Dienstag, 11. Oktober 2011

Nach den Kriegskrediten nun die Kriegserklärung an die deutsche Mittelschicht



Man kann versuchen, sich das Abstimmverhalten der SPD-Bundestagsfraktion beim erweiterten Bankenrettungspaket am 29.9. rational und gut gemeint zu erklären. Da sind die traumatischen Erfahrungen aus der Geschichte, die natürlich vor allem im kollektiven Gedächtnis der ältesten Partei Deutschlands hängen geblieben sind. Die Weltwirtschaftskrise, den Börsenkrach 1929, das unverschuldete Zusammenbrechen gesunder (also "unschuldiger") Gewerbe- und Industriestrukturen, das will man nicht nochmal erleben.

Liest man ein bisschen bei zeitgenössischen Ökonomen (und die Vergabe der Nobelpreise ist immer eine guter Anlass), dann klärt sich manches. Ich habe bei Nouriel Roubini -alias Dr. Doom- gelernt: Zwei Denkschulen erklärten 1929 aus verschiedenen Perspektiven: Die Keysianer hielten die pro-zyklische Politik von Präsidend Hoover für den entscheidenden Fehler. Wenn es mit der Konjunktur (die nannte man damals noch gar nicht so) bergab geht, sollte man nicht zusätzlich die Staatsausgaben senken um die Nachfrage vollends abzuwürgen. Hoover versprache sich damals von seiner Politik ein reinigendes Gewitter, ein Survival of the Fittest - eine ins Wahnhafte gesteigerte liberale Ideologie.

Die Monetaristen sagten: Hätte eine letzte Instanz das Bankensystem mit Krediten versorgt, hätte die Kettenreaktion von Bankenzusammenbrüchen vermieden werden können.

Ersteres erklärt die Umweltprämie für Autos vor zwei Jahren, letzteres die Bankrettungspakete, die uns als EURO-Rettungspakete verkauft werden.

Es wird uns übrigens auch verkauft, dass die Kultur überbordender Staatsschulden die eigentliche Ursache für die Systemkrise sei. Und dass damit bald Schluss sein müsse. Und hier kommen dann die Interessen ins Spiel, und man muss hoffen, dass die SPD das merkt.

Banken sind gehalten, Kredite vor der Vergabe zu prüfen und abhängig vom Risiko Sicherheiten zu fordern. Niemand zwingt sie, Kredite zu vergeben oder Anleihen zu zeichnen. Es liegt auch im Eigeninteresse, Kapital auf die Seite zu legen, für den Fall, dass Kredite ausfallen, seien es Zinsen oder Tilgungen. Bei all dem haben unsere hoch bezahlten Bankmanager entweder versagt oder aus irgend einem anderen Grund wider besseren Wissens gehandelt. Für die falschen Risikoeinstufungen machen sie die Ratingagenturen verantwortlich. Dabei beschäftigen sie unzählige eigene Analysten. Aber diesen Trend kennen wir auch aus anderen Zusammenhängen: Wenn ein Manager einen Funktionstitel und einen Verantwortungsbereich trägt, dann gilt das nicht für seine Expertise. Dafür wird er für ein hohes Budget einen Externen beauftragen. Hier eben eine Ratingagentur.

Und wenn ich von der FDP höre, es handele sich um einen Regulierungsfehler, wenn die Banken ausgerechnet für die Zeichnung von Staatsanleihen kein Eigenkapital hinterlegen müssten, frage ich ihn, wer hinderte die Banken, dies trotzdem zu tun? Natürlich legen Staaten den Instituten, die sie mit Krediten versorgen sollen, keine besonders hohen Barrieren in den Weg. Das muss man als Banker aber erkennen und dann eigenverantwortlich handeln.

Uns wurden die Rettungspakete "für Griechenland" als Rettung für den EURO verkauft. Die soundso unaussprechlich betitelte Faszilität sollte -so verstand ich es- ein Fonds sein, aus dem überschuldete Staaten ihre Schulden begleichen können. Ein Schuldenschnitt kam für Merkel nicht in Frage. Weil, so sagte sie wörtlich: "Weil dann kein Mensch mehr eine Staatsanleihe eines EURO-Staates zeichnet." Dann stünden wir künftig alle ohne einen Kreditrahmen da.

