Dienstag, 16. Juni 2020

Der deutsche Untertan - lebendiger denn je

Was Heinrich Mann in seinem "Untertan" beschrieben hat, ist auch heute noch gültig. Die Leute laufen lediglich keinem Kaiser Wilhelm mehr nach sondern einer Wilhelmine. Und an ihren inneren Einstellungen hat sich "nascht" geändert.

Wir erleben online, in der Nachbarschaft, auf der Arbeit, ja selbst im engsten Kreis der Vertrauten Untertanentum. Man gibt sich konform, will aber nicht als konformistisch gelten. Man deutet an, regt sich über die gleichen Dinge auf wie die mutigen "Abweichler", will aber selbst mal nichts sagen, weil man ja nichts riskieren will. Schon gar keinen Vergleich mit der unaussprechlichen Partei. Denn selbst das Richtige wird ja heute falsch, wenn es von den Falschen gesagt wird. Besser wäre es, wenn andere etwas sagen würden. Unterschiede gibt es bei den Untertanen allerdings in der Frage ob man seine Interessen überhaupt noch vertritt.

Die eher Bildungsfernen zitieren getreu ihre Moderatoren aus den Öffentlich-Rechtlichen. Sie denken nicht selbst, und zwar mit Verweis auf ihre fehlende Bildung. Es fällt ihnen z. B. überhaupt nicht auf, dass sie zwar bestens über Afrika, farbige US-Amerikaner und Syrer Bescheid wissen, aber selbst in den Nachrichten gar nicht mehr vorkommen. Wann haben sie z. B. das letzte Mal die Worte "Steuersenkung" oder "Schulsanierung" gehört? Dahinter verbirgt sich manchmal tatsächlich fehlendes Denkvermögen, oft aber auch nur Denkfaulheit. Da sich beides aber nicht gut macht, fehlt es dann auch nicht an Angriffen auf diejenigen, die noch selber denken: "... Und Du glaubst, Du weißt es besser?".

In den gebildeten Schichten achtet man auf seine Interessen, aber nicht offen. Gleichwohl sähe man seine Interessen gerne vertreten. Allein, die offene Diskussion liegt ihnen nicht. Man macht sich da angreifbar. Denn man weiß ja nicht, wie die Mehrheit denkt. Und selbst wenn man es wüsste, weiß man dann noch lange nicht, was sie davon auszusprechen wagt. Das habe ich x-mal erlebt in Eigentümerversammlungen, Parteiversammlungen etc. Am liebsten ist es, wenn einer in der Runde das Wort ergreift und vehement Position bezieht. Oft genug denkt dann der Untertan: "Wie praktisch, dass der für mich kämpft." Erntet der Protagonist dann Widerspruch, reizt das dessen Kampflust manchmal nur noch mehr. Macht er dann den Fehler, über irgendwelche gespannten Schnüre der politischen Korrektheit zu stolpern, fällt er hin und ist draußen. Denn im Untertan schlummert auch der Verräter. Dann lächeln die Untertanen über den gestolperten Vorkämpfer einmal schief, heben die Untertanen seine Argumente auf, verpacken sie in milde Worte und machen weiter. Die Tür ist dann schon aufgebrochen, sie brauchen nur noch hindurch zu gehen. Sie bekommen dann das Ansehen, was eigentlich dem Widerständler zugestanden hätte. Der Vorkämpfer taucht nicht mal im Protokoll auf.

Auch das habe ich etliche Male erlebt und beobachtet. Im eigenen Kreis wie im Großen (Angela Merkel und Guido Westerwelle waren hier prominente Beispiele).

So haben wir in Eigentümerversammlungen schon Schadensersatzansprüche erstritten, Projekte angeschoben und Rechnungskorrekturen durchgesetzt. Jedesmal waren dafür Mut bei der Führung der "Anklage" und Tatkraft bei der Umsetzung erforderlich. Jedesmal kam von den Untertanen Kritik "an Ihrer Wortwahl" und niemals kam ein Dank. Nie äußerte jemand in der Sitzung Widerspruch an. Man kam lieber nach der Sitzung mit inoffiziellen Änderungsanträgen und versuchte, nachträglich ohne Protokoll etwas hin zu mauscheln. Wenn wir das dann ablehnten, endete es im Krach.

Ganz aktuell erlebe ich es im Beruf mit der Meldung für eine vakante Funktion. Diese Funktion wird seit Jahren nicht gelebt und meine Peers und ich leiden darunter. Ich beschrieb, was wir eigentlich bräuchten und wie es gestaltet werden könne. Neulich kam in einer Konferenzschaltung die Nachricht, die Funktion sei nun offiziell zu besetzen. Ich wartete zunächst ab, ob sich einer von den Erfahrenen in dem Metier meldete. Als sich keiner meldete hob ich die Hand. Mit einigen Einschränkungen sagte ich, was ich dazu einbringen könnte. Der Moderator war froh und wir verabredeten einen Nachfolgetermin.

Nach der Sitzung meldeten sich noch ein Interessent beim Moderator und ein Peer meldete sich direkt bei mir: "Wieso machst DU das..?" Der andere schweigsame Interessent meldete sich nach der Konferenz, weil er "erst mal hören wollte, was da so dran hängt." Damit wieder das typische Muster: Selbst etwas tun will keiner. Die etwas tun wollen, müssen sich rechtfertigen...

In der Nachbarschaft erlebe und beobachte ich es auch. Da ist z. B. der neu angelegte Park mit den neuen, teuren Eigentumswohnungen. Dort wohnt eine Klientel, die gerne als erfolgreich und konform -grün angesehen werden will. Als sie in den vergangenen Wochen mehrmals abends von der grünen Jugend in Massen heimgesucht wurde und mit Lärm, Müll und Unrat belästigt wurden, da war jeder von ihnen damit unzufrieden. Doch niemand ergriff offensiv das Wort für sein Interesse, nachts ruhig schlafen zu können und die Parkordnung durchgesetzt zu wissen. Aber hey, wie spießig wäre es, damit in der Öffentlichkeit zu stehen? Was tut ein Untertan also: Er fängt im Social Web Nebenan.de eine Diskussion an mit der Frage: "Was sagen Sie denn dazu?" Und zwar ohne gleichzeitig selbst Position zu beziehen. Das kenne ich auch aus dem Treppenhaus und vom Flur: "Schon gehört?.. Was sagen Sie denn dazu..?" Wenn ich dann zurückfrage. "Was sagen SIE denn dazu?" kommt die Antwort: "Ich habe Sie doch zuerst gefragt."...

Was sind die tieferen Gründe für diese Mentalität? Aus meiner Sicht ist es Konformismus. Das egoistische Drängen nach exklusiven Vorteilen ohne Leistung und ohne das Risiko eines Ansehensverlustes. Faulheit steckt da natürlich auch mit drin. Aber auch eine gehörige Portion Kaltschnäuzigkeit. Solange es nicht sichtbar wird, sind diese Untertanen zu erheblichen Schandtaten bereit. Es ist aber auch ein Intelligenzmangel. Wenn ich nämlich die Leute beschreiben würde, die in der Welt ihre Interessen immer offen, begründet und wehrhaft vertreten, dann sind es immer schlaue und/oder kluge Leute. Leute, die die Werte von Freiheit und Müdigkeit vertreten. Die das Plenum als Markt ansehen, auf dem man gute Argumente vorbringen muss, um Akzeptanz und Unterstützung zu bekommen. Das sind aber Eigenschaften, die in Deutschland unterdurchschnittlich vertreten sind.

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