Montag, 17. Oktober 2011

Bankers Frust

Die Banken und ihre Interessensvertreter sind in Rücklage geraten. Das erkennt man daran, dass die Qualität ihrer Argumente rapide abnimmt und die Polemik zunimmt.

Ich habe meine Vokabel von der "Kriegserklärung" und den "Kriegskrediten" (für den erweiterten Rettungsschirm) nur zögernd gewählt gehabt. Ich hätte aber nicht gedacht, dass der Präsident des Bankenverbandes in einem BILD-Interview (Link) sie nur wenige Tage selbst wählt, um den sich formierenden Widerstand gegen die Macht der Banken zu diffamieren.

Wie kann die Lösung aussehen?

Schmitz: Die Politik darf uns jetzt nicht den Krieg erklären, sondern sollte lieber mit uns bei Wasser und Brot ins Kloster gehen und arbeiten, bis weißer Rauch aufsteigt und es eine gemeinsame Lösung gibt.

Warum sind Sie gegen vorbeugende Finanzspritzen durch den Staat?

Schmitz: Nicht die Kapitalausstattung der Banken ist das Problem, sondern die Tatsache, dass Staatsanleihen ihren Status als risikofreie Anlagen verloren haben. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt darin, dass Regierungen das Vertrauen in die Solidität der Staatsfinanzen wiederherstellen.


Das kennen wir. Aus Sicht der Bänker sind immer deren Kunden schuld, wenn sie wieder auf Staatskosten gerettet werden müssen. Vor drei Jahren waren die Kunden, die sich von ihrem "Berater" (der ein Verkäufer ist) Lehmann-Zertifikate andrehen ließen, selbst schuld. Heute sind es die Regierungen, die bei Banken und Versicherungen Kredite aufnehmen.

Bankvorstände und ihre Lobbyisten wechseln immer die Stakeholder, deren Interessen sie vorgeben zu vertreten. Wenn sie am Markt auf Angriff fahren, sprechen sie in Richtung ihrer Aktionäre. Wenn sie wie selbstverständlich Staatsknete in Anspruch nehmen, verweisen sie auf ihre "Ansteckungsgefahr" in Richtung Realwirtschaft (wie ein AIDS-Kranker, der die Umstehenden mit einer infizierten Nadel bedroht).

Wolfgang Schäuble hat am Wochenende gefordert, was er vor zwei Monaten noch für "Gerede" erklärt hatte: Wir brauchen einen Schuldenschnitt. Es hat uns viel Geld gekostet, dass er so viel Zeit braucht, um zu verstehen.

Auslöser waren sicher die Menschenmengen, die am Wochenende gegen die Macht der Banken protestiert hat.

Sigmar Gabriel hat den nächsten Schritt unternommen, sich von der liberalen Schröder-Zeit zu distanzieren. Er fordert die Wiedereinführung getrennter Geschäftsfelder bei Banken. Was FDP Fraktionsvize Toncar sofort konterte mit den Worten: Das hätte bei der Lehmankrise nicht geholfen, denn die war ja eine reine Investmentbank.

Toncar hat nichts begriffen. Nicht Lehman war das Problem, sondern all die Banken, die in ihre wertlosen Produkte investiert waren. Und dazu gehörten auch normale Banken.

Trotzdem: Unterm Strich gewinnen die Politiker inzwischen an Erkenntnissen. Ich bin nicht mehr ganz so pessimistisch.

Freitag, 14. Oktober 2011

Anhalter Bahnhof



Einer der populärsten Irrtümer über Berlin rankt sich um den Anhalter Bahnhof. Von ihm steht heute nur noch ein Teil des Nord (Kopf) Portals. Viele glauben, der Bahnhof sei im Krieg komplett zerstört worden. Irrtum.

1841 wurde er eingeweiht. Und weil er nach mehreren Erweiterungen immer noch aus allen Nähten platze, wurde er 1880 neu erbaut. Er war Berlins wichtigste Verbindung gen Süden. Kaiser Wilhelm empfing hier Staatsgäste. Die Nazis missbrauchten ihn für Judendeportationen ins KZ Theresienstadt. Im Februar 1945 wurde er nach einem Bombenangriff schwer beschädigt, die Hallenwände blieben jedoch stehen. Nach Kriegsende verkehrten von hier (Westteil) Züge in die UdSSR sowie Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Der S-Bahnbau und die Isolierung West-Berlins sorgten dafür, dass der Bahnverkehr vom Anhalter Bahnhof zum Erliegen kam. Er wurde nicht mehr benutzt und verfiel. Irgendwann beauftrage Berlins Senator den Abriss des Bahnhofs. Angeblich für einen Neubau. Doch die Bagger rissen sich an den noch stehenden Wänden die Schaufeln aus. Deshalb wurde er 1959 gesprengt.

Wo früher Gleise und Bahnsteige lagen, grenzen heute Baumreihen ein Fussballfeld ein.



Im Technikmuseum kann man ein Modell des Bahnhofs besichtigen.





Und die Dampfloks, die hier damals verkehrten.



