Donnerstag, 30. Juni 2011

Wessis und Weimar

Europa ist ein Ideal einer Gemeinschaft friedlicher, Handel treibender und sich kulturell austauschender Völker. Dieses Ideal hängt nicht vom EURO ab.

Man erzählt uns, der EURO habe nur Vorteile gebracht. Als Beweis wird dann gebracht: Die wegfallenden Wechselgebühren und die aufgewerteten Schwachwährungen, die sich erst damit den Import deutscher Waren leisten können. Man muss kein Volkswirt sein, um das erste Argument als zu schwach und das zweite nicht nachhaltig zu finden.

Wer aber trotzdem noch Widerworte gibt, z.B. auf Parteitagen, der bekommt das Krieg-und-Frieden "Argument". Hat Deutschland in Europa etwa zwei Weltkriege wegen offener Währungsfragen angezettelt? Sind die Deutschen damals mit Bildern von Nachbarvölkern, die einen gemeinsamen Währungsraum verweigern, aufgestachelt worden? Nein. Regierungen stacheln ihre Völker mit simplerer Propaganda auf. (Oder ging es im Hintergrund um Währungsfragen?) Aber davor muss es ihnen schlecht gehen. Siehe Weimar.

Die Redaktion Focus z.B. zeigt in Richtung Akropolis den Stinkefinger. Die BILD-"Zeitung" listet die Privilegien auf, die sich "die" Griechen gönnen. Merkel forderte erst von den Griechen und dann von uns mehr Fleiß, um all die Staatsschulden stemmen zu können. Das reizt uns umso mehr, als wir ja ein Jahrzehnt Reallohnverluste hinter uns haben. Ich frage mich auch wie es zusammenpasst, vor Krieg zu warnen aber Stimmung gegen einzelne Völker zu machen.

Nein, das Gegenteil ist richtig. Der EURO hat in den europäischen "Tigerstaaten" in Blasen getrieben. Irland, Island, Spanien galten als Musterländer entfesselter Aufstiegskräfte. Es hat sich alles als nicht nachhaltig erwiesen, sondern wie immer im Turbokapitalismus als Abfolge von Extremen, bei denen die Letzten die Hunde beißen: das gemeine Volk.

Helmut Kohl stimmte dem EURO zu. Wohl als "Preis" (hier geben sie es zu) für die deutsche Einheit. Lafontaine hielt schon die deutsche Währungsunion für eine Überforderung. Aber warum wollte Europa den EURO?

Mit den Volkswirtschaften ist es ein bisschen wie mit der Energie. Jede Region hat ihre Stärken und Schwächen und ein eigenes Profil. Photovoltaik macht in Skandinavien wenig Sinn und Windkraft in windstillen Orten. Wasserkraft kann man nur vor Ort nutzen. Kohlevorkommen sind regional verteilt. Deutschland hat von allem ein bisschen. Deshalb beherrschen wir auch alle Energietechniken. Schaut man genauer hin, sind es auch in Deutschland nur wenige Regionen, die den ganzen Karren ziehen. Berlin, Brandenburg, Bremen, Sachsen-Anhalt ziehen den Karren nicht. Bayern wurde früher gezogen und hat von der Verlegung einiger Industrieunternehmen von Ostdeutschland oder Berlin profitiert. Z.B. Siemens und BMW. Auf Dauer kann man sich nicht gegen die Gegebenheiten stemmen. Die Hilfe soll immer nur Starthilfe sein.

WIr beobachten: Bayern ließ sich früher vom Ruhrgebiet ziehen, hat das aber vergessen und stänkert heute gegen jeden, der seine Hilfe beansprucht. Die Länder, die Transferleistungen beziehen, betrachten das als Recht, das ihnen zusteht. Berlin und Brüssel glauben, wer den Solidaritätszuschlag und den Länderfinanzausgleich stemmen kann, der kann noch viel mehr stemmen.

Und wenn die Wessis aufmucken: "Krieg und Frieden". Der letzte Balkankrieg lehrt uns, dass alte Wunden und Verletzungen, wenn sie nicht korrigiert wurden, neue Kriege nähren können. Und das Schieflagen im Finanzausgleich den Auslöser liefern können. Mithin befrieden große Transfersysteme die Empfänger, die Leistenden aber wollen das zeitlich begrenzen und einen Fortschritt sehen. Und unsere Regierungen und Mainstreammedien glauben, dass uns die Weimarer Republik als Abschreckung dient, so dass wir lieber still bleiben.

