Auch zwölf Jahre nach unserem Umzug nach Berlin ist es nicht fertig. Es gab und wird nie einen Moment geben, in dem man bei einem Cruise durch die Stadt "das" neue Berlin besichtigen könnte.
Baulärm gehört zum Leben. Das müssen nicht nur die großen Projekte sein, es tut auch der Neubesitzer einer benachbarten Wohnung, der mal eben die Wände raushämmert oder sich neue Balkone überlegt. Goldene Regel im Wohngebiet: Der frühe Morgen beginnt mit der Bohrmaschine an der Wand zum Nachbarn. Dann Frühstückspause. Den Rest des Tages Arbeit an der Zeichnung mit Bleistift und Radiergummi. Der Moment, in dem ich bereue meine Canton Bassreflexboxen zugunsten einer iPhone kompatiblen Minianlage verkauft zu haben..
Wag es nicht, die Nachbarbaustelle mit Fragen nach dem Statikgutachten lahmzulegen, Kölner Stadtarchiv und so. In dem Moment klingelts an der Wohnungstür. Du hast "jetzt die Verantwortung für den Terminplan" und die Frage, "wo wir mit den Kindern denn in der Zwischenzeit wohnen sollen?" sagt die Nachbarin - ein Kind auf dem Arm, das andere an der Hand. "Nein, für unter 100.000 EURO fliegt mein Mandant nicht extra her, soviel kostet in Kiew ja allein der Stellplatz." hören wir einen Makler auf der Treppe in sein Smartphone sprechen.
City-West-Side Story
Noch stärker als Kreuz-, Prenzl- und Schöneberg im Kommen ist die die City-West (das alte Westberlin, aber so sagt man nicht mehr). Tauentziehn und der Ku'damm, und zwar inzwischen fast der gesamte. Und seine Seitenstraßen. Vor zehn Jahren noch fest in der Hand gebürtiger Westberliner, denen schmerzhaft bewusst wurde, was sie verloren hatten. Das klingt unglaublich, ist aber so. Man wohnte im Altbau Mommenstraße, ging Abends in die Schlüterstraße. Man war für sich, kein Teil des Berliner Wandels. Deshalb nannte es ein Redakteur des Tagesspiegel auf Radio1 mal "Charlottendorf". Sich selbst als Hipster wähnend (und "wähnen" kommt von "Wahn") glaubte er, vom Askanischen Platz an ostwärts spiele die Musik. Wobei er diese Metapher ganz bestimmt nicht benutzt hätte.
Inzwischen ist klar: Aus dem Prenzlberg, von der Kastanienallee, der Oderbaumbrücke und seinen "Kulturzentren" kommt nicht viel. Es wurde viel beansprucht, klar. Aber gekommen ist nicht viel. Die Modeszene, in die jährlich immense Fördermittel fließen, beschäftigt gerade mal so viele Leute wie alle Autohändler, Werkstätten und Entwickler zusammen. Mit dem Unterschied, dass das Autogeschäft Umsatzsteuern einbringt, und die Mode - naja.
Ich würde es ihnen gönnen. Und manchmal sieht man auch was davon auf der Straße. Aber so richtig gezündet ist noch nichts. Und "Bread and butter" sollte bitte nicht der Anspruch sein.
Ku'damm, von der Avus kommend
Ich fuhr seit Jahren zum ersten mal wieder den Kudamm entlang. Kam von der Avus über den Rathenauplatz und von hier an erzählt inzwischen fast jede Kreuzung eine kleine Geschichte. Die kleine Bar auf der Brücke gibt es nicht mehr. Am Henriettenplatz in Halensee traf ich meine Fahrgemeinschaft. Hotel Kudamm 101 war die erste Bereicherung, die wir selbst mitbekamen. Dann rechts "unser" Supermarkt, links zwei Restaurants. Darüber wohnte Wowi, ein Stückchen weiter wir. Dann Theater Schaubühne. Hier waren wir öfter, weil Stücke liefen, mit denen wir was anfangen konnten. Das Stück über den abstürzenden Unternehmensberater ("Unter Eis") läuft immer noch: Link. Und die Ibsenstücke wie "Hedda Gabler". (schon damals stark: Katharina Schüttler, Link). Auch dieses Stück läuft immer noch. Rechts neben dem Eingang: Die empfehlenswerte "Universum Lounge" (Link). Dann kommt der Adenauerplatz. Fährt man hier links hoch kreuzt man die Mommenstraße auf Höhe des Mommseneck.