Hinter dem Technikmuseum am weiter südlich gelegenen Halleschen Ufer lagen früher die Weichen, die die Gleise zu den Bahnsteigen und zum Güterbahnhof verzweigten. Dort befindet sich heute der neu eröffnete Gleisdreieck Park:

Flottenstrategie der Nationalen Plattform Elektromobilität gescheitert

Das Handelsblatt gehört zu denen, die die Berichte der Nationalen Plattform Elektromobilität noch lesen. So haben sie vom Scheitern der Flottenstrategie der NPE erfahren:
Die Annahme, dass die gewerblichen Fuhrparks den Anschub in Sachen E-Mobilität bewerkstelligen werden, hat sich bisher nicht bewahrheitet. Grund dafür ist die Besteuerung der neuen Fahrzeuge, durch die die Kostenlücke des Elektroautos gegenüber konventionellen Fahrzeugen nicht geschlossen, sondern noch weiter aufgerissen wird.
Weil Elektrofahrzeuge in den kommenden Jahren gegenüber vergleichbaren konventionellen Fahrzeugen einen höheren Bruttolistenpreis aufweisen, führt die Anwendung der Ein-Prozent-Regel dazu, dass Nutzer elektrischer Dienstwagen einen deutlich höheren geldwerten Vorteil zu versteuern haben – obwohl der Nutzwert wegen der begrenzten Reichweite deutlich eingeschränkt ist.
Quelle: Handelsblatt

Ich habe noch großspurige Worte im Ohr, wie z.B. "Leitmarkt". Das ganze entpuppt sich wieder einmal (vgl. Green-IT) als Spielwiese, auf der sich Regierung und Regierungsberater gegenseitig Bälle zuspielen, dabei Projektbudgets verbrauchen und auf innovativ machen. Bis heute ist es das Geheimnis von Frau Schavan, warum sie einen SAP-Vorstand an die Spitze dieser Plattform setzte. Sollte er unsere Antwort auf Shai Agassi sein, der das Netz der Batteriewechselstationen hochgezogen hat? SAP und "Innovationen", Kundenorientierung??

Es wurde ein Anspruch formuliert, und danach festgestellt, dass der nicht zu halten ist. Jetzt werden monetäre Ansprüche an den Staat erhoben, damit die ursprünglichen Ansprüche vielleicht doch noch erreicht werden. Am Ende wird man sich gegenseitig die Verantwortung dafür zuspielen, das Wort vom "Leitmarkt" in die Welt gesetzt zu haben.

Wer von denen, die sich mit elektrischer Energieversorgung auskennen, setzt noch auf Batterieautos? Ich setze auf Wasserstoffautos.

"Die Märkte entdemokratisieren Europa"

Wir haben längst eine Wirtschaftsregierung in Europa: Die europäische Kommission. Die wird vom europäischen Parlament eingesetzt, ist also demokratisch legitimiert. Zumindest demokratischer als das, was Merkel und Sarkozy vorgeschlagen haben: Eine Parallelstruktur zur Kommission, bestehend aus 17 Regierungschefs der EURO-Staaten. Die hinter verschlossenen Türen tagt und dann verkündet, an den EU-Strukturen vorbei, was Sache ist. Diese Parallelstruktur ist de facto schon am Werke, ihr Sprecher ist Herman van Rompuy, früherer Regierungschef Belgiens.

Begründet wird diese Parallelstruktur damit, dass sie schneller entscheiden könne, und somit Anforderungen "der Märkte" besser erfüllen könne. Böse Zungen wie Martin Schulz (Europaabgeordneter der SPD) deuten das als Entdemokratisierung Europas auf Druck der "Märkte". Er nennt die von Merkel und Sarkozy vorgeschlagene Wirtschaftsregierung einen "neuen Wiener Kongress".

Schulz hat meiner Meinung nach insofern recht, als dieser "Kongress" sich weder dem europäischen Parlament verantworten müsste noch -mit Verweis auf ein "europäisches Organ"- den nationalen Parlamenten.

Man kann es auch so deuten: Zum ersten mal meint und nimmt eine deutsche Regierung Europa wirklich ernst, nämlich indem sie selbst dort mitregieren will. Wenn auch nur auf Forderung der "Märkte".

Man muss allerdings auch die europäischen Abgeordneten fragen, warum man so wenig von ihnen hört.

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Lichtstrahl

Aufgenommen am Deutschen Technikmuseum:





Woran die Rot-Grünen Koalitionsverhandlungen scheiterten

Am Montag trommelte die Berliner SPD ihre Mitglieder zusammen. Als ich in die Friedrich-Ebert-Stiftung kam, hatte Landesvorsitzender Michael Müller bereits seine Rede angefangen. Ich wunderte mich über seinen vorauseilend defensiven Ton, in dem er die Absage an die Grünen begründete. Es habe fünf gemeinsame Sitzungen gegeben und jedesmal habe man wieder bei Null oder sogar darunter anfangen müssen.

Es sei an einem Punkt Konsens gewesen, dass man Ramsauer nach einer Umwidmung der 400 Mio frage, die für den Ausbau der A100 vorgesehen seien. Nachdem er dies abgelehnt hatte, gab es den Minimalkonsens, den Ausbau zu verschieben. Die Grünen meinten damit eine Verschiebung auf 2013. Denn da gebe es vielleicht wieder eine Rot-Grüne Bundesregierung, mit der man die Umwidmung der Mittel neu verhandeln könne. "2013 oder 2014 hätten wir dann eine Anfrage ans Verkehrsministerium gerichtet. Und weil die 3km Autobahn für die Bundesregierung vielleicht nicht den allerhöchsten Stellenwert hat, vergeht dann geraume Zeit, bis wir eine Antwort bekommen." Da war für uns Schluss.

