Freitag, 29. September 2017

Von Ressourcen und Fähigkeiten

Der gesellschaftliche -in einigen Branchen auch der unternehmerische- Umgang mit "Diversität" ist voller Widersprüche, ich könnte auch sagen: hirnrissig.

Einerseits betonen Politiker den Wert von Diversität als Quelle der Inspiration.
Andererseits betonen sie dass Diversität kein Anlass für unterschiedliche Behandlung sein darf, vielmehr müsse alles gleichgemacht werden - der "Gerechtigkeit" wegen.
Unter Gerechtigkeit verstehen Politiker nicht, dass in einer Gruppe von Diversen alle mal zum Zug kommen, jeder sich an gewisse Standards halten muss, dass Stärken genutzt werden. Stattdessen verstehen sie darunter stets den kleinsten gemeinsamen Nenner. In der Berufswelt kennt man das als Ressortabstimmung oder "konzernweite Harmonisierung". Je geringer das Verhandlungsgeschick der Unterhändler, desto weniger Substanz wird im Ergebnis enthalten sdin.

Als sich mehr als eine Million Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machten, sprachen Regierung und Konzernsprecher unisono von der "einmaligen Chance" unseren "Fachkräftemangel" zu entschärfen - und unseren demographischen Faktor zu korrigieren. Auch der Chef der Arbeitsagentur Frank Weise sprach so. Sie alle sprachen so, bevor sie irgendetwas über die Skillprofile der Flüchtlinge wussten. Sie dachten nur in Ressourcenknappheit und Ressourcenangebot, wie ein Disponent der das Leergut eines Güterbahnhofs verwaltet.

Der frühere Chef der IBM Consulting Group Deutschland, Michael Diemer, führte seinen Bereich auch so. Als die Qualifizierungsmängel seiner Berater längst offensichtlich waren, investierte er nicht in Qualifizierung sondern suchte konzernweit nach unbeschäftigten Beratern - nach "Ressourcen". Er schickte grundsätzlich jeden Verfügbaren in jedes Projekt. Sein strategisches Ziel lautete: "Auslastung".  Diese sog. Strategie scheiterte krachend, genauso wie inzwischen Merkels, Weises etc. Strategie gescheitert ist.

Das Blöde daran ist, dass das nicht von den Strategen ausgebadet wird, sondern von den Regierten. Die Flüchtlinge finden keine Arbeit, viele von ihnen toben ihren Frust aus, und Merkel, Weise und Genossen deklarieren es als "gesamtgesellschaftliche Aufgabe" und schieben das Problem ab. Und zwar am liebsten dahin, wo es eh schon "Erfahrung" mit "robusten Parellelgesellschaften" gibt.

Alle Sonntagsreden von der Wissensgesellschaft, von Digitalisierung, Zukunftsfähigkeit entpuppen sich als intellektueller Müll, wenn es zurück ans Tagesgeschäft geht. Da werden Ressourcen immer noch wie Fließbandkräfte oder Rohmaterial betrachtet, das in Bruttoregistertonnen zu messen ist.

Donnerstag, 28. September 2017

modernRE

Zurück auf den Boden der Tatsachen. Zurück ins IT-Geschäft. Zwei Tage Konferenz "Modern RE" (Requirements Engineering) liegen hinter mir. Mein Versuch, ein Fazit für mich zu ziehen:

1. Motivation zur Teilnahme
Wie machen es die anderen? Was erleben andere, welche Probleme müssen sie lösen und wie tun sie es? Seitdem es jede Rolle in einer Organisation nur noch einmal gibt, ist man mehr denn ja auf Austausch mit Externen angewiesen. Und dafür hat sich die Teilnahme gelohnt.

