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Samstag, 4. August 2012

Wir wachsen nicht mehr, wir boomen und crashen

Die schöne Geschichte, dass Liberalisierung, Währungsunion und ein edler Wettstreit um niedrige Steuersätze Wachstum und Wohlstand nach Irland, Spanien oder gleich ganz Europa gebracht hätten, ist widerlegt.

Das Wachstum unserer Nachbarn war nur geliehen. Wir verzichteten auf Wachstum in unseren Portomonnaies und waren schon mit sicheren Arbeitsplätzen zufrieden. Nach all den Jahren medialen Dauerfeuers über Hartzgesetze. Jetzt steht auch diese Sicherheit auf dem Spiel. Denn auch unsere Arbeitsplatzsicherheit war somit auf Pump. Richtig gewachsen sind nur die, die von Gewinnen und Renditen leben. Nicht wenige von ihnen haben ihre Schäfchen in anonymen und sicheren Schließfächern am Goldufer oder als Immobilie am Ku'damm oder Prenzlberg.

Für uns abhängig Beschäftigte, denen die Steuer direkt vom Gehalt abgeführt wird, waren die letzten fünfzehn Jahre ein zehrender Wechsel von Boom und Crash. Man muss sich entweder auf seinem Platz verteidigen, oder man hat freie Wahl und nutzt die wenigen Abschnitte, um Boden zu gewinnen. Entweder kloppen wir uns um unattraktive Restprojekte, oder wir müssen schon morgen alles gleichzeitig fertig haben. Nach dem Boom folgt der Crash.

Ein stetiges, dafür langsames Wachstum, in dem wir mit Überlegung die Fortschritte aus Forschung und Technik nacheinander in neue Produkte und Methoden umsetzen, wäre viel gesünder, ist aber Traumvorstellung. Für unsere Wirtschaft und unsere vegetativen Nervensysteme. Und wo man Qualität und Wachstum anstrebt und erreicht, da kommen die materiellen Anerkennungen fast von selbst.

In Aufschwungphasen wären neue Produkte zu kreieren. In Abschwungphasen neue Methoden, die die gewachsenen Kosten für Entwicklung und Produktion dieser neuen Produkte senken.

So wäre es gut. Aber wir erleben oft das Gegenteil: Aus Angst, den Aufschwung zu verpassen, werden halbfertige Produkte auf den Markt geworfen. Und im Abschwung werden oft die guten ("teuren") Leute rausgeworfen. Die dann im Aufschwung wieder fehlen, wenn man eigentlich Qualität schaffen müsste.

Je größer die Märkte werden, desto instabiler werden sie. Und desto heftiger die Ausschläge nach oben und unten. Das führt dazu, dass wir nie in den Modus kommen, der für unsere Nerven am besten wäre: Vorausschauende Fahrweise und sich ein bisschen sicher fühlen dürfen. Das Gefühl, seine Fahrt selbst im Griff zu haben.

Montag, 3. Oktober 2011

An Wolfsburg ist nicht alles schlecht ;-)

Diesen Sommer wurde der Wolfsburger Bahnhof gerade ausgebaut. Er bekam einen zweiten Ausgang, zur Kanalseite. Da kann man schön sitzen und aufs Kraftwerk gucken, während man auf seinen verspäteten ICE nach Berlin wartet.. Auch in der Autostadt auf der gegenüber liegenden Kanalseite kann man -zumindest im Sommer- schöner warten. Dazu läuft man an den Outletboutiqen vorbei über die Kanalbrücke.

Der Punkt mit den vergessenen ICE-Halten ist wahrscheinlich: Laut Fahrplan hält nur jeder zweite in Wolfsburg. Da kann ein Lokführer schon mal durcheinander kommen. Jeder zweite donnert durch. Jeder zweite hält.

Wer also seinen ICE nur vorbei rauschen sieht, geht am besten in die Autostadt. Autos gucken, eine Currywurst essen. Die VW-Currywurst ist ja so berühmt, dass sie sogar im Berliner Edeka verkauft wird..




Mittwoch, 16. Februar 2011

Wir Wolfsburgpendler



Die Berliner Zeitung hat uns Wolfsburgpendlern endlich ein Denkmal gesetzt (Link). Jetzt haben wir es auch schriftlich, dass es nur freundlicherweise geduldet wird, dass wir nicht in der erstaunlichsten Stadt des Universums wohnen, sondern in Berlin. Da es in der Zeitung steht, darf ich nun auch hier darüber schreiben, dass wir Pendler inzwischen einen Draht in die oberste Etage des Bahntowers haben. Und das ist gut so. Denn für uns kommt es schon im Frühjahr wieder ganz dicke. Dann saniert die Bahn die ICE Hochgeschwindigkeitsstrecke. Heisst: 1h täglich mehr im Zug. Heisst: Einspuriger Verkehr. Heisst: Weniger Sicherheit.

Wenn die Termine zu früh lagen, oder zu spät, dann habe ich in Wolfsburg auch schon mal übernachtet. Vor zwei Jahren galt das mal ein halbes Jahr lang. Und weil es in WOB zu wenige Hotels gibt für die vielen Berater, musste ich manchmal in Westhagen absteigen. Hochhaussiedlung, Overnight für Spediteure. Ich lag in meinem angemieteten Jugendzimmer und suchte Zuflucht in meinem iPod.

Als ich '97 nach Essen gezogen war, erzählte mir meine Nachbarin, sie sei auch erst neulich eingezogen. Sie komme aus der einsamsten Stadt, am Ende der Welt. Aus Wolfsburg. Hätte damals nie gedacht, wie gut ich es eines Tages kennenlernen würde.

Im Wolfsburger Werk trifft man keine Wolfsburger. Kaum jemand, der hier arbeitet, wohnt auch hier. Man wohnt entweder in Braunschweig und ist Fan von Hannover 96. Oder man hat sein Häusschen zwischen H und WOB.

Wer das Ruhrgebiet oder Berlin kennt und schätzt, der hatte noch nie was gegen Niedersachsen. Aber auch nicht viel dafür. Ich muss sagen: Die Leute hier sind sympathisch und meistens unkompliziert. Ich hatte vorher schon zwei Konzerne von innen kennengelernt. Doch dies ist der erste, in dem mir bis jetzt keine Allüren entgegengeschlagen sind. (Die schlägt mir eher bei seinen kleinen Tochterunternehmen entgegen.) Vielleicht liegt das daran, dass es bis heute von Ingenieuren dominiert ist. Mit einem Patriarchen an der Spitze.

Wenn wir ehrlich sind, schlägt uns in Berlin viel häufiger Provinzialismus entgegen. Das liegt natürlich an den vielen zu gereisten Provinzlern. Eines der größten Missverständnisse ist, dass es in Kreuzberg-Friedrichshain von unerschrockenen intellektuellen Revolutionären wimmelt. Mitnichten. Hier wird nur kollektiv das ausgelebt und kompensiert, was in Süddeutschland häufig genug in Amokläufen endet: Tief sitzende Ängste sich in Frage gestellt sehender Twentysomethings. In Berlin wertet man die persönliche Krise halt zu einer Angelegenheit der Allgemeinheit auf brabbelt etwas vom Privaten, das nun politisch ist. "Ich will hier wohnen, ich will hier nicht weg." diktiert der Internationalist dem Politblogger ins iPad. Und ansonsten stellt Berlin wenig Ansprüche an sich selbst.