Nach Müller sprach Klaus Wowereit. Er betonte den Arbeitsplatzaspekt der Autobahn. Nicht den Verkehrsaspekt. Wenn in Berlin 400 Mio Bundesmittel verbaut werden können, dann muss man zugreifen, so der Tenor. Zum Verkehrskonzept sagte er: Die A100 ist Teil eines Verkehrskonzeptes für Berlin und den Bund. Das Konzept und die Planung habe noch die frühere Rot-Grüne Bundesregierung beschlossen. "Renate Künast hatte dem als Ministerin übrigens zugestimmt. Und dann lassen die Grünen unsere Koalitionsverhandlungen an dieser Frage platzen?"

Die Basis ist in dieser Frage gespalten. Manche nennen die Entlastung der historischen Mitte Berlins vom LKW-Verkehr läppisch "3km Asphalt". Vielleicht sind es Mitglieder aus der alten West-SPD. Denn -so sagte ein Sprecher aus Köpenick: "In der Köpenicker Bezirksverordnetenversammlung sind alle Parteien FÜR den Ausbau der A100. Bis auf die Grünen."

Nach den beiden Reden gab es Fragen an die SPD-Spitze. Manche gerieten dabei ziemlich in Rage. Es würde mich nicht wundern, wenn einige Mitglieder nun so enttäuscht sind, dass sie die Partei verlassen. Das wären aus meiner Sicht aber nur solche, die in den vergangenen Jahren dafür gesorgt haben, dass sich der Verband vorrangig als Vertreter des öffentlichen Dienstes versteht. Solcher Leute also, die kein Interesse an einem auch wirtschaftlich starken Berlin haben müssen.

Ich finde den Kurs von Müller und Wowereit richtig und auch mutig. Sie sollten ihn weitergehen. Und nicht so defensiv auftreten.

Wowereit und sinnigerweise am gleichen Tag (in der FAZ) auch Sigmar Gabriel verkündeten die Erkenntnis, dass es derzeit keine Rot-Grünen Projekte gebe. Es gebe aber immer mehr Projekte, an denen sich ihre Geister scheiden.

Christian Soeder aus der BaWü SPD hat sich dazu auf den Ruhrbaronen seine Gedanken gemacht. Lesenswert!

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Eröffnung des Festival of Lights am Potsdamer Platz

Kurz vor acht Uhr heute Abend hat Klaus Wowereit am Potsdamer Platz das diesjährige Festival of Lights eröffnet. Es ist das siebte Festival und es zieht jedes Jahr mehr Besucher an. Deshalb gibt es auch jedes Jahr mehr und aufwendigere Installationen dieser "Illuminaten". Dieses Jahr gibts ein überdimensionales Fressenbuch (berlinerisch für Facebook) zu sehen, genannt "Faces".

New York (sorry, ohne diesen Vergleich GEHT es nun mal NICHT) hat die Einschaltung seines Christbaums. Wir haben das Festival of Lights :-)

Hier mein Video:

Dienstag, 11. Oktober 2011

Nach den Kriegskrediten nun die Kriegserklärung an die deutsche Mittelschicht



Man kann versuchen, sich das Abstimmverhalten der SPD-Bundestagsfraktion beim erweiterten Bankenrettungspaket am 29.9. rational und gut gemeint zu erklären. Da sind die traumatischen Erfahrungen aus der Geschichte, die natürlich vor allem im kollektiven Gedächtnis der ältesten Partei Deutschlands hängen geblieben sind. Die Weltwirtschaftskrise, den Börsenkrach 1929, das unverschuldete Zusammenbrechen gesunder (also "unschuldiger") Gewerbe- und Industriestrukturen, das will man nicht nochmal erleben.

Liest man ein bisschen bei zeitgenössischen Ökonomen (und die Vergabe der Nobelpreise ist immer eine guter Anlass), dann klärt sich manches. Ich habe bei Nouriel Roubini -alias Dr. Doom- gelernt: Zwei Denkschulen erklärten 1929 aus verschiedenen Perspektiven: Die Keysianer hielten die pro-zyklische Politik von Präsidend Hoover für den entscheidenden Fehler. Wenn es mit der Konjunktur (die nannte man damals noch gar nicht so) bergab geht, sollte man nicht zusätzlich die Staatsausgaben senken um die Nachfrage vollends abzuwürgen. Hoover versprache sich damals von seiner Politik ein reinigendes Gewitter, ein Survival of the Fittest - eine ins Wahnhafte gesteigerte liberale Ideologie.

Die Monetaristen sagten: Hätte eine letzte Instanz das Bankensystem mit Krediten versorgt, hätte die Kettenreaktion von Bankenzusammenbrüchen vermieden werden können.

Ersteres erklärt die Umweltprämie für Autos vor zwei Jahren, letzteres die Bankrettungspakete, die uns als EURO-Rettungspakete verkauft werden.

Es wird uns übrigens auch verkauft, dass die Kultur überbordender Staatsschulden die eigentliche Ursache für die Systemkrise sei. Und dass damit bald Schluss sein müsse. Und hier kommen dann die Interessen ins Spiel, und man muss hoffen, dass die SPD das merkt.

