Mittwoch, 21. September 2016

Sommertage

Im August, während meiner letzten Urlaubswoche, drehte der Sommer noch mal so richtig auf. Es kamen die Tage, in denen die Zeit still zu stehen scheint unter dem Regiment der hoch stehenden Sonne. Der See, das Schilf, die Wiesen stehen im gleißenden Licht und für Mensch und Tier ist es zu warm, um irgendwas zu unternehmen. Darauf sind wir im Hochsommer alle verständigt: Es muss nichts gearbeitet werden, nichts fertig werden. Stattdessen verlangsamen wir bis zum Stillstand. Das Wetter ist das einzige, was passiert.

Allenfalls gehen wir in den See schwimmen, um uns abzukühlen und mit allen Sinnen aufzunehmen: es ist Sommer.

Es sind die Tage, die wir im Nachhinein nicht mehr unterscheiden können. Weil wir sie so gestalten, wie wir uns perfekte Sommertage vorstellen: Draußen frühstücken, dann mit Badehandtuch und iPod oder einem Buch auf die Liege. Den Sonnenschirm aufstellen. Barfuß über den Rasen laufen. Wer der Stille lauscht vernimmt allenfalls mal ein Flugzeug oder einen Rasenmäher.

Das Urlaubsgefühl steigert sich noch, wenn andere um uns herum geschäftig sind - natürlich in gebührendem Abstand, so dass wir nicht auf sie reagieren müssen.

Wie wäre es jetzt, ins Wasser zu gehen? Über den gemähten Weg durchs Schilf zum Steg. Vom Stegende ins Wasser springen. Die Kühle tut gut, wenn es so heißt ist. Dann weiter gehen, bis an die Kante, wo das Schilf endet und ab da kann man schwimmen. Schwapp, rein, herrlich. Wir tauchen ins Wasser und indem wir von ihm umfangen sind, entkoppeln wir uns von allem, was auf dem Festland passiert. Wir entrücken uns und spüren nur noch: Sommer.

Donnerstag, 1. September 2016

Shiny happy colleagues

Ich komme inzwischen selbst in die Jahre, die ich früher für alt hielt. Ich vermisse die Rastlosigkeit und Unsicherheit früherer Jahre überhaupt nicht. Inzwischen weiß ich "wie es geht" und ich kann locker auf die meisten Showtimes verzichten ohne Angst etwas Entscheidendes zu verpassen. Ich bin eher zurück zu mir selbst gekommen. Nichts geht über Erfahrung sage ich heute,  denn ich habe welche. Ohne Substanz geht es nicht. Und die Substanz ist auch in unseren akademischen Jobs etwas Greifbares. In meinem Fall: Softwareprodukte. Nicht Powerpointfolien, nicht Papiere, nicht Meetings. Nur Produkte und lächelnde Anwender.

Ich weiß, dass im selben Maße wie meine Erfahrung wächst ich darauf achten muss, nicht unkreativ zu werden. Deshalb schätze ich ergänzende Leute in meinem Team sehr. Junge Kollegen, gerne aus anderen Berufen, gerne aus anderen Ländern, gerne vom anderen Geschlecht. Aber immer mit dem gleichen Grundverständnis, dem gleichen Ziel. Diversität ist für mich kein Selbstzweck und in dem Moment in dem ein Unternehmen es zu einem seiner Ziele erhebt ist es auch schon vorbei mit dem Nutzen von "Diversität". Denn, was einer behauptet zu sein, das ist er nicht. Das ist mir verdächtig.

Wo Diversität drauf steht, da kann es vor Minen nur so wimmeln. Vorbei die Zeiten, in denen man "Diversität" gar nicht wahrgenommen hat, in denen man einfach zusammen gut arbeitete. Bei IBM fand ich es sehr inspirierend, in Wien mit österreichischen, ungarischen und britischen Kollegen und Kunden zusammen zu arbeiten. Nie wären wir auf die Idee gekommen, uns selbst dafür zu glorifizieren.

