren Angelegenheit machen, und zu behaupten, das sei Aufklärung, genau das ist Berlin.

"Leugner" spricht die Inquisition
Man soll anders Denkende ja nicht als Leugner bezeichnen. Es leugnet nicht der, der nach Beweisen verlangt. Es leugnet der, der die Beweise übergeht, ignoriert, verbietet oder behauptet, sie träfen nicht zu. Der Begriff "Holocaust-Leugner" ist eine zutreffende Bezeichnung, denn den Holocaust gab es. Wie praktisch, dass das Publikum fortan alles was "geleugnet" wird, als dem Holocaust vergleichbar bewertet. So wie nach dem Neonazi alles niedergemacht werden kann, indem man es mit dem Attribut "Neo-" belegt.

Der Begriff "Klima-Leugner" ist eine inquisitorische Anmaßung, denn von ihm wird nicht Gewesenes in Zweifel gezogen, sondern Belege oder Beweise für eine Prognose oder Behauptung verlangt. Wenn ich sage, ich glaube dem Wetterbericht nicht mehr, weil er in der Vergangenheit immer seltener gestimmt hat, handle ich vernünftig. Wenn ich sage, ich glaube der Klimaprognose nicht, werde ich als "Leugner" tituliert. So als lästerte ich den neuen Klimagöttern, anstatt mich bei den Klimagläubigen einzureihen.

Selbstverantwortung ist das neue "Rechts"
Umgekehrt, wenn ich vor der Eurokrise warne, gelte ich als "rechts". Wobei man sich nicht mal mehr die Mühe macht zu erklären, was daran denn verwerflich sei. Das Publikum soll den Umkehrschluss ziehen: "Rechts" ist die Bezeichnung für Leute mit abweichenden Meinungen und Handlungen. Die Abweichung liegt in diesem Fall darin, dass ich meinem Interesse an meiner Existenz, Wohlergehen Vorrang einräume gegenüber einem Problem am Ende der Welt. Das Bescheidwissen (bzw. rezitieren können) über alle dortigen Probleme, diese im Internet angelesene Vielwisserei gilt heute als Aufklärung. Worüber man jede Woche "aufgeklärt" wird, überlässt man den Nach-richten-portalen.

Also, wer die Behauptung der Linken anzweifelt, ist ein Leugner. Linke, die Evidenzen abstreiten (wie z. B. das Geschlecht), sind keine Leugner, sondern erweitern -aus ihrer Sicht- die Aufklärung.  Aufklärung vollzieht sich, indem man naturwissenschaftliche Befunde wieder zu Konstrukten ("Designs") erklärt. In Wahrheit ist es eine Form der Selbstverleugnung, die zu einem Kollektivverhalten ausgebaut werden soll.

Wenn Klaus Heinrich sagt, die Aufklärung stocke, weil wir unter einem Bann stehen, dann halte ich das noch für optimistisch. Ich habe vielmehr seit längerem den Eindruck, dass wir zurücktreiben. Den Umkehrpunkt, hinter dem wir zu Rede- und Denkverboten zurückkehrten, war uns noch bewusst. (Vgl. z. B. die vor kurzem im Internet herumgereichte Episode aus dem "Lehrer Dr. Specht", in dem dieser im ZDF ganz unverblümt über die Politische Korrektheit aufklären durfte. Das ist heute nicht mehr denkbar.)

Die politische Korrektheit wurde nach meiner Erinnerung von den Clintons in die Welt gesetzt. Vorgeblich um Minderheiten vor der Verletzung mit Worten zu schützen ("gewaltfreie Kommunikation"). Inzwischen missbrauchen viele der so Geschützten ihre Immunität für ganz reale Gewalt auf der Straße. Wir sollen Toleranz gegen Intolerante üben. Auch das ist eine Form der Selbstverleugnung.

Die Gattung Mensch folgt der Entwicklung des Menschen
Heinrich verweist auf Freud, um diese Selbstverleugnung als pubertäre Erscheinung auslegen zu können. Freud hatte den Schock über die Gewalt des ersten Weltkrieges zu der Erkenntnis verarbeitet, dass das wesentliche an unserem Zeitalter die Rivalität, das Nichtaushaltenkönnen der Unsicherheit, ob der andere stärker ist als ich/wir gedeutet. Er sah uns in der Menschheitsgeschichte deshalb in der "phallischen Phase", die sich im friedlichsten Fall als Revier- und Weitwinkeln pubertierender Jünglinge äußere und im schlimmsten Fall in der Vernichtung des Anderen, um sich der eigenen  Überlegenheit ein für alle mal sicher sein zu können. Es ist klar, dass die in den Anderen projizierten Feindbilder und Beschuldigungen natürlich Spiegelbilder der eigenen Seele sind. Das Eigene wird im Anderen bekämpft.

Der nächste Schritt folge also aus der Erkenntnis, dass es im Leben keinen Sinn zu suchen gebe außer dem, es zu genießen.

Hier kann man einen der Autoren einrühren, von dem die Tische in den Buchläden derzeit voll sind: Albert Camus. Das Leben vom Tode her denken macht frei. Dazu muss aber zuvor der Schock der Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit überwunden werden. Es ist also ein Zeichen von Unreife, um jetzt den Schluss aus Heinrich und Camus zu ziehen, die Vernunft oder das Ego über den Tode siegen lassen zu wollen. Nein, der Anblick des Endes am Ende der Strecke macht frei. Die Erkenntnis der Knappheit des eigenen Lebens gibt ihm Wert. Wer den Tod besiegen will, entwertet es wieder und outet sich als kindisch.