Banken sind gehalten, Kredite vor der Vergabe zu prüfen und abhängig vom Risiko Sicherheiten zu fordern. Niemand zwingt sie, Kredite zu vergeben oder Anleihen zu zeichnen. Es liegt auch im Eigeninteresse, Kapital auf die Seite zu legen, für den Fall, dass Kredite ausfallen, seien es Zinsen oder Tilgungen. Bei all dem haben unsere hoch bezahlten Bankmanager entweder versagt oder aus irgend einem anderen Grund wider besseren Wissens gehandelt. Für die falschen Risikoeinstufungen machen sie die Ratingagenturen verantwortlich. Dabei beschäftigen sie unzählige eigene Analysten. Aber diesen Trend kennen wir auch aus anderen Zusammenhängen: Wenn ein Manager einen Funktionstitel und einen Verantwortungsbereich trägt, dann gilt das nicht für seine Expertise. Dafür wird er für ein hohes Budget einen Externen beauftragen. Hier eben eine Ratingagentur.

Und wenn ich von der FDP höre, es handele sich um einen Regulierungsfehler, wenn die Banken ausgerechnet für die Zeichnung von Staatsanleihen kein Eigenkapital hinterlegen müssten, frage ich ihn, wer hinderte die Banken, dies trotzdem zu tun? Natürlich legen Staaten den Instituten, die sie mit Krediten versorgen sollen, keine besonders hohen Barrieren in den Weg. Das muss man als Banker aber erkennen und dann eigenverantwortlich handeln.

Uns wurden die Rettungspakete "für Griechenland" als Rettung für den EURO verkauft. Die soundso unaussprechlich betitelte Faszilität sollte -so verstand ich es- ein Fonds sein, aus dem überschuldete Staaten ihre Schulden begleichen können. Ein Schuldenschnitt kam für Merkel nicht in Frage. Weil, so sagte sie wörtlich: "Weil dann kein Mensch mehr eine Staatsanleihe eines EURO-Staates zeichnet." Dann stünden wir künftig alle ohne einen Kreditrahmen da.

Und eine Woche später, nach einem Gipfeltreffen mit Sarkozy, heißt es, die Faszilität diene auch der Rettung von Banken. Wahrscheinlich französischer. Und übrigens, für Griechenland steht ein Schuldenschnitt von "mindestens" 60% an. Womit wir bei der Rettung von Banken wären, nunmehr als Klartext.



Wen rettet man, wenn man eine Bank rettet? Bankmanager, Aktionäre, Kunden. Wer hat besonders viel zu verlieren? Natürlich jeder, der den Parolen der letzten zehn Jahre gefolgt ist, man müsse an der Börse für seine Rente vorsorgen. Aber natürlich vor allem die wenigen Prozent der Bevölkerung, die über den überwiegenden Teil des Vermögens verfügen.

Und irgendjemand wird für die Rettung dieser Herrschaften bezahlen müssen. Denn "die Wahrheit ist konkret". Zunächst der Staat. Der wird es sich aber irgendwo wiederholen. Denn, nach dieser Rettungsaktion, als Lektion, wird so schnell keine großen Kredite an Staaten mehr geben. Da wird man froh sein, nochmal mit heiler Haut davon gekommen zu sein.

Hier sind starke Interessen im Spiel. Die verbergen ihr Gesicht, aber sie haben eines. Das lehrte uns die österreichische Ökonomenschule, wie z.B. Schumpeter: Wirtschaft, das sind konkret handelnde -und zumeist gegeneinander handelnde- Individuen.

Wenn man nun also z.B. sagt, der Steuerzahler wird es entrichten, meint man: die Mittelschicht wird es richten. Denn die ausgesorgte Oberschicht zahlt keine oder nur minimale Steuern. Sie zahlt keine Vermögenssteuer. Keine Finanztransaktionssteuer. Bekleidet sie in Deutschland Managerfunktionen, dann nur zu überbewerten Preisen. Sie zahlt, wenn wir Glück haben, pauschal 25% (für Millionäre ein Discounttarif) auf Kapitaleinkünfte. Wenn sie in Deutschland anlegt. Aber die besagten Herrschaften pflegen ihr Geld schwarz in der Schweiz anzulegen. In Deutschland bedienen sie sich nur der Infrastruktur. Finanzieren tun sie die nicht. Auch die Hilfsbedürftigen wird es treffen, natürlich. Die sind auch schon daran gewöhnt.

Warum spielt die SPD da mit? Ist es eine patriotische Regung? Ist es der altvertraute Wunsch, von den hohen Herren Anerkennung zu bekommen? Mich erinnert es an die unseligen Kriegskredite, nur dass sie diesmal keinem Krieg gegen andere Länder dienen, sondern des Krieges eines kleinen Teils der Gesellschaft gegen die Mehrheit, vor allem die Mittelschicht. Ein geräuschloser (so hoffen sie) Bürgerkrieg.

Und eine Woche später veröffentlicht die WELT sogar die dazugehörige Kriegserklärung unter dem Titel
"EURO-Krise: Auch für Deutschlands Mittelschicht wird es ernst" (Link).



Der -lieber anonym bleibende- Autor bezichtigt uns übersteigerte Ansprüche an den Wohlstand. Wir hätten nach dem Krieg die Politiker verrückt gemacht. Wir hätten es uns angemaßt, folgende Ziele zu verfolgen (übrigens genau die Agenda der sozialliberalen Glanzzeit unter Brandt und Scheel/Flach):
Aufstieg, Vorankommen, Emanzipation.

Als unsere unverzeihlichen Sünden benennt er:
Eigenheimzulagen, Pendlerpauschalen, kostenfreien Universitäten, Ehegattensplitting, Zuschüssen zu Renten- und Krankenversicherung, Jobs im öffentlichen Dienst, Frühverrentungen, Kinder- und Erziehungsgeld.

