Donnerstag, 28. April 2011

Götz Aly und Edwin Black über Volkszählungen

Zwei Literaturhinweise zum Thema Volkszählung:

Götz Aly, "Restlose Erfassung"
An die Volkszählung 1983 in der alten Bundesrepublik kann ich mich erinnern, ebenso an die damaligen Redewendung des Bundesinnenministers Zimmermann "Datenschutz" seit "Tatenschutz". Von Götz Alys Werk (Link), dass die notwendige Unterstützung der Holocaust Schreibtischtäter für die Organisation und Logisitik des Holocaustes durchleuchtet, wusste ich lange nichts. Es kann als ein Basiswerk für Datenschutz im Computerzeitalter angesehen werden. Und es hat seine Aktualität wieder bekommen im Zusammenhang mit dem 2001 von Edwin Black veröffentlichten Enthüllungswerk "IBM und der Holocaust".
Vorgänger der IBM Deutschland war die "Deutsche Hollerith Maschinen Gesellschaft" mit Sitz in Berlin Dahlem. Hollerith, ein deutschstämmiger Amerikaner, war der der Erfinder der Lochkarten-basierten Erfassungs- und Sortiermaschinen. Diese wurden zunächst für Volkszählungen in den USA genutzt. Statistik und Volkszählung als (Pseudo-)Wissenschaft bekam seine unheilvolle Macht erst von den Nazis verliehen. Diese verlangten immer mehr Daten und abgeleitete Informationen, aus denen sich Juden identifizieren lassen konnten. Nach dem Beginn der Pogrome in Deutschland konvertierten viele Juden formal zum Christentum. Dies gab den Chefstatistikern der Nazis jedoch Anlass, auch Juden auf die Listen zu setzen, die konvertiert waren. Oder deren Eltern oder Großeltern Juden gewesen waren. Mit der Einführung der "Rassenlehre" und deren Unterfütterung mit statistischen und pseudowissenschaftlichen Therorien erhielten Statistiker erst so richtig auftrieb. Diese Analysen wären ohne maschinelle Unterstützung wie die der Hollerith-Maschinen allerdings kaum möglich gewesen.

Die Nazis gehörten zu den besten Kunden der deutschen IBM Tochter Dehomag. In diesem Werk wird jedoch nicht die Rolle der IBM durchleuchtet. (Hierzu empfehle ich die Lektüre von Edwin Black, "IBM und der Holocaust") Sondern die Entwicklung der statistischen Wissenschaft. Im Mittelpunkt stehen die beiden Volkszählungen 1933 und 1939. Und vor allem eine Erkenntnis: Datenschutz muss immer ins Kalkül ziehen, ob erhobene Daten in der Hand von Verbrecherregimen zum lebensbedrohenden Nachteil der Erfassten werden können. Daraus folgt die Widerlegung des o.g. Zitates, weil eben auch die Erfasser und Besitzer dieser Daten selbst "Täter" sein können. Die Anzahl der Interviewer für die Volkszählungen ging in die Hunderttausende. Von Juden wurden zusätzliche Daten auf gesonderten Karten erhoben. Um sie in Sicherheit zu wiegen, wurden diese Karten vor den Augen der Interviewten in separate anonyme Umschläge gesteckt. Bei der Auswertung wurden diese zur todsicheren Waffe. Seltsamerweise haben sich Aufforderungen an Unternehmen sich mit ihrer Rolle im dritten Reich zu beschäftigen, immer nur auf die Lieferanten der Folter- und Mordsinstrumente oder die Nutznießer von Zwangsarbeitern gerichtet. Dieses Buch öffnet die Augen dafür, welche Rolle Statistik und internationale Büromaschinen dabei gespielt haben.

Wie einfallsreich die deutschen Wissenschaftler waren, zeigt das Beispiel des "Deutschen Turms". Dieser nahm die Konstruktion der heutigen Festplatten als Speichermedium für EDV vorweg. Er enthielt Formatierungsvorgaben, die Computeringenieure später aufgriffen. Sein Zweck war es, die Daten aller Deutschen in einem Speicherturm nach Geburtsdaten zu sortieren und schnell verfügbar zu machen.

Unfassbar auch die Anmerkungen welche prominenten Schreibtischtäter in der Bundesrepublik noch lange Karriere machten, bis ihre unheilvolle Rolle bei der Judenverfolgung endlich erkannt wurde.

Edwin Black, "IBM und der Holocaust"
Edwin Black weist in seinem Buch (Link) nach, wie sehr IBM von seiner Kooperation mit Hitler-Deutschland profitiert hat.
Das Naziregime führte mehrere Volkszählungen in Deutschland und den überfallenen Ländern durch, um eine Planungsgrundlage für seine Vernichtungspläne zu bekommen. Hierfür nutzte man gerne IBM's Hollerith Lochkartenmaschinen. IBM profitierte von ihren weltweiten Patenten d.h. ihrer Monopolstellung und lieferte so viel sie konnte.
Der Skandal liegt nicht darin, wie in der Presse zu lesen war, dass der Autor behauptet, ohne IBM sei kein Holocaust möglich gewesen. Das behauptet der Autor an keiner Stelle. Aber er belegt überzeugend, dass der Holocaust ohne IBM nicht so effizient zu organisieren gewesen wäre. Er führt diesen Beweis anhand des Vergleichs zwischen den Opferzahlen in Frankreich und Holland. In Frankreich entkamen prozentual viel mehr potenzielle Opfer, weil keine Hollerithmaschinen zur Verfügung standen. Anders als in Holland, wo man auf einen gepflegten Datenbestand und Hollerithmaschinen zurückgreifen konnte.
Selbst die auf Statistik basierende Rassentheorie profitierte von den neuen technischen Möglichkeiten, sie in die Tat umzusetzen. Dank der Erfassung von Geburtsdaten aus Kirchen- und Synagogenbüchern in den Ahnenreihen ihrer Gemeindemitglieder liessen sich nicht nur die gegenwärtigen Religionsmerkmale der Bürger erfassen und auswerten, sondern auch die Religionsmerkmale ihrer Vorfahren nachvollziehen und zu künstlichen Bevölkerungsgruppen wie "Achtel-, Viertel- und Halbjuden" kategorisieren.
Die Nazis dankten dem IBM Chef Watson seine technologische Leistungsfähigkeit und Loyalität zu Deutschland sogar mit einer Ordensauszeichnung.
IBM gelang es während und nach dem Krieg, ihre deutsche Tochterfirma immer als deutsches oder amerikanisches Unternehmen darzustellen, je nachdem, was opportun war. So gelangten sie mit einem unbeschädigten Image in die Nachkriegszeit.

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