Donnerstag, 17. März 2011

Vorlesungsskripte zu Kernprozesstechnik I+II

Die Skripte zur Vorlesung "Kernprozesstechnik" von Prof. Schwarz, ehemals VEW, die ich 1994/95 gehört (und geprüft!) habe, gibt es im Internet zum Download: Link

Fukushima

Einer der Siedewasserreaktoren im Bau:




Schnittbilder:






Statusübersicht der Reaktoren mit Komponenten:




Quelle: IAEA-Präsentation (Link)

Prof. Roßnagel: Schwarzgelb hat eigenes Atomgesetz ausgehebelt

Interessantes Interview im Deutschlandradio mit Prof. Alexander Roßnagel, Uni Kassel (Link). Er klärt über die rechtlichen Zusammenhänge auf.

Keines der europäischen Atomkraftwerke verfügt über einen "Corecatcher", der eine Kernschmelze auffangen könnte. Deshalb seien die von Oettinger bzw. Merkel angekündigten Stresstests ein "Placebo".

Was Atomkraftwerke eigentlich brauchen:
- Einen externen Leitstand, der benutzbar ist, wenn der reaktornahe Leitstand nicht mehr benutzbar ist.
- Vorrichtungen, die auch bei Kernschmelzen, nach außen Sicherheit gewährleisten. Z.B. redundante Kühlsysteme und einen Corecatcher.

Rechtlich steht für ihn außer Frage, dass Merkels und Westerwelles Moratorium nicht rechtmäßig ist. 1994 verabschiedete die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung ein Gesetz, nachdem neue Atomkraftwerke nur genehmigungsfähig sind, wenn die Auswirkungen eines Unfalls in jedem Fall auf das Kraftwerksgelände begrenzt bleiben. 2010 verlängerte sie die Laufzeiten für Kraftwerke, die das Gesetz von 1994 eben nicht erfüllen. Bzw. ohne zu prüfen, ob sie es erfüllen. Die Laufzeitverlängerung war demnach gesetzeswidrig, bzw. im Widerspruch zu einem bestehenden Gesetz. Dagegen lässt sich klagen und das hat die Opposition ja auch angestrengt.

Deshalb sei das "Moratorium" ein nicht funktionierender Versuch, die unrechtmäßige Laufzeitverlängerung rückgängig zu machen. Man könnte ergänzen: um Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Die jetzt außer Betrieb gehenden Atomkraftwerke sind schon seit 1983 nicht mehr genehmigungsfähig.

Wenn ich es richtig verstehe, leitet sich das aus $7, Abs. 2, Punkt 3 des Atomgesetzes (Link) und der zur Umsetzung erlassenen Verfahrungsordnung (Link) ab:
(2) Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn
1.
keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Antragstellers und der für die Errichtung, Leitung und Beaufsichtigung des Betriebs der Anlage verantwortlichen Personen ergeben, und die für die Errichtung, Leitung und Beaufsichtigung des Betriebs der Anlage verantwortlichen Personen die hierfür erforderliche Fachkunde besitzen,
2.
gewährleistet ist, daß die bei dem Betrieb der Anlage sonst tätigen Personen die notwendigen Kenntnisse über einen sicheren Betrieb der Anlage, die möglichen Gefahren und die anzuwendenden Schutzmaßnahmen besitzen,
3.
die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen ist,

4.
die erforderliche Vorsorge für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen getroffen ist,
5.
der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist,
6.
überwiegende öffentliche Interessen, insbesondere im Hinblick auf die Umweltauswirkungen, der Wahl des Standorts der Anlage nicht entgegenstehen.


Wenn Merkel und Lindner diesen Zusammenhang nun als "spitzfinding" bezeichnen, zeigt das, wie wenig ernst sie unser Rechtswesen nehmen, wenn es drauf ankommt.

Quellen
Atomgesetz: Link
Verfahrensordnung: Link
Interview im Deutschlandradio: Link

Kraftwerk, "Radioaktivität"

Kraftwerk, auf dem Stand der 70er Jahre:

Mittwoch, 16. März 2011

Innenminister Zimmermann schließt eine Gefährdung aus

Bundesinnenminister Zimmermann am 29.04.1986 (Minute 3:33): Als gerade mal die ersten spärlichen Meldungen über einen Unfall in Tschernobyl bekannt waren, schloss er alles aus: Dass von Tschernobyl eine Gefährdung für die Bundesrepublik ausgehen könnte. Und dass es einen solchen Unfall auch bei uns geben könnte.

