Montag, 28. September 2020

30 Jahre nach den Attentaten auf Lafontaine und Schäuble

 Bei "verwirrt" denken Sie sofort an islamistische Attentäter, richtig? Und danach an das, was die Diagnose "Verwirrung" juristisch bezweckt: "Schuldunfähigkeit". Richtig?

Richtig. Aber dieser Ermittlungs- und Prozessverlauf ist keine Erfindung der Merkelregierung, die mit diesen Diagnosen den islamistischen Terrorismus in Deutschland zu entpolitisieren versucht.

Vor dreißig Jahren schlugen "geistig verwirrte Einzeltäter" gleich zweimal zu: Die Krankenschwester Adelheid Streidel stach auf den SPD Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine ein. Und der verwirrte Dieter Kaufmann schoss mit der Jagwaffe seines Vaters auf Wolfgang Schäuble.

Zwischen den Attentaten lag nur ein halbes Jahr. Es waren bis dato und auch danach die einzigen Attentate dieser Art auf Spitzenpolitiker. 1990 wurde das Jahr der Wiedervereinigung - für die meisten DDR Bürger ein Gewinn, für DDR Funktionäre aber eher existenzbedrohend. Beide Täter "verwirrt", in ihrer Tatabsicht nicht hundertprozentig erfolgreich. Beide wurden am Tatort gefasst. Beide galten nach Gutachten als schuldunfähig. 

Interessant auch heute noch die Geschichten, die die Täter zu Protokoll gaben: Adelheid S. sprach von geheimen unterirdischen Welten, Dieter K. von elektrischen Folterwellen.

Beide Fälle regten die deutsche Öffentlichkeit eine Weile auf, dann galt das Thema als erschöpft. Denn beide Taten waren ja aufgeklärt. 

Andererseits weiß man heute dass gerade labile, verschuldete, aber gleichzeitig politisch interessierte und für öffentlichkeitswirksame Taten motiviertere Typen zum Beuteschema deutscher Geheimdienste (West und Ost) zählten und zählen. Die Enthüllungen um den "NSU" und die frühe RAF belegten das mehrfach.

Die Eskalation der 68er Jahre ist in entscheidenden Momenten immer wieder auf Eingriff der Stasi zurückzuführen: Die Brandstiftung bei Springer, die Ermordung Benno Ohnesorgs waren Werke von V-Leuten (West und Ost). Und in die Ermordung Sigfried Bubacks war doch der deutsche Verfassungsschutz verwickelt. wie manche aus der ominösen Rolle Verena Beckers ableiten.

Doch findet man nur wenige öffentlich recherchierbare Indizien, dass sich hinter den Attentaten auf Lafontaine und Schäuble mehr verbergen könnte. Schäuble immerhin kannte sein Opfer. Er hatte es selbst aus spanischer Haft nach Hause in deutsche Haft geholt. Schäuble kannte Kaufmanns Vater, einen ehemaligen Bürgermeiste im Schwäbischen. Dieter Kaufmann hätte also Grund zur Dankbarkeit gegenüber Schäuble gehabt. Wie also kam er auf die Idee, der deutsche Staat foltere ihn mit elektrischen Wellen? Erhob er diesen Vorwurf auch gegen die spanischen Behörden? 

Und wer gab Adelheid Streidel den entscheidenden Tipp, wie man die Bodyguards bei Wahlkampfauftritten am besten überwindet (indem man sich schnurstracks einem Kamerateam anschließt)? Oder kommt man da selbst durch vorherige Beobachtung drauf?

Beide Attentate wurden hinsichtlich dramaturgischer Spannung zeitlich eingerahmt durch die Ermordungen Alfred Herrhausen und Detlev Rohwedder. Das eine ein "Hitch-Attentat" (wie es zwei Autoren des WDR Monitor nannten, weil die Zündung durch das Durchfahren einer Lichtschranke ausgelöst wurde), das andere ein Insiderwissen (der Schuss erfolgte durch eines der Fenster in Rohrwedders Villa, das nicht schusssicher war). In ihrem Buch "Das RAF Phantom" spekulierten die Monitorjournalisten schon früh darüber, dass die RAF -wenn sie es war, wenn es sie noch gab- Hintermänner gehabt haben musste.

Dass die RAF in beiden Fällen von der Stasi unterstützt wurde, würde ich als fast gesichert annehmen. In einem Fall war es dann eher materielle Hilfe, im anderen Fall zusätzlich Insiderwissen, wie es durch Spitzel beschafft wird.

Ob hinter den Attentaten auf Lafontaine und Schäuble nicht mehr steckt, ist nie wirklich recherchiert worden.

1 Kommentar:

  1. Man führt auch heute nur dann intensive, oft propagandistisch ausgeschlachtete und quälend lang andauernde Untersuchungen durch, wenn ein politisches Interesse besteht, wenn es irgendwie den "Falschen" erwischt hat. Die frühere Stasi-Unterstützung gibt es m.E. weiter, entweder durch die offensichtlich noch frei agierenden Kader oder aber Behörden wie den Verfassungsschutz, der seine Leute mit strikter Agenda irgendwo einschleust bzw. Auftragstaten "vollbringen" läßt, die dann einem Dritten umgehängt werden. Nicht zu vergessen ist auch die zumindest teilweise steuerfinanzierte Antifa. Zusätzlich funktioniert das Zusammenspiel der Exekutive mit der Legislative bestens, zur Not "stirbt" auch mal ein Richter völlig überraschend (s. z.B. Kirsten Heisig). Gesetzliche Regelungen bleiben da ganz locker auf der Strecke, gern ändert man auch mal schnell das Grundgesetz.

    Man erinnere sich beispielsweise an den NSU-Prozeß mit seinen (offiziell nicht existierenden) Ungereimtheiten oder lese einfach mal Wolfgang Schorlaus "Die schützende Hand".

    AntwortenLöschen