Heute diskutiere ich darüber, ob wir für die Darstellung von Rollen, Strichmännchen mit Krawatte oder Zopf nehmen. Das macht die Aufgaben für Projektmanager nicht einfacher. Die Begriffswelt wird um eine Dimension "reicher", wenn man alles gendern muss oder in der Verlaufsform darstellen muss. Wenn wir miteinander korrekt reden weiß ich nicht mehr, ob das Ausdruck von Überzeugung oder Konformismus ist. Konformismus ist ein Ausleseverfahren, bei dem man gewinnt, wenn man keine formalen Fehler macht. Und der öffentliche Raum von Politik und Verwaltung ist ganz besonders anfällig dafür.

Man kann den Spieß aber auch umdrehen und jede "diverse" Karriere auf Quoten zurückführen und sich ganz einfach weigern, solche Leute in den eigenen Verantwortungsbereich zu holen.

Der Bürokonformismus hat aber noch weiter reichende Folgen. Ich erlebe auch ein schrumpfendes Urteilsvermögen bzw. wachsende Verweigerung, Dinge zu beurteilen oder einzuschätzen. Da werden entscheidende Dokumente einfach "Zur Info" weiterverteilt - ohne eigene Einschätzung, ohne Hinweis, vielleicht ohne sie selbst gesichtet zu haben. Ich kenne Leute, die fragen andere gerne nach ihrer Einschätzung vermeiden es aber tunlichst selbst eine abzugeben. Selbst in Runden, die extra für Feedback oder Retrospektive vorgesehen sind. Sie tun es höchstens unter vier Augen, dann aber umso heftiger. In der Runde geben sie sich "team-" und "erfolgsorientiert". Man lächelt, man gibt sich abgeklärt, ironisierend überlegen, aber halt auf niedrigem Niveau. Etwa so wie in einer Jan Böhmermann Show.

Das ist keine gesunde Entwicklung. Wo nicht mehr offen gesprochen wird, da wächst der Raum für Intrigen. Da wird abgewartet, aufgelauert und zugeschlagen. Da wächst das falsche Leben in dem es kein richtiges geben kann.

Hören wir auf, Selbstverständlichkeiten auf Plakate zu schreiben. Diese Selbstverständlichkeiten sind Teil unserer Kultur. Man tut sie einfach und erwartet keinen Applaus dafür. Am Ende zählt nur die Substanz, das Produkt, die bezahlte Rechnung.

Mittwoch, 27. Juli 2016

Sommergewitter

Der Juli war warm und schwül in Berlin und Brandenburg. Am Tage viel zu warm zum Arbeiten, nachts zu warm um zu schlafen. Im Havelland dörrten die Felder, so dass die Bauern sie schon längst abgeerntet hatten. In Berlin stand die schwüle Hitze auf den Straßen. Wir hörten den Wetterbericht im Radio und man versprach uns Wärmegewitter. Die aber kamen nie. Oder woanders. Jedenfalls weder im Havelland, wo wir die Wochenenden verbrachten, noch in Berlin wo wir arbeiteten.

Doch dann, an meinem ersten Urlaubstag Ende Juli wurde es nachmittags um drei plötzlich dunkel. So dunkel, als habe jemand den hellen Sommer abgeschaltet und auf Herbst umgestellt. Wind kam auf und brachte die lang ersehnte Abkühlung. Ich öffnete die Fenster und Balkontüren. Und erzeugte damit einen Durchzug, hinter dem ich die Fenster wieder auf Kipp stellte. Und während ich durch unsere Wohnung lief, blitzte und krachte es plötzlich in die nachmittägliche Dunkelheit. Unten auf der Schöneberger Straße war der letzte Mensch, den ich trocken sah, ein Tourist, der auf sein Smartphone schaute. Im nächsten Moment stürzte der Platzregen los. Die Wolken schütteten ihn aus, der Wind peitschte ihn durch die Straße, die Bäume, den Hofgarten. Regen in Massen und binnen Minuten bildeten sich Regenkanäle in den Fahrrinnen der Straße. Für einen kurzen Moment ein Ausnahmezustand. Das Wetter bestimmt unser Bewusstsein. Wir sind Naturgeschöpfe, die den Kräften der Natur ausgesetzt sind. Die Regeln, und Abläufe die wir uns selber geben, stehen dahinter zurück. Jetzt ist es wichtig, Schutz zu suchen unter einem Vordach oder Hauseingang. Jeder hat jetzt Verständnis für Unterbrechungen von Abläufen. Wenn sich der Paketbote verspätet, der Handwerker oder der Bewerber zum Vorstellungsgespräch. Ein Sommerregen platzt dazwischen.

