Sonntag, 18. März 2012

Der grundlegende Irrtum heutiger Medienmanager - und wie man ihn korrigieren könnte

Eine der größten Fehlkonstruktionen unter den Geschäftsmodellen ist die einer Werbung, die die große Erwartungshaltung einer großen Menge zu missbrauchen gedenkt.

Wenn ich z.B. auf BILD Online einen Bericht über Gauck lese und mir dazu ein Video angeboten wird. Nach dem Lesen will ich meinen Gedankenfluss und meine Aufmerksamkeit nicht unterbrechen lassen, sondern das Video nahtlos daran anknüpfen lassen. Mir dann aber zuerst einen Werbespot von Eon zu einem komplett anderen Thema zuzumuten ist krass respektlos. Die Idee des Werbespots ist ja, dass ich diesen wahrnehme und seine Botschaft verfolge und auch noch speichere, damit ich später etwas tue. Der Werbespot wird dorthin gesetzt, wo er mich erwischen kann. Wo ich eh schon bin, weil ich mich für etwas anderes interessiere. Ein funda-"mentaler" Wechsel meiner Gedanken ist da also einkalkuliert und beabsichtigt. Würde ich dem folgen, wäre ich aber raus aus dem Thema, das mich zu diesem Werbespot gebracht hat. Ich würde nicht in Sekundenschnelle wieder zum Gauck zurückkehren. Wäre es aber das Kalkül von BILD, dass ich dieses Video eh überhöre und übersehe, weil ich ja auf Gauck warte, wäre dies unseriös Eon gegenüber. Denn Eon bezahlt BILD ja dafür, dass sie meine Präsenz und Aufmerksamkeit, in dem Sinne, dass ich mich gerade mit nichts anderem beschäftige, ausnutzen und entführen dürfen.

Dieses Geschäftsmodell ist absurd. Es basiert auf der Annahme, dass Menschen bereit sind, sich gedanklich entführen zu lassen, nur weil sie gerade massenhaft in einer gemeinsamen Erwartungshaltung versammelt und ansprechbar ("adressierbar") sind.

So etwas passiert aber nicht nur in den Medien. Wenn ich z.B. morgens -und wie immer spät dran, wie fast alle anderen- in den Hauptbahnhof hetze, die Rolltreppe zu meinem Gleis vor Augen, will ich nicht von einer Kreditkartenverkäuferin aufgehalten werden. Die Tatsache, dass wir hier alle vorbei kommen rechtfertigt kein Geschäftsmodell das auf der Annahme einer hohen Responserate basiert. Wir sind alle hier, haben aber keine Zeit bzw. keine Aufmerksamkeit für irgendetwas anderes als unseren Zug.

Aber viele Manager denken so. Sie glauben auch, dass man einen Wissensarbeiter, also jemanden, der bei seiner Arbeit nachdenken und reflektieren muss, in einer Stunde zehnmal unterbrechen darf. Sie rechnen dann immer noch so, dass der Wissensarbeiter eine Stunde lang geleistet hat, abzüglich der Minuten, für die ihn sein Manager unterbrochen hatte. Doch modernere Manager wissen inzwischen, dass Aufgabenwechsel Zeit kosten. Immens viel Zeit. Sie gehen zulasten des Outputs und seiner Qualität. Tom de Marco hat dies u.a. in "Wien wartet auf Dich" beschrieben.

Noch deutlicher wird dies beim Musikhören. Musik ist Flow. Wenn man bei einem Stück zehnmal unterbrochen wird und danach an derselben Stelle fortsetzen kann, dann hat man anschließend nicht das ganze Stück genossen.

Kann man das Kennzahlgläubigen begreiflich machen? Kann man sie dazu bringen, dass sie sich intelligente Werbung ausdenken, und uns nicht mehr bei der Arbeit unterbrechen?

1 Kommentar:

  1. Das frage ich mich auch schon länger: was und wem nützt "Werbung", die bestenfalls als Ärgernis wahrgenommen wird?

    Dem Auftraggeber, dem Produkt, der Agentur, dem Rezipienten aka "Opfer"? Höchstens der Agentur, die verdient wenigstens dran. Sonst keinem...

    All die schönen, aufwendigen, teuren Fernsehspots - wer sieht die eigentlich?

    Anno 2012 (kinox.to usw.)kann man doch keinem mehr ernsthaft zumuten, im TV Filme mit zig Werbeunterbrechungen zu besichtigen... Gibt's eigentlich im Kino noch die Zwangswerbung am Anfang? War schon seit Jahren nicht mehr dort...

    Und: jeder halbwegs intelligente Zeitgenosse hat sich doch längst (schon aus reinem Selbstschutz!) eine Art "Werbeblocker" antrainiert, der sofort alle fünf Sinne verriegelt, wenn irgendwo "Werbung" auftaucht.

    Allein dieser typische Werbe-Sound, dieser Jingle-Dudel-Trash, dann die entweder "seriöse" oder "marktschreierische", in jedem Falle aber sonore Herren- oder krampfhaft "verführerische" Frauenstimme - entsprechen doch einem ins Innenohr gebrüllten Befehl: "Nicht hinhören!", "Ignorieren!", "Wegzappen!", "Sofort vergessen!", "Bullshit-Alarm!"...

    Na, was soll's.

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