Ich arbeite seit einem Jahr mit in der sog. "Entbürokratisierung" unserer Produktentwicklung. Wir haben alle Prozesse, alle Regelungen durchforstet und dabei jede Menge Sperrmüll entdeckt. Wir haben unnötige Prozesse, sogar Prozesse, die den Aufwand gezielt hochtreiben (Maximierung interner Leistungen und deren Verrechnung). Und ich habe aufgedeckt, dass wir mehr Bürokratie regeln als das eigentliche Engineering.
Unser Management hat in den vergangenen Jahren immer weniger von dem verstanden, was auf dem Markt immer wichtiger wurde: Elektronik- und Softwareentwicklung. Und weil sie wenig davon verstehen, aber ihre Führungspositionen natürlich nicht abgeben wollen, haben sie immer mehr Gremien geschaffen, die Bewertungs- und Entscheidungsanträge von Fachexperten aufnehmen, verwalten, periodisieren etc. und 1x pro Woche behandeln.
Wo Experten permanent Entscheidungen treffen müssen, da wird ihnen ein 2. Experte zur Seite gestellt Und die beiden tragen dann täglich ihren Chefs Entwicklungsstände zur Freigabe bzw. Anerkennung zu.
Als wir das berichtet hatten, schrieben unsere Controller Kopfzahlen neben die Prozesse und so entstand das Abbaupotenzial. Manager wurden aber ausgenommen. Im Gegenteil. Im Nachgang wurden Bereiche gespalten, um weitere Bereichsleiterpositionen zu schaffen. Und es wurde eine Matrixorganisation geschaffen, um die Anwartschaften von Nachwuchsmanagern
Wir bauen also in der Tat ein bisschen Speck ab. Das ist das was berichtet wird. Aber wir bauen auch jede Menge Knowhow ab. Die wenigen Guten mit denen ich zu tun habe, kümmern sich inzwischen täglich um ihre Berufsprofile sowie interne und externe Stellenangebote. Es ist wie bei der Reise nach Jerusalem: wenn die Musik plötzlich stoppt, muss man in der Nähe eines Stuhls sein.
Wie konnte es so schnell zu diesem Substanz- und Kompetenzverlust kommen?
Im Kern war es die Unfähigkeit oder der fehlende Wille zu erkennen, worauf es morgen ankommen wird. Das Topmanagement wird dermaßen üppig vergütet, dass es sich für unfehlbar hält. So ähnlich wie bei den Banken kurz vor der Finanzkrise.
Es erkannte zwar jedesmal, dass es einen neuen Trend gibt. Schuf Innovationstöchter und -initiativen. Und besetzte die Führung jedesmal mit eigenen Buddies. Also wieder Fachfremden. Diese machten als erstes große Ansagen und "Committments", wo wir binnen kürzester Zeit stehen würden. Es ging dann jedesmal schief, und nach einem Jahr wurden neue Vorstände eingesetzt.
Es ist ein bisschen wie in Deutschland: Es gab einige wenige, die es kommen sahen. Die wurden als Spaßbremsen beiseite gedrängt: "Glaubt Ihr, Ihr wisst es besser?". Dann haben sie es nicht hingekriegt, und sagten: "Das konnte ja keiner wissen."
Den Verantwortlichen und ihren konformen Mitläufern gönne ich den Untergang. Aber den wenigen Guten wünsche ich das Allerbeste. Mögen sie alle gute, nein bessere Alternativen finden.