Dienstag, 27. März 2018

Grüne Woche...

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat auf Twitter ein paar gute Frage gestellt:


Derzeit kompensieren sehr viele ungebildete, aber dennoch ambitionierte, Menschen ihre mangelnden Fähigkeiten mit Moral und bezichtigen jeden Meinungsabweichler als verkappten Rassisten. "Rassismus" ist sozusagen der Orkus, auf den sie jede Diskussion hinlenken: Der Grund für Deine abweichende Meinung ist am Ende, dass Du ein Rassist bist.

Die Welt in Rassen zu denken, wie es sog. Antirassisten tun, ist an sich bereits Rassismus. Denn wir sind alle von der Gattung Homo Sapiens. Eher schon ist es Rassismus, Tiere auszurotten. Oder was unsere Urahnen taten, als sie den Neandertaler ausrotteten.

Wir müssen nicht über unseren Umgang mit Außerirdischen phantasieren um das erregende Gefühl einer Begegnung der "dritten Art" zu bekommen. Es genügt eigentlich schon die Vorstellung, ein Neandertaler würde an unsere Tür klopfen und Einlass begehren.

Was hätte Jesus mit ihm gemacht? Hätte er auch ihm gepredigt? Wie hätte er ihm Gottes Liebe zum Menschen erklärt? Oder hätte er ihn einbezogen ins Mensch sein?

Dawkins Frage finde ich sehr gut, weil sie eine der vielen Annahmen von Religionen sichtbar macht: Dass nur der Mensch eine Seele habe. Oder noch tiefer: Dass es überhaupt so etwas wie Seele gebe und ein Privileg des Menschen sei.

Schon wenn wir diese Frage nicht beantworten können, steht für mich ein Grundpfeiler jeder Religion in Frage. 

Am anderen Ende des Spektrums einer solchen Diskussion (hat der Mensch eine Seele?) steht der Zuspruch, dass auch Tiere eine Seele und ein "Wesen" haben. Diese Position beinhaltet zumindest den Erkenntnisfortschritt, dass Tiere auch ein Empfinden haben, z. B. für Schmerz. 

Da wir ja auf Ostern zulaufen, würde ich das mal so zusammenfassen und reimen: Die Wiederauferstehung können wir alle auf jeden Fall feiern. Denn die Natur da draußen ersteht in jedem Fall wieder auf. Und das mutet zumindest mich jedes Jahr mehr an wie ein Wunder. Der Mensch lebt auch nach seinem Tode (seinem Winter) weiter, wenn er für Nachwuchs gesorgt hat. Denn beim ewigen Leben geht es ja nicht um "uns" sondern unsere Gene - diesen Nachweis hat jedenfalls Richard Dawkins zu führen versucht. Und jetzt schließt sich der Kreis: Wie leben in unseren Kindern weiter (if any..) und wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet Ihr niemals.... und so weiter.



Diese Vorstellung von Ostern, das die Überwindung des Winters feiert ist übrigens an die Jahreszeiten geknüpft. Würde die Erde exakt "gerade" rotieren, gäbe es diese nicht. Wäre sie zu sehr geneigt, würde evtl. kein Lebewesen den polaren Winter überleben. Bzw. nicht über das Stadium von Amöben hinauswachsen können.

Das einfachste ist es, sich Ostern einfach am Anblick der erwachenden Natur zu erfreuen. Und statt Hawkins wieder mal Hesse oder Goethe zu lesen.


Montag, 19. März 2018

Infotainment im Auto

Unser Auto hat ein Infotainmentsystem, das aus Radio, Navigation, Touchscreen, Spracherkennung (Aktivierung per Taster und dann Menüpunkteanzeige), Festplatte, CD und Geräteanbindung über Bluetooth verfügt.

Es funktioniert soweit ganz gut, in dem Sinne dass es tut was es soll - also zuverlässig.

Dinge, die ich für verbesserungswürdig halte sind:
- Einblendung der Playlist vom Smartphone auf dem Touchsreen - derzeit kann ich Titel nur auf dem Smartphone selbst auswählen. Diese Einschränkung resultiert vermutlich aus der Verbindungsart Bluetooth.
- Direktere Ansteuerbarkeit von Menüpunkten. Ich kann den Blick immer nur für 1 Sekunde von der Fahrbahn ablenken. Ich will auf dem Touchsreen möglichst wenig irrelevante Information sehen - z. B. Sender die ich noch nie benutzt habe.
- Einfachere, schnellere Smartphoneanmeldung. Derzeit muss ich das "Pairing" an beiden Seiten aktivieren: An der "Head-Unit" im Auto und am iPhone selbst.