Insofern waren mir Sommergewitter und Stürme schon immer angenehm. Sie sind Autoritäten, die Hierarchien und Hierarchen auf ihre Plätze verweisen. Es regiert Mutter Natur, nicht der Chef, nicht der Professor, nicht der Lehrer. Wir sind entschuldigt, wenn wir jetzt etwas nicht liefern.
Donnergrollen folgt dem Platzregen. Jetzt hat es sich eingeregnet. Der Ausnahmezustand wird zurückgefahren, aber der Donner rollt noch. Auch ist es noch dunkel, was uns bedeutet, noch etwas ausharren zu dürfen, in dieser Ausnahme. Ja, wir hätten jetzt so viel erledigen können, aber sehet, es ging ja nicht. Die Straße ist nass, lange und tiefe Pfützen haben sich gebildet. Ich hätte Lust, barfuß dadurch zu laufen. Was sonst nur Küsten- und Uferbewohner können, können bei solchem Wetter auch wir: Durch Wasser waten. Und uns erinnern, unmittelbar unsere Bedürfnisse und Freuden sind.

Freitag, 18. März 2016

Vertrauen beschleunigt Arbeits- und Informationsflüsse

Verabschieden wenn es am schönsten ist hat einige Vorteile:
  • Man behält gute Erinnerungen.
  • Man bleibt in guter Erinnerung.
  • Man hat sich seinen neuen Job nicht nach Vermeidungskriterien gesucht, sondern nach neuen Zielen.
Wenn man geht, ist man auf dem Höhepunkt seiner Erfahrung und Expertise. Das geht nicht anders. Man hat aber auch seine Beziehungen zu Kollegen und Projektpartnern maximal entwickelt. 

Wenn wir ein Vergrößerungsglas auf den Zeitraum halten zwischen der "Beichte" bei unserem Chef, dass wir gehen wollen, und dem letzten Tag im alten Job,  entdecken wir noch mehr:

Ich war Product Owner eines Datenbanksystems für die Technische Entwicklung. Die Migration verlief am Anfang unterproportional. Dann, mit den positiven Erfahrungen der ersten User, proportional, danach überproportional. Meine Anwender konnten freiwillig von Excel aufs System umsteigen, so wie es für die Terminlagen ihrer Projekte am günstigsten war.

Als ich jedoch kommunizierte, dass ich in einigen Wochen gehen werde, wollten die noch nicht umgestiegenen plötzlich alle rein. Hätte sich mein Gehalt nach verkauften Lizenzen oder Marktanteilen gerichtet, dann wäre mein letzter Monat der beste meiner gesamten Zeit gewesen.

Doch auch die Vertrauensbasis erweiterte sich schubartig. Ich hatte eine belastbare Vertrauensbasis zu den Anwendern der ersten Stunde aufgebaut. Sie investierten damals ihre Zeit, ohne Garantie auf "Return". Ich gab ihnen den Return durch Erfüllung, manchmal auch Übererfüllung, ihrer Erwartungen. Manchmal erfüllte ich diese nicht sofort, aber korrigierte mich, wo wir uns missverstanden hatten. Positiv ausgetragene Konflikte stärken das Vertrauen vielleicht noch mehr als geradlinige positive Entwicklung, weil man den anderen von einer zusätzlichen Seite kennen gelernt hat: nämlich, ob er sich unter Stress noch an seine Zusagen gebunden fühlt.