Aber die Perspektive "Völker" ist eh irreführend, wenn es um große Zahlungsströme geht. Es geht um oben und unten. Die da oben haben wir rausgehauen, in Sicherheit sind sie aber noch nicht. Denn jetzt lautet ihre Frage: Welche Anlageform ist die beste für die turbulenten Zeiten? Sie flüchten in Sachwerte. Die da unten glauben, sie hätten die Griechen, Isländer, Spanier und Italiener -jeweils in Gänze- rausgehauen und können auf dieses Europa gut verzichten. Trotz eingesparten Wechselgebühren!

Wenn die da unten erstmal erkennen, dass sie nicht die dahinten, sondern die da oben, rausgehauen haben, wird es spannend. Die Bilder von den arabischen Revolutionen und griechischen Protesten warnen.

Noch tut uns hier nichts weh. Wir sind gut erzogen, erleben einen Aufschwung ohne Beteiligung und sind inzwischen sogar gegen Steuersenkungen. Weil wir besser verstehen, dass die den Schuldenhaufen nur vergrößern würden. So denkt eine schweigende Mehrheit. Eine gezielt kommunizierende Oberschichtenminderheit treibt die Regierung derweilen immer noch an, für sie nochmals in die längst leeren und überschuldeten Kassen zu greifen. Zur Finanzierung ihrer Griffe schlagen sie Leistungskürzungen bei Hartz IV und staatlichen Zuschüssen zu den Sozialversicherungen vor.

Über die EURO-Krise haben wir die Legitimationskrisen unseres Systems, mit dem wir uns bis dahin beschäftigt hatten, vergessen. Die Abfindungsorgien der Zumwinkels (20 Mio), Middelhoffs (25 Mio), der Manager von Karstadt (Wolfgang Urban: 10 Mio €), Dresdner Bank. Die Versager der IKB, Deutschen Bahn, Deutschen Telekom (Ron Sommer: 11,6 Mio €), Bertelsmann (Wössner: Buchhandel im Internet wird sich nie rechnen. Abfindung: 15 Mio), Deutschen Post, Infineon, Babcock-Borsig, EnBW, der Landesbanken

Unsere Eliten leben uns vor: Hol raus, was drin ist. Begründen tun sie es mit "Leistung" oder "Systemrelevanz". Zahlen tun wir es, so "ist unser System angelegt", wie Dirk Müller bei Anne Will zugab.

Wer sich dagegen ernsthaft wehrt, wird als "Dagegen" und Wutbürger diffamiert. "Dagegen" gilt inzwischen ausgerechnet in der Partei als Schimpfwort, deren Vorsitzende sich in den USA mit Freiheitsmedailien dafür auszeichnen lässt, dass sie beim Fall der Mauer in der Sauna saß und erst mal abwartete, ob und wohin der Zug startet.

Die uns diffamieren, blicken erstens selbst nicht durch und haben zweitens ihren Doktor bei anderen, die nicht regieren und beraten, abgeschrieben, fragen ihre Parteien nicht mehr, sind also selbst in einer Legitimationskrise.

"Dagegen" wird für uns aber zum Moment der Wahrheit. Man baut darauf, dass wir lieber vor dem Fernseher sitzen bleiben, als vor dem Kanzleramt, der Deutschen Bank oder auch dem Bahntower am Potsdamer Platz in Massen zu demonstrieren. Aber was was nicht ist, kann ja noch werden.

Das erste, was wir verhindern müssen, ist, dass der Mann, der die Spekulationsschleusen in Deutschland erst so richtig aufgedreht hat, Kanzler wird. Sie haben ihn sich schon ausgeguckt, den Steinbrück. Den Mann, der noch nie eine interne oder externe Wahl gewonnen hat, sich von Asmussen erst über den Tisch ziehen ließ, um ihn danach zu befördern, kurz: der Mann, der nicht Lösung sondern Problem ist, soll nicht Kanzler werden. Das müssen wir in der SPD verhindern.

1 Kommentar:

  1. Anonym30.6.11

    Mit wachsendem Interesse und Zustimmung gelesen. Tja. Nicht mal in Deutschland hat das mit der Einheit funktioniert - bis heute nicht! Die Schere zwischen München und Magdeburg öffnet sich weiter. Jetzt gibt's plötzlich im Gegensatz zu allen EU-Verträgen eine megateure Transferunion für Europa, die (genau wie die in Deutschland) keinem hilft, aber für böses Blut bei allen sorgt. Außer, man besitzt eine Bank, ist im Vorstand eines DAX-Konzerns oder heißt Silvana Koch-Mehrin. Dann ist dieses Europa natürlich 'ne prima Sache...

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