Kurz und gut: Eine Bedienbarkeit mit möglichst wenig Gucken und Tasten wäre gut. Sprache scheint mir hierzu das geeignete Medium. Gesten wie Wischen brauche ich im Auto eher nicht. Ich will auch nicht die Menüphilosophie erforschen müssen, sondern intuitiv nutzen können.

Ich habe zum Beispiel erst nach Monaten angefangen, unseren Spracherkennung zu nutzen. Denn der Verkäufer hatte uns erklärt, es würde sich lohnen, sich die Zeit zu nehmen, die Spracherkennung anzulernen... Diese Zeit hatte ich mir nie genommen. Siri verlangt das ja auch nicht von mir. Und als ich es spontan einfach mal ausprobierte, da funktionierte es auf Anhieb.
Da frage ich mich, wie viele anderen Kunden es wohl genauso geht, dass sie für Geld eine tolle Funktionalität kaufen und sie dann nie benutzen.

Wenn ich dann aber Videos von Messen sehe -und die nächste Cebit kommt bestimmt, ebenso die IAA- dann hält da die schöne neue, noch komplexere Welt Einzug in die Cockpits. Noch größere Displays, noch mehr Animation und noch mehr Konnektivität - zur Cloud, zur Ampel, zu anderen Autos, zu künftig jedem Smartphone im Auto. So dass sich jeder Mitfahrer mit etwas anderem als seinen Mitfahrern beschäftigen kann. Alle haben Kopfhörer auf, und alle schauen auf ein Display.



Ja, die automatische Anmeldung meines Smartphones im Auto will ich auch. Es hilft auch, dass mir das Cockpit (sorry, die Head-Unit) Emails vorliest, wenn ich das will.
Aber werde ich das Auto so benutzen wie einen Zug, den ich mir mit Fremden teile? Viele sagen ja: das autonome Auto bewegt sich wie ein Sammeltaxi von A nach B und nimmt mit, wer noch reinpasst. An Bord geben wir uns hipster und sind ernsthaft mit der Titelauswahl für die 10 Minuten unterm Kopfhörer beschäftigt?

Ich argumentiere nicht gegen technischen Fortschritt. Aber ich will nicht mehr Komplexität, deren Bedienung ich erst anlesen muss. Auch Trainingvideos machen das nicht sympathischer. Ich will Übersichtlichkeit, Relevanz und Einfachheit. Und ich glaube, dazu müsste man die Softwarewelt mal kräftig entrümpeln. Es läuft nämlich immer so, dass man erst nach dem ersten Produktrelease weiß, wie man es eigentlich hätte angehen müssen. Aber beim zweiten Anlauf, gibt es schon wieder ein Update der Softwarearchitekturen und -repositories und Standards. Und es sind neue Leute im Projekt, die von Autosar, Genivi etc. noch nie etwas gehört haben...

Aber eigentlich will ich eher eine Andockstelle für das Smartphone oder Tablet, das ich eh bei mir habe. Wozu alles im Auto noch einmal nachbilden?
Ok, Fahrzeugdaten -wie Reichweite- mit Navigation zu verknüpfen ist sinnvoll. Aber vielleicht reicht es, den umgekehrten Weg einzuschlagen: Fahrzeugdaten ins Smartphone zu übertragen...?

Donnerstag, 15. März 2018

Nervengift Nowitschok

Nowitschok (russisch: Novichok, "Neuling") ist die Bezeichnung des Nervengiftes mit dem der Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia im englischen Salisbury getötet wurden.

Wirkungsweise:
Das Gift stört die Steuerung der Muskeln durch den Neurotransmitter Acetylcholin. Genauer: es verhindert die Entspannung eines Muskels. Regelmäßige Anspannungs-Entspannungsbewegungen von Muskeln wie insbesondere von Lunge und Herz werden damit zum Stillstand gebracht, weil die Muskel zwar noch angespannt werden, aber nicht mehr entspannt.

Unsere Muskeln sind also nicht in einer always-off Stellung, sondern über Enzyme wird genau gesteuert, in welchem Zustand sie sein sollen. Und das Nervengift Nowitschow blockiert also den Botenstoff, der zur Muskelentspannung führt.

Somit wirkt das Gift etwa wie ein Krampf aller Muskeln. Als Wehrpflichtige lernten wir, dass man Krämpfe mit einer Spritze Atropin entkrampfen kann. Jedenfalls ein wenig. Und es muss rechtzeitig gespritzt werden.