Diese Freiheit wirft mich voller Wohligkeit und Entlastung auf mich selbst zurück. Nicht die Probleme der anderen sind mein Lebenssinn. Sondern der Genuss meines eigenen. Natürlich gehört dazu auch Empathie für alle, die mir wichtig sind und denen ich wichtig bin. Aber nicht die, bei denen ich nicht weiß, ob sie sich umgekehrt so für mich entschieden so wie ich mich für sie entscheiden soll.

Im übrigen sind Menschen, die sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, die friedlichsten. Den Terror bringen die in die Welt, die von anderen permanent Dementis einer Gewaltbereitschaft  einfordern, die doch nur ein Spiegel ihrer selbst ist. Und die auch als Beleg für die eigene Existenz dienen. Ich unterstelle, also bin ich.

Sonntag, 20. Oktober 2013

"Glaubenssätze durch Wissenssysteme ersetzt" - das soziale Netz macht einsam

Erinnern Sie sich an Zeiten, in denen Mütter mit ihren Töchtern verwechselt werden wollten und es toll fanden, wenn es klappte? Seit der Zeit nabeln sich Heranwachsende nicht mehr von ihren Eltern ab, sondern begründen eine gegenseitige Nutzenbeziehung: Solange die Kinder im Haus sind, fühlen sich die Eltern nicht alt. Und die Kinder sparen die Miete immer noch, wenn sie ihren 30. feiern..

Seitdem gibt man sich zur Begrüßung nicht mehr nur die Hand. Man umarmt sich, als sei man gerade aus dem Krieg heimgekehrt. Hat man in Paris gesehen, wirkte irgendwie intensiv. Wichtig: Bei der Umarmung gesehen werden. Ist man nur zu zweit, umarmt man sich nicht. Wozu? Niemand da, um zu demonstrieren, wie dicke man ist (oder gerne wäre).

So, und das werden Sie bald auch im Büro beobachten. Nach dem Zahlenfetischismus, dem "Empowerment" der Basis (dem Sich-selbst-überlassen der Nichtleitenden, weil die Leitenden Zahlen drehen und die nächste Einsparung rechnen müssen) und ungenierten Griffen ins Bonussystem kommen jetzt die emotionalen Berater.

Aus der Werbung kennen Sie das schon: "Wir lieben..." (Autos, Lebensmittel). Nächster Schritt: "Wir leben..." Angehörige der inneren Zirkel haben Fläche für eine neue Projektion entdeckt, bei der man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kann:

Mittlerweile weiß jeder Kunde und jeder Anrufer eines Callcenters, dass er es beim Gegenüber mit einer unterbezahlten und halb angelernten Fachkraft zu tun hat, die sich nach irgendeiner Form von Anerkennung sehnt. Ihr Chef spart an der Ausbildung, weil dann mehr für seinen Bonus übrig bleibt. Mancher Kunde kennt das selbst. Und genau gegen diese Gefahr einer subversiven Verbundenheit (in Form von höherer Umtauschbereitschaft, Rabattgewährung,..) haben Marketingstrategen die Botschaft entwickelt: "Bei uns arbeiten die Leute aus Passion, nicht fürs Geld." Sonst wären sie ja woanders.. Schön wenn das Personal das schluckt und die Kunden entwarnt. Herzerfrischend ist das, wenn der Abhängige seinem Herrn huldigt. Stockholmsyndrom nannten wir das früher. Das sagt aber heute keinem mehr was. Klingt eher nach neuer Hipsterkrankheit.

Werde ich demnächst umarmt, wenn ich einkaufen gehe? Im Apple Store am Kudamm fehlt nicht mehr viel. Da begrüßte man mich schon beim ersten mal wie den Vater eines guten Freundes.

Mich irritiert das. Ist diese Generation nun emotionaler und offener, weil sie sogar ihre Geschäftspartner umarmt, oder hat sie sonst keinen?

In Berlin habe ich einen Blick für verunsicherte Menschen entwickelt. Das ist in Berlin aber keine Kunst, und auch nicht, wenn man lange genug in der Beratung tätig war. Hier will jeder zu einer Gruppe gehören und mit einem Lebensstil identifiziert werden, den es gar nicht gibt und der nicht funktionieren würde. Es wird viel ins eigene Design investiert. "Eigene" ist dabei weit übertrieben. Es geht nur um die Bestätigung, innerhalb des konformen Rahmens mit der eigenen kleinen Abweichung als vorne zu gelten. Sie steigen in die S-Bahn und checken ihr Rating durch Feedbackblicke. Danach zücken sie ihr Smartphone und aktualisieren ihre Feedbacklikes und Mentions. Das zieht sich durch alle Wohlstands- und Bildungsstufen: Der eigene Wert bestimmt sich durch die eigene Popularität. Man vergibt keine Clicks, man sammelt. Man folgt nicht, sondern wird gefolgt. Man giert nach Feedback, aber gibt selbst keines. Kein Wunder, dass man das Retweetet und Gelinde werden längst kaufen kann..