Wer so ist, darf auf Wolfsburg nicht herabschauen. Hier gibt man sich Mühe, das Image der künstlich angelegten Stadt aufzubessern. Hier gibts die Autostadt zu besichtigen, wenn man seinen neuen Wagen abholt. Ansonsten siehts hier aus, wie in den meisten mittelgroßen Städten Deutschlands.

Eine Kombination aus beiden wäre nicht schlecht: Die Steuereinnahmen Wolfsburgs für Berlin. Angeblich -so erfuhr ich am Freitag gerüchtehalber- habe man aus Wolfsburg bzw. Salzburg in Berlin schon mal angeklopft gehabt. Der Senat habe aber desinteressiert abgewunken. Das würde zu dem Umgang passen, den man hier schon beim Thema Elektroautos gezeigt hat: Erst brüske Ablehnung, dann bürgermeisterliche Reklamierung des Themas für die "Hauptstadt", und dann wieder ablassen in die Senke.

Wenn der ICE am Hauptbahnhof Berlin einrollt, wissen die Wolfsburgpendler genau, wo es nicht reservierte Sitzplätze gibt: Im letzten Waggon. Kenner wissen auch, dass die Türen genau an der Fuge auf Höhe der Sitzbank zum Halten kommen. Hier wird gedrängelt, am hinderlichsten sind die Anzugträger mit Rolltasche, Handy und dem Kaffee in der Hand, der ihnen selbst private Gemütlichkeit im öffentlichen Raum und uns anderen urbane Weltgewandtheit suggerieren soll.

Es gibt natürlich nicht nur die, die tatsächlich pendeln. Es gibt auch die, davon leben, dass andere pendeln. Die finden das gar nicht so schlimm und strapaziös. Bzw. sie bieten den Pendlern schon mal großzügig an, doch nach WOB zu ziehen. Doch das will keiner. Dagegen fragt man sich wie es eigentlich dazu gekommen ist, dass in Deutschland die interessantesten, also wertschöpfenden Jobs in den eher uninteressanten Städten platziert sind? Warum wimmelt es in Berlin von Blender- und Schaumschlägerposten und nur von wenigen Industriejobs?

Doch während ich mich das frage, lese ich in der Morgenpost, dass die Deutsche Telekom und Google in Berlin neue Denkfabriken errichten wollen. In Tegel soll es ein Zentrum für Elektroautos geben. Das sind erlösende Worte.

Während wir darüber diskutieren und mit 250km/h übers Gleis rasen fällt mir noch etwas anderes ein: Ist nicht die Tatsache, dass wir alle mit dem ICE nach WOB pendeln, und dafür auch Reisegenehmigungen bekommen und die Kalkulation ergibt, dass die Bahn wesentlich günstiger ist als die Fahrt mit dem Auto, nicht das stärkste Argument gegen das Produkt, das wir alle da drüben entwickeln - das Auto?

Dienstag, 10. August 2010

Viel Luft für Lohnerhöhungen

Ist das bei Ihnen schon angekommen? Martin Kannegiesser, seines Zeichens Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, warnt Ingenieure und andere wertschöpfende Angestellte vor "Verteilungsgier". Er meint damit, dass neben dem Abschwung und dem Krisentiefpunkt auch der Aufschwung der falsche Moment für Gehaltsforderungen ist.

Da werden die Angesprochen sicher hinhören, kurz nachdenken und sagen: "Stimmt". Der Aufschwung ist genau so scheu wie das Kapital. Wenn es da "im Unterholz auch nur knistert, dann springt es angsterfüllt hopp über die Schweizer Grenze" (Schramm).

Herr Kannegiesser weiß sehr wohl, wem seine Gesamtmetall-Mitgliedsunternehmen den rasanten Aufschwung und überhaupt die starke Stellung auf den Weltmärkten zu verdanken haben: Ingenieuren und Informatikern, die jeden Tag ihre Ausrüstungsmaschinen und Autos verbessern und den "Gewerblichen", die diese Dinge produzieren und warten. Alle genannten sind bestens qualifiziert, die meisten haben ihren Abschluss vor dem Bildungschaos von Frau Schavan gemacht. Und alle genannten haben zehn Jahre lang Reallohneinbußen hingenommen.

In einem Interview mit dem ZDF Morgenmagazin erklärte Kannegiesser die Kluft zwischen dem behaupteten Fachkräftemangel und tatsächlichen 20.000 arbeitslos gemeldeten Ingenieuren kalt: Die seien entweder zu immobil oder wollten nur noch teilzeit arbeiten. (Quelle)

Darüber hinaus stellte er fest:
"Wir hatten im letzten Aufschwung 14 Prozent mit Produktionseinschränkungen wegen fehlender Fachkräfte. Das wird sich aber jetzt sehr schnell dramatisch steigern. Es ist so, dass wir es beim Fachkräftemangel mit einem Schlüssselproblem unseres Arbeitsmarktes zu tun haben werden. "

Das kann nur signifikante Lohnerhöhungen für die heiß ersehnten Fachkräfte zur Folge haben.

Denn: Im oben beschriebenen Zeitraum beobachteten sie, wie Managergehälter ungetrübt von Krisen stiegen. Sie beobachteten auch, wie viele Manager die ihnen anvertrauten Qualitätsunternehmen vor die Wand fuhren. Und wie "Heuschrecken" (für diesen so zutreffenden Begriff musste sich Franz Müntefehring vor fünf Jahren von so Leuten wie Pofalla noch beleidigen lassen) intakte Unternehmen übernahmen und nach allen Regeln des Wallstreetliberalismus ausnahmen und die Hüllen wegwarfen wie eine Leberwursthülle. All diese Damen und Herren sind nie unter eine Million EURO Abfindung vom Ort ihres Marodierens weggeschickt worden. Die sich abzeichende Unfähigkeit dieser Klasse beeinträchtigte aber keineswegs ihre Ansprüche. Sie griffen triebhaft auch in leere Kassen. Ihre Ansprüche begründeten sie stets mit ihrer eigenen Knappheit und ihren "globalen Optionen". Das war geblufft, denn die wenigsten kommen auch nur über die Grenzen ihres Bundeslandes hinaus.

Die variablen Gehaltsmodelle haben die Spielräume der Manager vergrößert. Sie handeln bei den Teilhabern eine Ausschüttung aus greifen rein und reichen den Rest an die darunter liegende Führungsebene weiter usw.. Motto: "Haltet sie unten knapp, dann bleibt mehr für Euch." lautet die Ansage mancher Geschäftsführung an das Führungspersonal.