Hier wohnten wir 2 Jahre in einer viel großen Altbauwohnung. Wir wollten erfahren, wie das ist. Unsere Vormieter hatten das größere Berlinzimmer schlicht mit einem Flügel beehrt. Wir ersetzten ihn durch mein Schlagzeug :-) Das durch die Schiebetür verbundene Zimmer zur Straße wurde unser Arbeitszimmer. Hier stellte man locker zwei Schreibtische einander gegenüber. Es war die Zeit, in der man den ganzen Tag Lounge Musik hörte. Um vom Stress des Berater-, Designer- oder Entwicklerjob wieder runterzukommen. Hier stellten wir Jim Rakete und Michael Steinbrecher unsere Wohnung für Werbeaufnahmen zur Verfügung.
Auf der Wilmersdorfer Straße gingen wir einkaufen. Hier lernte ich einen Rest Mauerstadt Feeling kennen: Wenn Du Montagabends zu spät in den Supermarkt kamst, waren die wichtigsten Regale schon leer. Ich fuhr damals mit der Regionalbahn von Charlottenburg nach Potsdam. Und wie später auch noch oft, ging die Bahn hin und nahm mir, was ich brauchte. Das Auto hatten wir kurz nach der Ankunft in Berlin abgeschafft. Jetzt wollte die DBRegio meinen Regionalbahnhof abschaffen. Ich war damals in der FDP und veranstaltete mit Mitgliedern der Bürgerinitiative Stuttgarter Platz eine Kampagne. Flugblätter, Schriftverkehr, sogar ein Auftritt in der RBB Abendschau. Wir erreichten ein bisschen, ein paar Halte in CHA blieben uns erhalten. In der FDP bekam ich Anerkennung von den Bezirksverordneten. Von einigen Junganwälten, die eine FDP Abgeordnetenkarriere planten, wurde ich hart ins Visier genommen. Ich lernte damals, wie dünn die bürgerliche Oberfläche des Anstandes ist - auch und besonders bei denen, die bereits ausgesorgt haben, wenn sie das Licht der Welt erblicken.
An der Mommsen- Ecke Leibnitzstraße wohnten wir zuerst. In einem möblierten Apartement. Wir planten für maximal drei Monate, es wurde ein ganzes Jahr daraus. Klein, aber gut ausgestattet. Es ging. Hier erlebten wir den Bankenskandal, die 4-Minuten-Meisterschaft von Schalke und den 11. September. Und den Anfang vom Ende der New Economy. Zu der Zeit entstand auch der Komplex am Walter-Benjamin-Platz (Link). Die besten Schrippen in Berlin gibt es dort, bei Bäcker Wiedemann (Link)!
Die Leibnitzstraße Richtung Kudamm. Rechts rein in die Sybelstraße kommt man zum früheren Kino Kurbel. Das ist jetzt leider endgültig geschlossen worden. Leider. Alle liebten es, aber keiner besuchte es, so ging es pleite.. Dort zieht demnächst ein Biosupermarkt ein. Auch Bio lieben die Anwohner. Aber gegen den Anlieferverkehr laufen sie jetzt schon Sturm. Allen voran: Michael Naumann (Link zu: "Eine kleine Ortszerstörung")
Folgen wir der Giesebrechtstraße, landen wir auf dem Olivaer Platz. Ab hier wird der Ku'damm erst so richtig edel. Hier sind etliche Prachtgebäude renoviert worden. Fährt man weiter, sieht man links das neue Hotel Waldorf-Astoria. Ein Hochhaus, gegen das auch wieder etliche Schnarchnasen Leserbriefe schrieben. Berlin solle bitte keinen höheren Anspruch an sich darstellen. Viele fühlen sich aufgefordert, um nicht zu sagen provoziert, wenn in der Stadt etwas entsteht, was Lebensfreude, Leistungswillen, Anspruch oder etwas in der Art symbolisiert. Aber die City West wächst trotzdem, auch nach oben.
Wenn sie irgendwann das komplett geschlossene Gerüst von der Gedächtniskirche abnehmen, ist die City-West fertig.