Ich machte aber nach der Offenbarung meiner Kündigung noch eine Erfahrung: Einige Kollegen, die ich seit mehreren Jahren kannte, aber nie direkt mit ihnen zu tun hatte, sprachen plötzlich ganz offen zu mir. Von Mensch zu Mensch sozusagen. Darunter Einflussnehmer, Themenchefs sozusagen, aber auch Leitende oder im Aufstieg befindliche Kollegen. Diese öffneten sich mir erst, als klar wurde, dass wir nie Konkurrenten sein werden. 

Es ist schade, dass solch eine Öffnung immer erst dann kommt, wenn sie keinen Nutzen mehr stiften kann. Denn die Arbeit gewinnt enorm an Schub, wenn man offen miteinander umgeht. Der Informationsfluss beschleunigt sich, über Abläufe, Daten und Personen. Wir arbeiten effektiver, wenn wir einander vertrauen. Protokolle, Verträge, Prozesse braucht man um so weniger, je größer das Vertrauen ist.

Die Kollegen, die sich erst zum Schluss öffnen, geben aber nicht nur Ängste auf. Einige von ihnen versuchen auch noch, Informationen zu bekommen. Jeder überlege sich aber selbst, was er auf den letzten Metern noch offenbart oder preis gibt.



Sonntag, 14. Februar 2016

Bestandsentwicklung Porsche 924

Ich habe gerade mal zusammengetragen wie sich die Bestände der 924 Typen (ohne Turbo) entwickelt haben:












Quelle: KBA (Link)

Man erkennt, wie sich die Bestände dezimiert haben. Auch die Angebote bei mobile.de haben sich etwas dezimiert. Die Durchschnittspreise sind dabei gestiegen. Dies liegt nach meiner Einschätzung aber noch nicht daran, dass die Nachfrage anzieht. Sondern daran:
  • dass die "Grotten" allmählich aus dem Markt verschwinden und
  • die 2,0 Liter Modelle ins Oldtimeralter (30) gekommen sind.
Die Preise für restaurierte oder gut erhaltene Sondermodelle (wie "Martini" und "Le Mans")liegen heute spürbar höher zwischen 13.000 und 20.000 EUR. 

Einen guten 924S bekommt man immer noch (!) zwischen 6.000 und 8.000 EUR. Doch inzwischen erfüllt auch hier das erste Modelljahr (1985) den Oldtimerstatus.

Im Fernsehen macht der 924 jetzt wieder Werbung für sich. In den 80ern war er der Nobelmietwagen in "Ich heirate eine Familie". Inzwischen hat sich auch eine tatort-Kommissarin einen zugelegt... :-)



Samstag, 13. Februar 2016

"Männer im Baumarkt" - Reinhard Mey :-)

So, da hier ja echte Männer vermisst werden - dieser Song ist für Euch :-)

Reinhard Mey, "Männer im Baumarkt"




Und die Zugabe: "Ich bin Klempner von Beruf"

Dienstag, 9. Februar 2016

"Es wird gewesen sein." - Roger Willemsen

Sie gehen in immer kürzeren Abständen von uns, die Guten. Und einige so relativ jung, dass sie mit ihren Werken eigentlich noch nicht am Ende sein konnten. Sie gehen so auffallend früh, als wüssten sie mehr als wir. Und so als würde jeder der schon gegangen ist den nachholen, den er dort am meisten vermisst.

Wir haben nicht mal Mitte Februar und beklagen schon folgende Verluste:

  • Maja Maranow
  • Black
  • Glen Frey (Eagles)
  • David Bowie
  • Maurice White (Earth, Wind and Fire)
  • Artur Fischer
  • Roger Willemsen
Gut, nicht alle auf einer Stufe und meine Auswahl ist subjektiv. 

