Sonntag, 25. August 2013

Weltbühne lesen (großes Deja vu)

Hatte ich über Friedhelm Greis' Buch "Weltbühne lesen" schon berichtet? Ich lese es immer noch. Ich muss das Buch immer wieder zur Seite lesen, weil ich nicht fassen kann, wie sehr sich die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, in Deutschland die Weimarer Republik, und die heutige ähneln. Nur ein paar Beispiele:

- Die europäischen Länder gerieten in eine Finanzkrise wegen Kriegsschulden. Der erste Weltkrieg war auf Pump finanziert, mit Anleihen, die später stark beschnitten oder gleich ganz entwertet wurden ("Haircut").
- Die europäischen Regierungen suchten händeringend nach Lösungen, berieten über Schuldenmoratorien und Umschuldungen.
- Deutschland stand besonders im Rampenlicht, weil es zusätzlich Reparationszahlungen leisten sollte. Diese wurden komplett mit Krediten finanziert. Deutschland schaffte es nie, einen Exportüberschuss zu erzielen, aus denen man den Versailler Vertrag hätte bedienen können. Das erinnert doch stark an den Vorschlag des heutigen EZB Direktors Asmussen, Griechenland solle seine Anleihen zurückkaufen, finanziert über Kredite.
  • Die deutschen Arbeitgeber hatten über Jahre die Löhne gedrückt, so dass sie irgendwann auf eine reine Exportstrategie umschwenkten. Aktionäre und Manager verdienten ihre Gewinne und Dividenden nicht mehr im heimischen Markt, immerhin dem größten Europas, sondern im Ausland.
  • Banken werden auf Steuerzahlerkosten gerettet. Davor und danach treten die Banker als größte Kritiker des Staates auf.
  • Über private Verbindungen fließen auch ganz direkt öffentliche Gelder von Staatskassen in private. ("Osthilfe" nannte Reichspräsident Hindenburg die Geldflülle in die Taschen der ostelbischen Landjunker. Vergleiche "Solidaritätszuschlag")
Usw.

Ich ging in dieses Buch rein, weil ich mich seit der Oberstufe für die Weimarer Republik interessiere und die Weltbühne einem die Entwicklung von Woche zu Woche widerspiegelt. Ich bin zugegebenermaßen auch ein Tucholsky-"Fan". Ich hatte nur nie Zugriff auf die Weltbühne, und die Einzelhefte durchzusehen wäre mir zuviel gewesen. Jetzt habe ich verstanden, dass es sich bei der EURO-Krise um eine Kapitalismuskrise handelt. Nein, das ist nicht "einseitigen" Perspektiven der Weltbühneautoren geschuldet.

Es ist die Einsicht, dass die von der Bundeskanzlerin gebrachte These, der EURO sei eine Frage von Krieg und Frieden so zu verstehen ist, dass sich die europäischen Eliten immer nur so lange für Frieden als Modus Operandi zur Mehrung ihrer Vermögen entscheiden, wie er billiger und sicherer ist als Krieg. Aber auch nur so lange.

Die Weltbühne erweitert den Horizont in unserer Systemkrise.

Mittwoch, 7. August 2013

Don't get amazoned - Kapitalismuskritik in der FAZ

Steve Jobs rettete die Musikindustrie vor dem Ruin, indem er die Vorteile digitalisierter Musik in Produkte und Service umsetzte. Für den Musikkunden hieß das vor allem: Vereinfachung der Beschaffung und Kompilierung von Musik. Jobs schaffte, worüber Dieter Gorny nur redete.

Jeff Bezos brachte den Buchhandel in Schwung, indem er die Vorteile digitalisierter Bücher in Produkte und Service umsetzte. Für den Leser hieß das vor alle,: Vereinfachung der Beschaffung von Büchern. Bezos brachte auch den in Deutschland nur dümpelnden Einzelhandel in Schwung. Er schaffte, worüber der DIHK nur redete.

Seitdem ich auf digital umgestellt habe, höre und kaufe ich wieder mehr Musik. Ich kaufe auch wieder mehr Bücher, vor allem neue. Mit dem Lesen komme ich allerdings nicht so schnell nach.