Was hat das mit den Russen zu tun?

Die damalige Führung der Sowjetunion beschloss 1971 die Entwicklung neuer chemischer Kampfstoffe unter strenger Geheimhaltung, Nowitschok wurde bereits 1973 entwickelt. In den 80er Jahren wurde Nowitschok zu einem binären Kampfstoff weiterentwickelt. Dies hat zum Ziel, den Transport zum Einsatzort einfacher und sicherer zu machen, indem die beiden Komponenten weniger giftig designt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass ungefährliche Komponenten keiner Chemiewaffenkonvention unterliegen. In diesem Sinne sagte Gorbatschow auch nicht direkt die Unwahrheit als er 1987 ankündigte, die Sowjetunion werde die Produktion chemischer Waffen einstellen. Für die Komponenten binärer Waffen galt das aber offensichtlich nicht...

Für die Säuren, aus denen Nowitschok gewonnen wird, benötigt man Stoffe, die auch für die Landwirtschaft benötigt werden: Kohlenstoff und Phosphor. Das macht die Aufklärung nicht einfacher.

Es existieren mehrere Varianten von Nowitschok, die entweder injektiert, inhaliert oder durch Hautkontakt übertragen werden. Die Substanzen durchdringen die Blut-Hirn-Schranke und gelangen so ins zentrale Nervensystem. Erste Anzeichen sind Schwindel, Ohrensausen, Hautausschläge und Halluzinationen. Danach setzt die Hemmung der Muskelentspannung ein.

Sergei Skripal ist ein ehemaliger Oberst des sowjetischen/russischen Militärnachrichtendienstes GRU, der später zum MI6 überlief.

2006 verurteilte ihn ein Moskauer Militärgericht wegen Hochverrats, weil er angeblich Identitäten russischer Spione an den MI6 verraten habe. Skripal trat seine Strafe im Arbeitslager an, wurde 2010 aber begnadigt und im Rahmen eines Agentenaustauschs freigelassen. Danach ging er nach Salisbury.

Auffällig in Skripals Leben seit seiner Freilassung: In kurzen Abständen starben seine Ehefrau (2012), sein Bruder (2016) und sein Sohn (2017).

Sergei und seine Tochter Julia wurden am 7. März tot aufgefunden. Die Diagnose erfolgte auf Nervenkampfstoff. Dies verweis auf die Herkunft aus einem Militärlager. Die britische Antiterroreinheit CTC wies den Kampfstoff noch in einem Restaurant und in einem Pub nach, in dem die Opfer sich vor ihrem Tod aufgehalten hatten.

Da es von Nowitschok mehrere Varianten gibt, kann man aus einer genauen Diagnose im Prinzip eine Signatur des Kampfstoffes ableiten, zumindest wo er hergestellt worden sein müsste. Aber durch  wessen Hände diese Stoffe über Jahrzehnte wandern, nicht so genau.

Die britische Regierung ist wohl deshalb so erregt, weil dies nicht der erste Fall dieser Art ist. Und weil es wieder auf britischem Boden stattfand. Die russische Regierung forderte mehr Informationen und insbesondere Proben des gefundenen Kampfstoffes ein.

Persönliche Wertung:
Ich finde die Erregung und das kurze Ultimatum der britischen Regierung überzogen. Eine Regierung ist kein Gericht. Erst auf Basis eines Gerichtsurteils könnte man sich so verhalten.

Ich -als Laie- finde bemerkenswert, dass inzwischen die ganze Familie Skripniks ausgelöscht ist. Wenn auch auf unterschiedliche Weisen (Krebs, Unfall), aber doch auffallend in kurzer Zeit seit seiner Freilassung. Ein Rational könnte sein, dass man Skripal doch noch bestrafen will, und zwar sehr hart, auch wenn er offiziell freigelassen wurde. Verrat ist ein schweres Vergehen in Militärkreisen und wenn die Vorwürfe stimmen und womöglich persönliche Motive im Spiel sind, dann könnte Rache ein Motiv sein.

Allerdings wird die Angelegenheit derzeit so hoch gespielt, dass sich die Eskalation auf die NATO und also auch uns ausbreitet.

Mittwoch, 14. März 2018

Alte Videos aus Dortmund

Großen Dank an David, an den findigen RWEer und die Stadt Dortmund, die diesen Werbefilm von 1964 gefunden und bereitgestellt haben.

 Eine frisch wieder aufgebaute und im Saft stehende Stadt. Meine Stadt.



Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Stadtszenen, die ich kannte als sie schon ein bisschen abgenutzt waren, erstrahlen hier neu. Stadtmitte, Stadthaus, Alter Markt, Westenhellweg, Straßenbahnen, LKWs, PKWs. Fließender Verkehr, Bürger in Kostüm und Anzug. Schulen, Kliniken, Ämter, Hauptbahnhof mit Dampfzügen. Und ein Bürgermeister, der mit der Entwicklung "seiner Stadt" beschäftigt ist, und von Gender und Social Justice noch nix ahnt.

Bastelnde Schulkinder, mit Etuis auf Holztischen. Fluren und Gänge in dem einst auch mir vertrauten Klinker. Nüchtern, streng, zweckmäßig - aber in Schuss. Kinder mit Respekt vor den Lehrern, aber auch der Freiheit zur Kreativität. Weder tropft es durch die Decke ins Klassenzimmer, noch müssen sich Lehrer um Messerstecher und angehende Rapper kümmern und das Niveau ihres Unterrichts absenken. Aber einige dieser Kinder haben später den Untergang ihrer eigenen "Welt von gestern" vorbereitet und führen ihn jetzt gerade durch.

Und wie das bei YouTube so ist, gibt ein Video das nächste. Zum Beispiel dieses hier: Hoesch Westfalenhütte, Warmwalzwerk 1995. Eine Videodokumentation des Walzvorgangs einer Bramme.



Etwa genau zu der Zeit war ich genau an dem Ort, weil mein damaliger Schwager in spe, der als Elektroingenieur bei Siemens an der Steuerung des Warmwalzwerkes arbeitete, mal für ein paar Tage in den Semester"ferien" mitgenommen hatte. Es ist berührend, das einmal genau so wieder zu sehen. Denn das ganze Werk gibt es heute nicht mehr. Auch nicht die Fabrik MfD, die den Brückenkran für die Umsetzung der Brammen baute, gibt es nicht mehr. Auch diese Fabrik hatte ich kurz vor ihrem Exitus als Praktikant noch einmal besucht. Mein Vater hatte dort seine Lehre gemacht und später angefangen. Er sprang aber auch rechtzeitig wieder ab.

Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Schwippschwager darüber philosophierte, ob man die Kranfahrten mit einem Schwingungsdämpfer beschleunigen könnte. Damals war Fuzzylogik gerade "in" und ich suchte nach Anwendungsmöglichkeiten ;-). Aber er sagte nur, im Walzwerk herrsche eine ganz einfache Logik: Bramme kommt, oder kommt nicht.

Vielleicht spiegelte sich darin die damalige Mentalität der "Belegschaft", die der bis dato Erfolg so sicher gemacht hatte, dass man sich weder im Betrieb noch in der Weiterentwicklung überschlagen müsse. Trotzdem bin ich voller Sympathie für die Gesichter, die ich in dem Video sehe. Ich war im Glauben, dass etwa so mal mein späterer Arbeitsplatz aussehen müsse: Spektakulär mit sprühenden Funken und Höllenlärm. Dazwischen ich, mit den Händen an einer Tastatur ;-)
Stahl oder Kraftwerk, dachte ich. Und nahm wenig später ein Angebot von RWE an..

Heute beschäftige ich mich mit agiler Softwareentwicklung in allen möglichen Organisationen. Ich habe in der Automobilentwicklung gearbeitet und kenne inzwischen sogar die Bundesverwaltung.  Irgendwann hat man als Jugendlicher ja plötzlich eine Intuition und greift nach etwas, was man sein Leben lang nicht mehr loslassen wird. Weil es einen fasziniert. "Alles!" war 1982 meine Antwort, als meine Eltern mich fragten, was man denn mit einem "Homecomputer" machen könne.

Ich komme ins Sinnieren. Wie oft ich meine berufliche Wirkungsstätte schon gewechselt habe, obwohl ich abstrakt einem roten Faden folgte. Ich traue keinem Frieden, auch wenn es mal gut läuft. Der Ingenieursberuf bewirkt und unterliegt Veränderungen. Es hält mich aber nich davon ab, Gelegenheiten zu nutzen. Zum Beispiel für einen Umzug nach Berlin. Das war seit 1987 mein Traum.

Vielleicht berührt mich der Anblick meiner Vergangenheit auch gerade deshalb. In der Gegenwart ist man immer gerade dabei, sich etwas zu erkämpfen. Mit Anstrengung und Unsicherheit. Dann wieder mit Momenten der Bestätigung und der Sinngebung und Motivation für die nächste Etappe.