Aber Roger Willemsens Tod ist schon ein Schlag. Er war mir ein Augenöffner. Er konnte in sich versinken, reinhören und wieder auftauchen und berichten.

Mir ist so, als hätte er beim Verfassen von "Der Knacks", in dem er seinen Umgang mit Krisen erklärte, schon etwas geahnt oder gewusst. "Es wird gewesen sein" beschrieb er seinen Krisenmodus, der aus dem Futur 2 bestand. Futur 2 ist die Hoffnung für alle Leidenden. Passt für Aktive wie für Fatalisten. 

Montag, 8. Februar 2016

Der schlechteste Rosenmontag aller Zeiten

Was für ein finsterer Rosenmontag ist das heute.

Mein Plan war:
  • Rosenmontag Urlaub nehmen - für ein lustiges langes Wochenende.
  • Samstags ins Ruhrgebiet fahren - in Dortmund und Gelsenkirchen feiern.
Und so kam es tatsächlich:
  • Am Dienstag bekam ich eine Grippe, an der ich jetzt noch arbeite.
  • Am Sonntagabend fingen die Absagen der Rosenmontagszüge an - vorgeblich wegen "Sturmwarnungen".
  • Am Rosenmontag hielten die Kölner die Stellung und zogen durch die Stadt.
  • Die Düsseldorfer zeigten ihre -viel mutigeren- Wagen vor dem Rathaus. 
  • Am Nachmittag kam die Nachricht, dass Roger Willemsen seiner Krebskrankheit erlegen ist.
Hier einige Interviews mit Roger Willemsen. An diesem so ganz anderen Rosenmontag.


"Eher fragt man sich, welches Buch muss unbedingt noch geschrieben werden. Welches Buch muss ich noch lesen. Man wird geiziger mit der Zeit."
Roger Willemsen im Interview mit Jörg Tadeausz, August 2015



"Ich erzähle mein Leben als eine Kette von Pleiten, weil ich glaube das humanisiert eher als die Einsamkeit der Triumpfe, an die wir uns kaum erinnern können. Wenn man schon ein Image hat, dann muss man es schänden."
Roger Willemsen im Interview mit Harald Schmidt, März 2007

Dienstag, 5. Januar 2016

Beschreibung meiner (bisher) erfolgreichsten Berufsjahre

Meine beruflich erfolgreichste Periode begann mit einem verzweifelten Entschluss. Ich hatte keine guten Jahre hinter mir. War permanent in falschen Projekten eingesetzt. Zwischen der Welt und mir herrschte vor allem Unverständnis.

Phase 1: "Jetzt ist Schluss"

Ende 2009 tat ich drei Dinge:
  1. Zielfestlegung: Nachdem ich ein Fernstudium in Patenrecht erfolgreich abgeschlossen hatte, wollte ich nun auch als Patentingenieur arbeiten.
  2. Ich schrieb Bewerbungen als Patentingenieur.
  3. In meinem alten Job machte ich Projektvorschläge für Patentthemen. Also genau für das, was ich für mich für wichtig hielt. Die Projektvorschläge schrieb ich direkt an Projektleiter unseres Kunden. Ich hielt mich nicht an interne Prozesse, weil die Erklärungen worum es mir ging, zu lange gedauert hatten.
Von da an ging es aufwärts: Mein Ziel konzentrierte meine Aufmerksamkeit und Tätigkeiten auf das was ich wollte - und nicht mehr auf das was ich nicht mehr wollte. Ich entwickelte ein Zielbild von mir in meinem Wunschjob, auf das ich von nun an hinarbeitete. Ich schrieb gute, selbstbewusste und fokussierte Bewerbungen. Da ich ja einen Job hatte, hatte ich nichts zu verlieren. Ich bekam Einladungen zu Gesprächen. Mit soviel Schwung und Rückenwind richtete ich dann meine Projektvorschläge an die Leute, die ich für richtig hielt. Und auch hier gab es ein Bingo, ich bekam zwei Aufforderungen zu Angeboten.

