Großen Dank an David, an den findigen RWEer und die Stadt Dortmund, die diesen Werbefilm von 1964 gefunden und bereitgestellt haben.
Eine frisch wieder aufgebaute und im Saft stehende Stadt. Meine Stadt.
Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Stadtszenen, die ich kannte als sie schon ein bisschen abgenutzt waren, erstrahlen hier neu. Stadtmitte, Stadthaus, Alter Markt, Westenhellweg, Straßenbahnen, LKWs, PKWs. Fließender Verkehr, Bürger in Kostüm und Anzug. Schulen, Kliniken, Ämter, Hauptbahnhof mit Dampfzügen. Und ein Bürgermeister, der mit der Entwicklung "seiner Stadt" beschäftigt ist, und von Gender und Social Justice noch nix ahnt.
Bastelnde Schulkinder, mit Etuis auf Holztischen. Fluren und Gänge in dem einst auch mir vertrauten Klinker. Nüchtern, streng, zweckmäßig - aber in Schuss. Kinder mit Respekt vor den Lehrern, aber auch der Freiheit zur Kreativität. Weder tropft es durch die Decke ins Klassenzimmer, noch müssen sich Lehrer um Messerstecher und angehende Rapper kümmern und das Niveau ihres Unterrichts absenken. Aber einige dieser Kinder haben später den Untergang ihrer eigenen "Welt von gestern" vorbereitet und führen ihn jetzt gerade durch.
Und wie das bei YouTube so ist, gibt ein Video das nächste. Zum Beispiel dieses hier: Hoesch Westfalenhütte, Warmwalzwerk 1995. Eine Videodokumentation des Walzvorgangs einer Bramme.
Etwa genau zu der Zeit war ich genau an dem Ort, weil mein damaliger Schwager in spe, der als Elektroingenieur bei Siemens an der Steuerung des Warmwalzwerkes arbeitete, mal für ein paar Tage in den Semester"ferien" mitgenommen hatte. Es ist berührend, das einmal genau so wieder zu sehen. Denn das ganze Werk gibt es heute nicht mehr. Auch nicht die Fabrik MfD, die den Brückenkran für die Umsetzung der Brammen baute, gibt es nicht mehr. Auch diese Fabrik hatte ich kurz vor ihrem Exitus als Praktikant noch einmal besucht. Mein Vater hatte dort seine Lehre gemacht und später angefangen. Er sprang aber auch rechtzeitig wieder ab.
Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Schwippschwager darüber philosophierte, ob man die Kranfahrten mit einem Schwingungsdämpfer beschleunigen könnte. Damals war Fuzzylogik gerade "in" und ich suchte nach Anwendungsmöglichkeiten ;-). Aber er sagte nur, im Walzwerk herrsche eine ganz einfache Logik: Bramme kommt, oder kommt nicht.
Vielleicht spiegelte sich darin die damalige Mentalität der "Belegschaft", die der bis dato Erfolg so sicher gemacht hatte, dass man sich weder im Betrieb noch in der Weiterentwicklung überschlagen müsse. Trotzdem bin ich voller Sympathie für die Gesichter, die ich in dem Video sehe. Ich war im Glauben, dass etwa so mal mein späterer Arbeitsplatz aussehen müsse: Spektakulär mit sprühenden Funken und Höllenlärm. Dazwischen ich, mit den Händen an einer Tastatur ;-)
Stahl oder Kraftwerk, dachte ich. Und nahm wenig später ein Angebot von RWE an..
Heute beschäftige ich mich mit agiler Softwareentwicklung in allen möglichen Organisationen. Ich habe in der Automobilentwicklung gearbeitet und kenne inzwischen sogar die Bundesverwaltung. Irgendwann hat man als Jugendlicher ja plötzlich eine Intuition und greift nach etwas, was man sein Leben lang nicht mehr loslassen wird. Weil es einen fasziniert. "Alles!" war 1982 meine Antwort, als meine Eltern mich fragten, was man denn mit einem "Homecomputer" machen könne.
Ich komme ins Sinnieren. Wie oft ich meine berufliche Wirkungsstätte schon gewechselt habe, obwohl ich abstrakt einem roten Faden folgte. Ich traue keinem Frieden, auch wenn es mal gut läuft. Der Ingenieursberuf bewirkt und unterliegt Veränderungen. Es hält mich aber nich davon ab, Gelegenheiten zu nutzen. Zum Beispiel für einen Umzug nach Berlin. Das war seit 1987 mein Traum.
Vielleicht berührt mich der Anblick meiner Vergangenheit auch gerade deshalb. In der Gegenwart ist man immer gerade dabei, sich etwas zu erkämpfen. Mit Anstrengung und Unsicherheit. Dann wieder mit Momenten der Bestätigung und der Sinngebung und Motivation für die nächste Etappe.
Erst Rückblickend verstehe ich immer, was das eigentlich gerade gewesen ist.
Ich lese da etwas über die dumpfen, engen, und muffigen 60er Jahre, was ich gar nicht glauben kann:
AntwortenLöschen"Bastelnde Schulkinder, mit Etuis auf Holztischen. Fluren und Gänge in dem einst auch mir vertrauten Klinker. Nüchtern, streng, zweckmäßig - aber in Schuss. Kinder mit Respekt vor den Lehrern, aber auch der Freiheit zur Kreativität. Weder tropft es durch die Decke ins Klassenzimmer, noch müssen sich Lehrer um Messerstecher und angehende Rapper kümmern und das Niveau ihres Unterrichts absenken. "
War das wirklich so? Das kann doch gar nicht sein! Kinder mit Respekt vor Lehrern etwa: Waren die Kinder nicht eher unterdrückt und eingeschüchtert? Oder kein tropfendes Wasser durch die Decke im Klassenzimmer, das Wort "Niveau" in Zusammenhang mit Unterricht... Kann denn das sein? Darf denn dieses einfach so geschrieben werden, möglicherweise wider besseres Wissen?
Und dann dieser Optimismus, der die Zeilen insgesamt durchzieht...
Im Ernst: Wenn man all das sieht und liest und sich zurückerinnert, wie man das selbst damals empfunden und mitbekommen hat, dann stellt sich bei mir eine ausgeprägte Wehmut ein. Bei allen Schwierigkeiten, die es damals natürlich gab, war es noch eine Welt, die in Ordnung war, die lebens- und liebenswert war - und die wir so NIE wieder zurückerhalten werden. Die Menschen verschwinden bzw. werden von außen ersetzt, Kunst und Kultur, Technik und Innovation verschwinden - bis wir dann in der Dritten Welt bei Kerzenschein und Stammeskämpfen angekommen sein werden. Zu guter Letzt werden wir auch noch unser schönes Deutsch, das in den letzten Jahren bereits so mißhandelt worden ist, verboten bekommen.
All das sind Zeichen an der Wand, Damoklesschwerter. Kaum einer will sie sehen.