Von Frank-Walte Steinmeier ist überliefert, dass die CDU-Bundesminister applaudierten, als Kanzlerin Merkel die Insolvenz von Karstadt berichtete. In diesen Applaus stammelte sie leise: "Aber denken Sie auch ein bisschen an die Verkäuferinnen."
Dieses "Sittengemälde" wie Steinmeier seine Beobachtungen bei "solchen Leuten" nennt, haben wir alle viel zu lang ertragen müssen.

Selbst Reallohneinbußen hinnehmen zu müssen, weil sie um so billiger arbeiten müssen, je schlechter sie gemanagt werden, und die nicht performenden Manager belohnt zu sehen, war manchen zu viel - und sie wanderten aus. Deutschland erlitt wegen der verschlechterten Bedingungen eine Abwanderung von Fachkräften. Übrig blieben die Dealmaker und Abzocker, die Middelhoffs und Classens, die Pierers und Eicks und Mehdorns. Und die kriminellen Zumwinkels und Co.

Der DIHK Vorsitzende Braun goß vor Jahren noch Öl ins Feuer, in dem er Unternehmen aufforderte, die Outsourcingpotenziale in Osteuropa "nach Kräften" zu nutzen. Für sein gesellschaftliches Engagement ist dieser Herr übrigens ausgezeichnet worden.

Und jetzt sind wir Wertschöpfenden am Drücker. Wir sind knapp, wir sind begehrt. Uns werden Angebote gemacht. Wer im eigenen Betrieb keine 10 bis 15% durchsetzen kann, sollte die Angebote des Arbeitsmarktes "nach Kräften" nutzen.

Herr Kannegiesser, die Marktkräfte spielen uns in die Hände. Die niederen Instinkte überlassen wir Ihnen und ihresgleichen. Die Begrifflichkeiten dafür auch. Ich kann Sie von meinem Balkon aus sogar sehen. Ich überlege, ob ich mal kurz rüberkomme und es ihnen persönlich sage.. Bis gleich!

Donnerstag, 25. März 2010

Wie Bosch auf den Ingenieursmangel reagiert

Bosch bemerkt den Beginn des demographiebedingten Ingenieursmangel. Das Durchschnittsalter seiner Ingenieure ist von 42 auf 49 Jahre gestiegen. In einigen Schlüsseltechnologien wie der Leistungselektronik kneift es schon jetzt, wie Arbeitsdirektor Wolfgang Malchow in einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur freimütig einräumte.

Ich selbst beobachte ebenfalls ein Wiederansteigen der offenen Stellen. Auch im Bereich Leistungselektronik. Treiber hierfür simd die Entwicklungsthemen Hybridantrieb und Wechselrichter für regenerative Energieanlagen. Conti bietet z.B. in Berlin gerade wieder viele Möglichkeiten für Konstrukteure und Softwareentwickler und konkurriert damit gegen mindestens zwei Nebenbuhler um dieselben Leute.

Bosch reagiert auf den Ingenieursmangel wie folgt:
- Einstellung von Absolventen auch in der Wirtschaftskrise.
- Gründung eines Zentrums für Leistungselektronik zusammen mit Hochschulen und dem Land in Baden-Württemberg.

D.h. Bosch versteht den Mangel an Expertise als einen Mangel an Qualifizierung, den man selbst beheben kann. Ich kenne da auch andere Strategien: Wie z.B. jahrelanges Suchen und Warten, bis sich endlich der Richtige mal bewirbt ;-)

Bosch investiert 200 Mio EUR p.a. in Weiterbildung, erwartet von seinen Ingenieuren aber auch, dass sie mitziehen:
- Lebenslanges Lernen
- Weiterbildung auch und gerade für ältere (!) Mitarbeiter

Wichtig ist hier natürlich die Qualität der Weiterbildung. Ich habe da selbst schon ein breites Spektrum kennen gelernt:
Am einen Ende dieses Spektrums steht die Nullweiterbildung für krass fehleingesetzte Kräfte. Philosophie hier: "Wir erwarten, dass Sie das aushalten." Und am anderen Ende stehen mehrwöchige Intensivkurse.

Häufig wird ja ein Kompetenzmix benötigt. Z.B. Patentrecht plus Spezialisierung auf eine Branche.

Ach ja, Bosch hat auch Erwartungen an die Politik:
- Die alten Hasen sollen nicht schlagartig in Rente gehen. Hilfreich wäre ein flexibler Ausstieg, also ein Mix aus Teilzeit und Teilrente.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

In der Wolfsburg

Als ich den langgezogenen, in den vierziger Jahren errichteten Industriebau zum ersten mal betrete, ist es wie ein Zeitsprung. Plötzlich finde ich mich in einer beunruhigenden Zeit wieder. Die Innenarchitektur ist tatsächlich so, wie man sie sich von außen vorstellt. Und sie verfehlt ihre Wirkung nicht.

Einiges ist vom Bauhaus geprägt. Diese Mischung aus Funktion und "Auto"rität wirkt auf mich aber wie von den Nazis diktiert. Neben den Eingängen sind Ornamente und arbeitssoziologische Weisheiten in die "Front" eingelassen. Die Türen sind immer noch Erstausrüstung, scheint es. Die Wände und der Boden sind hell blaugrau. Die blassgelben Fliesen im Foyer erinnern mich an das frühere Bad meiner Großeltern. Die Fenster, die man um ihre vertikale Mittelachse drehen kann, an einen Besuch im Bauhausmuseum.

Ich gehe zum Fahrstuhl, ich will nach oben. Während ich warte, höre ich Schritte näher kommen. Harte Schritte auf hartem Boden. Kommen jetzt gleich die Offiziere mit dem Chefplaner um die Ecke...? Hierarchie ist übrigens eine der Traditionen, die man hier heute noch pflegt. Sowohl in der Linienorganisation als auch in der gesellschaftlich-arbeitsteiligen Hierarchie: In diesem Gebäude arbeiten -nein: leisten- die etwas gediegenen Konzernjuristen, Absatzplaner aus dem Marketing und die "Konzernsteuerer". Die wertschöpfenden Aufsteigeringenieure aus Forschung und Entwicklung hingegen sind in der weitaus unwirtlicheren "FE" am anderen Ende des Geländes untergebracht - in Großraumbüros mit gewöhnungsbedürftigen, grau-blauen Raumteilern. Hier herrscht immer Platzmangel. In der FE summt und brummt es. In der Hauptverwaltung hingegen: konzentrierte Ruhe. Nur das benachbarte Presswerk erschüttert im Fünfsekundentakt die langen Linien der Strategen.

