Samstag, 3. März 2018

Motive gegen Veränderung

Die Innovationsberater reichen im Internet einen Cartoon herum, auf dem ein Anführer die Versammlung fragt, wer von ihnen FÜR Veränderungen sei. Alle Hände gehen hoch. Dann fragt er, wer von ihnen bereit sei, sich selbst zu verändern. Und alle Hände bleiben unten.

Es ist leicht zu sagen, "genau so ist das". Aber warum? Und warum sind so viele dagegen, sich selbst zu verändern und erwarten Veränderungsbereitschaft nur von allen anderen? 

Einmal abgesehen von der Binsenweisheit, dass Veränderung kein Wert an sich ist, erlebe ich folgende Fälle:

- Die Mächtigen haben etwas zu verlieren: Budget, Einfluss, Macht, Ansehen. Die Veränderungsprotagonisten hingegen können oft mehr gewinnen als verlieren. Beide unterstellen einander unter vier Augen vor allem diese Motive, bei denen es nicht um das gemeinsame Unternehmen, Bereich etc. geht, sondern persönliche Ziele.
- Die "Operativen" haben auch etwas zu verlieren: den Wert ihrer jahrelang gewachsenen Erfahrungen, Spezialisierungen und Optimierungen. Die Alteingesessenen bezeichnen die Veränderungsprotagonisten als "ahnungslos", was in Bezug auf die alten Verhältnisse ja auch zutrifft.

Es gibt noch ein drittes Motiv, das vor allem auf mich zutrifft:
- Vorsicht hinsichtlich der unbewussten Annahmen, die wir gerade alle treffen.

Gehe ich in ein neues Projekt, erwarten die Sponsoren oder mein eigener Programmleiter häufig einen sofortigen Stimmungsumschwung von mir. "Bringen Sie frischen Wind darein." - Aber das riecht mir zu sehr nach Aktionismus. Und ehrlich gesagt etwas zu simpel, heroisch, manchmal auch naiv. Ich bin zwar der "Agent" des Neuen. Aber zuerst schaue ich mich mal um.

Ich reite also sozusagen in die Stadt und schaue mir als erstes die Leute an. Manche treffe ich in Gruppen, manche unter vier Augen. Und ich höre erstmal rein. Denn ich weiß, ich selbst komme mit tausend Annahmen, die auf bisherigen Erfahrungen basieren. Allzu leicht packt man Leute und Dinge in Schubladen und fängt an mit falschen Annahmen zu operieren. 
Deshalb baue ich als erstes Beziehungen auf.

In dieser Phase höre ich dann manchmal, ich bewege mich zu langsam und fordern mich zu mehr "Beraterarroganz" auf. Wer so spricht offenbart mir vor allem die Angst, mit der er selbst in neue Situationen geht: Wie ein Hund, der erst mal alle anderen anbellt. Und auf der Straße sehe ich nur kleine Hunde, die große Hunde anbellen. Umgekehrt sehe ich das nur sehr selten.

Oder wenn man es in Westernmetaphern will: Ich bin eher Scharfschütze als Revolverheld. Mir reichen ein oder zwei Patronen, ich trage keinen Patronengürtel um meinen Oberkörper. Aber eigentlich passen Westernfiguren überhaupt nicht. Eher schon Kommissare aus Krimiserien. Poirot, der die Leute mit Rückfragen prüft, ob sie über Annahmen oder Erfahrungen sprechen: "Der Bosporus ist um diese Jahreszeit sehr ruhig, Sie werden sehen." - "Hm, haben Sie ihn um diese Jahreszeit schon einmal selbst überquert?" - "Nein."
Oder Columbo, der die Leute in Sicherheit wiegt und dann mit einer letzten Frage Schachmatt setzt: "Ach ähm, eine Frage noch...:" Insbesondere hierbei nutze ich das psychologische Phänomen, dass man Menschen entlang des Kennenlernens in bestimmten Phasen nur bestimmte Dinge Fragen kann. Es gibt Dinge, die erfährt man nur am Anfang und Dinge, die erfährt man nur später.

Also bewege ich mich langsam, aber sehr aufmerksam durchs Projektdorf. Treffe Leute im Salon und am Brunnen. Treffe große und kleine Leute. Und allmählich baut sich mir ein Bild auf aus Dingen und Leuten, Beziehungen zwischen Leuten, die die Dinge behandeln um die sich alles dreht. 

Meine Bewegungen werden dann allmählich schneller und zielgerichteter, wenn ich der Meinung bin, dass ich nun den höchst möglichen Themeneinstieg gefunden und geöffnet habe. Es ist dann auch viel einfacher, Argumentationsketten aufzubauen die die höchste und die niedrigste Ebene adressieren.


1 Kommentar:

  1. Das ist die schöne Beschreibung einer guten Vorgehensweise, wenn ein neues Projekt in einer meist unbekannten Umgebung angegangen werden soll. Kernsatz ist: "Deshalb baue ich als erstes Beziehungen auf." Es ist mit Gewißheit richtig, erst einmal die weichen Faktoren, das Umfeld und die handelnden Personen zu kennen und zu verstehen, bevor die harte Sacharbeit drankommt.

    Die platte Frage "Was nutzt es mir persönlich?" ist sehr oft ganz wichtig beim EInstieg in neue Themen und Projekte. Wenn es gelingt, hierüber die Bereitschaft zu steigern, die Ärmel hochzukrempeln, kann das im laufenden Projekt der entscheidende Erfolgsfaktor sein. Ich habe mehrfach erlebt, daß das eine oder andere Miglied eines Projektteams emotionale, ja nicht begründbare Vorbehalte gegen Fragestellungen, verwendete Hilfsmittel oder auch Teamstrukturen hatte, mehr aus dem Bauch heraus als nachvollziehbar. In solchen Fällen ist zu überlegen, ob eine weitere Zusammenarbeit in diesem Projekt sinnvoll ist. Wobei man nicht vergessen darf, daß so jemand permanent - ob innerhalb oder außerhalb des Projekts - gegen die damit einhergehenden Veränderungen opponieren wird, bis er vielleicht eines Tages doch an einem konkreten Beispiel den Vorteil (auch: für sich) sieht und dann still und heimlich die Oppositionsrolle verläßt. Dazu muß natürlich das Projekt erfolgreich gelaufen - und sinnvoll gewesen sein.

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