"Brauchen wir das überhaupt?" Ist nicht jeder seines Glückes Schmied? Darauf vermag sich verlassen, wer will. Ich habe das direkt nach meinem Berufseinstieg auch geglaubt. Es lief auch lange gut. Aber irgendwann merkt man, dass von der Individualisierung und Vereinzelung nur die Arbeitgeberseite profitiert. Unser Berufs"stand" war selbst Schuld, die Vertretung eigener Interessen für unfein zu halten:
Die Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) gibt es nicht mehr, sie ist formal in ver.di aufgegangen. Sie litt unter sinkenden Mitgliederzahlen. Man ließ lieber andere für sich kämpfen und nahm das Erreichte gerne mit. Wenn dann jeder so denkt, kämpft irgendwann keiner mehr. Die anderen Gewerkschaften sind den meisten Akademikern zu rot. So dachte ich auch lange. Bis ich bei einem Ingenieursdienstleister in Berlin Charlottenburg lernte, dass man sich selbst für den Inflationsausgleich penetrant selbst einsetzen muss. Tarife sind eine Seltenheit geworden, viele Arbeitgeber gehören keinem Verband an. Betriebsräte sind auch eine Seltenheit, junge Leute glauben halt, dass sie sich damit unbeliebt machen und lassen es lieber. Es ist nicht schick zu sagen: Ja, ich gehöre einer Gruppe an, die für meine Interessen kämpft. (Einher damit geht meistens, sich zu etlichen "berechtigten Interessen" von Gruppen zu bekennen, denen man selbst nicht angehört.) Dann gibt es noch den VDI - und die SPD.
Wer also setzt sich für unsere Interessen ein:
- Eindämmung der verkappten Zeitarbeit und Leiharbeit für Akademiker, auch "Beratung" oder "Dienstleistung" genannt (soll nicht pauschal für alle gelten, aber für viele).
- Eindämmung des Outsourcing von Produktion und neuerdings Entwicklung. "Made in Germany" sollte nur drauf stehen, wenn es hier entwickelt und produziert wurde.
- Vertretung von politischen Positionen, mindestens da, wo Expertenrat gefragt ist. Wir sollten Themen wie Energiewende und Elektromobilität nicht Juristen und Verwaltungswissenschaftlern überlassen.
- Gutes Geld für gute Arbeit. Wir bekommen heute das in EURO was wir vor der Einführung des EURO in DM bekamen. Ist das eine gute Entwicklung? Ingenieure und Informatiker sollten sich einen Neuwagen deutscher Marke in der Kompakt- oder Mittelklasse (ca. 25- 30 Tausend EUR) leisten können, sage ich immer. Wer ins Management aufsteigt, natürlich mehr.
- Die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes (10h-Tag). Berater und Dienstleister wissen oft gar nicht, welchen gesetzlichen Schutz vor Schinderei sie genießen.
Antworten:
Der VDI?
Nein, der VDI vertritt Arbeitgeberinteressen, z. B. bei der Regierung. Er gibt vor, damit auch Arbeitnehmerinteressen zu vertreten. Am deutlichsten ist das bei der Karriereberatung von Heiko Mell. Er rät seinen Lesern stets zu Konformismus, wenn sie "Karriere machen wollen". Stets mit dem Hinweis, dass er nur wiedergibt, was er beobachtet. Aber damit leugnet er seinen Einfluss, den er vor allem auf Berufseinsteiger hat.Gewerkschaften?
Ja. Die IG Metall hat z. B. auch Arbeitsgemeinschaften und Foren speziell für Angestellte und Ingenieure. Sie hat in den Jahren nach der Krise merkliche Tariferhöhungen erzielt. Nicht umsonst hat sie 2,2 Mio. Mitglieder, Tendenz steigend.Der Betriebsrat?
Ja. Allerdings muss man das genau verfolgen. Ein Betriebsrat ist kein Anwalt für Einzelne sondern vertritt die Interessen der Mehrheit der Angestellten, erarbeitet z. B. Betriebsvereinbarungen über Gleitzeit, Gehaltsbänder, Bonusregelungen. Er vermittelt bei Konflikten und redet bei Neueinstellungen für Nicht-Leitende mit. Er wacht auch auf den Arbeitsschutz, Stichwort: Ergonomie (PC, Monitor, Gewicht des Rucksacks). Der Alptraum vieler Geschäftsführer von Dienstleistungsunternehmen ist ein Betriebsrat, dessen Mitglieder in der Gewerkschaft sind. Dann sitzt die Gewerkschaft mit am Tisch. Die Geschäftsführer wissen, wie sie ihren Angestellten ihr eigenes Horrorszenario als deren Horror unterjubelt. Es gibt auch Betriebsräte, die nur die Nähe zur Geschäftsführung suchen, für später.Die SPD?
Nein. Das muss ich so sagen, siehe auch meinen Beitrag unten. Als akademischer Industrieangestellter (als Freiberufler noch weniger) findest Du in der SPD inzwischen keine Lobby mehr. Vor Wahlen tut sie stets so, aber das Sagen haben die Angestellten aus den öffentlichen Verwaltungen und immer mehr Minderheiten, die mit dem Stichwort "Arbeiterpartei" nicht viel am Hut haben. Es hat schon seinen Grund, dass die SPD mit 440.000 Mitgliedern auf einem Allzeittief angekommen ist.Fazit:
Vergesst die SPD und den VDI. Gründet einen Betriebsrat, und überlegt eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Wenn es einen Tarif gibt, unterstütze diejenigen, die ihn eingeführt haben.