Samstag, 3. Oktober 2009

Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd

Es ist nicht einmal eine Woche her, dass sich die Hauptstadtmedien über die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland beklagten. Und dass sie die Wahlkampfverweigerung der CDU dafür verantwortlich machte.

Dieser nur noch aus Bildern bestehende Wahlkampf der CDU war ein neuer Tiefpunkt einer seit Jahrzehnten grassierenden Kommunikationsverweigerung von Politik, die auf Verdummung und Entmündigung setzt. Und Entpolitisierung.

Wenn dann jemand wie Thilo Sarazzin daher kommt, und mal ganz offen und analytisch über seine Beobachtungen in Berlin spricht, ist das für die gleichen Medien Anlass genug, über den Mann herzufallen. Zum Beispiel Wolfgang Reuter vom SPIEGEL. Reuter ist ein Besatzungsmitglied jenes Berliner Raumschiffes, dass sich am liebsten selbst zum Thema macht. Das sich nur für sich selbst interessiert. Das die Boulevardisierung des Politischen mit vorantreibt.

Solchen Leuten sind echte politische Diskurse zu stressig. Stattdessen schreibt Reuter lieber:
Nach Anti-Ausländer-Äußerungen ist Thilo Sarrazin in Nöten - die Bundesbank auch.
Die umstrittenen und beleidigenden Tiraden von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin gegenüber Armen und Ausländern haben innerhalb der Notenbank eine Vorgeschichte.

Und schiebt dann eine typische Raumschiffgeschichte nach: Dass es bei der ganzen Geschichte in Wahrheit nur um einen persönlichen Streit zwischen Sarazzin und Bundesbankchef Weber ginge.

Auf die eigentlichen Thesen geht Reuter nicht ein. Geht niemand beim SPIEGEL ein.

Wer sich für den Kontext, aus dem solche Klartexte wie der von Sarazzin gerne gerissen werden, interessiert, muss lange googlen. Und wird dann fündig bei den liberalen "Extremisten" von "Eigentümlich Frei". Ich bin kein Anhänger der Denkrichtung von ef. Aber die lassen sich wenigstens den Mund nicht verbieten. Lange Zitate aus dem Interview findet man also hier.

Wer das liest, findet nichts Skandalöses mehr.

Das muss ich übrigens bei nächster Gelegenheit der Genossin Dr. Eva Hoegl sagen. Der habe ich in Berlin Mitte meine Erststimme gegeben. Und die hat nun ein Parteiausschlussverfahren gegen Sarazzin gefordert. Ein Grund dafür ist vielleicht, dass sich Eva Hoegl im Wahlkampf sehr für die Integration von Einwanderern eingesetzt hat und sie sich nun diesen loyal gegenüber verhalten will. Das finde ich verständlich und eigentlich lobenswert. Aber gegen Integrationswillige hat Sarazzin auch nichts gesagt.

Er sagt, was jeder Berliner, der sich dafür interessiert, nach einiger Zeit feststellt: Der Stadt fehlt es an Intelligenz. Der Massenmord der Nazis an den Berliner Juden hat eine Intellektuellenlücke in Berlin geschaffen, die bis heute nicht geschlossen ist. Übrigens vor allem nicht in den Parteien. Der Berliner CDU fehlt es hierzu an Substanz. Der Berliner FDP Spitze an Interesse für die durchaus vorhandene Substanz in der Partei. Der Berliner SPD, jedenfalls den politisch korrekten Senatoren, fehlt es an Standing gegenüber den Herausforderungen (siehe unten).

Natürlich wäre es von Sarazzin noch mutiger gewesen, sich genau so offen mal über seine eigene Schicht zu äußern: Über die Zersetzungskraft einer Oberschicht, die von der o.g. Intelligenzlücke zwar genauso gezeichnet ist wie die Unterschichten. Denen das aber nicht zum Nachteil gereicht, weil sie an den Schaltern und Hebeln unserer Gesellschaft und Wirtschaft sitzt. Und die unser Wirtschaftssystem vor die Wand fahren. Die uns mehr kosten, als alle Sozialmissbräuche der Nachkriegsgeschichte zusammen genommen.

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