2. Triff die Experten, die Autoren, die Berater
Auch im Anforderungsmanagement gilt: Sich auf die anerkannten Experten zu berufen, bietet Sicherheit. Wehe dem, der so denken muss anstatt selbst zu denken.
Von der Prominenz habe ich hier am wenigsten gelernt, außer, dass es ok ist, ruhig einmal Tacheles zu sprechen. Tacheles wirkt echt.
Am meisten lernte ich von den Product Ownern und Scrum Mastern, die diese Rolle im (Kunden-) Unternehmen ausüben, gerne übrigens seit länger als einem Jahr. Mit denen kann man ganz konkret Dinge besprechen.

3. Mentalität
Deutschland ist gut im Maschinenbau und in Fabrikarbeitsketten. Aber wehe, man braucht Leute für einen Invest, um mal auszuprobieren, wie es besser gehen könnte. Die Wissensträger, die verfügbar und zusätzlich bereit sind, repräsentativ für ihre Gruppe zu sprechen, sind sehr rat gesät. Lieber spricht man nach der Umsetzung hundertmal über Schuldzuweiseungen, als einmal einen Experten für 1 oder 2 Wochen herzugeben.

"Flache" Hierarchien sind nur mit fachlich qualifizierten und selbstverantwortlich denkenden Kollegen möglich. Das gilt noch mehr in Projekten mit vielen Externen. Projekte, in denen externe Berater und Dienstleister gegeneinander ankonkurrieren funktionieren nicht. Manager, die sich für "Strategen" halten, weil sie weder operativ noch fachlich etwas beitragen können, wirken bremsend und stiften Verwirrung. Hingegen Kollegen, die echte Expertise und Erfahrung beisteuern und mit Unsicherheiten und Unkenntnis offen umgehen, wirken beschleunigend, risikosenkend und qualitätstreibend.

Ich arbeite nun seit einem Jahr als Berater für Anforderungsmanagement in einer Bundesbehörde und kann nur ein ernüchterndes Fazit ziehen: Mir ist sonnenklar, warum in der Verwaltung IT-Projekte grandios scheitern.

Woher stammen unsere Spiegelneuronen?

Empathie ist nicht Mitleid

Unsere Empathiefähigkeit führen Gehirnforscher auf die sog. Spiegelneuronen zurück, und damit auf eine angeborene Fähigkeit. Lange galt Empathie als erlernbare Kompetenz, weil offensichtlich sehr viele Menschen ohne sie zurecht kommen. In der dargestellten Öffentlichkeit und Politik gilt Empathie, bzw. Mitleid, als höchste Tugend. Und da beginnt das Missverständnis..
Denn Forscher sagen, dass jeder -auch Soziopathen- empathisch sind, aber andere Schlüsse aus ihrer Erkenntnis ziehen als Menschen, die Mitleid oder Mitfreude zeigen. Manche Menschen nutzen ihre empathischen Fähigkeiten, um aus erkanntem Leid einen Nutzen zu ziehen. Der Nutzen kann materiell sein, aber auch psychologisch. Die meisten Flüchtlingshelfer und sog. Seenotretter handeln demnach weniger aus Mitleid sondern für das persönliche Renommee, das sie aus ihren Aktionen glauben erwirtschaften zu können. Wäre Mitleid ihr Motiv, würden sie nicht so viel Getöse um ihre Aktionen machen. Ein anderes Motiv von Jugend rettet ist das Syndrom, das einige Kritiker des Roten Kreuzes als "Helfen ist Herrschen" bezeichnen.

Zurück zur Naturwissenschaft.

Evolution

Man könnte fragen, worin der Nutzen von Empathie in der Evolution gelegen haben mag. Eine Antwort könnte sein, dass Empathie die Überlebensfähigkeit von Menschen (und Primaten) erhöhte und die Grundlage für Gruppenarbeit gewesen ist.

Da sich evolutionäre Entwicklung aber immer -wie Hoimar von Ditfurth sagte- an der "Kontur" einer Spezies entwickelt, könnte man fragen, aus welcher vorher bereits dagewesenen Kontur sich Empathie entwickelt hat.

