In 20 Berufsjahren und etlichen Jahren in Parteien und Bürgerinitiativen destilliere ich allmählich die eigentlichen Motive vieler sogenannter Leistungsträger und moralischer Vorbilder heraus.
Wohlgemerkt, ich meine in diesem Posting nicht die Leute, die in Beruf und Amt die Ärmel aufkrempeln und das tun, was sie zuvor versprochen haben. Für die Ergebnisse zählen und die mit Ergebnissen zufrieden sind. Die abends auch abschalten können und ein eigenes halbwegs erfülltes Privatleben haben. Die hoffentlich auch immer noch die Mehrheit bilden, aber sicher bin ich da nicht mehr. Jedenfalls meine ich im Folgenden diese Leute nicht.
Ich rede vielmehr von denen, bei denen man sich manchmal fragt, woher sie die Energie nehmen, für die hohen Preise die man für außergewöhnlichen Aufstieg zahlen muss. Oder für eine Fassade, die immer perfekt scheint, und nie Angriffsflächen für Kritik bietet, sich nie positioniert, aber unentwegt anderer nach ihrer Position befragt.
Inzwischen habe ich einige von ihnen näher kennen gelernt und ich kann berichten. Natürlich achte ich dabei darauf, keinen Vertrauensbruch zu begehen. Aber die Erkenntnisse sind sicher hilfreich für andere und deshalb fühle ich mich verpflichtet... - aber jetzt argumentiere ich fast schon wie die, deren Fassade ich eigentlich angreifen will.
Berufsleben
Doch, in unserem System kann man mit Leistung weiterkommen. Das habe ich selbst erlebt und deshalb bin ich mit unserem System grundsätzlich im Reinen und zufrieden. Insbesondere wenn man die Nutznießer der eigenen Ergebnisse persönlich kennt, und man sich auf sie einstellen kann, dann kann man -im Team- wirklich etwas Schaffen. Und schon zu meinen Studienzeiten sagte mein Werkstoffkundeprofessor: "Und das ist das Befriedigende am Beruf des Ingenieurs und das wird sie ewig antreiben."
Ein gutes Team samt "gutem" Vorgesetzten zu finden, das sind die Randbedingungen dafür. Das ist die ganze Kunst des Berufslebens, insbesondere des Stellenwechsels: zu erkennen, ob hierfür gute Bedingungen bereits vorhanden sind oder ob man sie schaffen kann.
So viel zur Präambel, jetzt zum eigentlichen Punkt. Ich schaffte es immer wieder in die Nähe von hochgestellten Managern zu kommen, weil sie mir vertrauten. Ich bot ihnen Zuverlässigkeit, sie boten mir Vertrauen und Ressourcen. Dazu gehörten Vorstände, Geschäftsführer, Bereichsleiter und - NGO-Gründer.
Ich lernte etwas über ihre Kriterien und Ziele. Und oft über ihren Werdegang. So weiß ich, dass ich sowohl Aufsteiger als auch hoch Geborene kennenlernte. Und ich kann sagen, die Herkunft macht einen Unterschied in der Motivation, aber keinen Unterschied über "gute" und "schlechte" Motivation. Es gibt die Aufsteiger mit schlechten Charaktereigenschaften, die es bis ins Kanzleramt schaffen. Und es gibt den Nachwuchs der "oberen Zehntausend", der seine Bedingungen zu schätzen weiß, sich trotzdem liberal gibt und Leistung unabhängig von der Herkunft anderer anerkennen kann.
Die Aura der Macht hat mich lange fasziniert. Mir genügte es aber immer, für sie zu arbeiten. Nie neidete ich ihnen ihren Rang. Denn ich durfte selbst sehen, welchen Preis bzw. Einsatz man dafür zahlen muss. (Ich lese gerade eine Biographie von Bismarck, und auch ihn zeichnete die Abwesenheit von Neid aus.)
Ich lernte aber auch die dunklen Seiten der Mächtigen kennen. Die Seiten, die ihnen eigentliche Energiequelle sind. Die sie zu unermüdlichen Einsatz treiben. Und die sie brutal unempfindlich gegen harte Entscheidungen machen. Die den Unterschied machen, ob man Gewalt nur phantasiert oder sie auch auslebt. Ich las meine Alice Miller und bekam in der Realität praktischen Anschauungsunterricht. Da waren Alkohol abhängige Vorstände, die keine Hemmung hatten, sich mit mir im alkoholisieren Zustand über Sicherheitsthemen zu besprechen. Da waren junge Aufsteiger, die als Geschäftsführer junge, gute Nachwuchskräfte aussaugten als wären sie Maschinen. Maschinen, die man ohne Wartung dauerhaft jenseits der Belastungsgrenze fährt. Die also Maschinen besser behandelten als ihre Mitarbeiter. Und da waren Geschäftsführer, die mir offenbarten, dass sie immer noch um den Leistungsbeweis gegenüber ihren Vätern und um die Liebe ihrer Mütter kämpften. Die die fehlende Anerkennung oder Liebe als ewigen Schmerz empfinden. Denen Vater und Mutter immer noch die einzig wichtigen Menschen im Leben sind, und hinter denen alle Nahestehenden, inkl. der Familie die sie selbst gründeten, zurückstehen müssen.
