Dienstag, 4. Dezember 2007

sonnenuntergang im büro

mitte november sah man von unserem büro aus den sonnenuntergang schon um viertel vor vier. die sonne stand tief über der silhouette über dem spreebogen. ein ensemble aus rathausturm und altbauten charlottenburgs. trauerweiden standen in gelb und grün am ufer und das laub der jungen birken war schon fast vollständig herabgeweht.
das ist der kurze moment, in dem sich der tunnelblick auflöst und man kurz in seine innere souveräne haltung zurückkehrt. dann sieht man in die welt so, wie man sie sonst nur -mangels innerer entspannung- rückblickend sieht. betrachtend. zulassend. in diesem moment und an diesem fleckchen erde. die gedanken um die tabellenkalkulation und präsentation und zugtickets und webseiten sind so flüchtig, schon morgen überholt und vergessen. von anderen neuen eintagsgedanken abgelöst.

jim rakete (den persönlich kennen zu lernen angela und ich vor einigen jahren mal die ehre hatten. als wir unsere wohnung für werbefotos der telekom zu verfügung stellten) sagte neulich in einem interview, es sei seine kunst schon heute in den gesichtern der menschen das photographisch einzufangen, was man morgen als typisch für diese zeit erachten wird. was also sollte ich in den gesichtern meiner kollegen im gebäude nebenan lesen? wir können uns gegenseitig bei der arbeit zuschauen, weil unsere wände zum größten teil aus fenstern bestehen. unser abstand ist gerade so, dass die einfahrt für die gemeinsame tiefgarage dazwischen passt. jeder sitzt vor seinem pc, einige sitzen in "meetings". immer einer struktur folgend oder eine entwerfend - oder nach ihr suchend. aber nur unsere hausseite kann den sonnuntergang sehen. sie wissen nichts davon.

an einem auto gibt es nicht ein einzelnes spannendes teil. jedes macht nur sinn im zusammenhang mit dem ganzen auto. und keines ist überflüssig. fällt auch nur eines von ihnen aus, wird es fast unmöglich, das ganze zu benutzen. auch die schönheit des ganzen verliert sich, wenn man nur ein einzelnes teil betrachtet oder nur eines vom ganzen weglässt. ein geniales design, aber ohne außenspiegel, einem fehlendem rad usw. sieht es beschädigt -ja behindert- aus.

darin gleicht es dem menschen bzw. der art wie man andere menschen sieht. nur unreife menschen können sich für ein schönes körperteil begeistern. die idee insgesamt muss stimmig, erkennbar und deutbar sein. es ist die schönheit, die an das zeitlose -besser: überzeitliche- "erinnert". (man muss von "erinnern" an etwas schon mal gesehenes sprechen, denn an welchem selbst geschaffenen maßstab sollte man messen, was man nicht selbst geschaffen hat?).

in diesem augenblick verschwand die sonne hinter der silhouette. es wurde mit einem schlag viel dunkler als es soeben noch war. "ich muss noch motoröl kaufen", dachte ich "und darf nicht zu spät feierabend machen." kehrte zurück zu meinen interviewprotokollen, funktionslisten und der powerpointdatei.

1 Kommentar:

  1. eigentlich jagen und sammeln wir in unseren Glas-Höhlen ja immer noch: nur diesmal Spreadsheets und Präsentationen - ok, früher hatte man nur Kerbhölzer und Höhlenmalereien, auch nicht viel anders. Nur die Kleidung ist unbequemer. Und das dauernde Rasieren.

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