Dienstag, 28. Dezember 2010

"Moralische Klarheit" (Susan Neimann)



Wer die Moral den Konservativen und religiösen Extremisten wie Al Quaida und Folterern wie George W. Bush überlässt, verrät das Projekt der Aufklärung. Sagt die Direktorin des Potsdamer Einsteinforums Susan Neimann.

"Moralische Klarheit" ist ein Kampfbegriff der Rechten, sagt sie.

Neimann klärt -für "erwachsene Idealisten"- einige wichtige populäre Irrtümer auf, die der politischen Rechten bis jetzt faktisch das Privileg auf die Moral zusicherten. Einer politischen Rechten, zu der auch Präsident Bush gehörte, der im Namen der "moralischen Klarheit" Menschen foltern ließ. Moral als Kategorie und Argument ist deshalb in Misskredit geraten. Neimann will das ändern. Sie war Gast im philosophischen Radio von WDR5. Unter dem Begriff hat sie auch ein Buch veröffentlicht. Ich gebe hier kurz das wichtigste wieder, von dem was ich verstanden habe und für wichtig halte:

1. Populärer Irrtum:
Wir bekamen die Moral von Gott, weil der Mensch ausschließlich vom Eigennutz geleitet ist.

Gegendarstellung: Die Widerlegung führt sie sowohl anhand aktueller Erkenntnisse von Ökonomen, Tierversuchen mit Ratten und auch über die Bibel, sogar das Alte Testament: Abraham handelte Gott eine Bedingung ab, unter er Sodom und Gomorrah verschonen würde: Wenn Abraham 10 Gerechte aus Sodom finden würde.
Abraham wollte damit verhindern, dass mit den Schuldigen auch Unschuldige bestraft würden. Er führte damit gegenüber Gott eigene moralische Maßstäbe ein - der Beweis, dass der Mensch eine eigene Moral entwickeln kann.
Übrigens hier bei einem Dilemma, das wir noch heute aus der Innenpolitik kennen: Konservative nehmen unschuldige Gefangene in Kauf, wenn nur der Schuldige unter ihnen ist. Liberale tun das nicht, für sie hat Priorität, dass kein Unschuldiger verurteilt wird, nur um einen wahren Schuldigen zu fassen. (Für die Konservativen zählt die Rache, für die Liberalen die Freiheit.) Bei Ratten konnte nachgewiesen werden, dass sie auf eine Nahrung verzichten, wenn der Preis für die Nahrung wäre, dass einer ihrer Artgenossen dafür einen Schmerz erleiden müsste. Und die These, dass der Mensch auf dem Markt ein rein egoistisches Wesen sei, stimmte von je eher nur in den Gebäuden von Investmentbanken und anderen Managementetagen.

2. Populärer Irrtum:
Moralisches Verhalten ist angeboren. Wir wissen instinktiv, was moralisch ist und was nicht.

Gegendarstellung: Unsere moralische Beurteilung ist abhängig vom Kenntnisstand über die Situation. Aber gerade die, die die (göttliche) Moral im Munde führen, sind häufig die, die nicht alles über einen Fall wissen wollen. Sie bringen dann höhere "Argumente" ins Spiel. So habe sich beispielsweise George W. Bush (und das wusste ich noch nicht) auf einen Sendebefehl von Gott berufen, den Irak anzugreifen, nachdem er der Lüge in Sachen irakischer Massenvernichtungswaffen überführt worden war.

Die Bibel enthält aus moralischer Sicht jedoch viele gegensätzliche Geschichten. Dies erklärt nach Neimann die sehr unterschiedlich ausgerichteten Religionen, die aus ihr abgeleitet wurden. In jedem Fall sei -wie bei Gesetzen, die immer zwischen Abstraktheit und Konkretheit abgewogen werden müssen- eine Interpretation nötig. Niemand könne sich mit seiner Moral aber deshalb unmittelbar auf die Bibel berufen. Das tun nur religiöse Extremisten wie eben die Taliban oder die frühere Bush-Regierung.

Diese plumpe Form der Moral geht stets einher mit ihrer ebenso plumpen Instrumentalisierung: "Wenn Du der Anweisung Gottes nicht folgst, wird er Dich bestrafen. (Oder ich an seiner Stelle)" Diese Moral, die nicht auf Erkenntnis und Einsicht setzt, sondern auf Angst und Strafvermeidung, ist eine "infantile Moral", sagt Neimann, keine Moral für Erwachsene.

Dann ein Sprung ins Thema Helden und Vorbilder. Der (literarische) Held, der am Ende immer sterben musste bei der mutigen Erfüllung seiner moralischen Pflicht ist im Laufe der Geschichte dem (soziologischen) Vorbild gewichen. Immanuel Kant habe entscheidend dazu beigetragen. Das Problem: Das Vorbild emotionalisiert nicht mehr so, wie der Held. Damit sind beide schwächer geworden. Heute beschäftigen wir uns weder mit den einen noch den anderen. Nicht nur in Deutschland- stattdessen beschäftigen wir uns mit den "Betroffenen". Objekt im Fokus ist nicht mehr der, der etwas geleistet hat, sondern der, der etwas gelitten hat.

Man werde - und dass fasst unser Zeitalter meiner Meinung nach sehr gut zusammen: - heute nicht mehr danach beurteilt, was man in der Welt getan hat (kreativ, heilend, verbessernd, gestaltend), sondern danach, was sie einem angetan hat.

Quelle: WDR5 Philosophisches Radio (Link)

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