Alexandra Tobor hat in ihrem Podcast und Blog "In trockenen Büchern" anhand eines Werkes von Eva Illouz erklärt, was dahinter steckt. Absolut lesens- und hörenswert: Link

Wo unsere Generation noch durch Jugendzeitschriften dahin gelenkt wurde, Liebe zu einer Ware und Belohnung für trendkonformes Verhalten zu machen, wird man heute nicht nur zum Konsumieren solcher Botschaften verführt, sondern über gegenseitiges Feedback aktiv involviert.

Die Digitalisierung spiegelt dabei eine Objektivität vor, die Liebe in Feedback verwandelt und die tiefe Gefühle vermissen lässt: "Wir haben Glaubenssätze durch Wissenssysteme ersetzt." Ich wette, dass auch hinter der Gewaltbereitschaft arabischer Jungmänner diese immer gleiche Sehnsucht steckt, und genau das gleiche bei Neonazis. Die Spur führt ins Elternhaus und ins Klassenzimmer, den Orten in denen Feedback und Ratings verteilt werden.

Die Crux eines Modells, das in Heiratsmärkten gegipfelt ist: Es führt dazu, dass man selbst als um so wertvoller dasteht, je mehr man so tut, als wolle und brauche man gar nicht und sich somit verknappt. Emanzipation, also das Streben nach Autonomie, führt demnach in die falsche Richtung. Denn die Emanzipation des einen Geschlechts führt zur Gegenemanzipation des anderen. Ein Wettrüsten eines vorgestäuschten Autonomiestrebens ist die Folge. Alexandra Tobor berichtet von einem Mann, der Ratgeber für Frauen lese, "um nicht auf Frauen hereinzufallen, die nicht auf Männer hereinfallen wollen."

Was die Leute in ihren Wohnungen treiben, betrifft mich nicht. Die Involvierung auf der Straße ist nur oberflächlich. Aber im Büro will ich das eher nicht.

Donnerstag, 12. September 2013

Pendlerherbst

Die Zeit des leisen Übergangs vom Sommer in den Herbst liegt jetzt schon hinter uns. Um acht ist es dunkel und ich lasse die Jalousien runter. Unser Garten liegt im Dunkeln, der Regen rauscht, vermutlich die ganze Nacht. Wenn ich es morgen wieder hoch ziehe, wird es immer noch dunkel sein und die Gartenmöbel nass. Jetzt kühlt es nachts richtig ab und auch in der Wohnung ist es nicht mehr unnatürlich wärmer als draußen.

Diese Woche gibt es Dauerregen. Aber noch wärmt es sich auf knapp zwanzig Grad. Das Laub ist noch grün und in Fülle an Baum und Strauch. In Berlin so wie in Wolfsburg. Aher die Herbstsaison ist eingeleitet. Noch spüren wir die Wärme, die wir aus dem Sommerurlaub mitgenommen hatten. Vom Strand, aus dem Meer, aus dem See, vom Gendarmenmarkt, wo wir Kaffee getrunken haben. Solange wir diese Wärme noch in uns haben, ist der Herbst nicht unangenehm. Wir sind dann im "noch". Aber dann kommt das "nicht mehr", spätestens Mitte Oktober, also in vier Wochen..

Seit dem Hochwasser und damit seitdem wir mindestens vier Stunden täglich in Zügen verbringen, tauchen wir durch die Woche einzig in der Hoffnung, dass das Wochenende schnell kommen möge. Eine unwürdige Art ist das, Lebenszeit wegzuwerfen. Ich weiß das, lebe derzeit aber dennoch so. Ich merke immer nur am Wochenende, dass ich auch noch Mensch bin, dem ein bisschen Freizeit und Hobby zusteht.

Schon ist das Autofahren keine Alternative mehr. Das war dann, im Sommer, bei Sonnenschein und leergefegten Autobahnen. Jetzt wollen wir hoffen, dass die Berliner Zeitung nicht schon wieder eine Ente gebracht, als sie heute den Bahnchef zitierte, es werde nun schnell gehen, bis der Normalbetrieb wieder möglich wäre. Immerhin ist der alte Diesel-IC, mit dem wir seit dieser Woche auf der nicht elektrifizierten Nebenstrecke über die Elbe fahren, eine Linderung. Und die BR 218 (Link) sicher ein Schmankerl für Modellbahnfans.

Sonntag, 8. September 2013

Hoimar von Dithfurth, der einzig wahre Öko

Ich ahne, dass wir so etwas wie ein Revival (wenn man das in dem Zusammenhang so nennen kann) des Weltalls bekommen werden. Nicht nur der neue Clooney Film "Gravity" deutet darauf hin. "Melancholia" von Lars von Trier ging bereits in diese Richtung:

Die ersten Bilder von der Erde im All und dann die Livebilder vom ersten Mann auf dem Mond gaben der damaligen Ökobewegung einen Schub: Die Erde ist unsere Oase im Weltall, sie ist kostbar und einzigartig. Es löste einen kollektiven Beschützerinstinkt aus, der zur Gründung von Greenpeace und den Grünen führte.