Innere Modellbildung

Meine Theorie ist, dass sich Spiegelneuronen aus der "inneren Modellbildung" der Welt entwickelt haben könnte. Wir nehmen die Welt ja nicht nur einfach wahr, sondern wir deuten sie. Was wir sehen, hören, riechen ordnen wir hinterlegten Mustern zu um zu erkennen, was es ist. Hierzu brauchen wir einen Speicher und ein Deutungsmuster bzw. eine Begriffsbildung.

Der "nächste Schritt" (im wahrsten Sinne) kann die Modellbildung gewesen sein, die uns bei der Bewegung im Raum unterstützt. Wenn wir gehen, bilden wir im Gehirn ein Modell vom Gehen nach, dass unserem realen Gehen etwas vorausberechnet und uns überhaupt erst ermöglicht, aufrecht zu gehen ohne dauernd zu fallen. Bewusst wird unsere Vorausberechnung z. B. wenn wir Stolpern, oder wenn wir auf eine Rolltreppe treten, die außer Betrieb ist. Unsere Augen sehen die Rolltreppe, unser Modell sagt, "bewegliche Treppe" und unser Modell ermöglicht uns eine Vorausberechnung für das Betreten einer Stufe in Bewegung.

Empathie

Empathie wäre dann die Hinzunahme von Beobachtungen anderer Personen und die Anwendung unserer inneren Modellbildung auf diese andere Person. Wenn sie sich z. B. nach einem Gegenstand streckt, an den sie nicht herankommt, visualisiert unser Gehirn eine Streckbewegung und gibt uns einen entsprechenden inneren Impuls. Und lässt uns am Ende eingreifen und versuchen, selbst an den Gegenstand heranzukommen.

Phantomschmerz

Ein weiterer Fall sind die sog. Phantomschmerzen. Hier bildet unser Gehirn ein Modell mit Gliedmaßen, die wir gar nicht mehr haben. Unsere Wahrnehmung von Realität bezieht sich also grundsätzlich auf Modelle. Und die Modelle können auf unseren eigenen Körper angewandt werden, aber im Prinzip auch auf andere.

Nostalgie

Mit einem ähnlichen Ansatz erkläre ich mir auch das Phänomen Nostalgie: Hier fasziniert uns die gespeicherte Wahrnehmung (oder ein Modell) unserer Vergangenheit. Liegt diese schon soweit zurück, dass sich unsere Zellen seitdem alle einmal runderneuert haben, waren es materiell gesehen, gar nicht wir, die diese Vergangenheit eingespeichert haben. Die Faszination, die Nostalgiker empfinden könnte also darauf beruhen, dass wir hier auf ein Gedächtnis zugreifen, dass sozusagen von unserem materiellen Vorgänger eingespeichert wurde. Darauf könnte diese eigenartige Gefühlsmischung aus Bekanntheit und Entdecken beruhen.

Montag, 18. September 2017

Nicolae Ceausescus letzte Rede - Ein "Buh"-Rufer war sein Ende...

Seele und Geist - Konstrukt und Illusion

In the order of appearance: Jorge Luis Borges, Richard Dawikins, Thomas Metzinger, Yuval Noah Harari  und auch (mit Einschränkung) Carlo Strenger- um nur einige zu nennen.

Sie alle analysierten unsere Vorstellungen von Geist und Seele und kamen zu dem Schluss: Da ist nichts. Da ist nicht nur nichts nachweisbar, da ist auch nichts zu postulieren.

Unser "ich" ist ein Konstrukt unseres Gehirns. Ein Modell von der Realität, in dem der Denkende selbst vorkommt. So entsteht die Illusion von Selbstbewusstsein. Viele Erfahrungen oder Beobachtungen, mit denen wir einen "begeisterten" Mensch postulieren, lässt sich ebenso für höher entwickelte (Säuge-)tiere postulieren. Den Strom der Erfahrung, Beobachtung, des Willens, des Strebens nach Vorteil.

Die Seele, die neben oder in unserem Geist wohnen soll und unsterblich sein soll, halten die Genannten auch für eine Illusion. Aber die meisten Menschen halten an ihr fest wie an einem letzten Strohhalm.