Mit dem Fahrstuhl oben angekommen entdeckt man die gefälligen, funktionalen Proportionen zwischen Treppenhaus, Fluren, Fenstern, Türen. Wenn ich mich darauf einlasse, wirkt diese Architektur nicht mehr autoritär, sondern durchdacht funktional. Nur weil ich weiß, dass das Bauwerk aus der Nazizeit stammt, werte ich die Architektur negativ. Das gilt sogar für Bauwerke, von denen ich früher fälschlicherweise glaubte, sie entstammten Nazihirnen, wie z.B. der Flughafen Tempelhof. Der wirkt auf mich ausgesprochen "nazihaft", ist es aber nicht. ("Die Autobahnen" hatte übrigens auch nicht Hitler planen lassen. Er hat sie nur bauen lassen, weil sie auch seinen Zwecken dienten. Geplant wurden sie von anderen vor ihm.) Hätten die Nazis diese Architektur nicht vereinnahmt und besudelt - und auch nicht unsere Sprache - dann hätten wir ein gesünderes und hilfreicheres Verhältnis zum Erbe unserer Künstler, Architekten und Ingenieure.

Das gilt meiner Meinung nach selbst für den ursprünglichen Namen des späteren VW-Käfer: "Kraft durch Freude" - das ginge auch heute als populäres Motivationskonzept durch, wenn es nicht von den Hirnen psychopathischer Verbrecher in die Welt gesetzt worden wäre. Was fehlt denn den Konzernangestellten heute mehr als "Kraft durch Freude"? Und wer übrigens hindert sie meistens daran..? "Kraft durch Freude" war eine der ersten großen deutschen Marketinglügen, in denen sich die Täter als Erlöser aufspielten.

Was ich mich beim Gang zum verabredeten Besprechungszimmer auch frage, ist: Wie sind die Herren Porsche und Co. damals ohne Powerpoint, Intranet und Beamer zurecht gekommen? Haben die ihre Pläne einfach auf Papier geschrieben, sich darüber gebeugt, diskutiert und in die Tat umgesetzt? Wie ging das damals zu in den Direktoren- und Oberingenieursrunden ("Management" hieß das ja erst später)? Wie haben damals weniger Leute mit weniger Mitteln solche Legenden wie den Käfer und Golf I geschaffen?

Liest man Kracauers "Die Angestellten" (von 1930) kommt man allerdings zu dem Schluss, dass sich in den letzten hundert Jahren im inneren Gefüge deutscher Großunternehmen eigentlich nichts verändert hat. Deshalb ist es angebracht, auch an der Architektur nichts zu ändern.

Sonntag, 31. Mai 2009

Perhappies :-)

Eine frühere Kollegin erzählte mal vor Jahren, dass es bei Verabredungen ihrer Tochter im Teenageralter immer erst fünf Minuten vor dem Termin klar sei, ob dieser tatsächlich stattfinde. Es könne nämlich passieren, dass man fünf Minuten vor der Zeit feststelle, dass es noch etwas besseres gebe wo man hingehen könne, oder dass man einfach keine Lust habe. Und per SMS sei es ja technisch einfach, die anderen über das eigene Befinden auf dem Laufenden zu halten.

Inzwischen sind diese Teenager im Berufsleben angekommen. Und sie haben ihre Kultur mitgebracht. Statt SMS nutzen sie heute MS Outlook (weil SMS im Corporate Network nicht funktioniert). Und ihre Eltern haben sie inzwischen auch von den Vorteilen ihrer Sitte überzeugt: Der Anteil von "Unter Vorbehalt"-Zusagen auf Outlookeinladungen hat sich in den letzten 6 Jahren verdoppelt.

Soziologen nennen diese Leute "Perhappies". Weil sie immer nur mit perhaps antworten, und dabei glücklich sind.

Erfinder dieser Kultur des sich nicht festlegens ist Franz Beckenbauer ("Schaun mer mal" - so hätte man eigentlich den Button im Outlook bezeichnen müssen).

Perhappies nerven Leute, die etwas zu planen und zu organisieren haben. Perhappies sind aber auch eine Antwort auf das gebrochene Committment der Autoritäten. Wo Manager ihre Fehler von Mitarbeitern ausbaden lassen und ihre Verantwortung auf anonyme Instanzen ("Märkte", "Krise") abwälzen oder prinzipiell ablehnen, da lehnen dann irgendwann auch die Mitarbeiter ihre Verbindlichkeit ab. Sie sagen unterschriebene Arbeitsverträge einen Tag vor dem Einstieg ins Unternehmen ab. Sie sagen ihre Mitarbeit am Projekt kurzfristig ab. Immer, weil sie kurzfristig etwas besseres gefunden haben.

Wären Perhappies konsequent, würden sie das Angestelltenverhältnis an sich ablehnen, und sich als Freiberufler mit einer Fülle von Gelegenheiten umgeben. Doch die müssten erarbeitet werden. Und man müsste überhaupt Verantwortung für das eigene Leben übernehmen. Und das lehnen Perhappies wiederum strikt ab. Das sehen sie genau so wenig ein, wie ihre Manager. Beide beziehen ja ihre Identität und behaupten ihren Marktwert daraus, dass man ihnen überhaupt Gelegenheiten bietet. Erfüllen müssen sie diese aber nur selten, weil sie immer auf dem Sprung sind. Sie bringen selten Ergebnisse, weil sie etwas immer nur anfangen. Sie müssen nur einen guten Start in einem Projekt mit viel Renommee hinlegen. Ausbaden können das dann diese altmodischen Typen, die sich früh auf etwas festlegen können (weil man denen, aus Sicht der Perhappies, wohl keine Angebote macht).

Und so sind Perhappies am Ende des Tages genau die richtigen Angestellten für große Konzerne.

Mittwoch, 27. Mai 2009

Beruf und Berufung

Dass es mit dem materiellen Wohlstand wirklich bergab gehen wird, erkennt man auch daran, dass die kreativen, kulturellen Werke besser werden. Ich wühle mich gerade durch die Reze(n)sionen der Cannes Filmfestspiele. "Das weiße Band" und "Antichrist" interessieren mich besonders.

Die Zeit unmittelbar vor Ausbruch des ersten Weltkrieges hatte ja schon einmal Stefan Zweig mit seiner "Welt von gestern" sehr lebhaft eingefangen. Haneke, wie Zweig Österreicher, hält die Kamera in "Das weiße Band" hingegen auf die alltägliche, selbstverständliche Gewalt. Die irre Vorstellung von Psychopathen, über andere Menschen verfügen zu können als Haupttriebfeder in Politik, Wirtschaft und Familie. Gut, dass wir das heute überwunden haben.

Nebenbei erstaunte mich ein Interview mit Charlotte Gainsbourg: Ihr Job hat mit meinem so viele Gemeinsamkeiten:

Wie hat von Trier Ihnen Ihre Rolle vor dem Dreh erklärt? Und wie haben Sie sich vorbereitet?

Er hat gar nichts erklärt! Ich habe mich selbst vorbereitet, allerdings nicht völlig auf eigene Faust, sondern mit einem Schauspielcoach, den ich schon kannte, per Telefon. Ich war am Anfang extrem nervös, denn Lars hat wirklich keine einzige meiner Fragen beantwortet. Er sagte immer wieder, er wisse es auch nicht - er war so vage! Und man konnte sehen, dass er damit sehr viel Spaß hatte. Er hatte Vergnügen daran, sich dumm zu stellen. Aber ich musste mit irgendjemandem sprechen und meine Ideen teilen. Für diese Diskussionen brauchte ich einen Vertrauten. Das half mir sehr, mir den Passionsweg in seinen ganzen emotionalen Stufen klarzumachen,...

