Sonntag, 15. März 2009

Wolf Lotters "Gehemmte" und "Gestörte"


Wolf Lotter hat eine neue Salve gegen unser industrialistisches Denken abgefeuert: "Die kreative Revolution". Zusammen mit Gastautoren enttarnt er die hilflosen Versuche von Command&Control Industrieunternehmen, in der Wissens- und Kreativwirtschaft anzukommen.

Erster Satz:
Revolutionen, so scheint es, sind stets Umbrüche mit klaren Konturen. Auf den ersten Blick, doch eigentlich war keine einzige so.

Daraus leitet sich das Anliegen dieses Werkes ab: Es will uns darauf hinweisen, dass die kreative Zerstörung und der Ersatz sich lange hinziehen werden. Das soll aber kein Grund sein, zu resignieren. Resignieren müssen die, die vom Industrialismus wirklich abhängig sind und derzeit sich die Taschen vollstopfen, so lange noch etwas da ist: Industriemanager.

Ich fand folgenden Test zur Unterscheidung von Kreativen und Nicht-so- kreativen interessant:
Zwei Gruppen sollen aus einem über Kopfhörer vorgelesenen Text die eingestreuten, nicht zum Kontext passenden Wörter rausfinden und zählen. Nicht angekündigt wurden wechselnde, fremde Störgeräusche. Die erste Gruppe stammt aus der Industrie, in der nach strengen Ansagen und Regeln gearbeitet wird. Die andere Gruppe besteht aus Künstlern und Designern.

Ergebnis:
Die erste Gruppe lässt sich von den Störgeräuschen nicht ablenken, ihr Filtersystem "hemmt" alles, was ablenken könnte und nicht zum Auftrag gehört ("Disziplin"). Die Kreativen dagegen liefern falsche Ergebnisse. Sie ließen sich von den Geräuschen -aus Neugier- leicht ablenken bzw. "stören".

Jetzt kann jeder mal überlegen, ob er sich eher zu den "Gehemmten" oder den "Gestörten" (Lotter) zählt.

In jedem Fall folgt daraus etwas für die Raumgestaltung, in denen Kreative arbeiten sollten: In der Anregungsphase braucht es möglichst viele "Störungen", die zu Assoziationen und Ideen führen. In der Schaffensphase (Studio, Atelier) hingegen: Alle Störungen ausblenden. Keine Großraumbüros mit telefonierenden Kollegen.

Was Industriemanager einerseits und Wertschöpfende andererseits nach meiner Beobachtung unterscheidet:
Manager wissen nichts von kreativer Arbeit. Wissen nicht, dass Denkarbeit arbeiten am Stück benötigt. Jeder Themenwechsel -insbesondere durch Telefonanrufe und chaotisches Hereinplatzen mit ganz "dringenden Themen für die nächste Managersitzung" - kostet Energie und Ideen, also Wertschöpfung. Es ist sogar eine Karrieremotivation für Nichtkreative, unbedingt Teamleiter werden zu wollen: Sie wollen nicht mehr kreativ sein müssen.

Ein Industriemanager denkt in Exceltabellen, Powerpointfolien und Erledigungslisten, die er von "Offen" auf "Erledigt" umschalten kann. Das zu managende muss für ihn abzählbar sein, darf nicht inhaltlich sein.

Ein Verlagsmanager glaubt, dass wenn wir beim Hören eines Musikstückes fünfmal unterbrochen werden, dass wir dann immer noch rein rechnerisch einmal das ganze Stück genossen haben. Musik ist für ihn Content. Zu messen in Megabytes.

Werbemanager glauben, man muss die Zielgruppe in dem Moment erwischen, wo ihre Aufmerksamkeit garantiert ist, weil sie gar nicht anders können: z.B. mitten in einer Amoklaufreportage Werbung schalten, oder in einen Thriller Werbung für Kinderschokolade. Man sollte solchen Managern mal beim Liebesspiel mit ihren Partnern auflauern und sie im fortgeschrittenen Stadium mit Callcenteranrufen für Lebensversicherungen belästigen. Mal sehen, wieviele zu einem Abschluss kommen...

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