Die Konstruktion mehrerer Ichs (Schizophrenie) wird als Geisteskrankheit bezeichnet, oder als intellektuelle Leistung - je nach Blickwinkel. Aber warum soll dann nicht schon das erste Ich eine Konstruktionsleistung sein?

Die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit und der unserer nächsten Verwandten ist zunächst ein Schock. Nach dem Berappeln bewirkt sie plötzlich Freiheitsgefühle. Alles eine Stufe tiefer hängen, nichts ist so wichtig wie der momentane Genuss des Lebens selbst.

Warum nicht den Schritt weitergehen und anerkennen: Da ist auch kein "Ich"? Die relativierende Wirkung dieser Erkenntnis halte ich für genau so befreiend wie die der eigenen Sterblichkeit. Da ist kein "ich" das unbedingt nach optimiertem Glück streben muss und ständig Angst haben muss, eine Optimierung zu verpassen. Da ist auch kein "ich", dass mit Niederlagen fertig werden muss. Schmerz ist schlimm, ja. Verlust ist schlimm. Aber das ich das so denkt ist ein Konstrukt. Und die Seele, die dieses Konstrukt heilig spricht, ist eine Illusion.

Freitag, 15. September 2017

Entwurf eines einfachen Lebensprinzips

Wenn du es ganz genau wissen willst, musst du den langen Weg akzeptieren und am Ende dieses Weges dich selbst opfern. Nein, ich spreche nicht von investigativem Journalismus, sondern von der Cassini-Sonde, die sich heute in den Saturn stürzen wird.


Ich bin in der hohen Zeit der NASA geboren, habe als Kind Fernsehsendungen über den Weltraum süchtig inhaliert und alle Was-ist-Was-Bücher darüber verschlungen. Später faszinierte mich "Unser Kosmos" von Carl Sagan und ich konnte neue Episoden von "Aus Forschung und Technik" mit Joachim Bublath oder "Querschnitte" von Hoimar von Ditfurth kaum erwarten.

Dekaden später rätseln Physiker darüber, was ihnen die Ergebnisse der Teilchenkollisionen des CERN sagen sollen. Oder welche Fragen sie stellen müssen.

Mich interessiert derzeit am meisten, wie man von Ditfurths alten Gedanken weiter spinnen müsste, nachdem es keinen scharfen Übergang von anorganischer zu organischer Chemie und Biologie gibt.

Man kann sich schnell etwa folgende "Architekturschichten" zurecht legen:

1. Atomare Schicht
Unsere Sonne und andere Sterne sind die Brüter neuer Elemente. Allein von der Fusion von Wasserstoff zu Helium kann ein Planetensystem solange leben, dass sich auf mindestens einem Planeten Leben entwickelt.
Die Fusion zu neuen Elementen kann man bis zu so großen Kernladungszahlen weitertreiben, dass die Atomare latent instabil werden.

2. Chemische Ebene
Etliche Elemente lassen sich zu neuen, stabilen Molekülen kombinieren. Diese wirken auf uns wie eigene Elemente. Einige Elemente, wie z. B. Kohlenstoff, sind so kombinationsfreudig, dass man fast endlose Molekülketten mit ihnen bauen kann. Und die Natur dieser Kombinationen bringt es mit sich, dass sich einige Molekülbildungen irgendwann selbst in Gang setzen und Kopien von sich bilden. Hier sind wir wiederum an der Schwelle zu einer neuen "Architekturschicht".

3. Organische Ebene
Den Prozess der Molekülumwandlung zum Zwecke der Aufrechterhaltung einer Reproduktion einer Kern-Molekülkette (sehr vereinfacht gesagt), bezeichnen wir als Stoffwechsel. Manche bezeichnen diese Stufe als erste organische Stufe. Sie bewirkt die nachhaltige Erhaltung von Informationen in Form von Molekülen. Das interessante daran ist aus meiner Sicht, dass es chemische Kräfte und Prinzipien sind, die einen Prozess in Gang setzen, den wir als Reproduktion von Information interpretieren. Dieser Prozess braucht einen geschützten Raum und etwas Infrastruktur und schon befinden wir uns in einer Zelle. Ab hier interpretieren wir nicht mehr anorganisch sondern organisch oder bereits biologisch.