Erst Rückblickend verstehe ich immer, was das eigentlich gerade gewesen ist.

Montag, 12. März 2018

Auslegungsvarianten der Product Owner Rolle

Wer im Anforderungsmanagement "groß" geworden ist, wundert sich bisweilen über die sehr unterschiedlichen Auslegungsarten seiner neuen Rolle "Product Owner" in agilen Projekten.

Product Owner kompilieren aus dem Bedarf ihrer Anspruchsgruppen Anforderungen und kommunizieren sie in geeigneten Formen an das Entwicklungsteam. Insofern muss ein Product Owner mindestens zwei Sprachen sprechen:

- Die seiner Anspruchsgruppen, z. B. Geschäftsprozesse oder Produktfunktionen.
- Die der Softwareentwickler und Architekten. z. B. funktionale und nicht-funktionale Anforderungen

Ein Product Owner muss nicht alles wissen, aber er muss alles Wichtige in Erfahrung bringen und Klärungspunkte erkennen können. Wer muss was wann wissen und wann klären diesen Punkt - nicht unnötig früh, nicht zu spät?
Es entstehen zwei Kommunikationsrichtungen: eine von oben nach unten, die die Vorgaben und Richtungen festlegt. Und eine von unten nach oben, die die Machbarkeiten prüft und Einwände kommuniziert. In der Mitte entsteht das sinnvoll Machbare.

Da ich beide Welten kenne - Unternehmenssoftware und Steuergeräte- würde ich sagen, die Welt der Unternehmenssoftware ist hier weiter als die der Steuergeräte. Mit Ökonomen und Informatikern kommt man schnell in ein methodisches Fahrwasser und legt erst einmal einen sinnvollen Arbeitsfluss fest. Mit Steuergeräteingenieuren geht es oft sehr schnell in Richtung technischer Details - ohne die Perspektiven anderer Gruppen -zum Beispiel Anwender- einzunehmen. Damit meine ich nicht, dass Usecases unter den Tisch fallen. Sondern dass man glaubt, diese selbst ohne Rücksprachen festlegen zu können.

Ich bin jedes mal sehr dankbar, wenn es im Projekt einen guten, erfahrenen Systemarchitekten gibt. Mit ihm kann ein Product Owner "über alles reden". Am besten sitzt man mit ihm oder ihr Tür an Tür oder im selben Raum.

Ingenieure bestätigen einander gerne und suchen selbst für sich die Bestätigung ihres Expertenwissens. Das gilt auch für solche, die sich agil nennen. Ein Product Owner schätzt Experten, braucht aber keine Domänen, die nach außen nicht gut kommunizieren. Dieses Risiko besteht oft in Steuergeräteprojekten, aber man bedenke, dass auch sehr alte Softwaresysteme in Unternehmen und Verwaltungen von Programmierern mit Ingenieursmentalität geschrieben wurden. Hier lauert eine Fußangel und Falle nach der anderen. Auch Verunsicherungsangriffe auf den Anforderungsmanager oder Product Owner lauern hier. Es kostet viel Kraft, aber Ausdauer und Durchhaltevermögen werden am Ende (ca. 1 Jahr) belohnt. Obwohl ich das weiß, kostet es auch mich immer wieder Überwindung, mich nicht irre machen zu lassen. Weil ich mich ja nicht abschotten will, sondern mich bewusst dem Kommunikationsstrom aussetze. Und mit Annahmen arbeite. Und erst einmal Vertrauen bei den Meinen aufbauen muss. Die vielleicht selbst anfällig für diese Expertenkultur sind.

Somit komme ich zu dem Schluss, dass ein Product Owner auch das benötigt was früher im positiven Sinn unter Beratungsmentalität lief: Sensibilität, Hellhörigkeit, plus innerer Kompass plus dickes Fell.

Die meisten Anforderungsprofile an Product Owner stimmen deshalb m. E. nicht. Sie sind zu einseitig auf technische Expertisen ausgelegt.

Ich sehe hierin auch einen tief sitzenden Grund dafür, warum deutsche Startups nicht so erfolgreich sind, wie z. B. US-amerikanische. Es fehlt die Perspektive des Produktmanagers, der aus Endkundensicht Anforderungen beschreibt und priorisiert.

Samstag, 3. März 2018

Motive gegen Veränderung

Die Innovationsberater reichen im Internet einen Cartoon herum, auf dem ein Anführer die Versammlung fragt, wer von ihnen FÜR Veränderungen sei. Alle Hände gehen hoch. Dann fragt er, wer von ihnen bereit sei, sich selbst zu verändern. Und alle Hände bleiben unten.