Und eine Woche später, nach einem Gipfeltreffen mit Sarkozy, heißt es, die Faszilität diene auch der Rettung von Banken. Wahrscheinlich französischer. Und übrigens, für Griechenland steht ein Schuldenschnitt von "mindestens" 60% an. Womit wir bei der Rettung von Banken wären, nunmehr als Klartext.



Wen rettet man, wenn man eine Bank rettet? Bankmanager, Aktionäre, Kunden. Wer hat besonders viel zu verlieren? Natürlich jeder, der den Parolen der letzten zehn Jahre gefolgt ist, man müsse an der Börse für seine Rente vorsorgen. Aber natürlich vor allem die wenigen Prozent der Bevölkerung, die über den überwiegenden Teil des Vermögens verfügen.

Und irgendjemand wird für die Rettung dieser Herrschaften bezahlen müssen. Denn "die Wahrheit ist konkret". Zunächst der Staat. Der wird es sich aber irgendwo wiederholen. Denn, nach dieser Rettungsaktion, als Lektion, wird so schnell keine großen Kredite an Staaten mehr geben. Da wird man froh sein, nochmal mit heiler Haut davon gekommen zu sein.

Hier sind starke Interessen im Spiel. Die verbergen ihr Gesicht, aber sie haben eines. Das lehrte uns die österreichische Ökonomenschule, wie z.B. Schumpeter: Wirtschaft, das sind konkret handelnde -und zumeist gegeneinander handelnde- Individuen.

Wenn man nun also z.B. sagt, der Steuerzahler wird es entrichten, meint man: die Mittelschicht wird es richten. Denn die ausgesorgte Oberschicht zahlt keine oder nur minimale Steuern. Sie zahlt keine Vermögenssteuer. Keine Finanztransaktionssteuer. Bekleidet sie in Deutschland Managerfunktionen, dann nur zu überbewerten Preisen. Sie zahlt, wenn wir Glück haben, pauschal 25% (für Millionäre ein Discounttarif) auf Kapitaleinkünfte. Wenn sie in Deutschland anlegt. Aber die besagten Herrschaften pflegen ihr Geld schwarz in der Schweiz anzulegen. In Deutschland bedienen sie sich nur der Infrastruktur. Finanzieren tun sie die nicht. Auch die Hilfsbedürftigen wird es treffen, natürlich. Die sind auch schon daran gewöhnt.

Warum spielt die SPD da mit? Ist es eine patriotische Regung? Ist es der altvertraute Wunsch, von den hohen Herren Anerkennung zu bekommen? Mich erinnert es an die unseligen Kriegskredite, nur dass sie diesmal keinem Krieg gegen andere Länder dienen, sondern des Krieges eines kleinen Teils der Gesellschaft gegen die Mehrheit, vor allem die Mittelschicht. Ein geräuschloser (so hoffen sie) Bürgerkrieg.

Und eine Woche später veröffentlicht die WELT sogar die dazugehörige Kriegserklärung unter dem Titel
"EURO-Krise: Auch für Deutschlands Mittelschicht wird es ernst" (Link).



Der -lieber anonym bleibende- Autor bezichtigt uns übersteigerte Ansprüche an den Wohlstand. Wir hätten nach dem Krieg die Politiker verrückt gemacht. Wir hätten es uns angemaßt, folgende Ziele zu verfolgen (übrigens genau die Agenda der sozialliberalen Glanzzeit unter Brandt und Scheel/Flach):
Aufstieg, Vorankommen, Emanzipation.

Als unsere unverzeihlichen Sünden benennt er:
Eigenheimzulagen, Pendlerpauschalen, kostenfreien Universitäten, Ehegattensplitting, Zuschüssen zu Renten- und Krankenversicherung, Jobs im öffentlichen Dienst, Frühverrentungen, Kinder- und Erziehungsgeld.

Die Eigenheimzulage brauchte kein Mensch. Frühverrentungen dienten der Agenda des Kapitals (einer irrtümlichen, wie sich später herausstellte, denn sie kauften die frühverrenteten alten Eisen wenig später teuer zurück). Die größte Frechheit ist es, hier die kostenfreien Universitäten zu benennen.
Der Fehdehandschuh ist geworfen. Matthias Döpfner hat ihn geworfen, stellvertretend für die, zu deren Nutzen bisher alle Kriege Deutschlands geführt wurden.

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