Wörtlich sagte er, eine Gefährdung gebe es nur im Umkreis von 30km um das Kraftwerk..

TÜV-Vertreter: "Cut - Wir hatten gesagt: Keine Nachfragen!"

Warum die TÜV Süd AG ein Interesse am Weiterbetrieb auch der ältesten Reaktoren hat: Den Kraftwerksbetreibern gehören 25,1% der Aktien, sie haben damit die Sperrminorität..

Was passiert mit der Kernschmelze?

In Fukushima dreht sich jetzt alles um die Frage: Wohin geht es mit der flüssigen Nachzerfallsmasse?

a) Gibt es ein Auffangbecken, dass die Masse jahrelang halten kann, bis sie so abgekühlt und ausgestrahlt ist, dass man sie weiterbehandeln kann?

b) Wie groß sind die Löcher im Reaktorkessel, wie stark kann also strahlende Materie durch Konvektion (Massentransport) in die Atmosphäre gelangen?

c) Kann man weitere Explosionen verhindern, die die strahlende Masse nach oben schleudern würden, wo dann die Windrichtung und die Luftdrucklage bestimmen, wer in welchen Dosen verstrahlt würde?

Jetzt hilft nur noch die Flucht #fukushima

Was in Fukushima im weiteren Verlauf passieren wird, ist absehbar. Nachdem wohl mehrere Reaktordruckbehälter beschädigt sind, wird die Radioaktivität der Nachzerfallsprodukte in die Atmosphäre gelangen. Jede weitere Explosion an einem defekten Reaktorbehälter wird mehr Radioaktivität hochschleudern. Und die Winde werden das in ihre Richtung tragen.

Wir haben Tschernobyl als weitflächige Verseuchung der Ukraine in Erinnerung. Doch in Japan wird sich die Seuche wohl mehr konzentrieren, aufgrund der Wetterlage, wenn ich das richtig verstanden habe. Die Menge an Radioaktivität, die übers Land verteilt werden kann, ist die Menge in den Reaktoren. Die kann sich entweder weit verteilen, mit entsprechend reduzierter Dosis pro Opfer. Oder sie verteilt sich nicht so weit und kommt in konzentrierter Dosis herunter.

Die Menschen sollten grösstmöglichen Abstand zu Fukushima suchen. Das habe ich schon am Wochenende gepostet. Jeden Meter, den man schon gewonnen hat, muss man sich nicht mehr auf der Autobahn erkämpfen. Und Jodtabletten einnehmen. (Aber wie soll man Jodtabletten besorgen, wenn man von der Regierung wird, zu Hause zu bleiben..?)

Uns stehen Bilder von Flüchtlingsströmen aus Tokio bevor. Nach der Schockstarre kommt die panikartige Flucht.

Prof. Jentsch: Erdbebenrisiko = Stärke mal Nähe

Im Dradio (Link) hat Prof. Gerhardt Jentsch folgenden wichtigen Hinweis gegeben: Bei der Bewertung von Erdbebenrisiken für einen Kraftwerksstandort muss man das Produkt aus Erdbebenstärke und -nähe heranziehen. Wir dürfen uns nicht von dem Argument irre führen lassen, dass es "bei uns nicht so starke Beben gibt wie in Japan." Sondern man müsse berücksichtigen, dass das Erdbebenzentrum sehr weit draußen vor Japans Küste statt fand, und die Erschütterungen vor Ort trotzdem stark genug waren, die Atomkraftwerke in Schnellabschaltung gehen zu lassen.

In Deutschland sei die Situation genau anders herum: Die Stärke zu erwartender Erdbeben sei eher schwach. Dafür stehen unsere Kraftwerke teilweise in unmittelbarer Nähe der zu erwartenden Epizentren. Die Erschütterungen am Kraftwerksstandort selbst muss deshalb nicht wesentlich geringer sein, als sie es an den Kraftwerksstandorten in Japan gewesen ist! Und für die zu erwartenden Erschütterungen im Erdbebenfall seien die deutschen Atomkraftwerke nicht ausgelegt.

Da sei der Hinweis erwähnt, dass der heutige Vorstand von RWE Kraftwerke, Dr. Jaeger mit seinen damaligen Kollegen das AKW Mülheim-Kärlich genau in so ein zu erwartendes Erdbebengebiet plante.