(Quelle: FAZ)

Berufene brauchen keine Coaches

Dass es mit dem materiellen Wohlstand wirklich bergab gehen wird, erkennt man auch daran, dass die kreativen, kulturellen Werke besser werden. Ich wühle mich gerade durch die Reze(n)sionen der Cannes Filmfestspiele. "Das weiße Band" und "Antichrist" interessieren mich besonders.

Die Zeit unmittelbar vor Ausbruch des ersten Weltkrieges hatte ja schon einmal Stefan Zweig mit seiner "Welt von gestern" sehr lebhaft eingefangen. Haneke, wie Zweig Österreicher, hält die Kamera in "Das weiße Band" hingegen auf die alltägliche, selbstverständliche Gewalt. Die irre Vorstellung von Psychopathen, über andere Menschen verfügen zu können als Haupttriebfeder in Politik, Wirtschaft und Familie. Gut, dass wir das heute überwunden haben.

Nebenbei erstaunte mich ein Interview mit Charlotte Gainsbourg: Ihr Job hat mit meinem so viele Gemeinsamkeiten:

Wie hat von Trier Ihnen Ihre Rolle vor dem Dreh erklärt? Und wie haben Sie sich vorbereitet?

Er hat gar nichts erklärt! Ich habe mich selbst vorbereitet, allerdings nicht völlig auf eigene Faust, sondern mit einem Schauspielcoach, den ich schon kannte, per Telefon. Ich war am Anfang extrem nervös, denn Lars hat wirklich keine einzige meiner Fragen beantwortet. Er sagte immer wieder, er wisse es auch nicht - er war so vage! Und man konnte sehen, dass er damit sehr viel Spaß hatte. Er hatte Vergnügen daran, sich dumm zu stellen. Aber ich musste mit irgendjemandem sprechen und meine Ideen teilen. Für diese Diskussionen brauchte ich einen Vertrauten. Das half mir sehr, mir den Passionsweg in seinen ganzen emotionalen Stufen klarzumachen,...

(Quelle: FAZ)

Freitag, 20. März 2009

"Diversity"

Peter Felixberger ist Gründer des Onlineportals changeX. In seinem Beitrag zum unten erwähnten Buch von Wolf Lotter bringt er den "Usecase" für Diversity gut auf den Punkt:

Je unschärfer ein Problem erscheint oder die Aufgabenstellung für ein Projekt ist, desto mehr lohnt der Einsatz eines Teams aus komplimentären Fähigkeiten, Kenntnissen und Kulturen. Denn um so mehr kommt es hier darauf an, eine Situation aus möglichst vielen Perspektiven zu analysieren.

Je konkreter die Aufgabe ist, desto eher sollte man einen Mix aus nahe beieinander liegenden Spezialisten einsetzen. Wie Felixberger schreibt: Man will nicht von einem Team aus Visionären, Elektrikern und Schuhdesignern operiert liegen, wenn man auf dem OP-Tisch liegt. Man will auch nicht vier OP-Schwestern oder vier Chirurgen. Man braucht insbesondere nicht die, die gerade zufällig Zeit haben (!).

Genau letzteres ist aber leider der Normalfall in vielen Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen. Das gilt erstaunlicherweise besonders für die knowhow-intensiven Branchen. Jedenfalls, wenn diese traditionell und hierarchisch auf "Ressourcenauslastung" gesteuert werden. Hier versucht jeder Abteilungsleiter lediglich, seine Leute irgendwie unterzubringen und die sich zufällig ergebenen Projektthemen anschließend zu einem Abteilungsprofil zusammen zu reimen...

Das hohe Risiko dieser Vorgehensweise reduziert man in der Industrie, indem man dem Kundenprojektleiter die Projektverantwortung überlässt. Das Ergebnis schadet am Ende allen. Zuerst der Qualität der Projektergebnisse. Dann der Zufriedenheit des Kunden. Es macht einen Unterschied, ob dieser sich lediglich Verstärkung einkaufen wollte und selbst wusste, wohin die Reise gehen soll. Oder ob er glaubte, sich echte Spezialisten einzukaufen, die selbst eine Problemlösung entwickeln. Aber auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter, leidet, wenn diese permanent als etwas verkauft werden, was sie nicht sind. Sie kommen so nicht weiter und bauen so ihre Stärken nicht aus. Der Wertbeitrag ihres Arbeitgebers zu ihrem Lebenslauf sinkt.

Wohlgemerkt: Es geht mir nicht darum, immer nur dasselbe Handwerk auszuüben. Aber der rote Faden muss erkennbar und entwickelbar bleiben. Dies macht den Unterschied zwischen attraktiven und unattraktiven Dienstleistungsarbeitgebern aus.

Fazit:
Der wahllose, gerade verfügbare, Skillmix macht noch keine "Diversity". Breite Diversity braucht man in Projekten mit unscharfen oder grundlegenden strategischen Aufgabenstellungen. je konkreter der Auftrag, desto enger wird der Bedarf an Diversity.

Sonntag, 15. März 2009

Wolf Lotters "Gehemmte" und "Gestörte"


Wolf Lotter hat eine neue Salve gegen unser industrialistisches Denken abgefeuert: "Die kreative Revolution". Zusammen mit Gastautoren enttarnt er die hilflosen Versuche von Command&Control Industrieunternehmen, in der Wissens- und Kreativwirtschaft anzukommen.

Erster Satz:
Revolutionen, so scheint es, sind stets Umbrüche mit klaren Konturen. Auf den ersten Blick, doch eigentlich war keine einzige so.

Daraus leitet sich das Anliegen dieses Werkes ab: Es will uns darauf hinweisen, dass die kreative Zerstörung und der Ersatz sich lange hinziehen werden. Das soll aber kein Grund sein, zu resignieren. Resignieren müssen die, die vom Industrialismus wirklich abhängig sind und derzeit sich die Taschen vollstopfen, so lange noch etwas da ist: Industriemanager.

Ich fand folgenden Test zur Unterscheidung von Kreativen und Nicht-so- kreativen interessant:
Zwei Gruppen sollen aus einem über Kopfhörer vorgelesenen Text die eingestreuten, nicht zum Kontext passenden Wörter rausfinden und zählen. Nicht angekündigt wurden wechselnde, fremde Störgeräusche. Die erste Gruppe stammt aus der Industrie, in der nach strengen Ansagen und Regeln gearbeitet wird. Die andere Gruppe besteht aus Künstlern und Designern.

Ergebnis:
Die erste Gruppe lässt sich von den Störgeräuschen nicht ablenken, ihr Filtersystem "hemmt" alles, was ablenken könnte und nicht zum Auftrag gehört ("Disziplin"). Die Kreativen dagegen liefern falsche Ergebnisse. Sie ließen sich von den Geräuschen -aus Neugier- leicht ablenken bzw. "stören".

