Sonntag, 26. Oktober 2008

Worauf warten wir noch?

Roger Willemsens neuester Essay "Der Knacks" handelt von den unmerklichen, und immer erst nachträglich erkennbaren, Veränderungen im Leben. Weichenstellungen, Links, denen man unbewusst folgte. Und wo man erst Monate oder Jahre später feststellt, dass sich etwas verändert hat.

Das brachte mich zum Nachdenken über eigene Knackse: "Wie haben wir vor zwölf Jahren unsere Samstage verbracht?" Oder: "Wann habe ich zum letzten mal eine CD gekauft, ohne zu überlegen, ob ich sie nicht besser bei iTunes herunterlade?"

Oder: "Welches wird das nächste große Produkt- oder Serviceding, das eine heute unbewusste Gewohnheit erneuen wird?"

Diese Prognose lässt sich ein bisschen systematisieren. Ein in der Innovationsgeschichte wiederkehrendes Muster ist, dass spätere selbstverständliche Massenprodukte in ihrer Anfangsphase immer nur als "Shared service" verfügbar sind. Der Durchbruch von einem manuellen zu einer technischen Lösung bedarf einer Erfindung. Der Durchbruch zur industriellen Fertigung bedarf einer Prozessinnovation.

Beispiele:
- Erst kam der Bus, dann der PKW (Ford Modell T).
- Erst kam der professionelle Photograph mit Daguerre-Platte, dann der Kodakfilm.
- Erst kam der Waschsalon, dann der Waschmaschinenverleih, dann der private Waschmaschinenbesitz.
- Erst gab es das Theater, dann das Kino, dann den Fernseher, dann das Home-Entertainment.
- Erst gab es das Konzert, dann die Schallplatte, dann das Radio, dann die Music-Box, dann den privaten Plattenspieler.
- Erst gab es die Telefonzelle, dann den Privatanschluss.
- Staubsauger waren Anfangs mobile oder festinstallierte zentrale Maschinen, die über Rohr- und Schlauchverteiler und -verlängerungen verfügbar wurden. Erst später erfand Hoover den heute gebräuchlichen Sauger mit rotierender Bürste.
- Einer der letzten Automaten, der privat erschwinglich wurde, ist die Spülmaschine. Sie war lange Jahre nur für gewerbliche Zwecke finanzierbar.
- Das Internet ermöglichte schließlich die Demokratisierung des Wertpapierhandel. Der erste Onlinebroker war E*Trade (1983 über Compuserve, ab 1992 übers Internet).

Usw.

Und heute? Welchen Gewohnheiten gehen wir nach, auf deren Kostensenkung wir nicht bewusst warten, uns aber umso mehr darüber freuen würden?

2 Kommentare:

  1. Das meiste läuft auf eine Demokratisierung oder eher Individualisierung hinaus:
    - jeder kann mobil sein mit dem KFZ
    - Auch das Prekariat macht Musik - HipHop
    - Videos kann jeder mit dem Handy aufzeichnen
    - Nachrichten kann jeder verbreiten - Blogs
    - Sogar der Terror ist individualisiert durch Selbstmord-Attentäter
    - Selbsterstellte Landkarten: OSM

    Was wird noch als zentral gebraucht? Was nicht mehr:
    - Banken: leihen eh kein Geld
    - Versicherungen: Kompetenz durch kompliziertes Geschäft
    - Gesundheit: da wäre was zu holen: do-it-yourself Röntgen mit der Mikrowelle oder der Wii, im Ernst: Selbstdiagnose-Systeme
    - Strom: jedem sein Laufrad - wozu auch Marathon?
    - Kirche: die "Urgemeinden" proben das ja - das sind die mit dem Fisch am Auto, die immer so unchristlich fahren..
    - ÖPNV: warum muss ich eigentlich auf den blöden Zug warten? Kann man nicht selbstfahrende Systeme bauen? Die sich ggf. streckenweise koppeln? Meine Haltestelle der S-Bahn ist 7 Min. entfernt... da geht was, Hr. Wenigerdorn.

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  2. Ja, Demokratisierung ist eigentlich der Haupteffekt der meisten Innovationen.

    Deine Ideen Laufrad bzw. Band (warum ziehen die Strom anstatt zu generieren?) und Versicherungen finde ich gut.

    Versicherungen bestanden früher nur aus den Versicherten, die nur ein Gremium brauchten für die Schadensregulierungen ihrer Mitglieder. Heute ziehen sie uns üppige Profite für den Vertrieb von Lebensversicherungen ab... Online könnte man also mehr als nur den Vertrieb organiseren - auch die Abstimmungen über das Ob und die Höhe von Schadensregulierungen.

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