Auch wir sind gestern zum sogenannten Still-Leben auf der A40 gepilgert. Auffahrt Essen-Zentrum. Toll fand ich die neuen Perspektiven, aus denen man zum ersten mal die Essener Mitte fotografieren konnte. Bilder, die man sonst immer nur aus dem Auto für ein paar Sekunden sehen kann, konnte man am Sonntag in Ruhe in den Sucher nehmen. Natürlich nur solange, bis man von hinten einen Designerkinderwagen in die Hacken geschubst kriegt. In den Sucher nahmen wir auch die versprochene Kultur dieser "sozialen Skulptur", von der wir gelesen hatten.
Doch was wir -zumindest in Essen- vorfanden hatte mit diesen großen Worten nichts zu tun. Erinnerte eher an schlecht organisierte Parties, zu denen großspurig kreuz und quer in eine zusammenhangslos dekorierte Wohnung eingeladen wird und sich der Gastgeber dann nicht darum kümmert, dass die Party in Schwung kommt.
Diese sogenannte Kleinkunst, die einem hier gestern aufgedrängt wurde, habe ich schon in meiner Dortmunder Jugend gehasst. Spirenzchen und Textaufsagen, das man sich allenfalls in ganz jungen Jahren vor dem Spiegel seines Elternschlafzimmers trauen sollte, und auch nur wenn man allein ist, wurde auf dem A40 Still-Leben mit erwartungsvollen Augen öffentlich zur Kunst hochgepustet. Krümmelige Schwarz-Weiss-Kekse von sandaligen Männern hier, Marmorkuchen von pensionierten, emanzipierten Kindergartenleiterinnen hier. Sozusagen offene Therapie. Hans-Dieter Hüsch dreht sich am Niederrhein im Grabe um.. Daneben feierte eine Landjugend einen 18. Geburtstag. "Mit Essen spielt man nicht" warnte dass Essener Stadttheater. Und ein mittelreifes Paar, das sich von dieser Kulisse einerseits angefeuert aber dennoch verunsichert fühlte, zeigte uns mitten auf der Abfahrt Essen - Huttrop, dass es sich -wahrscheinlich- liebt.
Dann gingen wir noch durch den Tunnel Essen Zentrum. Als erstes kam uns wieder Dorfgesellschaft entgegen, die meinte, ihre Pubertät mit freiem Oberkörper und laut kreischender Gothikmusik in das gruselige Dunkel entladen zu müssen. Am Ende des Tunnels dann doch noch Licht: Eine Combo aus Trommlern sorgt für stampfenden, energischen Rythmus auf dieser "Jeder-bringt-mit-was-er-Essen-möchte-Party". Hier blieben viele stehen und ließen sich anstecken. Gute Idee, sich an die Tunnelausfahrt zu stellen. Und dahinter gleich noch eine Rythmsection. In Essen-Ost fanden wir dann doch noch, was wir gesucht haben: Kultur von Leuten, die Ansprüche an sich und ihre Kunst stellen.
Der eigentliche Event aber waren die Leute, die sich gegenseitig beim Fotografieren und Filmen fotografierten und filmten. Bisschen schwach - und nicht mitreißend.
Da fragt man sich ganz spießig, wofür all die Steuer- und Sponsorengelder gebraucht wurden. Der Auftritt von RWE war übrigens ganz schwach: Ein Zelt über einer Biergartenbank. Kein Programm, kein Auftritt, gar nix. Obwohl es auf dem Bahnhofsvorplatz überall von RWE nur so wimmelt..
Uns wurde Kunst versprochen, die die A40 als verbindenden Ader des Ruhrgebiets (darf man das noch sagen...?) thematisiert. Da hätte ich gedacht, dass Fritz Pleitgen ein bisschen wählerisch und anspruchsvoll ist bei dem, was er da auf die lange Biergartenbank zu schieben gedenkt. Aber Pustekuchen. Er und die Pöttler -zumindest in Essen, die anderen Städte muss ich erstmal lesen- hat die Erwartungen, die er geweckt hat, bei weitem nicht erfüllt.
Es war wie immer, wenn Schalke Meister oder Dortmund in den UEFA-Cup kommen kann: Angst vor dem Gewinnen, Angst davor, den eigenen Anspruch hier und jetzt einzulösen, Verweigerung vor dem Ochser. Aber, ach komm, is egal, das Publikum feiert sich trotzdem selbst, ham ja sonst nix.
Aber ok, ich akzeptiere, wenn alle anderen begeistert waren. Vor einem muss ich aber dennoch warnen: Wenn jetzt Bürgermeister und die neue NRW-Regierung auf die Idee kommen sollten, datt dat so toll war, dass man das von jetzt an jedes Jahr mindestens einmal bräuchte. Nee, Freunde. Dann wäre es nichts besonderes mehr. Das geht genau so schief wie in Berlin, wo die SPD und Linkspartei das Brandenburger Tor und die Straße des 17.Juni mittlerweile für jedes Waffelbacken und Rollschuhlaufen einer mittelständischen Betriebskrankenkasse sperren lassen. Da lasst bitte die Finger davon.
Ein klarer Blick von außen! Klar, der Pott verharrt in Zechen-Gefühsduseligkeit und Mutterns Waffeln! Berlin hatte den Mauerfall, München das Geld. Der Strukturwandel muss vor allem in den Köpfen passieren, das wird noch eine Generation brauchen. Insofern war die Still-Leben-Aktion Kunst: sie hat die Leute angelockt und ihnen gleichzeitig einen Spiegel vorgehalten: seht her, ihr seid Waffeln und Bergmannskapellen. Von daher: Ziel erreicht!
AntwortenLöschenMan sollte das aber auf keinen Fall schnell wiederholen - sonst ändert sich gar nix.
So sarkastisch muss man auch nicht sein. Diese Event war schon ein Erfolg und die Stimmung war da. Vielleicht waren Sie auf der Falsche Strecke, weil wo ich war war das einfach Klasse!
AntwortenLöschenHallo, danke für Eure/Ihre Kommentare.
AntwortenLöschenJa, ich bin da ziemlich sarkastisch. Weil ich ziemlich enttäuscht war und bin.