Die Eigenheimzulage brauchte kein Mensch. Frühverrentungen dienten der Agenda des Kapitals (einer irrtümlichen, wie sich später herausstellte, denn sie kauften die frühverrenteten alten Eisen wenig später teuer zurück). Die größte Frechheit ist es, hier die kostenfreien Universitäten zu benennen.
Der Fehdehandschuh ist geworfen. Matthias Döpfner hat ihn geworfen, stellvertretend für die, zu deren Nutzen bisher alle Kriege Deutschlands geführt wurden.

Montag, 10. Oktober 2011

Die Mittelschicht hat nichts vom EURO

"Mitterrand forderte Euro als Gegenleistung für die Einheit"
SPIEGEL (Link)

"Der EURO hat Deutschland zu viele wirtschaftliche Vorteile gebracht."
Merkel bei Jauch (Link)

Solange Kohl Bundeskanzler war, meldete die BILD Zeitung in regelmäßigen Abständen zwei Erfolgsmeldungen: 1. Wir sind Exportweltmeister, 2. Die D-Mark ist stark und stabil.

Heute wissen wir: das waren paradiesische Zustände für die Mittelschicht in Westdeutschland. Wir hatten Arbeit und unsere Währung hatte Kaufkraft. Es gehörte zu unserem Grundverständnis: Eine starke Währung ist Ausdruck einer starken Volkswirtschaft.

Dann kam die friedliche Revolution in der DDR. Viele ihrer Bürger forderten die Einführung der D-Mark, und zu diesem Zweck die Wiedervereinigung. Kohl stimmte beidem zu und setzte sich dafür ein. Offenbar eine Horrorvorstellung für Frankreich. Mitterand befürchtete laut SPIEGEL, dass die Deutschen bei der EURO-Einführung vom Gas gehen könnten, weil sie sich selbst für stark genug halten könnten. Man kann heute vermuten: Eine Angst, die von Kohls Phantasien blühender Landschaften befeuert wurde.

Der SPIEGEL zitiert Karl-Otto Pöhl mit den Worten:
"Möglicherweise wäre die Europäische Währungsunion gar nicht zustande gekommen ohne deutsche Einheit."

Man darf erst recht vermuten: Aus französischer Sicht war der EURO ein Mittel, um die deutsche Volkswirtschaft zu schwächen, oder zumindest im Zaum zu halten.

Uns wird heute von Merkel verkauft, der EURO sei in "unserem", deutschen Interesse. Doch beides kann nicht stimmen. Es wird das Argument konstruiert, der Vorteil der schwächeren EURO-Länder verbilligere unsere Exporte und halte diese am Laufen. Wenn das der stärkste Effekt des EUROs wäre, hätten sich die Franzosen entscheidend verrechnet. Dann müssten unsere Automobilexporte z.B. auch zu Lasten von Renault, Citroen und Peugeot gehen. Und zu Lasten von Fiat etc.

Mehr Exporte bewirken höhere Gewinne. Das müsste man auch an den Tarifverhandlungen der letzten zehn Jahre ablesen können. Die sehen zwar nicht schlecht aus, aber auch nicht nach einer satten EURO-Dividende für die Arbeitnehmer. Dazu kommt der Nachteil eines schwachen EUROs für Arbeitnehmer: Importe werden teurer. Und das merken wir sehr deutlich beim Einkaufen, vor allem an der Tankstelle.

Haben der weiche EURO und die Lohnbescheidenheit wenigstens Arbeitsplätze gesichert, wie es die IG Metall nicht aufhört zu betonen? Auch das kann man nicht behaupten. In aller Stille sind etliche Arbeitsplätze umgewandelt worden. Fluktuationen in der Produktion werden mit Leiharbeitern abgefangen. Und bei den akademischen Berufen gibt es seit zehn Jahren den Trend zur "Beratung". Doch die ist inzwischen oft nur noch Leiharbeit für Akademiker. Mit den damit verbundenen bekannten Nachteilen.

Ich rechne nach, ziehe einen Strich und stelle fest: Der EURO hat mir nichts gebracht. Er ist es mir nicht wert, zu einem solch hohen Preis gerettet zu werden.

Freitag, 7. Oktober 2011

Warum wir den Ausbau der #A100 und die große Koalition brauchen

Vorigen Samstag hörten wir im RBB Inforadio ein interessantes Interview mit unserem SPD-Landesvorsitzenden Michael Müller. Was wir hörten, machte uns Hoffnung, aber ich war nicht sicher, ob es nicht nur Taktik war. Müller warnte die Grünen vor einem Scheitern der Koalitionsverhandlungen. Die A100 sei eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte für Berlin, das werde man nicht einfach aufgeben. Es war das zweite mal, dass ich von Müller begeistert war: Erstens mutig, zweitens mit beiden Beinen im Leben der Werktätigen. Das erste mal war es auf einer der Ideenkonferenzen voriges Jahr, als ich "Re-Industrialisierung" aus dem Munde eines Mitglieds der SPD Berlin hörte.

Allzu lange war Sozialdemokratie oder irgendeine Form von Links in Berlin nur Lifestyle und Nostalgie von mittleren Beamten, öffentlich Bediensteten und Stasinostalgikern. Als Vertreter der werktätigen Klasse war man eher eine Minderheit. Dachte ich. Müller kommt ein bisschen unscheinbar daher. Aber was er redet hat meistens Hand und Fuß. Den Lifestylelinken ist er zu staubig: Gelernter Kaufmann, der mit seinem Vater eine kleine Druckerei betreibt. Also mithin den Strukturwandel in dieser Branche voll miterlebt. Er verdient sein Geld draußen am Markt. Für viele Lattemacchiatosozialisten ein exotischer Usecase im sozialen Netzwerk. Doch für mich ist Müller einer, der meine Interessen vertritt: Mehr wirtschaftliche Dynamik und Arbeitsplätze für Berlin. Wo war er die letzten zehn Jahre, darf man fragen. Weiß ich nicht. Jedenfalls stellte den Wirtschaftssenator allzu lange die Linkspartei.