Jetzt kann jeder mal überlegen, ob er sich eher zu den "Gehemmten" oder den "Gestörten" (Lotter) zählt.

In jedem Fall folgt daraus etwas für die Raumgestaltung, in denen Kreative arbeiten sollten: In der Anregungsphase braucht es möglichst viele "Störungen", die zu Assoziationen und Ideen führen. In der Schaffensphase (Studio, Atelier) hingegen: Alle Störungen ausblenden. Keine Großraumbüros mit telefonierenden Kollegen.

Was Industriemanager einerseits und Wertschöpfende andererseits nach meiner Beobachtung unterscheidet:
Manager wissen nichts von kreativer Arbeit. Wissen nicht, dass Denkarbeit arbeiten am Stück benötigt. Jeder Themenwechsel -insbesondere durch Telefonanrufe und chaotisches Hereinplatzen mit ganz "dringenden Themen für die nächste Managersitzung" - kostet Energie und Ideen, also Wertschöpfung. Es ist sogar eine Karrieremotivation für Nichtkreative, unbedingt Teamleiter werden zu wollen: Sie wollen nicht mehr kreativ sein müssen.

Ein Industriemanager denkt in Exceltabellen, Powerpointfolien und Erledigungslisten, die er von "Offen" auf "Erledigt" umschalten kann. Das zu managende muss für ihn abzählbar sein, darf nicht inhaltlich sein.

Ein Verlagsmanager glaubt, dass wenn wir beim Hören eines Musikstückes fünfmal unterbrochen werden, dass wir dann immer noch rein rechnerisch einmal das ganze Stück genossen haben. Musik ist für ihn Content. Zu messen in Megabytes.

Werbemanager glauben, man muss die Zielgruppe in dem Moment erwischen, wo ihre Aufmerksamkeit garantiert ist, weil sie gar nicht anders können: z.B. mitten in einer Amoklaufreportage Werbung schalten, oder in einen Thriller Werbung für Kinderschokolade. Man sollte solchen Managern mal beim Liebesspiel mit ihren Partnern auflauern und sie im fortgeschrittenen Stadium mit Callcenteranrufen für Lebensversicherungen belästigen. Mal sehen, wieviele zu einem Abschluss kommen...

Sonntag, 8. März 2009

Für usszeschnigge

Am besten ausdrucken (Vergrößerung durch Klick aufs Bild) und mit Magnet an den Kühlschrank haften oder an den Badezimmerspiegel: MIt welcher Stimmung gehe ich heute ins Büro?

Der obere Bereich steht für positive Stimmung. Oben rechts ist die Welt in Ordnung. Oben links ist die Welt NOCH in Ordnung. Unten links sind die vielen, die auf dem Sprungbrett stehen. Unten rechts ist Alarmstufe rot mit hohem Risiko einer Kurzschlusshandlung.

Das Ziel ist oben rechts. Der Weg zum Ziel führt vom momentanen Standpunkt im Uhrzeigersinn herum. Gelb steht für Verzweiflung oder Zynismus, Blau für die gesunde Naivität. Wer der Verzweiflung nahe ist, muss also nicht als erstes ins Handeln kommen, sondern braucht zunächst wieder ein positives, konkretes Bild von der Zukunft. Erst von dort aus strömt neue Energie für den Schritt ins Grüne.

Freitag, 6. März 2009

Buch zuklappen

Es gibt kein richtiges Leben im falschen.



Ich habe es in diesem Jahr schon wieder gelesen: Eine stabile Zweidrittelmehrheit ist unzufrieden mit ihrem Job. Hauptgrund ist die stabil schlechte Führungskultur in Deutschlands (Groß-)unternehmen. Die Personalabteilungen dieser Großunternehmen kontern, indem sie eine Art Gegenaufklärung betreiben. Die kommt dann mit grotesken Werken daher, die uns suggerieren sollen: Sei zufrieden, woanders ist es auch nicht besser. Füge dich deinem Schicksal. Und nicht zuletzt: Es liege an uns, dass wir unzufrieden sind, weil wir zu hohe Erwartungen an die Unternehmenskultur stellen (Beispiel: Das so genannte "Frustjobkillerbuch"). Manager und Personalreferenten empfinden hohe Erwartungen an die Arbeit in der Tat oft als Provokation. Aber man muss aufpassen:

Wer in einer mental kranken Umgebung wohnt oder arbeitet, droht selbst krank zu werden. Die Frage, ob DIE spinnen oder man selbst, stellen sich immer nur die Nichtspinner. Spinner reflektieren weder über sich selbst, noch über ihre Wirkung auf andere. Spinner nennen andere Spinner.

Ich habe diese Szene in einem Kommunikationsbuch gelesen, in der der Therapeut seinen Patienten fragt: Was glauben sie, wie ihre Frau ihre Beziehung sieht? - Der Patient antwortet, er möge seine Frau, das sei auch besprochen. - Nein, nein, es gehe jetzt nicht darum, wie er seine Frau sehe, sondern was er glaube, wie seine Frau die Beziehung empfinde. Der Patient stutzt, versteht die Frage aber immer noch nicht.. und bleibt die Antwort schuldig.

Autisten können brutal sein und bemerken es nicht einmal. Das Problem ist, dass man Autisten nicht erreichen kann. Man müsste sie eigentlich weg sperren um ihre Umgebung zu schützen. Autisten schreiben ganze Wände ("Beautiful Mind") oder Emails voll. Ich erkenne sie an ihren Ausrufezeichen ("Nein!!!", oder: "Ja!!!"), die vorgeblich Ungeduld ausdrücken (die wir mit Leistungswillen verwechseln sollen) aber in Wahrheit eine Autoagression markieren.

Was tun?
Der erste Schritt: Erkenne, dass die spinnen, nicht du. Klingt leichter als es ist, denn wir sind ständig Verhaltensnormen ausgesetzt, die uns anpassen und schwächen sollen in Form von Verwirrung und Schuldgefühl. Eine Museumsführerin im Stasi-Foltergefängnis Hohenschönhausen hat das mal sehr gut erklärt. Das rhetorische Muster führt das Opfer dazu, fehlende Konformität als Illoyalität zu empfinden. Irgendwann verdreht man Ursache und Wirkung, um nicht durchzudrehen. "Wenn ich hier eingesperrt bin, dann MUSS das seine Berechtigung haben." Und dann wächst langsam ein Schuldgefühl gegenüber den Peinigern. Wenn der Täter seine Gewalt dann drosselt, empfindet das Opfer so etwas wie Dankbarkeit.

Zweitens: Finde Gleichgesinnte. Es ist unwahrscheinlich, dass du der oder die einzige Gesunde in der Anstalt bist. Suche und finde!