Das Problem: Die genannte Ökos lagen etwas neben der Sache. Sie verkannten die Dynamik des Weltalls, all die Effekte und Einflüsse, die Leben erst entstehen ließen. Radioaktivität z. B. ist nicht des Teufels. Sie ist Motor der Mutation und Evolution auf der Erde. Sie auch der Brennstoff der Sonne. Welch eine Ignoranz, die Sonne als Ökoenergie zu vergöttern, und Kernenergie zu verteufeln. Die Sonne ist nichts anderes als ein großer nuklearer Reaktor. Alle Stoffe jenseits des Wasserstoffs gibt es überhaupt nur, weil nukleare Reaktionen in Sternen ein Element nach dem anderen erbrütet habem.

Der Öko westlichen Typs prangert jeden an, der im Leben etwas gestalten will, oder der das Leben selbst voran bringen will. Der Westöko ist stockkonservativ. Er gibt sich rational, doch sein Sozialverhalten spricht dagegen. Nichts bereitet ihm mehr Wonne, als anderen zu verbieten, das Leben zu gestalten oder -noch schlimmer- zu genießen.

Aber diese Ära könnte bald hinter uns liegen. Hoimar von Ditfurth hatte diese Erkenntnis schon vor dreißig Jahren. Wir treiben nicht einsam im Weltall. Wir sind aufs wesentlichste verbunden mit dem All. Der Sonnenwind treibt so weit an die Ränder unseres Sonnensystems, dass man sagen muss, dass wir uns in einer Atmosphäre der Sonne bewegen. Diese hält uns wie eine Kugel gefährliche Strahlung aus dem All vom Leib. Doch auch für uns wäre der Sonnenwind gefährlich, träfe er ungebremst auf die Erde. Doch davor sind das Magnetfeld und unsere Atmosphäre, die die Sonnenwinde ablenken und bremsen.

Doch in immer kürzeren Abständen bricht unser Magnetfeld zusammen. Sei es durch Meteoreinschläge oder andere Gründe. Jedenfalls gelten diese Zeiten als Beschleuniger der Mutation auf der Erde, weil uns mehr Radioaktivität trifft.

Und so weiter und so fort. Wichtige Erkenntnis ist: Wir sind mit dem Weltall verbunden und keine isolierte Insel. Da draußen herrschen nukleare Energie, die Gewalt von Kollisionen zwischen Himmelskörpern und die kreative Zerstörung durch radioaktive Strahlung. Kurz: Das Leben handelt von Aktion, Energie und Umgestaltung. Das ist das ganze Gegenteil grünen Lifestyles.

Irgendwann wird sich das herumsprechen.

Samstag, 27. Juli 2013

Postholidare Traurigkeit (in türkis)

Urlaub am Meer

So weit ins Meer raus gehen, 
dass man gerade noch stehen kann.
Dann warten auf die nächste Welle.
Zuerst nur Vorspiel, man bleibt locker stehen.
Dann ein Sog, man steht im Wellental.
Eine Wand baut sich auf, ersetzt den Horizont.
Grün, türkis, darüber Himmelblau.
Dann bricht sie schäumend, überrollend.
Das war der Urlaub.

 








PS: Noch mehr Meer gibt es hier und hier.

Samstag, 29. Juni 2013

Jeans Team, "Alkomerz"

Für mich der Knaller des Jahres. Das neue Album von unseren Nachbarn vom Jeans Team "Das ist Alkomerz" (Link).

Lustig auch die Rezension "Stößchen hier und Stößchen da" von Jens Friebe in der FAZ (Link).

Anna R. fährt abweichend auf Gleis 8

Bei Rosenstolz schieden sich die Geister. Schlager mit Stichwortgebern für Verwirrte mit Selbstmitleid?   Anna's Stimme klingt eigentlich anspruchsvoller als manche Texte, die sie transportierte. Aber oft genug traf das Duo auch ins Schwarze. Sagen wir, einfach gute Popmusik. Rosenstolz kuriert am Burnout. Dafür fährt Anna jetzt abweichend in Spandau am "Gleis 8". Da kommen wir leider nicht mehr dran vorbei (siehe unten). Ich glaube, wir verpassen da was:



Freitag, 10. Mai 2013

Ab auf die Couch

Weil es die früheren Klassenverbände (Gewerkschaften, Kirchen, Sportvereine) nicht mehr in dem Maße gibt wie früher, muss jedes Individiuum seine eigene Strategien gegen Überforderung, Überlastung und Ausbeutung finden. Viele landen dann in einer Verweigerungsstrategie ausgelöst durch ihren Körper. Wir nennen das neuerdings Burn Out.
Michael Mary, Autor von "Ab auf die Couch - Wie Psychologen immer neue Krankheiten erfinden" in Fragen an den Autor, SR2

Ein paar Beispiele aus dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5), für die man künftig für krank erklärt wird (Burn out allerdings bleibt keine Krankheit, weil sie beruflich bedingt wäre?):
  • Nomophobie - Angst, ohne Handy unterwegs zu sein.
  • Dysruptive Launenregulationsstörung (erklärt sich selbst)
  • Trauerregulationsstörung - Wer länger als zwei Wochen um einen Verstorbenen trauert, gilt als krank
  • Pathologisches Glücksspiel (Achtung Uli)
  • Die bipolare Störung wird jetzt auch bei Kindern (ab 2 Jahren!) diagnostiziert. Und medikamentös behandelt. 
Wahnsinn!

Trotzdem: Ich vermisse mein "Handy Phantombrummen" - die Angst in der Jackentasche einen Anruf zu verpassen.