Zurück zur A100. Die A100 ist die Hauptschlagader von -bisher West-Berlin. Gütertransport, Pendler, Besorgungen. Beim besten Willen gilt (wie im Ruhrgebiet): Man kriegt nicht alles mit dem ÖPNV geregelt. Schon gar nicht, wenn die Bahn mit Totalausfällen glänzt.



Man kann wie gesagt nur im Berliner Westen von einem sinnvollen Autobahnkonzept sprechen. Von Westen kommend fährt man am neu ausgebauten Anschluss Nuthetal auf die AVUS A115 Richtung Funkturm. Ziele von Charlottenburg bis inzwischen Neukölln sind danach über die A100 erreichbar. Wer weiter gen Osten will, quält sich auf Nebenstraßen - über die Spree, über die Bahnlinie. Wer von Osten über die A10 kommt, quält sich erst recht. Ein Ärgernis aus Stau, CO2, Bremsabrieb (Feinstaub!). Deshalb sieht die alte Planung den Weiterbau der A100 gemäß folgender Grafik vor:


Grafik: Senatsverwaltung Berlin (Quelle)

Bis zu den wichtigsten Verkehrsachsen im Osten: Frankfurter und Stralauer Allee. Jeder, der sich in Berlin bewegt, schätzt die Funktion der Stadtautobahn. Und wessen Straßen durch die AB entlastet werden, schätzt das auch! Und die 400 Mio EUR für "die paar km Autobahn" entstehen u.a. wegen der Querung einer Bahnlinie und eines Flusses. Alles verständlich.

Nur die Grünen wollen es nicht einsehen. Wie schreibt die WELT so treffend:
Bei den Grünen wird die Modernitäts- und Mobilitätskritik mittlerweile fast religiös intoniert.

Nicht wer Autobahnen baut ist von gestern. Sondern wer die Hauptstadt des Industrielandes Deutschland in Hausschuhen regieren will. Funktionäre und Mandatsträger der Grünen sind überwiegend als Beamte und ÖffDies in höher dotierten Funktionen unterwegs. Manche unkündbar. Da lässt sich leicht vom Naturpark Berlin träumen. (Dazu kommen Beispiele doppelter Moral wie Cem Özdemir, die die grünen Vorzeigeprojekte wie Fixerstube oder in einem anderen Fall muslimische Kindergärten bitte nicht im eigenen Kiez verwirklicht sehen wollen..) Die Spitzenkandidatin Künast warb vor wenigen Jahren noch für den Toyota Prius - und heute stemmt sie sich gegen die A100?

Grüne Wähler sind da viel pragmatischer und können -wenn sie ehrlich sind- mit der CDU viel besser leben. Grüne Wähler leben die Gentrifizierung undercover als Regierungsangestellte, die sich im Prenzlauer Berg oder Neukölln Wohnungen zulegen. Die bringen mit dem Cayenne ihre Kinder in die Kita und parken dann auf dem Bürgersteig vor dem Biosupermarkt in der Wilmersdorfer Straße.

Das einzige gute am Grünen Wahlkampf war ihre Mitmachplattform, an der ich mich selbst beteiligt und erlebt habe, wie sehr sich überzeugte Campaigner vor Ort um Themen kümmern. Das ist ehrenwert, lobenswert und wichtig und will ich nicht zu tief hängen. Diese Plattform sollte man eigentlich dem Senat und den Bezirken verkaufen. Aber der große Plan für Berlin entsteht aus 1.000 Einzelprojekten vor Ort eben nicht.

Die CDU hat sich zumindest an ihrer Spitze zum Neo-Seriösen gewandelt. Die Paten Ingo Schmitt und Landowsky sind weg vom Fenster. Henkel pflegt bürgerliche Umgangsformen und machte am Wahlkampfstand einen guten Eindruck.

Nein, ich fürchte keinen langen Stillstand, wenn jetzt die große Koalition kommt. Es fließen enorme Mittel nach Berlin, die sinnvoll gelenkt werden müssen. In der City - West, am neuen Zoofenster und Kudamm herrscht lange vermisste Aufbruchstimmung. Die brauchen wir in ganz Berlin. Ich bin optimistisch und hätte das vor einigen Wochen selbst nicht geglaubt.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Den Tag lang über Steve Jobs gegrübelt

Der Tod von Steve Jobs hat mich wirklich angefasst. Es war einer dieser Tage, an denen ich in nur einem Thema versinke und vieles in Frage stelle.

Menschen, die andere Menschen besser verstehen als diese sich selbst, und in Worten oder Werken ausdrücken können was diese denken oder wollen, haben ein wertvolles Talent.

Sie beherrschen die Kunst der Konzentration auf einen Gedanken, eine Erkenntnis, ein phantasiertes Bild, den Geistesblitz. Sie drücken ihn nicht weg wie ein unliebsames Werbebanner oder vergessen ihn, sondern sie fangen ihn und entwickeln ihn dann.