Bücher lese ich zur Anregung, Musik höre ich zur Entspannung. In der Bahn kann ich beides, morgens reizt mich aber am meisten die Zeitung, die im ICE ausliegt. Ich lese immer noch gerne Zeitung, und das geht natürlich zu Lasten von Musik und Büchern.

Nur: Wenn ich nicht Zug fahre, dann habe ich auch keine Zeitung. Ich wäre immer bereit, für sie zu zahlen. Artikelweise oder für die ganze Ausgabe. Allerdings ist die Lektüre eines PDFs, dessen Layout der Druckausgabe entspricht unpraktisch, das habe ich eine Zeit lang mal mit der ZEIT gemacht, dann wieder dran gegeben.

Ich würde mir am liebsten die Zeitung auf den kindle laden und benutzerfreundlich durch die Zeitung navigieren können. Ich will unterwegs kein Mobilfunknetz brauchen müssen, ich will die Zeitung zu Hause aufs Gerät laden. Oder im WLAN des Zuges.

Ich hoffe, dass wir uns nun also auf Jeff Bezos verlassen können, und der bei der Washington Post die Wende bringen wird. Umso weniger habe ich das Lamento in der heutigen FAZ über Bezos verstanden (Link):
Bezos ist ein Händler, der Preise drückt, ein Monopolist, der die Buchbranche vernichtet, ein Verkäufer, der in Tagesfrist die Ware zum Kunden bringt, koste es die Produzenten, was es wolle. Er beherrscht die Wertschöpfungskette, ohne selbst Werte zu schaffen. Einen Wert aber weiß er zu bedienen wie kein Zweiter: Bezos kennt die Wünsche seiner Kunden, er sagt sie sogar voraus. 
Nein, ist nicht die taz, die sich hier abreagiert. Michael Hanfield agiert sich hier in der FAZ aus. Verblüfft fragt man sich, was den das frühere Sturmgeschütz des deutschen Liberalismus gegen den technischen Fortschritt und erfolgreiche Unternehmer hat? Gilt für Journalisten nicht, was für Musikverlage, Bürojobs, Stahlarbeiter etc. nicht galt - sich dem Marktgeschehen immer wieder neu stellen müssen? Seine Leistungen und die Hoffnung, die Jeff Bezos neu entfachen kann, beides scheint Hanfield nicht zu wissen oder nicht zu verstehen. Wie "Ruhrbaron" Stefan Laurin gestern meinte, Jeff Bezos hat eine Beziehung zu Texten, sonst hätte er damals nicht mit dem Onlineverkauf von Büchern angefangen. Er hat die WP nicht als Heuschrecke gekauft. Der Mann hat einen Plan, zumindest die Bereitschaft zu Experimenten..



Samstag, 3. August 2013

Wolfsburger Werk bald nicht mehr erreichbar

Wer geglaubt hat, dass dass Bahnmanagement besonders dilettantisch mit dem Elbehochwasser umgeht und die Bahnpendler deshalb die Verlierer unter den Wolfsburgpendlern sind, hat den Ehrgeiz der Baustellenplaner in WOB unterschätzt:

Montag endet der VW-Werksurlaub. Den nehmen die Verantwortlichen der Straßenbauplanung als Startschuss für eine neue Großbaustelle auf der Werksanfahrt A39. Es wird einspurig, wo es zweispurig schon schlecht ging. Und zwar mindestens bis November.

Für die Bahnfahrer heißt das, dass das Auto keine Lösung mehr ist. Für die Autofahrer aber wird die Bahn keine Alternative sein. Eines der größten Industrieunternehmen Deutschlands wird von Verkehrsplanern und -politikern fast still gelegt. Dilettantismus pur. Für die Betroffenen eine  Provokation.

Donnerstag, 1. August 2013

Prism zeigt die Angst der Regierung vor dem Internet

Ein Vermieter ruft bei Haus & Grund an: "Könnte ich mit der NSA-Software überwachen, ob sich mein Mieter an das Rauchverbot hält..?"

Keine Panik. Man muss sich das mit der Totalüberwachung so vorstellen und dann wird es auch sofort entschärft: Wenn die Polizei auf der Straße Kontrollen durchführt, dann beobachtet sie da ja auch jeden Autofahrer und prüft, ob er hat oder ist was sie suchen. Nur wer rausgewunken wird, weil er irgend ein Suchprofil erfüllt, wird näher untersucht.

