Ihre Selbstsicherheit konnten sie nur aus ihrer Unwissenheit beziehen.Franz Kafka, "Der Process"
In der Beziehung Kunde - Berater/Fachmann gibt es ein Paradoxon, das fast immer zu Konflikten führt. Der selbstsichere, Führungsstärke ausstrahlende Anbieter bekommt den Auftrag. Später entpuppt sich diese Stärke als Schwäche und sogar als Hindernis.
Der in der Ausschreibungsphase stark Auftretende vermittelt, dass er sein Metier versteht, sein Kunde also kein Risiko eingeht. Er vermittelt Selbstsicherheit, wird sich also auch gegen andere Mitspieler, wie Lieferanten oder andere Spezialisten durchsetzen können, wenn das Projekt unübersichtlich werden sollte.
Nach der Beauftragung legt er schon bald einen Plan fürs Projekt vor. Und verkündet, wen und was er dafür braucht. Führungsstärke, Sicherheit. Dann kommt die erste Bodenwelle. Der Kunde erinnert seinen Dienstleister an die Besonderheiten, die er in der Ausschreibung genannt und im Gespräch wiederholt hatte. Und damit bringt er den selbstischeren Dienstleister von seinem geplanten Weg ab. Das will dieser nicht und versucht er zu vermeiden: "Das geht nicht." Er sieht seine Planung, sein Budget, seinen Zeitplan in Frage gestellt. Und er weiß vor allem noch nicht die Methode wie er bei diesem für ihn unbekannten Ziel landen soll.
Genau diese Kompetenz aber, Führung durch ein noch unbekanntes Gelände, suchen viele Kunden. Einen Partner, der ihnen zuhört, ihre Wünsche versteht und auf Machbarkeit prüft, unter Aufbietung all seiner -möglichst mannigfaltigen- Erfahrung.
Handwerker z.B. sind ein sehr konservatives Metier. Gegen sie haben kreative Architekten, Ausstatter, Designer auf der Baustelle selten eine Chance. Der Handwerker scheut den Umgang mit unbekannten Mitteln und lehnt sie ab. In der ersten Welle des Internet war es ähnlich. Viele gute und keinesfalls unrealistische Ideen wurden nicht umgesetzt, weil sie für SAP-Berater, Middlewarehandwerker und ihre Sponsoren in den IT-Abteilungen das Risiko des Unbekannten bargen: "Das ist unrealistisch."
Diese Dienstleister sind sicher, aber nur auf ihrem schmalen, ausgetrampelten Pfad. Sie sind auch nicht kundenorientiert. Spätestens im dritten Kundengespräch entpuppt sich ihre "Selbstsicherheit" als Sturheit. Sie "korrigieren" Aussagen des Kunden, wenn diese nicht in das Schema des standardisierten Dienstleisters passen. Sie vergessen ganz und gar den Charakter der entstandenen Beziehung: Kunde und Auftragnehmer.
Der Unterschied zwischen Beraten und Dienstleisten ist die Unklarheit des Lösungsweges, manchmal sogar der Aufgabenstellung zu Beginn des Projektes. Der Berater legt Wert auf die Analyse und sagt zu, eine Lösung zu suchen, sobald die Aufgabenstellung klar ist. Der Dienstleister erwartet eine klare Aufgabenstellung. Der Berater muss sicher in der Beziehung sein. Ihm ist klar, dass bereits die Klärung der Aufgabenstellung eine Leistung ist. (Diesen Typus gibt es auch unter Dienstleistern, Handwerkern, Werkstätten, aber eher selten. Findet man einen solchen, ist er Gold wert. Übrigens kommen immer mehr Baumärkte auf die Idee über Video handwerkliche Anleitungen zu ihren Produkten anzubieten..)
Im Unterschied zum Berater legt sich der Experte die Aufgabenstellung so zurecht, dass sie in sein Erfahrungsschema passt. Was seine Erfahrungen angeht, sucht er immer nur mehr vom Gleichen. Das ist seine Art, dem Kunden Sicherheit zu vermitteln: Durch Unflexibilität. Weicht der Kunde davon ab, verunsichert er den Experten. Den empfundenen Druck versucht dieser mit Gegendruck abzuwehren: "Dann ist Ihr Termin gefährdet. Sie sind der Erste, der das so haben will. So sind wir alle nicht eingespielt. Am besten kaufen Sie bei meinem langjährigen Partner etwas aus dem Katalog, dann sind wir morgen fertig." Im schlimmsten Fall versucht der Experte, wenn er sich in Frage gestellt fühlt, seinen Kunden mit Fachwissen auszustechen, am besten noch vor anderen Projektteilnehmern, um deren Zustimmung einzuholen und sich endlich wieder stark zu fühlen.
Worauf ich hinaus will: Bei komplexen Projekten, in denen mehrere völlig unterschiedliche Kompetenzen zusammen spielen müssen, um herauszufinden, ob und wie nah an den Kundenvorstellungen man ein Projekt umsetzen kann, ist auffällige Selbstsicherheit zu Beginn ein Indiz für mangelnde Flexibilität und unter Stress vielleicht sogar auch für mangelnden Respekt (weil die Art der Beziehung vergessen wird) - im schlimmsten Fall muss man unterwegs diesen Experten gegen einen anderen auswechseln. Wer nur mit seinen Wettbewerbern gleichziehen will, braucht nur den Standardexperten. Wer sich differenzieren will, braucht einen guten Berater, der bei Bedarf einen Satz unterschiedlicher, aber guter Experten kennt. Zu erkennen am Feedback zur Aufgabenstellung und dem Fokus auf einer Vorgehensweise, in der man zwischendurch entscheiden kann, wie es weitergeht und ob es überhaupt weitergeht.
Für den Berater hingegen ist ein neues Projekt auch immer eine psychologische Hürde. In dem Sinne, dass man in der Frühphase, in der sich seine Beziehung zum Kunden erst bilden muss, gerne nur gute Nachrichten bringt. Er verwöhnt seinen Kunden damit allerdings. Es ist eine Hürde, erkannte Probleme sofort zu artikulieren. Aber das muss er tun, sofort nach der ersten Bodenwelle, die ihm die erste positive Annahme in Frage stellt.
Diese sehr stimmige und hilreiche Betrachtung sollte man eigentlich all denen, die ein Projekt durchführen (lassen) wollen, zur Pflichtlektüre machen. Sie beschreibt die Realität - die Folgerungen muß jeder für sich selbst daraus ziehen.
AntwortenLöschenIn der Praxis: Bei Projekten wird viel, viel Geld versemmelt, weil sich die Auftraggeber (die oft uneinig und sich über die Ziele nicht im Klaren sind) für Kompromislösungen entscheiden, dann aber das Projekt einfach laufen lassen, "es wird schon was dabei herauskommen". Projektleitern und Beratern wird meist zu wenig auf die Finger geschaut, und sie werden zu selten rausgeworfen, was bei mangelnder Leistung natürlich immer möglich ist, auch im öffentlichen Bereich.