Menschen wollen verstanden werden und werden es meistens nicht. Werden sie es ausnahmsweise mal, empfinden sie es als Wohltat. Tritt dies gehäuft auf, kann das in Therapie "ausarten". In Therapie von der Qual, sich nicht verstanden zu fühlen.

Dies begründet den Erfolg solcher Dichter, Schriftsteller, Journalisten, Kolumnisten, Musiker, Maler, Fotografen. Und: Erfinder und Designer.

Die meisten Produkte, die wir im Laden in die Hand nehmen oder deren Fotos wir bei amazon durch das Vergrößerungsglas betrachten, kommen mit Nebenwirkungen. Manchmal halten sie nicht was ihr Produzent verspricht. Oder sie überfüllen mit zu vielen Features.

In diesen Misstand sprangen wir vor zehn Jahren als CRM-Berater bei IBM: "Ihr müsst Eure Kunden ins Produktdesign einbinden. Mehr mit ihnen sprechen. Dann erfahrt Ihr, welche Entwicklungsinvestitionen sich lohnen und welche nicht." Aber damit lagen wir etwas neben dem Punkt. Denn der Kunde ist immer aufs Problem fixiert, sieht es aber natürlich nicht ein, Verbesserungsvorschläge einzureichen. (OPEL in Rüsselsheim hat das ja auch mal einen Kunden wissen lassen: Das Verbesserungswesen sei nur für Mitarbeiter da, nicht für Kunden. Stand so in der ADAC Motorwelt..) Aber selbst wenn: Ein Kunde wird immer nur Verbesserungen vorschlagen. Wird einem Henry Ford immer nur vorschlagen, schnellere Pferde zu züchten.

Es gibt aber auch die, die mit offenen Augen durch die Welt gehen und in Unzulänglichkeiten von Produkten und Dienstleistungen oder gar Barrieren Marktlücken erkennen. Die sich die entscheidenden Fragen stellen. Und dann in diese Lücken Produkte und Prozessen reinphantasieren. Die Leute von der Agentur IDEO sind hier Legende.

So einer war Steve Jobs. Wo die "Legacies" (Plattenfirmen, Elektronikhersteller, Telefonnetzbetreiber) nur Risiken sahen, und diejenigen, die von Chancen sprachen, als Piraten kriminalisierten, erfanden Steve Jobs und seine Crew ein System, das aus Risiken Chancen machte. Und aus Kriminalisierten neue Kunden. So tickt auch Jeff Bezos, der Gründer von amazon.com.

Solche Leute strömen nicht mit der real existierenden Marktwirtschaft. Die bestehenden Unternehmen haben nie Interesse am Neuen. Sie beharren im Bestehenden. Je größer, desto beharrlicher. So bestritt vor zehn Jahren der damalige Oberamtsmann vom Bertelsmannverlag, dass Onlinebuchhandel in Deutschland Sinn mache oder sich jemals rechnen würde. Solche Manager treiben Leute wie Bezos oder Jobs entweder in den Wahnsinn oder aus dem Haus.

Je mehr Oberamtsmänner wir erleben, umso heller strahlen Leute wie Jobs. Die Oberamtsmänner stehen dann immer vor einem Rätsel und argumentieren mit Powerpointfolien dagegen. Und fordern von ihren Leuten, sich gefälligst auch ein i-Irgendwas zu überlegen. Sie versagen, während der Genius schon wieder ein neues Produkt verkündet, das den Kunden verstanden hat.

Verständnis wirkt therapeutisch. Das erklärt den Kultstatus von Jobs, seine Kunden fühlen sich respektvoll behandelt, therapiert. Verkümmern nicht in Callcenterwarteschleifen, wo sie auf eine menschliche Stimme warten.

Vielleicht ist der Verlust menschlicher Stimmen aber noch weiter zu fassen. Vielleicht hat in unserer sozialmedialen Welt schon der Produktmanager und Softwaredesigner den Autor und Musiker ersetzt.

Den Tag lang über Steve Jobs gegrübelt

Der Tod von Steve Jobs hat mich wirklich angefasst. Es war einer dieser Tage, an denen ich in nur einem Thema versinke und vieles in Frage stelle.

Menschen, die andere Menschen besser verstehen als diese sich selbst, und in Worten oder Werken ausdrücken können was diese denken oder wollen, haben ein wertvolles Talent.

Sie beherrschen die Kunst der Konzentration auf einen Gedanken, eine Erkenntnis, ein phantasiertes Bild, den Geistesblitz. Sie drücken ihn nicht weg wie ein unliebsames Werbebanner oder vergessen ihn, sondern sie fangen ihn und entwickeln ihn dann.

Menschen wollen verstanden werden und werden es meistens nicht. Werden sie es ausnahmsweise mal, empfinden sie es als Wohltat. Tritt dies gehäuft auf, kann das in Therapie "ausarten". In Therapie von der Qual, sich nicht verstanden zu fühlen.

Dies begründet den Erfolg solcher Dichter, Schriftsteller, Journalisten, Kolumnisten, Musiker, Maler, Fotografen. Und: Erfinder und Designer.

Die meisten Produkte, die wir im Laden in die Hand nehmen oder deren Fotos wir bei amazon durch das Vergrößerungsglas betrachten, kommen mit Nebenwirkungen. Manchmal halten sie nicht was ihr Produzent verspricht. Oder sie überfüllen mit zu vielen Features.