Drittens: Nicht rebellieren, das löst sofort höchsten Aktionismus in Linien und Kreisen aus. Vermeide, dass man anfängt, dein -oder dich als- Problem zu "managen". Sie holen dann Listen und Formulare heraus und schreiben Deinen Terminkalender voll. Nein, nach außen konform handeln, nach innen Bugs suchen und nutzen, heißt die Devise.
Bei persönlicher Konfrontation mit einem Irren muss man versuchen, selbst irre (unberechenbar) zu wirken. Z.B. im Bus oder S-Bahn. Das befriedet oder irritiert den Irren, weil er einen Gleichgesinnten oder Ebenbürtigen in dir zu erkennen glaubt. Oder spiegele ihn: "Bereit, wenn Sie es sind, Sir" (Danke für den Tip, Kollege.. ;-). Handle in jedem Fall gegen seine offensichtliche Erwartung.

Viertens: Baue Schutzzonen auf. Nutze regelmäßig Zeiten ohne die Systemumgebung. Z.B. Dienstreisen. Atme durch. Sprich immer wieder mit Gleichgesinnten für die Bestätigung deines noch gesunden Werteempfindens.

Fünftens: Buch zuklappen. Als ich zum ersten mal mit einem Gebrauchtwagenhändler einen Preis verhandeln wollte und zu tief einstieg, klappte dieser demonstrativ sofort sein Buch zu. "OK, dann können wir aufhören für heute." Das nutze ich heute selbst als Antwort auf Respektlosigkeiten. Vorteil: Es wird immer sofort verstanden: Buch zuklappen, zurücklehnen. Ende.

Schwierig ist auch der Umgang mit entscheidungsschwachen Zeitgenossen. Wie es ein mit der Fliegerei vertrauter Vertrauter mal sagte: Wenn der Pilot nach immer mehr Instrumenten im Cockpit verlangt, ist das ein Hinweis darauf, dass er gar nicht fliegen kann. Eigene Manöverfehler wird er stets den Instrumentenlieferanten oder seinen Passagieren in die Schuhe schieben. Der Rat lautet: Verlange den Fallschirm. Steht ihr noch auf dem Flugfeld, steig aus.

Als allgemeiner Hinweis: Versuche nicht, in einer irrationalen Umgebung rational zu agieren.

Entlehnt von: slowleadership.org

Samstag, 24. Januar 2009

Der "CV Added Value"

Hin und wieder fragt ein Manager seine Know-how- und Leistungsträger nach deren Wertbeitrag zum Unternehmenserfolg. Wertbeitrag heißt: Auftragseingänge, Kapazitätsauslastung, Kostensenkungen. Seltener hingegen fragt ein Leistungsträger seinen Manager nach dessen Wertbeitrag - zu seinem Lebenslauf.

Ob der Mitarbeiter nur Anspruch auf die Bezahlung "irgendeiner" Arbeit hat oder einer ganz bestimmten -mindestens jedoch einer nach Kenntnissen und Fähigkeiten- hängt von den Formulierungen in seinem Arbeitsvertrag ab. Ich empfehle hier einen Beratungstermin mit einem Rechtsanwalt für Arbeitsrecht. Das Interesse des Mitarbeiters ist es, seine Kenntnisse und Fähigkeiten entlang eines von ihm bestimmten Profils zu entwickeln. Zu zweierlei Nutzen: Seiner Zufriedenheit. Und der Verbesserung seiner Optionen auf dem Arbeitsmarkt.

Als Kenngröße könnte man hier -in Anlehnung an etablierte betriebswirtschaftliche Kenngrößen- den CV Added Value (CVAV) einführen. Der CVAV kann quantitative und qualitative Dimensionen haben.

Aus dem Arbeitsvertrag ergeben sich zwei Nutzenkategorien für einen Mitarbeiter:

Regelmäßige Gehaltsszahlungen:
Für den Verbrauch von
- Lebenszeit,
- körperlicher,
- intellektueller
- und kreativer Energie.
Hier sollte man darauf achten, dass das Gehalt nicht kleiner als die hierfür zu erbringenden Kosten sind. Aktuelle Umfragen über die Mitarbeiterzufriedenheit in deutschen Unternehmen lassen befürchten, dass die allermeisten Angestellten ihr Gehalt als nicht kostendeckend empfinden.

Außerdem:
Der Einfluss auf den Marktwert des Lebenslaufes, beeinflusst durch:
- Die Reputation des Unternehmens (Produkt-und Dienstleistungsqualität) und seines Managements.
- Den Beitrag des eigenen aufgebauten Knowhow und der Erfahrungen zum eigenen Arbeitsmarktwert. Bedingung hierfür ist der Projekteinsatz nach Kenntnissen und Fähigkeiten.

Betriebswirtschaftlich gesprochen entspricht das Gehalt der Dividendenzahlung und der CV Value dem Wert des darstellbaren Lebenslaufes auf dem Arbeitsmarkt - sozusagen der CV-Bewertung an der Arbeitskräftebörse. Mit steigendem Wert steigt die Anzahl der Optionen auf attraktive Arbeitsverträge.

Schon beim Bewerbungsgespräch sollte man sich und seine Gesprächspartner also fragen, was der CV Added Value des Unternehmens zum eigenen Lebenslauf in ca. fünf Jahren sein könnte. Aus der Antwort auf diese Frage folgen die Zielvereinbarungen, die in den folgenden Jahren abzuschließen wären. Z.B Engagements in interessanten Projekten, in viel versprechenden Akquisitionsprojekten.
Eine Personalabteilung und ein direkter Vorgesetzter, die mit dieser Frage nichts anfangen können, oder das Risiko lieber beim Bewerber belassen - z.B. mit der Anmerkung "Das hängt doch von Ihrem Engagement und Ihrem Erfolg ab." - zeigen, dass sie das Wesen unserer Wissensgesellschaft noch nicht verstanden haben. Mit Gesprächspartnern, die hier konkrete und attraktive Antworten liefern können, sollte man in die nächste Runde gehen. Und nicht vergessen, die gemachten Zusagen ihren Niederschlag im Arbeitsvertrag finden zu lassen!

Montag, 15. Dezember 2008

Wie findet man den Trauminnovationsjob?

Seit über zwei Jahren bin ich auf die Podcasts von Phil McKinney abonniert. McKinney ist das, von dem viele nur behaupten, es zu sein: Ein Innovationsmanager.

Die Frage aller Fragen ist von je her: Wie beantwortet man am wirkungsvollsten erkannte Marktlücken mit technologischen Möglichkeiten? Ich erlebe fast täglich die Sprachlosigkeit zwischen Marketingfraktionen und Entwicklern. Das Henne-Ei-Problem, nur negativ gekehrt: Was war eher da, die fehlende Antwort auf die Frage, oder die fehlende Frage? - "Was könnt Ihr?" vs. "Was braucht Ihr?"

Und überhaupt: Wer ist schon kreativ?



Doch auf alle genannten Herausforderungen gibt es systematische Antworten. Es gibt Methoden, die man nur trainieren muss. Dann ändert sich der Blick auf die Welt. Dann werden aus Problemen und täglichen Ärgernissen plötzlich Marktlücken. Und wer seinen Blick schärfen will, für das, wofür er gerade unaufmerksam ist, weil er nicht sieht, was er täglich sieht, der stelle sich einfach ein paar der "Killer questions" aus der Sammlung von McKinney.