Phase 2: Von Destruktion zur Konstruktion

Ich fühlte mich nun völlig frei und selbstbestimmt und formulierte meine Projektangebote genau so wie ich es schon lange wollte. Ich erfüllte weder Fremderwartungen noch verbog ich mein Beraterprofil. Nein, ich trat so auf wie ich war und so bewirkte ich etwas in die von mir gewünschte Richtung: Unser Kunde beauftragte mich mit einer großen Patentrecherche und mit der Entwicklung einer Methode für die Auswertung von Patentzitaten für Erfinderworkshops.

Phase 3: Massive, positive Rückwirkung

Meine neue Aufbruchstimmung wirkte auch intern ansteckend: Ein Kollege fragte mich nach einem Einstieg in sein Methodenprojekte "Anforderungsmanagement". Er nahm an mir wahr, dass ich a) selbstbewusst genug sei und b) methodisches Knowhow habe. Aber auch sonst lagen wir auf einer Wellenlänge, auch so etwas ist sehr wichtig. Da ich ihn nur unterstützen sollte und ich noch Kapazität frei hatte, sagte ich ihm zu. Und seine Auftraggeberin stimmte meinem Einsatz nach einem Vorstellungsgespräch auch zu. Das war 2010, also vor sechs Jahren. Ein Wendepunkt von abwärts zu aufwärts.

Zwischenziel: erreicht 

Die alte Welt abgeschüttelt und in eine neue gestartet.

Meine Projekte liefen gut. Lang verschüttete Stärken von mir erwachten neu und trieben die Aufwärtsspirale weiter. 

Phase 4: Angebot zum Jobwechsel

Und dann kam das, was ebenfalls immer mein Zielbild war. Ich hatte mir mal gesagt, meine berufliche Reife und Anerkennung werde ich irgendwann daran erkennen, dass nicht mehr ich mich bewerben muss. Sondern dass man mir ungefragt einen Job anbietet. Und so kam es. Allerdings nicht in meinem wichtigsten Zielberufsbild "Patentingenieur". Das Angebot bezog sich vielmehr auf eine Rolle, die ich vor geraumer Zeit mal inne gehabt hatte, aber ad acta gelegt hatte: Ich sollte als Fachbereichsprojektleiter ein IT-Projekt leiten: Die Entwicklung einer neuen Datenbank für die Technische Projektleitung.

Analyse: Wie kam es dazu?
Vielleicht ein Luxusproblem, aber mich quälte ein bisschen die Frage, warum das Angebot nicht aus der Patentabteilung kam. Sondern aus der Abteilung, bei der ich "nur" frei aufgespielt hatte. Meine heutige Erklärung lautet:
  • Man kann mir nur Stellen anbieten, die es schon gibt.
  • Das Patentwesen betrieb die Projekte, die mir vorschwebten, nicht. 
  • Ich brachte ins Anforderungsmanagement "nur" meine Erfahrung ein. Mit der dazu gehörenden Distanz, aber also auch ohne missionarischen Eifer. Das führt zu Gelassenheit. Es gibt Chefs, die ziehen so eine Einstellung einem galoppierenden Eifer vor. 

