Sonntag, 9. November 2008

Mauerfall


Der neunte November 1989 war ein Donnerstag. An diesem Tag hatte ich es endgültig verpasst, mein Elektrotechnik Studium in Berlin, der Gründerstadt von AEG und Siemens-Halske, anzufangen. Als Schabowski die Öffnung der Mauer bekannt gab, war ich auf dem Heimweg von der Uni Dortmund. In Gedanken wahrscheinlich bei den geistigen Dehnungsübungen der theoretischen Elektrotechnik. Als ich zuhause zur Tür reinkam, lief der Fernseher und ich hörte einen ungewöhnlich freundlichen und ruhigen DDR-Funktionär auf einer Pressekonferenz sagen "... Wenn ich das richtig interpretiere, gilt das ab sofort."

Zur richtigen Zeit am falschen Ort. Das Wintersemester hatte vier Wochen vorher, am neunten Oktober begonnen. Also dem Montag nach dem siebten Oktober, der der 40. und letzte Jahrestag der DDR gewesen war. Seit dem Gorbatschow Zitat waren die Abendnachrichten und Berichte in der Süddeutschen Zeitung viel spannender als das, von dem ich während meiner Wehrdienstzeit endlich Spannung erwartet hatte: Meine ersten Monate als Student.

Direkt während der Nachricht war mir noch nicht so bewusst, welche große Bedeutung sie hatte. Sie enthielt ja eine Forderung, die die Leipziger Montagsdemonstranten seit längerer Zeit immer wieder gefordert hatten. Es hätte auch so weitergehen können: Die Mauer ist offen? Gut, dann können wir ja weitermachen. Dass nacheinander alle kommunistischen Diktatoren abdanken sollten, ahnte man noch nicht.

Selbst als es später einen Studentenstreik gab und wir am sechsten Dezember aus einem mir entfallenen Grund nach Düsseldorf vors NRW-Kultusministerium zogen, war kaum jemandem die Bedeutung der Veränderungen im "Osten" klar. Nach offizieller -also linksalternativer Lesart, waren patriotische Bewegungen -selbst als Freiheitsbewegung als unwichtig einzustufen. Es kann auch eine Art Größenwahn gewesen sein von der Art: Besser wir verschrecken unsere europäischen Nachbarn mal nicht, in dem wir auf dem Dortmunder Campus patriotische Gefühle äußern. Vielleicht aber sind naturwissenschaftliche und technische Studenten in der Mehrzahl einfach unpolitisch, also auf sich selbst -d.h. das was der Stundenplan gerade vorschrieb- bezogen Lediglich einige deutsche Protestrocker reagierten auf den Mauerfall, allerdings eher negativ, weil dies auch die Zeit brennender Asylbewerberheime war, auch daran darf man sich am neunten November erinnern.

Es sollte bis zur Wiedervereinigung am dritten Oktober 1990 dauern, bis ich mit Freund Lars gen Osten fuhr. Überall traf man einen Menschenschlag, den man im Westen nicht kannte: Offen, zugänglich, diskussionsfreudig, erwartungsvoll, bescheiden. Irgendwie erkennbar nicht den typisch westlichen -aber sicher anderen- Manipulationen ausgesetzt. Darin, in einem -wie es mir im Nachhinein schien- unbeirrbaren und nicht mehr einzuschüchternden Bewusstsein muss die Stärke der Montagsdemonstranten gelegen haben.
Wäre ich nicht zwei Jahre vor dem Mauerfall einmal in Berlin (Ost- und West-) gewesen, ich hätte keinerlei eigenen Eindruck von der DDR gehabt.

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