So ist das auch mit den Emails. Es wird alles erfasst, aber nur was irgendwie auffällig ist, wird näher untersucht. Z. B. wenn mein iranischer Miterfinder und ich uns per Email über den Prüfbericht unserer Patentanmeldung austauschen. Er ist Iraner, hat eine Emailadresse bei einem amerikanischen Internetgigant, ist Doktor der Physik, versteht etwas von Atomkraftwerken, spricht aber deutsch.

Warum wird nicht jedes Auto untersucht? Wegen der Ressourcenknappheit. Konzentration aufs Wesentliche.


Die NSA liest nicht jede Email. Wie stellen sich die Kritiker das vor, dass "die" NSA alles über uns "weiß"? Wer soll das alles im Kopf behalten, hunderte von Millionen Emails täglich? Als die Stasi damals unterm Dach saß, mit dem Kopfhörer an der Telefonleitung, da konnte man sagen, "die wissen was über mich". Obama aber weiß nichts über uns. Es funktioniert so wie das Profiling bei amazon. Da weiß ja auch kein Angestellter etwas über uns, das ist reine Datenverarbeitung. Und nie persönlich gemeint.

Gut, eine Maschine kann sich auch irren. Wenn sie über "brennende Dornbüsche" schreiben und der Präsident heißt ebenfalls Bush, das kann schief gehen. Das sollte man berücksichtigen und sich entsprechend verhalten. Seien Sie mit Kritik an der Regierung so sparsam, wie mit Ihren Daten. Seien sie schlau, lassen sie andere die Regierung kritisieren..

Ein Prisma nutzt man in der Optik zur Farbdispersion. Man fächert einen weißen Lichtstrahl (alle Autofahrer) auf in seine Farbbestandteile (Bushidos und die übrigen). Interessiert ist man aber meist nur an wenigen politischen oder ideologischen Farben. Man fächert auf, um die meisten, die nicht gemeinten, wegfiltern zu können. So gesehen fördert das Prism den Datenschutz aller Unverdächtigen..

Gut, kritische Geister wenden jetzt ein, dass die Daten ja auch gespeichert werden. Man weiß ja nie, ob etwas noch mal wichtig werden kann. Aber andererseits, Sie kennen das aus der Zeit, als Sie noch Artikel aus der Zeitung ausgeschnitten haben, oder wenn sie PDFs auf Ihrem PC sammeln: Sie wissen gar nicht, was sie haben und suchen im Archiv erst gar nicht. Sie googeln immer wieder aufs Neue. Und so machen die NSA Beamten das bestimmt auch.

Na na na, wie war das noch mal mit der Forensik und dem genetischen Fingerabdruck? Der wird ja Jahrzehnte später noch gegen die Täter verwendet, obwohl die damals nicht damit rechnen konnten. Ja, aber wollen Sie die Täter deshalb schützen? Da wäre Datenschutz doch wieder mal Tatenschutz.

Ok, dann kommt häufig ein noch schwereres Geschütz: Als IBM den Nazis damals half, aus den Lochkarteninformationen früherer Volkszählungen und Kirchenbüchern Deportationslisten von Juden zu erstellen, das war nun wirklich der Beweis, dass die IT Industrie vor nichts zurückschreckt. Vor allem, wenn Amerikaner und Deutsche zusammen arbeiten. Hier muss man das Credo von Charlton Heston abwandeln: Es gibt keine gute oder böse IT. IT in der Hand von bösen Leuten ist eine böse Sache. IT in der Hand einer patriotischen Behörde bedroht niemanden, außer böse Leute.. - Aber die IT wird doch hier benutzt, um zwischen guten und bösen Leuten zu unterscheiden.

Es gibt da kein Entkommen. Wenn Sie verschlüsseln, erfüllen Sie damit morgen vielleicht schon ein Täterprofil, weil Sie etwas zu verbergen haben. Aus Behördensicht gibt es kein "das geht Sie nichts an". Schon wenn Sie Ihr Handy tagsüber ausschalten, erfüllen Sie ein Profil.

Was der immense Aufwand des Common Wealth in die totale Erfassung belegt, ist nicht die Angst seiner Regierungen vor dem Terror. Sondern vor dem Internet in der Hand ihrer Völker.