Donnerstag, 2. Mai 2013

Spielfreude statt Zockermillionen - dem BvB gebührt die Krone

Wer als BvB-Fan die Ära Hitzfeld mit erlebt hat, fühlt sich freudig an alte Zeiten erinnert. Wenn Bundesliga und Champions League in ihre finale Phase kommen, ist draußen Frühling. Man trifft sich mit Freunden, sucht eine Fußballkneipe mit freien Stühlen (vorgestern sinnigerweise das "Cafe Madrid" in der Friedrichstrasse) draußen grünt und blüht alles.

Wenn es gut läuft gibt es immer zwei Möglichkeiten, die Welt zu sehen: Sind wir, bin ich so gut, oder sind die so schwach? Bei Kloppo's Mannschaft muss man sagen: Seit ihm wird wieder richtig Fußballs gespielt. Es scheint fast egal, wer kommt oder geht, Hauptsache sie spielen die Methode Klopp. Hitzfeld ließ damals fertige Stars zusammenkaufen, seine Leistung lag darin, aus diesen eine sehr erfolgreiche Mannschaft zu formen. Klopp lässt Talente an Bord, auch aus der eigenen Jugend. Es klappt wie am Schnürchen und auch die Außendarstellung des Vereins lässt einen nicht fremdschämen, da herrscht westfälische Bodenständigkeit.

Ganz anders als bei dieser Söldnertruppe mit den Trikots des FC Bayern. Hier geht es niemandem um die Mannschaft, sondern um den persönlichen Marktwert. In der Säbener Straße riecht es nach Geld. Und leider glauben junge Talente, dass ihr Marktwert hier und heute realisiert werden muss. Der betörende Duft auf den Bürogängen von Uli Hoeneß und Konsorten verführt die, die innerlich noch nicht gefestigt sind. Aber es sind nicht nur die Zockermillionen. Der FCB gilt als Hub für die europäischen Topligen. Als deutscher Spieler musste man hier gewesen sein, um in Europa ernst genommen zu werden. Dass das noch lange so bleibt, ist angesichts der Enthüllungen unwahrscheinlich geworden. Der FCB könnte platzen wie eine Blase an der Börse.

Dass Uli Hoeneß sich heute in der ZEIT als Opfer einer Spielsucht darstellt ist entweder eine Masche seiner Verteidiger oder ein alarmierender Hinweis, wie unseriös dieser Verein jahrelang geführt worden ist. Es ist ja oft so: die strengsten Religionslehrer, die empörtesten Moralapostel usw. sie projizieren ihre eigenen Verfehlungen, mit denen sie nicht ins Reine kommen, gerne auf andere. Die Sehnsucht nach Integrität, Anerkennung, Ablaß treibt viele von ihnen zur Höchstleistung.

Beim Uli ist das aber nicht nur seine Sache. Ihm verdanken wir es, dass man ein Skyabo braucht, wenn man die Champions League im Fernsehen verfolgen will. Ihm, dass ein Bundesligaspieltag inzwischen auf drei (bei der 2. Liga auf vier) Tage verteilt wird. Ihm, dass ein Gutteil der GEZ-Zwangsgebühren in die Taschen der großen Vereine fließt.

Im europäischen Fußball steht eine Wachablösung an. Am 25. Mai entscheidet sich, ob seriöse Spielfreude oder breitbeinige Spielsucht künftig den Ton angeben wird.

Samstag, 29. Dezember 2012

Die Rückkehr von Platten- und Buchläden

Am zweiten Weihnachtstag fuhr ich mit dem Auto nach Dortmund und hörte Radio1. Der Moderator, ein DJ und Musikfreak alter Schule, interviewte einen anderen Musikfreak: Stell Dir vor, in England gibt es wieder Plattenläden, in die man geht, um mit seinem Musikgeschmack weiterzukommen. Das Thema iTunes habe sich allmählich erledigt.

Man wolle aus dem Musikhören wieder was Lebendiges machen, Gleichinteressierte treffen, sich Tipps vom Plattenladenbetreiber holen. (mein früherer Plattenladen in Dortmund ein: LIFE in der Dyckhoffpassage und für Bootlegs ein paar Läden im Kreuzviertel, Möllerbrücke und Umgebung.) Die Empfehlungsalgorithmen auf iTunes haben uns nicht weiter gebracht und man sei unterm iPod vereinsamt. (Zu Schul- und Unizeiten: Tüten voller Platten mitbringen, um sie Freunden zu leihen und im Gegenzug deren Tips mit nach Hause zu nehmen. Heute gilt so eine verkaufsförderende Maßnahme als Piraterie.)

Ok, iTunes legalisierte MP3s und machte Onlinemusik benutzbar. Wir sparten Regalmeter für Platten, CDs und die Stereoanlage. Im Schrank brauchen wir auch keine Reihe mehr für Fotoalben und Dias. Wir gewannen eine ganze Wand im Wohnzimmer für neue Zwecke. Und wenn mit den ebooks jetzt das gleiche passiert und danach der Fernseher durch Google Glasses ersetzt wird, brauchen wir gar kein Wohnzimmer mehr.

Dann sind wir smart. Was so viel heißt wie: Unseren Geschmack entwickeln wir anhand von Algorithmen weiter.

Und genau dann kippt es wieder um: Wir merken, dass Effizienz öde ist und einsam macht. Dann eröffnen auch in Berlin und im Ruhrgebiet wieder Buch- und Plattenläden.