Prof. Gerhardt war übrigens auch in der Planungsgruppe der Bundesregierung zur Untersuchung geeigneter Standorte für die Endlagerung. Er sagt: Ihre Erkenntnisse über die geologischen Anforderungen an geeignete Endlager würden in unseren Nachbar- und anderen -ländern verwendet. Nur in Deutschland nicht.

Dienstag, 15. März 2011

Bundeskanzlerin Merkel zur Neubewertung der Kraftwerkssicherheit

Merkel: "Ich finde, an so einem Tag darf man nicht einfach sagen, unsere Kernkraftwerke sind sicher. Sie sind sicher."

Wie der Ausfall sieben deutscher AKWs kompensiert werden kann

Die Lobby der Atomwirtschaft, das frühere Atomforum, hat heute eine Pressemitteilung zu den Folgen einer schnellen Stilllegung der sieben ältesten Atomkraftwerke veröffentlicht (Link). Mal sehen, wie seriös die ist.

Also, heute sind 17 Atomkraftwerke in Betrieb. Quelle: Wikipedia, Liste der Kraftwerke (Link).

Im deutschen Strommix machte die Kernenergie 2009 einen Anteil von 22,6% aus, das sind etwa 140.000 GWh. Quelle: Wikipedia (Link) und bdew.


Grafik: Sepp, für Wikipedia

Die Lobby schreibt, die Abschaltung würde einen Verlust von rd. 10% der deutschen Stromerzeugung ausmachen. Das stimmt: Etwas weniger als die Hälfte der Kraftwerke (sieben von 17) erzeugen etwas weniger als die Hälfte des deutschen Atomstroms, es entfallen also rd. 65.000 GWh..

Dann:
Ein erheblicher Teil der Erzeugung müsste importiert werden.

Zusätzlich wissen wir: Deutschland ist ein Nettoexportland von Strom. Nun kann man Strommengen nicht einfach gegeneinander aufrechnen, aber interessant wäre schon zu wissen, wie groß der Export in den vergangenen Jahren im Mittel war. Die Antwort finden wir beim bdew, dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (deren Hauptgeschäftsführerin Müller übrigens früher Merkels Staatsministerin war.):


Quelle: bdew (Für Vergrößerung in die Grafik klicken)

Wir sehen einen deutlichen Exportsaldo von ca. 16 TWh, also 16.000 GWh (Gigawattstunden). Aber wir haben auch einen Export von ca. 54.000 GWh! Daraus folgt: Würden wir unsere Stromexporte -rein theoretisch- einstellen, würden wir -rein energiemengenmäßig- bis auf 10.000 GWh die ausgefallenen Reaktoren kompensieren.

Nächste Frage: Mit welchen Nachbarländern tauschen wir wieviel Strom aus? Das folgende Bild des UCTE (dem Verband der Hochspannungsnetzbetreiber) zeigt die Antwort im Überblick. Darunter die Im- und Exporte in Zahlen, wieder vom bdew :


Quelle: UCTE (Link)


Quelle: bdew

Wir importieren derzeit den meisten Strom aus Frankreich (13.000 GWh Atomstrom!), Tschechien (7.500 GWh) und Österreich (etwas über 5.000 GWh).

Deshalb schreibt das Atomforum in seiner Pressemitteilung auch:
Muss Deutschland während des Moratoriums Strom importieren?
Ein erheblicher Teil der fehlenden Erzeugung müsste importiert werden. Darunter wäre wiederum Strom aus Kernenergie v. a. aus Frankreich und Tschechien, von denen Deutschland bereits heute Strom importiert.

Und das klingt angesichts der Zahlen plausibel. Man würde einfach von den Nachbarländern, von denen wir schon jetzt die größten Importe haben, noch mehr Strom beziehen.

Aber: Das ist nicht unsere einzige Option! So ist etwa eine Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung an norwegische Wasserkraft in Planung (Projekt NORGER, WIkipedia Link). Leistung: 1.400 MW. Das entspricht einem Kernkraftwerk. Auch in Sibirien ließe sich ein gigantisches Potenzial an Wasserkraft für Europa erschließen, wenn wir nur wollten, und wenn es nicht russischen Gasexportinteressen entgegenstünde (Projekt GLOABL LINK, Prof. Povh). Die sog. Flexible AC Transmission macht den Transport großer Mengen elektrischer Energie auch über tausende Kilometer hinweg wirtschaftlich. In großen Flächenländern wird sie längst eingesetzt. Es ist in Europa nur politisch aufwendiger, sie durchzusetzen.