Doch die Königsfrage ist: Wie einen solchen Job ergattern? Oder ihn zimmern?

Während McKinney seine Podcasts veröffentlichte, wurde irgendwann Hewlett Packard auf ihn aufmerksam und engagierte ihn. Seitdem liest man wieder öfter gute Nachrichten von HP.

Wenn das kein Ansporn ist... Hören wir doch einfach mal rein, in seine neueste Ausgabe: Killerinnovations.com

Freitag, 24. Oktober 2008

Projekt Soundtrack

Ich moderiere seit zwei Jahren eine Arbeitsgruppe von verschiedenen Navigationssystemherstellern und Produzenten digitaler Karten. Ich will am Wochenende nicht über die Projektinhalte sprechen. Aber über die Jahre hat sich ein Soundtrack angesammelt, den ich der Welt nicht vorenthalten will: Der NDS-Soundtrack. Here it goes:

1. Where the streets have no name (feat. destination entry)
2. Road to nowhere (routing building block)
3. I drove all night (moderator's tune)
4. What you're proposing (work package sessions)
5. Zwischen Hildesheim und Alzheim (Auf der Fahrt zu Blaupunkt)
6. A thousand miles
7. Highway to hell (Start of production)
8. Nobody knows the trouble I've seen (der einsame Projektleiter)
9. Driver's seat

Donnerstag, 18. September 2008

Westzeit Story

Ich kann nicht mehr länger ignorieren, dass es dem Ruhrpott seit einigen Jahren besser geht als Berlin. Ich komme ins Grübeln. Und lasse mich auch mal einladen. Und auf dem Rückweg zum Bahnhof komme ich aus dem Grübeln gar nicht mehr heraus...

Dienstag, 15. Juli 2008

Projekte wiederbesucht: 0800-NOTFON D

Es ist interessant, nach Jahren mal zu schauen, was aus früheren Projekten geworden ist. Ich habe im Rahmen meiner Moderatorentätigkeit für das Navigationskonsortium wieder häufig in Hamburg zu tun. Interessanterweise führt mein Weg immer vorbei an den früheren Wirkungsstätten GDV und Olympus.

Unsere technische Redakteurin im Projekt war zur gleichen Zeit bei Olympus tätig wie ich als CRM Berater - small world!

Einer meiner früheren IBM Kollegen, Uwe Sch., hat inzwischen auch das Beratungsunternehmen gewechselt - ist aber immer noch für den Autonahnotrufdienstleister der deutschen Autoversicherer (GDV DL) tätig. Dies war mein erstes Beratungsprojekt bei der IBM Unternehmensberatung, im April 2000. Schön zu hören, dass der Service inzwischen fest etabliert ist. Pläne von früher wurden umgesetzt. So gibt es die mobile Notrufnummer 0800-NOTFON D.

Diese ersetzt den Notruf von der Säule. Die Lokalisierung des Handies erfolgt nach dem Einverständnis des Anrufers. Alle Autobahnnotrufe laufen im Callcenter des GDV gegenüber des Hamburger Hauptbahnhofs auf. Von außen sieht und ahnt man das nicht. Aber von hier wird mitunter lebensrettende Hilfe organisiert. Eines der sinnvollsten Projekte, die ich je mitmachen durfte...

Website der GDV DL GmbH

Freitag, 11. Juli 2008

SMS-Services für Fluggäste

Es ist ja soo praktisch, eine SMS zu bekommen mit Infos über
- Das Abfluggate - vor allem wenn man vorher schon via Web eingecheckt hat und kein Gepäck aufgeben muss (macht heute eh keiner mehr).
- Die Pünktlichkeit des Abfluges... aber mindestens 30 min. vorher, sonst ist man eh schon auf dem Weg.

Was bieten die Dienstleister?

Die Website der Berliner Flughäfen bietet den Abflug- und Gateinfoservice an. Ist kostenlos, da gesponsert.

Lufthansa.de hat mich heute per SMS über eine Gateverlegung am Flughafen Stuttgart informiert. Fand ich gut.

Und unser Reisebüro BCD?
Bietet einen kostenpflichtigen SMS Service, der einen lediglich darüber informiert, wann planmäßiger Abflug ist und ob pünktlich. Keine Infos übers Gate.
BCD verschickt auch Buchungsbestätigungen für Flüge, die man in seinen LH oder Air Berlin Accounts anschließend nicht findet, für die man also nicht sofort online einchecken kann. Immerhin kann man Buchungsnummern noch manuell eingeben. BCD schreibt auch stets, dass die Sitzplatzvergabe am Ticketschalter stattfindet.. O-Ton Reisebüro: "Das schreiben die immer, das Formular ist uns vorgegeben. Hat nichts zu sagen. Ganz unten (20 Zeilen eng gedruckt) steht doch, dass es ein e-tix ist." Solche Auskünfte liebe ich ganz besonders: "Unsere Leistungsbeschreibung hat nichts zu sagen!"

Donnerstag, 3. Juli 2008

Ein Zitat aus dem "Process", das mir bei Projekten und während meiner Arbeit in der FDP immer wieder in Erinnerung kam, lautet:
"Ihre Selbstsicherheit konnten sie nur aus ihrer Unwissenheit beziehen."
Gemeint sind die beiden Beamten, die Josef K. früh morgens in seiner Wohnung verhaften ohne ihm eine Begründung liefern zu können oder wollen.

Kafkas Erklärungsansatz für unangemessen selbstsichere Auftritte von Zeitgenossen gilt auch heute. Für die Unwissenden und Halbwissenden. Für die Ungebildeten und Halbgebildeten. Jedenfalls für solche, denen die Fähigkeit oder der Wille zur Reflexion fehlt. Gibt man diesen auch noch Macht, in Form einer Führungs- oder Beraterrolle wird es schnell unerträglich. Noch schlimmer wird es, wenn er sein Mandat von einem noch weniger Wissenden oder Gebildeten als er selbst bezieht. Daran zu erkennen, dass Mandatgeber und -nehmer ihre Identität zuvorderst aus ihrem Amt beziehen, in dem sie sich aufeinander beziehen.

Das Dramadreick vollendet dann der -nach menschlichen Maßstäben- Wissende und Gebildete. Auf ihn stürzen sich die anderen beiden mit wohliger Entspannung. Er ist der durch den Prozess irrende, nach dem Sinn und Zweck suchende. Doch der niemals irgendwo ankommende. Der sich alles gefallen lassende, in der Hoffnung, dass sich die destruktive Energie bald verbraucht hat. Und der nicht verstandene und dennoch verstehen wollende, der nur auf Amts- und Uniformträger (und Bahnbedienstete) trifft. Die uns nur als Hüllen begegnen und auf den Prozess verweisen und die Kafkas Romane so gespenstisch und dennoch so vertraut machen.