Aber auch das Medium selbst wird wieder wichtig: Vinyl ist angesagt, und auch Musikcassetten. Ich ergänze: Einen alten, offenen HD-Kopfhörer von Sennheiser braucht man dann auch wieder. Der harte Bassdrumkicksound ist nicht mehr so mein Ding. Gut, dass ich unsere alten Platten, den Grundigplattenspieler und die Cantonboxen vor unserem Umzug nach Mitte damals verkauft habe..  oh, Mann.

Und auch im Radio tut sich was. Abends laufen wieder Programme mit richtigen Moderatoren, sowohl im RBB als auch bei Privaten.

Mir wird klar, dass Moderatoren und Händler für eine funktionierende Szene wichtig sind. Als Kulturkonsument brauche ich einen Reiseleiter. Ich will mich nicht komplett lenken lassen, aber ich will wissen, was es Neues gibt und was davon die Evolution meines Geschmackes sein kann. Ich bin mit meinem knappen Zeitbudget damit überfordert. Die liberale Vorstellung, ich könne meine Wahl selbst und souverän treffen, ist naiv, weil die Annahme, mir lägen dafür alle Informationen vor, falsch ist.

Hier eine gegoogelte Top10 von Berliner Plattenläden: Link

Sonntag, 20. Mai 2012

Die beste Saison aller Zeiten



Ich kann mich an keine so gute Fussballsaison erinnern wie diese. Double-Jubel in Dortmund. Herablassende Worte aus München, und eine Woche drauf die passende Antwort. Die Borussia auf bestem Wege und der FC Bayern am Boden. Ich bin eigentlich zu alt, um Fussball zu wichtig zu nehmen und auch für eine solche Schadenfreude. Aber in dem Moment, in dem es passiert, tut es doch  gut.

Nur wenige Bundesligamannschaften beherrschen Fussball als Mannschaftsspiel so wie die Dortmunder Borussen und versetzen Fans wie neutrale Zuschauer in Begeisterung. Die Bayern beherrschen es nicht. Ein Mario Gomez richtet sich als erstes das Haar, wenn er mal zu Boden gegangen ist. Ribery und Robben spielen einander um Verrecken keinen Ball zu, wenn der andere besser steht. Sie lauern alle auf ihren Alleingang, und der führte gestern für jeden von ihnen ins Abseits. Recht so. Es war schon etwas außergewöhnliches, dass der Torschütze Müller nicht den Weg zur Bayernkurve oder Fernsehkamera suchte, sondern sich von seinen Mannschaftskameraden bejubeln ließ.

Doch schon bei Robbens Elfmeter staunte man, dass der überhaupt schießen durfte. Noch bezeichnender später, die Weigerung etlicher Bayernspieler, beim Elfmeterschießen anzutreten. Normalerweise schießt der Torwart nur, wenn alle Feldspieler schon dran waren. Aber Neuer zeigte gestern Verantwortungsbewusstsein, als die anderen kniffen.

Wie bei Twitter jemand schrieb: Das ist Fussball der 90er, und es trägt die Handschrift von Jupp Heynckes, Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge.

Die Arroganz der Bayern zeigte sich auch in den schlechten Verlieren. Sie schlugen den tröstenden Händedruck des Bundespräsidenten aus, sie vergaßen dem Championsleaguegewinner Chelsea zu gratulieren, und die Fans strömten in Scharen heim, als die Siegerehrung noch lief.

Den Satz "Wir waren eigentlich die bessere Mannschaft und haben hervorragend gespielt." kann ich nicht mehr hören. Ich hoffe, dass die "Biggest Loser" (Sat1 Werbeeinblendung gestern), ihr Verlierergen nicht in die Nationalmannschaft tragen. Ich hoffe auch, dass sie von Löw und Co. keine Sondertherapie erwarten. Entweder stoßen Schweinsteiger und Kollegen fit und motiviert zum Kader oder Löw sucht Ersatz.

Uli Hoeneß hat angedroht, seine Ungeduld auf den nächsten Titel mit "Brute Force" erlösen zu wollen. Mit Geld. "Wir werden so lange Spieler kaufen, bis wir gegen Dortmund wieder gewinnen." Das ist Bonzenrhetorik. Er wird sicher auch vielen Dortmundern ein vulgäres Angebot machen. Vielleicht sogar Jürgen Klopp. Vielleicht aber ist es schon bald auch irrelevant, was ein Uli Hoeneß denkt und sagt und wie viele EUROS er auf den Tisch legt.

War es die beste Saison aller Zeiten für BvB-Fans? Als Schüler war ich Dauergast auf der Südtribüne. Es waren die Zeiten von Burgsmüller, Raducanu, Huber, Immel und: Zorc. Jedes Jahr ging es um die Teilnahme am UEFA-Cup und oft wurde sie am letzten Spieltag versemmelt. Ich erinner mich heute noch an das 4-6 gegen die Namensvettern aus Gladbach. Später klappte es dann öfter. Erst als ich die Lust verlor zum Spiel zu gehen, wurde es besser. Es kam die Ottmar Hitzfeld Zeit. Ich war Student und hatte zum ersten mal Satellitenfernsehen - und deshalb Championsleague live. Es war super, aber an Karten kam man nur noch als Dauerkarteninhaber. Dann zog ich nach Essen, dann nach Schalker (!) und schließlich nach Berlin. Der Championsleaguegewinn war der letzte größtmögliche Triumph. Aber er war anders errungen als die Titel unter Klopp, sagen wir so. So wie Klopp es macht, so ist Fussball gemeint. Ich hoffe, dass das im kommenden Herbst dann auch in der CL besser läuft. Und dass Klopp dann noch Trainer des BvB ist.


