Zu den grundfesten Überzeugungen, die wir vielleicht aufgeben müssen, gehört die Vorstellung eines langfristig immer steigenden Aktienmarktes. Ich weiß noch, wie ich vor 27 Jahren zu Beginn meines Berufslebens so schnell wie möglich auch ins Börsengeschehen einsteigen wollte. Und es noch nicht konnte, weil ein klassisches Depot bei Banken und Sparkessen hohe Gebühren kostete und ich den neuen Onlinebanken Consors und Comdirect noch nicht traute. Der Auslöser war damals der Boom an den Technologiebörsen, die neu gegründeten Internetunternehmen und mein fester Glaube, dass das die Zukunft sein werde.
Ich las eine Zeit lang nur Finanzzeitungen um zu lernen. Zu meinen Erkenntnissen gehörte, dass die Börsen in den Jahren zuvor langfristig immer gestiegen waren. Wer die Nerven behalten hatte, und sich auch von zwischenzeitlichen Crashs nicht entmutigen ließ, wurde langfristig immer belohnt. Und das war für mich dann auch das wichtigste Argument, für meine Rente mit Fondssparen vorzusorgen. Schon damals hieß es, dass meine Generation besser selbst für die Rente vorsorgen solle.
Diese Grundweisheit "langfristig gewinnst Du immer" basierte auf der unbewussten Annahme, dass die Zinsen immer weiter sanken und die globale Arbeitsteilung immer weiter wuchs. Es war weniger Idealismus und Begeisterung für Technologie und Wettbewerb, der die Aktienmärkte trieb, sondern die Verfügbarkeit von billigem Geld.
Und diese sehr lange Trend, der etwa 1980 begonnen hatte, ist 2022 zu Ende gegangen. Weil zuerst Corona Lockdowns, dann die Sanktionen gegen Russland und seine Verbündeten Waren verknappte und die Inflation zurückbrachte, leiteten FED und EZB Zinswenden ein. Das allein ändert viele eingeschliffene und für Entscheidungen zugrunde gelegte Randbedingungen. Aber das Tempo der Zinswende sorgt zusätzlich für Risiken, weil die Anleihekurse für niedrigzinsige Langläufer, die eigentlich als sichere Basisanlagen galten, gefallen sind.
Mal abgesehen davon, dass jetzt jeder von uns die Gesundheit seiner Hausbank prüfen sollte. Was bedeutet es für unsere Langfristanlagen? Momentan gibt es überhaupt keine sicheren Anlageklassen. Selbst Tagesgeld verläuft in Zappelkurven. Und die Einlagensicherungen (gesetzlich bis 100.000 EUR, je nach Bank auch darüber) funktionieren nur, wenn einzelne Banken zusammenbrechen, nicht wenn alle gleichzeitig zusammenbrechen.
Die erste Antwort lautet natürlich: Gehe in Sachwerte.
Aber in welche? Immobilienpreise werden sinken, und man weiß nicht, wie viel Pfusch man sich dabei einhandelt. Der Goldpreis kratzt schon an der 2.000 EURO Marke für die Unze.
Also Aktien? Aber welche Branchen und welche Länder? Wenn ich mir den DAX anschaue, glaube ich nicht mehr an ihn, weil ich nicht mehr an Deutschland glaube. Frühere Brot-und-Butter-Unternehmen wie Stahl und Chemie sind verschwunden. Energie wird gerade "transformiert" und auf unsere Autobranche würde ich auch nicht mehr wetten. Die Regierungen in Deutschland und EU machen uns den Garaus und ein übriges trägt das sinkende Bildungsniveau des Nachwuchses bzw. der "neuen" Fachkräfte bei.
Schaue ich mir auf LinkedIn die Ausbildungen und Erfahrungen aktueller Wortführer von deutschen Unternehmen und Wortführern (ins. Wortführerinnen) an, sehe ich da fast durch die Bank überschätzte Fehlbesetzungen. Fällt Ihnen noch irgendein Unternehmer oder Manager ein, den Sie gerade bewundern? Irgendein Wissenschaftler, Autor, Musiker, Schauspieler etc. den Sie unbedingt sehen oder hören wollen? Mir nicht.
Woran man auch denken sollte: Man sollte seine Werte mit ins Ausland nehmen können oder von dort Zugriff auf sie haben.
Was es bedeutet, nach einem langen produktiven Arbeitsleben plötzlich alles zu verlieren, haben viele Deutsche in den 1920er und 1940er Jahren erlebt. Man muss das für ein ganz reales Risiko halten.
Meine Frau sagt: Wenn wir es nicht bewahren oder retten können, sollten wir dafür sorgen, dass wir selbst etwas davon haben: Es ausgeben.