Es ist leicht zu sagen, "genau so ist das". Aber warum? Und warum sind so viele dagegen, sich selbst zu verändern und erwarten Veränderungsbereitschaft nur von allen anderen? 

Einmal abgesehen von der Binsenweisheit, dass Veränderung kein Wert an sich ist, erlebe ich folgende Fälle:

- Die Mächtigen haben etwas zu verlieren: Budget, Einfluss, Macht, Ansehen. Die Veränderungsprotagonisten hingegen können oft mehr gewinnen als verlieren. Beide unterstellen einander unter vier Augen vor allem diese Motive, bei denen es nicht um das gemeinsame Unternehmen, Bereich etc. geht, sondern persönliche Ziele.
- Die "Operativen" haben auch etwas zu verlieren: den Wert ihrer jahrelang gewachsenen Erfahrungen, Spezialisierungen und Optimierungen. Die Alteingesessenen bezeichnen die Veränderungsprotagonisten als "ahnungslos", was in Bezug auf die alten Verhältnisse ja auch zutrifft.

Es gibt noch ein drittes Motiv, das vor allem auf mich zutrifft:
- Vorsicht hinsichtlich der unbewussten Annahmen, die wir gerade alle treffen.

Gehe ich in ein neues Projekt, erwarten die Sponsoren oder mein eigener Programmleiter häufig einen sofortigen Stimmungsumschwung von mir. "Bringen Sie frischen Wind darein." - Aber das riecht mir zu sehr nach Aktionismus. Und ehrlich gesagt etwas zu simpel, heroisch, manchmal auch naiv. Ich bin zwar der "Agent" des Neuen. Aber zuerst schaue ich mich mal um.

Ich reite also sozusagen in die Stadt und schaue mir als erstes die Leute an. Manche treffe ich in Gruppen, manche unter vier Augen. Und ich höre erstmal rein. Denn ich weiß, ich selbst komme mit tausend Annahmen, die auf bisherigen Erfahrungen basieren. Allzu leicht packt man Leute und Dinge in Schubladen und fängt an mit falschen Annahmen zu operieren. 
Deshalb baue ich als erstes Beziehungen auf.

In dieser Phase höre ich dann manchmal, ich bewege mich zu langsam und fordern mich zu mehr "Beraterarroganz" auf. Wer so spricht offenbart mir vor allem die Angst, mit der er selbst in neue Situationen geht: Wie ein Hund, der erst mal alle anderen anbellt. Und auf der Straße sehe ich nur kleine Hunde, die große Hunde anbellen. Umgekehrt sehe ich das nur sehr selten.

Oder wenn man es in Westernmetaphern will: Ich bin eher Scharfschütze als Revolverheld. Mir reichen ein oder zwei Patronen, ich trage keinen Patronengürtel um meinen Oberkörper. Aber eigentlich passen Westernfiguren überhaupt nicht. Eher schon Kommissare aus Krimiserien. Poirot, der die Leute mit Rückfragen prüft, ob sie über Annahmen oder Erfahrungen sprechen: "Der Bosporus ist um diese Jahreszeit sehr ruhig, Sie werden sehen." - "Hm, haben Sie ihn um diese Jahreszeit schon einmal selbst überquert?" - "Nein."
Oder Columbo, der die Leute in Sicherheit wiegt und dann mit einer letzten Frage Schachmatt setzt: "Ach ähm, eine Frage noch...:" Insbesondere hierbei nutze ich das psychologische Phänomen, dass man Menschen entlang des Kennenlernens in bestimmten Phasen nur bestimmte Dinge Fragen kann. Es gibt Dinge, die erfährt man nur am Anfang und Dinge, die erfährt man nur später.

Also bewege ich mich langsam, aber sehr aufmerksam durchs Projektdorf. Treffe Leute im Salon und am Brunnen. Treffe große und kleine Leute. Und allmählich baut sich mir ein Bild auf aus Dingen und Leuten, Beziehungen zwischen Leuten, die die Dinge behandeln um die sich alles dreht. 

Meine Bewegungen werden dann allmählich schneller und zielgerichteter, wenn ich der Meinung bin, dass ich nun den höchst möglichen Themeneinstieg gefunden und geöffnet habe. Es ist dann auch viel einfacher, Argumentationsketten aufzubauen die die höchste und die niedrigste Ebene adressieren.