In diesen Misstand sprangen wir vor zehn Jahren als CRM-Berater bei IBM: "Ihr müsst Eure Kunden ins Produktdesign einbinden. Mehr mit ihnen sprechen. Dann erfahrt Ihr, welche Entwicklungsinvestitionen sich lohnen und welche nicht." Aber damit lagen wir etwas neben dem Punkt. Denn der Kunde ist immer aufs Problem fixiert, sieht es aber natürlich nicht ein, Verbesserungsvorschläge einzureichen. (OPEL in Rüsselsheim hat das ja auch mal einen Kunden wissen lassen: Das Verbesserungswesen sei nur für Mitarbeiter da, nicht für Kunden. Stand so in der ADAC Motorwelt..) Aber selbst wenn: Ein Kunde wird immer nur Verbesserungen vorschlagen. Wird einem Henry Ford immer nur vorschlagen, schnellere Pferde zu züchten.

Es gibt aber auch die, die mit offenen Augen durch die Welt gehen und in Unzulänglichkeiten von Produkten und Dienstleistungen oder gar Barrieren Marktlücken erkennen. Die sich die entscheidenden Fragen stellen. Und dann in diese Lücken Produkte und Prozessen reinphantasieren. Die Leute von der Agentur IDEO sind hier Legende.

So einer war Steve Jobs. Wo die "Legacies" (Plattenfirmen, Elektronikhersteller, Telefonnetzbetreiber) nur Risiken sahen, und diejenigen, die von Chancen sprachen, als Piraten kriminalisierten, erfanden Steve Jobs und seine Crew ein System, das aus Risiken Chancen machte. Und aus Kriminalisierten neue Kunden. So tickt auch Jeff Bezos, der Gründer von amazon.com.

Solche Leute strömen nicht mit der real existierenden Marktwirtschaft. Die bestehenden Unternehmen haben nie Interesse am Neuen. Sie beharren im Bestehenden. Je größer, desto beharrlicher. So bestritt vor zehn Jahren der damalige Oberamtsmann vom Bertelsmannverlag, dass Onlinebuchhandel in Deutschland Sinn mache oder sich jemals rechnen würde. Solche Manager treiben Leute wie Bezos oder Jobs entweder in den Wahnsinn oder aus dem Haus.

Je mehr Oberamtsmänner wir erleben, umso heller strahlen Leute wie Jobs. Die Oberamtsmänner stehen dann immer vor einem Rätsel und argumentieren mit Powerpointfolien dagegen. Und fordern von ihren Leuten, sich gefälligst auch ein i-Irgendwas zu überlegen. Sie versagen, während der Genius schon wieder ein neues Produkt verkündet, das den Kunden verstanden hat.

Verständnis wirkt therapeutisch. Das erklärt den Kultstatus von Jobs, seine Kunden fühlen sich respektvoll behandelt, therapiert. Verkümmern nicht in Callcenterwarteschleifen, wo sie auf eine menschliche Stimme warten.

Vielleicht ist der Verlust menschlicher Stimmen aber noch weiter zu fassen. Vielleicht hat in unserer sozialmedialen Welt schon der Produktmanager und Softwaredesigner den Autor und Musiker ersetzt.

Steinman und Jobs sterben an Bauchspeichelkrebs


Screenshot: Apple Website

Im Abstand nur weniger Tage sind zwei Große unserer Zeit an derselben Krankheit gestorben. Bauchspeichelkrebs hat den Immunforscher Ralph Steinman und den Mann, der unsere Rechenzentren zurück in Wohnzimmer verwandelt hat, Steve Jobs, das Leben gekostet.

Im Radio hörte ich ein Interview mit einer Forscherin, die bei Steinman geforscht hat. Diese Krebsart überlebt der Betroffene meistens höchstens ein Jahr. Steinman wendete seinen Therapieansatz bei sich selbst an und verlängerte sein Leben damit um drei Jahre. Er entdeckte die "dendritische Zelle" als Abwehrzelle gegen Eindringlinge und richtete sie mit Eiweißen des Tumors ab, auf dass sie diese im befallenen Körper erkennt und vernichtet.

Über Steve Jobs gehen die Vermutungen von Bloggern dahin, dass ihm die Bauchspeicheldrüse entfernt wurde. Sie regelt sowohl den Blutzuckerspiegel über die Produktion des Hormons Insulin. Und sie produziert Verdauungssekrete für den Darm. Kurz gesagt: Aufgenommene Nahrung wird noch für die Aufnahme in den Körper aufbereitet, aber nicht mehr effektiv genug aufgenommen. Damit erklärt sich -verkürzt gesagt- der starke Gewichtsverlust.

Steve Jobs wurde 56 Jahre alt, Steinman 68.

Wie für so viele andere haben Apple Produkte auch mein Leben einfacher gemacht. Für mich als Ingenieur war es auch Anschauungsunterricht, worauf es ankommt, wenn man neue technische Möglichkeiten für Endanwender nutzbar und attraktiver machen will. Mir ist es etwas wert, wenn unser Wohnzimmer nicht aussieht wie ein Rechenzentrum im Kennedy Space Center. Und wenn ich das, was ich eigentlich will, schnell und unkompliziert bekomme: Nachrichten, Musik, Podcasts.

"Mich selbst daran zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, ist das wichtigste Mittel, das ich je gefunden habe, um die großen Entscheidungen meines Lebens zu treffen. Fast alle Erwartungen, jeder Stolz oder die Furcht vor Peinlichkeiten oder einem Misserfolg verschwinden im Angesicht des Todes. Übrig bleibt nur, was wirklich wichtig ist."
Steve Jobs


Screenshot: New York Times