Phase 5: Performance

2012 entwickelte sich mein Zyklus zum Superzyklus. Ich wechselte zum Kunden und übernahm die angebotene Rolle. Was waren meine Motive?
  • Ich hatte großen Respekt vor der Aufgabe: Seit fünfzehn Jahren hatte sich etliche Projektleiter erfolglos an der Aufgabe abgemüht. Das schreckte mich, aber verlieren konnte ich auch nichts.
  • Ich wollte "erst mal reinkommen". Und mich dann umschauen.
  • Die Stelle war finanziell sehr gut dotiert. 
Ich spielte meine Rolle so, wie sie meinem "Glauben" an gute IT-Systeme entspricht: Benutzerorientiert. Der Witz war: Später führte der IT-Bereich des Unternehmens die "agile Methode" ein. Ich lernte, dass diese genau meinen Werten und Vorstellungen entsprach. So etwas hätten wir schon 2000 bei IBM gebrauchen können.. Ich wurde "Product Owner". Mit Überzeugung, aber immer noch nicht-missionarisch. Allerdings kostete mich der Job etliche Nerven. Der Grund war  en meine Anwender. Ich hatte früher schon schwierige Klienten und Anwender. Easy ist es nie. Aber hier gab es fast nur Leute, die von sich restlos überzeugt waren. Ich musste genau auswählen, wenn ich in mein "Kernteam" nehmen wollte. 

Die agile Methode sieht schrittweises Vorgehen mit viel Anwenderfeedback vor. Genau das passte. 2014 gingen wir mit dem Release 1.0 in Produktion. Ein großer Erfolg.

Phase 6: Belohnung

Was auch schön war: Zug um Zug bekam ich Anerkennung und Belohnung für meine Schritte zum Ziel. Ich kannte bereits nicht (oder sehr spät) entlohnte Erfolge und unverdiente Belohnung. Jetzt lernte ich den Boosteffekt von schneller Belohnung kennen. Dreimal hintereinander wurde meine Gehaltsstufe aufgewertet. Die Gespräche und Briefe hierzu gehören zu meinen besten beruflichen Erinnerungen. Danke!

Phase 6: Ende des "Superzyklus"

Das Ende wurde von außen eingeleitet - wobei "außen" hier nur außerhalb meines Projektscopes heißt. Genauer müsste ich sagen: Innerhalb des Topmanagements. 2015 stand im Zeichen management- und teilhaberinterner Konflikte, die zu gigantischen Ausmaßen anwuchsen. Zeit zu gehen.

Oder wie Jack Welch einmal formulierte: "Change before you have to."

Dienstag, 29. Dezember 2015

Meine Dezemberbücher

Dezember Literatur (meine):

  • Rainald Goetz, "loslabern" (2008)
  • Gustave Le Bon, "Psychologie der Massen" (1895
Nicht zu Ende geschafft:

  • John Brockmann (Hrsg.), "Worüber müssen wir nachdenken?" (2014)
  • Jonathan Franzen, "Unschuld" (2015)
  • Benham T. Said, "Islamischer Staat" (2015)
Goetz hilft, das vorige Jahrzehnt in Berlin zu verstehen, Le Bon, das vorige Jahrhundert. Mir wichtig: Dank Goetz weiß ich jetzt sicher, dass die gesponnen haben und nicht ich. Und dass ich nichts verpasst habe, wenn ich abends nicht in diesen selbstbezüglichen Ick-bin-jetzt-Berliner-Kreisen Mannheimer MBA-AbsolventInnen war.

Le Bon erklärt, warum zu viel Intelligenz in der Massengesellschaft zur Erfolglosigkeit verdammt. Die Massen lernen nicht durch Einsicht sondern durch Nachahmung. Um nachahmlich zu sein, darf man ihnen als Führer geistig nicht zu weit voraus sein. Wer unnachahmlich seiner Zeit zu weit voraus ist, dem folgt keiner. Man darf auch nichts erklären, dann verliert man seinen Nimbus (vgl. Max Frisch, Homo Faber: "Der Mann will die Frau als Rätsel um sich an seinem Unverständnis zu berauschen."). Beides hatte Schröder begriffen und das FAZ-Feuilleton bückte sich fortan, um sich an den tiefer gehängten Decken nicht den Kopf zu stoßen.

Goetz erklärt das Phänomen "24-Jährigkeit", Le Bon den Erfolg der Schröderhaftigkeit. Liest man beides zusammen, hat man Berlin in den Jahren zwischen 2001 und 2008 verstanden.