Doch regenerativen Energien räumt das Atomforum immer noch eine nur geringe Rolle ein:
Erneuerbare Energien tragen auf Grund ihrer witterungsabhängigen Verfügbarkeit nur in geringem Ausmaß zur gesicherten Leistung bei.

Das gilt nur adhoc. Schreibt man das Wachstum der regenerativen Stromerzeugung aber fort, und erschließt weitere große Mengen wie Norwegen und Nordsee-Offshore-Windparks und später weitere Quellen, wäre die Lücke der Sieben, und darüber hinaus, einfach zu kompensieren.

Worst Case: Erneute Explosion reisst Leck in Reaktorbehälter 2

Jetzt ist passiert, was die letzte Hoffnung nimmt: Unter Berufung auf eine Meldung von Tepco berichten verschiedene Zeitungen, u.a. NYT (Link) und FOKUS (Link) folgendes (Die Pressemeldungen der IAEO kommen leider nur stark verzögert, Link.):

Reaktor 2:
Die Befürchtung, die nach Reparatur eines Dampfablassventils und beim Fluten des Reaktors, auftrat, nämlich dass ein Leck die Ursache für den nur langsam ansteigenden Wasserpegel im Reaktor sein könnte, hat sich bewahrheitet: Die Reaktorhülle von 2 ist beschädigt. Die höchstwahrscheinlich im Gange befindliche Kernschmelze wird nun anfangen, die Umgebung mit starker Strahlung zu verseuchen.
=> Man kann sagen: Sollte es noch mal eine (Wasserstoff-) Explosion geben, die die Reaktorhülle weiter beschädigt oder zerreisst, würden Teile der Kernschmelze nach außen geschleudert, das wäre ein neues Tschernobyl.

Reaktor 4:
War bereits vor Ausbruch des Erdbebens außer Betrieb und enthält "nur" abgebrannte Brennelemente, die aber stark strahlen. Das am Morgen ausgebrochene Feuer wurde inzwischen gelöscht. Ob Reaktor 4 durch den Brand, der möglicherweise die Reaktorhülle beschädigt hat, eine der Quellen für die stark ansteigende Strahlung ist, wird noch untersucht.

Die stark ansteigende Strahlung wird auf der Anlage nun zum großen Problem, weil sie die Arbeiter stark behindert, wenn nicht die Arbeit komplett unmöglich macht. Die meisten Arbeiter und Ingenieure wurden bereits "nach Hause" geschickt. Aber auch die verbleibenden 50 werden ihre Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Wasserstände in den Reaktorbehältern wohl nicht mehr lange aufrechterhalten können.

Dann wird das Kraftwerk sich selbst überlassen. Die "Resthitze" der Brennelemente ist wohl auch vier Tage nach der Schnellabschaltung weitaus höher als gedacht. Es besteht das Risiko weiterer Wasserstoffexplosionen.

Montag, 14. März 2011

TEPCO Ingenieuren gelingt Flutung des Reaktors 2

Die NY Times berichtet (Link):

Reaktor2:
Bevor Meerwasser zur Kühlung eingeleitet werden kann, muss über die Außenventile des Reaktors aufgestauter Dampf abgelassen werden. Diese Ventile sind überhaupt das wichtigste Instrument, um die Reaktorhüllen intakt zu halten. Die Hitze der schmelzenden Kernbrennstoffe und Nachzerfallsprodukte erhöht den Druck permanent. Doch die Ventile streikten bis in die Nacht (japanischer Zeit). Kein Dampfablass, kein Kühleinlass. Das Risiko, dass die Hülle berstet, steigt. Das wäre Tschernobyl. Erst am frühen Dienstagmorgen gelang es ihnen, eines der Ventile gangbar zu machen und später Wasser einzuleiten.

Neues Problem: Der Wasserpegel im Reaktor steigt nicht so, wie es der eingeleiteten Wassermenge entsprechen würde. Das deutet im schlimmsten Fall auf ein Leck hin. Doch dafür sind angeblich die gemessenen Strahlungswerte zu niedrig.

Reaktoren 1 und 3:
Beide haben inzwischen keine Außenhülle mehr. Aber sie sind mit Meerwasser gefüllt.