Dienstag, 8. Mai 2012

Hoimar von Ditfurths Blick auf die Welt

In Zeiten, in denen der Aberglaube wieder um sich greift, muss man an längst erzählte, aber wieder vergessene Befunde (um das verdächtige Wort "Wahrheiten" zu vermeiden) erinnern. Dass wir sie vergessen konnten liegt nicht an einem Mangel an Erzählern. Wir hatten in den Achtzigern Hoimar von Ditfurth, Joachim Bublath und Carl Sagan. Heute haben wir Yogeshwar. Das Problem ist, dass Erzähler heute nicht mehr durchkommen, im sogenannten Informationszeitalter. "Populist" ist ein Schimpfort unter Politikern geworden. "Populärwissenschaftler" eines unter Wissenschaftlern.

Also, von Sonnenwinden haben wir in der BILD gelesen. Geladene Teilchen, die die Sonne in die Gegend spuckt. Kein Atommüll wie aus einem Kraftwerk, sondern im wesentlichen aus Plasma bestehend - also freien Elektronen und Protonen. Mit ein paar Heliumkernen. Also durchaus ungesund. Und die DNA verändernd.

Vor ihnen uns schützt das Magnetfeld der Erde, indem es den Sonnenwind ablenkt. Nur deshalb konnte sich Leben auf der Erde erhalten. Aber auch nur, weil der Sonnenwind in der Stärke schwankt und das Magnetfeld ihn nicht vollständig ablenkt, kommt soviel Strahlung durch, dass es hin und wieder zu Mutationen kommt. Ohne Magnetfeld hätten wir keine Überlebenschance. Aber ohne Sonnenwind wären wir über das Amöbenstadium nicht hinausgekommen, weil die Mutationen gefehlt hätten. Bis hierhin ist es schon spannend, es kommt aber noch besser:

Links die Sonne, rechts irdisches Magnetfeld. Grafik: NASA

Das Erdmagnetfeld entsteht aufgrund einer Besonderheit der Erdmasse: Erdkern und Oberfläche sind fest, die dicke Schicht "in der Mitte" besteht aus heißen, (mehrere tausend Grad) flüssigen Metallen, Wie der Informationsdienst IDW schrieb (Link):

Das Magnetfeld der Erde entsteht dadurch, dass Materie - im Wesentlichen flüssige Metalle - im Erdinnern unter dem Einfluß physikalischer Kräfte schraubenförmige Bewegungen ausführt. Unter bestimmten Bedingungen soll dabei ein sich selbst erhaltendes Magnetfeld entstehen, der so genannte Geodynamo. 

Die speziellen Strömungen, die es für einen dauerhaften "Geodynamo" braucht, entstehen wegen des Mondes. Ohne ihn würden sich die Rotationen von Erdmantel und die Schichten des flüssigem Inneren irgendwann aneinander anpassen, es würden die Relativbewegungen fehlen, die ein Dynamo braucht. Es ist die Gravitation des um die Erde eiernden Mondes, die das Notwendige bewirkt.

Dies ist die Versuchsanordnung, in der unsere Biologie aus dem "Nichts" entstehen und sich entwickeln konnte. Fällt es da schwer an "Zufall" zu glauben?

Die Stoffe, aus denen die Biologie entstand, waren in der Uratmosphäre reichlich vorhanden:  Wasser (H2O), Methan (CH4), Ammoniak(NH3), Wasserstoff (H2) und Kohlenstoffmonoxid (CO). 

In den fünfziger Jahren experimentierten zwei Chicagoer (Miller und Urey) mit einer solchen Ur-Atmosphäre in ihrem Labor, indem sie Blitze auf die o.g. Stoffe gaben. Wie Hoimar v. Ditfurth in einem Interview des Saarländischen Rundfunks mal erklärte, dauerte es gerade eine Nacht, um in dem Glaskobeln 3 der damals 20 (heute: 22) bekannten Aminosäuren zu erzeugen. (Nebenbei; Ein interessanter Fingerzeig darauf, warum das menschliche Kollektivgedächtnis Gewitter für göttlich hält.). Aminosäuren sind die Bausteine unserer Peptide und Proteine (Eiweiße).  Aus diesen gerade mal 20 Säuren, hundert- bis tausendfach, kombiniert sich der Aufbau unseres Organismus. Die angewandte Kombinationsvorschrift ist in der DNA gespeichert.

Einige Aminosäuren müssen wir unserer Nahrung entnehmen, weil unser Körper sie nicht selbst herstellen kann. Dass wir überhaupt einen Stoffwechsel haben, der weiß, was er der Nahrung entnehmen kann und dafür sorgt, dass wir -fast egal was wir essen, solange es ungiftig und mindestens zum Teil wertvoll ist- immer gleich aussehen, das finde ich fast so erstaunlich wie Intelligenz und Bewusstsein. Wir mutieren nicht durch das, was wir zu uns nehmen, sondern nur durch Manipulationen an unserer Erbsubstanz.