Alice Miller beschrieb dies in ihrem Buch "Das Drama des begabten Kindes": Das begabte Kleinkind erkennt die Bedingungen, unter denen seine Eltern bereits sind, es zu lieben. Alle Intelligenz verwenden sie auf die Analyse der Mimik, Gestik und Sprache ihrer Eltern und suchen ihnen zu gefallen. In den Genuss ihrer Gefallsucht und Empathie kommen Zeit ihres Lebens nur ihre Eltern. Solange bis diese sie endlich erlösen und anfangen, ihr Kind bedingungslos zu lieben.
Es wäre der Moment, in dem ihre Akkuladung schlagartig zusammenbräche, wenn ihre Eltern ihnen nachträglich offenbarten, dass sie ihr Kind schon immer angenommen, akzeptiert und geliebt hatten -vorausgesetzt, es wäre die Wahrheit. Ihre Motivation würde sich dann auf sie selbst stützen. Darauf, was ihnen selbst und ihrem eigenen, selbst gewählten Kreis wichtig ist.
NGOs
Und Vorsicht: Diese Diagnose gilt nicht nur für die, die es nach oben geschafft haben. Es gilt auch für die Strebenden, die nie oben ankommen werden -mangels Ressourcen. Die aber den Ehrgeiz ihrer Eltern ins Ziel bringen wollen. Und die als Strategie das Bündnis mit den Mächtigen wählen. Und die wissen, dass sie ihnen keine besonderen Ressourcen bieten können. Und die stattdessen Unterwerfung anbieten. Die rechte und linke Hand zu sein. Die willfährige, servile Assistenz zum Beispiel. Die hohen Einsatz bringt, zum Beispiel in Form von Überstunden. Die sich das Vertrauen der Untergebenen erschleicht und ihr Wissen dann zum Verrat anbietet. Auch vor diesen muss man sich in Acht nehmen. Sie wissen den o. g. Mächtigen zu gefallen, weil sie ihre Motive teilen und sich auch äußerlich gut an die bei Hofe dominanten Personas anpassen können.
Einigen gelingt es, im Sog der Autorität nach oben zu kommen. Andere weichen auf die moralische Schiene aus. Und diese steht bei beruflich nicht so talentierten Leuten gerade besonders hoch im Kurs. Weil in der Politik inzwischen auch die nicht so Begabten an die Machthebel gekommen sind. Die Tätigkeit in einem NGO bietet ihnen den Vorteil, eine andere Karte spielen zu können. Wer mit Intelligenz, Mut oder Tatkraft nicht so gesegnet ist, kann immer noch die moralische Karte spielen. Kann auf seine moralische Überlegenheit verweisen und andere mit deren Unmoral ausbremsen. Solange sie noch auf ihren Beruf angewiesen sind, arbeiten sie hinter den Kulissen gerne an nicht-leistungsbezogenen Beförderungsmerkmalen, wie z. B. Quoten für Minderheiten. Ihr Ziel ist es hier, andere für sich kämpfen zu lassen, und dann selbst von den "Errungenschaften" zu profitieren. Diese Philosophie kann man 1:1 auch in einem NGO ausleben: Moralische Werte preisen und ihre Einlösung von anderen einfordern.
Erkennungsmerkmale:
Die wichtigsten Erkennungsmerkmale nach meiner Beobachtung Erfahrung sind:
1. Scheinbar unerschöpfliche Energie.
2. Perfekte Fassade. Moralische Perfektion
3. Scheinbar keine private Seite, keine Schwächen.
4. Tendenz zur Rechthaberei, die sich mal auf (sorgsam abgesicherten) Informationsvorsprung und mal auf innere Unsicherheit stützt.
Empfehlungen:
Meine einzige Empfehlung lautet, diese Leute zu meiden. Sobald man sich sicher ist, es mit einer Autorität -oder Peer- zu tun haben, deren Motivation ein seelischer Schmerz ist, sollte man den Abstand vergrößern. Da man sie aber erst mit der Zeit kennenlernt, sollte man grundsätzlich widerstehen, zu früh zu viel von sich preiszugeben. Einerseits ist Vertrauen ein Beschleuniger in jedem Projekt. Andererseits ist mißbrauchtes Vertrauen eine der signifikantesten Ursachen für Misserfolg, oder häßlichen Umgang mit Erfolg.