Montag, 25. April 2022

Von Rapallo bis zur NATO: Deutschland in der Zwickmühle

Erst jetzt, da uns das NATO Prinzip der kollektiven Sicherheit in die Handlungsunfähigkeit geführt hat, stutzen  viele zum ersten mal. Was ist das für ein Prinzip, dass uns die Füße still halten lässt, wenn der große Widersacher einen Staat in der Mitte angreift?

"Wir wollen einen dritten Weltkrieg, der zu einem Atomkrieg führen könnte, verhindern." sagt Bundeskanzler Scholz. Aber genau das könnte man bei jedem Angriff auf ein NATO-Mitglied sagen, wenn dann jemand den Artikel 5 ziehen will. Ginge dann auch die Diskussion erst los, ob man eine Eskalation will? Der Artikel 5 ist weicher als viele glauben (Hervorhebungen von mir):

Article 5

The Parties agree that an armed attack against one or more of them in Europe or North America shall be considered an attack against them all and consequently they agree that, if such an armed attack occurs, each of them, in exercise of the right of individual or collective self-defence recognised by Article 51 of the Charter of the United Nations, will assist the Party or Parties so attacked by taking forthwith, individually and in concert with the other Parties, such action as it deems necessary, including the use of armed force, to restore and maintain the security of the North Atlantic area.

Any such armed attack and all measures taken as a result thereof shall immediately be reported to the Security Council. Such measures shall be terminated when the Security Council has taken the measures necessary to restore and maintain international peace and security .

Quelle: NATO

Womöglich kennt Putin die Buchstaben des NATO-Vertrages besser als die Young Leaders des WEF, die es in Ministerämter geschafft haben (wobei "geschafft haben" eine freundliche Umschreibung ist).

Kurzum: Die NATO tut so, als würde sie der Ukraine gerne helfen, nutzt die Gelegenheit aber um einem der drei Supermächte wirtschaftlich so richtig einen mitzugeben. Und natürlich auch, um den eigenen Wehrtechnikherstellern einen kräftigen Schluck aus der Pulle zu gönnen. Aber eine funktionierende Sicherheitsstrategie für Europa haben wir nicht. Und aus deutsche Sicht ergänze ich steil: Hatten wir auch nie:

Was wir immer für die Stabilität des kalten Krieges hielten, das "Gleichgewicht des Schreckens" galt nicht für die Puffer- und Frontstaaten des kalten Krieges. Das folgt aus der Clausewitz'schen Erkenntnis, das Raum und Zeit zu den wichtigsten Ressourcen eines Krieges gehören. Die Flugzeiten der Atomraketen waren es, die den Atommächten in sicherem Abstand die Sicherheit verschafften, auf einen Angriff noch reagieren zu können. Diese Minuten hatten und haben geostrategische Bedeutung. Diese Minuten lassen Frontstaaten drauf gehen und Mächte auf anderen Kontinenten überleben. 

Die Sowjets waren mit ihren Kurzstreckenraketen gegen die Bundesrepublik erstschlagfähig. In dem Sinne, dass wir uns nicht hätten wehren können. Aber andere hätten unsere Vernichtung vergelten können. Das sollten wir als "Abschreckung" kaufen. Aber jetzt lernen wir gerade, wie abwägend sich Regierungen verhalten, wenn es ums Ganze geht. Auch ein Ronald Reagan oder Jimmy Carter hätte nach einem Erstschlag auf uns fragen können: "Sollen wir eine Eskalation bis zu Interkontinentalraketen riskieren, indem wir den Sowjets eine Antwort schicken?" Vielleicht wäre ein bürokratisches Gerangel losgegangen. Ein Abstimmungsmarathon, in dem Frankreich, in der 2. Reihe stehend, ein Veto eingelegt hätte?

Für uns Deutsche folgt daraus: Wir konnten und können uns kaum auf die NATO verlassen. Deshalb müssen wir besonders vorsichtig sein, wenn wir Teil eines großen Spiels werden - oder schon sind.

DAS ist, was mir wirklich Falten in die Stirn treibt. Zumal unsere eigene Wehrfähigkeit von Damen ruiniert wurde, die als Dank dafür Karriere in der Politik machten. Wir werden von der Leyen + Ruder, Kramp-Karrenbauer und Lambrecht natürlich als Rohrkrepiererinnen, als Versagerinnen, als Irrtümer. Aber ebenso gut könnte man sagen: Sie selbst haben den Schaden ja nicht gehabt.

Ostern 1922 überraschten Reichskanzler und Außenminister Rathenau die damaligen G7 Staaten bei ihren Verhandlungen über eine Lockerung der Restriktionen gegen Deutschland und Russland mit dem Rapallo-Vertrag. Beide verzichteten auf Sanktionen gegeneinander und befreiten sich aus den Boykotten der westlichen Kriegsgewinner. Deutschland lieferte der UdSSR die Technik, die es zur Ausbeutung und Verarbeitung seiner Ölvorkommen brauchte. Im Gegenzug bekam es Öl. 

Die Empörung des Westens (und der SPD) war groß. Riesengroß. Frankreich besetzte unter einem Vorwand das Ruhrgebiet. Im Juni des gleichen Jahres wurde Außenminister Rathenau auf der Fahrt ins Ministerium erschossen. Von zwei Typen, die später dem "rechten Lager" zugeschrieben wurden. 

Merke: Wenn Deutschland seine Rolle als Kanonenfutter gegen Sowjets/Russen ablehnt und stattdessen Verständigung mit Russland sucht, kommt es immer zum Moment der Wahrheit.

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