Mit dieser "Architektur" schafft die Natur eine Struktur, die Informationen über sehr lange Zeiträume Informationen speichern kann. Aber ist "Information" nicht ein subjektiver Begriff und benötigt etwas oder jemanden, der dies als Information interpretieren kann?

Die Reproduktion der Zellen durch Teilung verläuft nach den gleichen chemischen Gesetzen wie ein energetischer Stoffwechsel. Sie erfordert kein Bewusstsein, keinen "Überlebenswillen" und doch läuft sie ab, wie ein Kampf ums Dasein in Konkurrenz zu anderen Zellen, die die gleichen Rohstoffe verwerten, um die eigene Zellteilung voran treiben zu können. Es läuft also ein chemischer Prozess ab, denn wir von außen als "Verhalten" interpretieren.

4. Biologische Ebene
Noch interessanter wird es, wenn sich Zellen kombinieren (wie zuvor Atome zu Moleküle) um etwas auf der nächst höheren Ebene zu schaffen: Lebewesen.
In dem Versuch und Irrtum-Spiel Evolution werden die Reproduktionsprozesse fortgesetzt, die von den Umweltbedingungen nicht torpediert werden. Die Kombination von Zellen zum Zwecke einer Arbeitsteilung von Spezialisten gehört dazu. Und so entstehen Pflanzen und Tiere. Einige Biologen sagen: Es ist nicht so, dass Lebewesen Gene haben. Sondern die Gene haben die Lebewesen als Überlebensmaschine.

5. Bewusstseinsebene
Die Evolution bringt Sensoren, Aktoren und Gehirne Auswerte- und Steuerungseinheiten hervor. Die nächste "Architekturebene" wird durch die Erfindung des Bewusstseins definiert. Das Gehirn ist fähig, Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft zu entwickeln. Wenn ein Affe eine Banane sieht, entwickelt er eine Vorstellung davon, wie es wäre, die Banane zu haben und zu fressen. Selbstbewusstsein entsteht, wenn das denkende Objekt in dieser Vorstellung selbst enthalten ist. Ab hier gibt es ein Modell vom "Ich". Und ab hier sieht sich der Mensch heraus gehoben vom Rest der Natur und erfindet den "Humanismus", Menschenrechte und was er sonst noch alles als Ethik und Moral bezeichnet und zur Grundlage seiner Machtansprüche macht.

Religion lebt vom Mysterium des "ich". Es interpretiert das "ich" als Seele und löst es von der Biologie. Die Seele als geistiges Pendant zum Körperlichen und als Adressat des Göttlichen.

Weil der Mensch sein "ich" zwar empfindet, ihm aber nicht auf den Grund gehen kann, erfindet er Götter, um sich das Unerklärliche zu erklären. Im weiteren Verlauf der Geschichte holt er die Götter vom Himmel auf die Erde und abstrahiert sie zu Gesetzen. Der momentane Stand dieser Gesetze sind die "Menschenrechte", die von "unveräußerlichen" Menschenrechten handeln. 

Zur Abwehr totalitärer Machtansprüche kranker Gehirne finde ich das vertretbar. Allerdings argumentieren längst auch kranke Gehirne mit den Menschenrechten.

Zur Aufklärung der Frage, was der Mensch ist, leisten sie aber wenig. Eher blenden sie uns und halten uns von mutigen neuen Gedanken ab. 

Die These, die ich in den Raum werfen will lautet: Kommen wir der Wahrheit nicht näher, wenn wir uns -als Gattung Mensch- vom Sockel herunter holen und uns als Überlebensmaschinen unserer Gene betrachten?