Samstag, 17. März 2012

Crash in Zeitlupe: Besuch im Kunstmuseum Wolfsburg

Gibts nicht nur an der Börse: Crash auf Raten

Wenn der ICE in Wolfsburg das nächste mal an Dir vorbei rauscht und Dich stehen lässt, nutze die Gelegenheit: Laufe die Fußgängerzone in der Porschestraße hoch bis zum Ende und besuche das Kunstmuseum Wolfsburg.

Da gibts noch für einige Zeit zwei sehr gute Ausstellungen: "Die Geometrie des Augenblicks" über den "Magnum" Fotografen Henri Cartier-Bresson. Und die "Kunst der Entschleunigung".

Los gehts mit "Entschleunigung". Vor der Tür: Der Crash in Zeitlupe, der 1cm pro Stunde Vortrieb leistet. Wir gehen rein und lernen: Das Lebensgefühl einer überfordernden Beschleunigung ist 250 Jahre alt. Seitdem leiden Menschen unter dem Gefühl, nichts mehr zu Ende denken oder bringen zu dürfen, bevor sie etwas neues anfangen müssen. "Velozeferisch" nannte Goethe das.

Beschlauliche Gemälde vom Vollmond am Strand, einem Blick in die Wolen bereitet die spätere Fallhöhe. Geht über in abstrakte Darstellungen von Geschwindigkeit und der Zentrifugalkraft der Kurve. Dann Autos, Flugzeuge, Raketen.

Dann die Geschwindigkeit der Computerbörse. Ein Video, "Middlemen". Niedergeschlagene Männer in einem Börsensaal, der mit Papieren übersät ist. Plötzlicher, schneller Kurssturz. Man denkt: In einer Welt, in der man sich mit Papieren und Computern um sein gesamtes Hab und Gut bringen kann, stimmt sowieso etwas nicht.

Daneben zwei Photos aus einem japanischen Börsensaal. Hunderte Händler und Makler beengt in Reihe und Glied vor ihren Handels-PCs, wie Soldaten. Womöglich acht Stunden am Tag. Womöglich jeden Tag. Highspeedhandel anno 1997. Die Fotos haben Plakatgröße, damit deutlich wird, wie absurd das eigentlich ist. Highspeedhandel ist immer so schnell, wie die IT-Ressourcen es zulassen. Neben der militärischen Verschlüsselungstechnik ist er inzwischen Fortschrittstreiber Nummer eins in der Computerbranche. Damit ist die kostolyanische Kunst der reflektierten Spekulation einer bewusstlosen Hyperaktivität gewichen, die uns ins Verderben stürzt, wenn sie instabil wird. Wie bei einem Reaktorunfall können wir nicht mehr beobachten, was vor sich geht, sondern müssen ggf. postmortem rekonstruieren, was passiert ist. Und warum. Und "warum?" ist überhaupt eine völlig deplatzierte Frage geworden im Zeitalter der Beschleunigung..

Am meisten beeindruckt hat mich die Visualisierung der schnellen Vergänglichkeit des geschriebenen und gesendeten Wortes (die "Erregermaschine"). Hier nicht dargestellt, als Empörungsspannung die durch den Dreh im moralischen Magnetfeld entsteht. Sondern als Wasserfall, der Worte formt, die beim Runterfallen außeinander driften und unten vom Leser schon nicht mehr zu entziffern sind. Ein Wort fällt aufs andere. Jeden Entzifferungs- und Deutungsversuch muss man vor seinem Ergebnis abbrechen, weil das nächste Wort schon gefallen ist.

Ein kluger Spruch an der Wand:
Die Beschleunigungsleistung (Anm.: oder die Bewegungsnergie) steigt überproportional mit der Geschwindigkeit. Deshalb bekommt man auch soviel Energie zurück, wenn man entschleunigt.

Ein anderer Spruch von Anselm Kiefer über die Nachbildung einer ausgegrabenen Trümmerstadt:
Trümmer sind Zukunft an sich.
Er meint, weil alles mal zum Trümmer wird. Darüber wächst Gras. Dann eine neue Stadt. Darüber wachse dann wieder Gras. Und so weiter.

Zwischendurch empfiehlt sich eine Pause im japanischen Garten des Museums.

Die schwarz-weißen Momentaufnahmen von Cartier-Bresson kennen wir: Der Mann, der mit seinem Spiegelbild über die Pfütze springt. Der Mann mit dem dreieckigen Mantel vor der Allee. Seine Reisefotos machen den Großteil seines Werkes und dieser Ausstellung aus. Besonders interessant finde ich den Dokumentationsfilm: Cartier-Bresson selbst und Freunde erzählen die Geschichten seiner Fotos. Ein Freund sagt: Er hatte einen Instinkt für politische Fotos. Er reiste viel. Und irgendwie immer dorthin, wo der Ball hinkommen sollte, wo ein Weltereignis passieren sollte.

So erzählt Bresson selbst von einer Sitzung mit Ghandi, den er am nächsten Tag fotografieren wollte. Er zeigt ihm seine Fotos, besprach die Sitzung. Ghandi habe eines, auf dem ein Leichenzug zu sehen ist, lange in der Hand gehalten und gesagt: "Der Tod, der Tod, der Tod." Später verabschiedete sich Ghandi von ihm, ging raus - und wurde erschossen.