Wenn wir unsere Optimierungsansprüche aufgeben, unsere Ängste, irgendwo gerade etwas zu verpassen, unsere Ängste vor allen, die sich unseren anthropozentrischen Absolutheitsansprüchen ("Klimarettung", Weltenretter etc.) nicht beugen?
Wenn wir uns einfach als Exemplare einer DNA betrachten, die es vor ihrer Geburt nicht gab und nach ihrem Tod nicht mehr geben wird? Die sich einfach des Lebens erfreuen und aufhören ihre Nachbarn zu tyrannisieren?

Als tyrannisch empfinde ich nicht nur die Kim Jong-uns, sondern auch all die moralischen Tyrannen, die uns allabendlich befehlen wollen, was wir zu tun haben (und sich selbst von ihren moralischen Regeln geflissentlich ausklammern).

Nehmt das Leben einfach leichter und lasst alle(s) gelten, was euch gelten lässt. Und wehr Euch gegen die, die Euch einschränken wollen.

Montag, 11. September 2017

Wolfgang Merkel über die moralische Überheblichkeit der Eliten

Diese Radiosendung kann ich weiterempfehlen. Jürgen Wiebicke hatte Wolfgang Merkel vom WZB (Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin) zu Gast. Bitte weiterlesen, auch wenn die Reizworte "Sozial" und "Berlin" darin vorkommen. Jürgen Wiebicke tickt zwar erklärtermaßen auch eher links, will es von der anderen Seite aber wirklich wissen. Deshalb wird in seinen Sendungen offen diskutiert.

Die Stärke von Wolfgang Merkels These ist m. E., dass sie einen unausgesprochenen (weil zensierten) Antagonismus endlich auf den Punkt bringt. Die Frontlinie des unterdrückten öffentlichen Diskurses verläuft zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen. Letzteren Begriff hatte ich öfter gehört, aber nie weiter verfolgt - Merkel hat ihn erklärt.

Kosmopoliten:
- Gut ausgebildet, weit gereist - sich auf beides etwas einbildend.
- Identifizierung über Distinktion von den Identitäten der unteren Schichten: Nation, Kultur.
- Sich den alten Ideologien überlegen gebend.
- Moral als neue Ideologie - Merkel: "Nicht selten eine doppelbödige Moral".
- Nach außen: "No nations, no borders". Privat die eigenen Kinder auf der Privatschule anmeldend.

Kommunitaristen:
- Pragmatischer Politikansatz: Mich interessiert nur, was mich (meine Kommune) betrifft.
- Identifizierung durch Bewusstsein des Unterschiedes zwischen sich selbst und anderen.
- Das eigene Leben selbst in die Hand nehmend, allerdings mit der Betonung auf der Verantwortung für eigene Gruppe. (Die Abgrenzung vom Liberalismus verläuft also an der Grenze, für den der Einzelne primär Verantwortung hat.)

Wolfgang Merkel selbst findet sich in beiden Ansätzen wieder, kritisiert aber vor allem die überhebliche Abgrenzung der Kosmopoliten von den Andersdenkenden - ein in sich widersprüchliches Verhalten, was denen aber nicht auffällt. Indem Sozialdemokraten die Sorgen von Arbeitern und Angestellten ignorierten oder verhöhnten öffneten sie die Türen für Protestbewegungen und -parteien.
Als Liberaler schaut man sich beide an und sagt: Es gibt keine Gesellschaft, auch keine Kommune. Es gibt Individuen und Familie - and that's it (Margaret Thatcher). Mir gefällt an dem Diskurs nur die Klärung der Position, von der aus die frühere Mitte der Bundesrepublik die heutige "Weltelite" kritisiert.

Tiefer will ich nicht gehen. Ich nehme das als Ausgangspunkt künftiger Diskussionen über das vermeintlich "Unaussprechliche" mit. Wer mir mit "Rechtspopulismus" kommt, den hole ich vom Ross.

Link zur Sendung "Radio Philo": WDR
Link zu Wolfgang Merkel: WBZ