Freitag, 4. Dezember 2009

Der ganz normale Bahnsinn




Der ganz normale Bahnsinn



Ich war die ganze Woche mit der Bahn unterwegs. Bahnfahren heißt verärgert losfahren und verärgert ankommen. Gestern abend z.B. in Wolfsburg: Komme mit dem Taxi auf den letzten Drücker am Bahnhof an. Sehe den ICE noch am Bahnsteig stehen. Renne, hetze die Treppe hoch. Sehe zwei, drei Bahnbedienstete, Schaffner locker reden. Gucke sie im Vorbeirennen an, damit sie mich noch in den Zug lassen. Schaffe es so gerade. Steige ein und wundere mich: Ein leerer Wagon. Nanu? Endlich mal Sitzplätze? Nee, meint eine Frau, die im Begriff ist, auszusteigen. Der ist kaputt. Wir steigen aus, da wird ein ICE nach Berlin auf dem Nachbarbahnsteig angesagt. Ich frage die Bahnbediensteten: Fährt der ICE hier oder nicht? Antwort: Vielleicht fährt er noch. (Vielleicht!). Wir rennen also die Treppe wieder runter, ab zum Nachbarbahnsteig. Oben angekommen treffe ich einen früheren Projektkollegen. Der hat dermaßen gute Laune weil er vor einer Stunde einen guten Auftritt mit seinem Projekt hatte. Er meint: Los komm,auf in den Speisewagen. Ich sage: OK! Wir steigen wo wir stehen in die 2. Klasse ein und fast rückwärts wieder aus: Knallvoll. Ich sage, jetzt gehen wir in die erste Klasse. Rennen außen vor bis zur 1. Klasse. Drinnen sichern wir uns die letzten beiden freien Plätze in einem Abteil. Wir legen ab und müssen erst mal durchatmen. Gehen auf den Flur. 1.000 Leute schieben sich an uns vorbei. Der Kollege ruft nacheinander seine Projektkollegen an, um ihnen seine gute Nachricht zu übermitteln. Da sehe ich plötzlich einen alten Bekannten aus FDP-Zeiten. Denke ich zumindest, weil, irgendwie sieht er schon anders aus als früher. Vielleicht ist er es ja doch nicht. Da geht er doch glatt in unser Abteil, lässt sich den letzten Sitzplatz freiräumen. Nach 10 Minuten gehen auch der Projektkollege und ich in unser Abteil.

Dauert nicht lang und wir tauschen Geschichten aus über die schlimmsten Bahnerlebnisse in dieser Woche. Verdoppelung der Fahrtzeit zwischen Berlin und WOB? Gar kein Problem. Er zeigt mir kurz seine Präsentation. Dann sagt er, so und jetzt gehen wir auf ein Bier in den Speisewagen, ich geb Dir einen aus. Wir wollen gerade gehen, da verkündet der Zugchef, dass der Speisewagen jetzt geschlossen werde, weil das Personal schon 10 Stunden gearbeitet habe. Ich FASSESNICHT! Eigentlich hätten wir alle in diesem überfüllten Ersatzzug Freibier verdient. Und die Damen und Herren machen Feierabend.

Als wir uns darüber aufregen, gibt sich die ältere Dame in unserem Abteil als Bahnangestellte zu erkennen. Ich denke froh: So, die kriegt jetzt alles ab! Was sie denn mache bei der Bahn? Sie ist Führungskräftetrainerin. (Auf sie!). Ja, die Bahn habe es geschafft, dass das Personal im Zug immer freundlich bleibe, auch bei schwierigen Kunden. (Spinnt die?). Ich sage ihr, dass weniger unfreundliche Kunden das Problem seien, sondern der eine oder andere Manager im Bahntower. Wieviele Leute denn da arbeiten fragt mein Kollege. Na, so 2.000 sagt die Trainerin. Ich frage: Fahren die Manager eigentlich auch selbst mal Bahn? Sie: Natürlich. Allerdings mit dem chauffierten Audi. Ich frage nach: Wie, fährt der Chauffeur parallel zur Zugreise mit dem Audi um den Herrn Vorstand am Zielort abzuholen? Nein, nein... Aber sie kommen immer pünktlich an ihrem Zielort an, weil sie am Bahnhof von einem Audi abgeholt werden. (Wie machen die das? Gibts da ein Modell mit Warpantrieb?)

Wenig später tauschen wir die Plätze. Denn der andere Bekannte hat sich tatsächlich als der frühere "Parteifreund" entpuppt. Die Stimmungen in unserem Abteil schwanken nun zwischen der Euphorie meines Kollegen, meiner Wut auf die Bahn und der Tageserschöpfung des Liberalen. Dann kommen wir wieder auf die Bahn zu sprechen. Auf die Angestellten, die die Managerfehler ausbaden müssen. Und vor allem die armen Lokführer. Zum Beispiel so ein Selbstmörder, der traumatisiert einen Lokführer fast sein ganzes Laben lang. Neulich, erzählt die Trainerin, habe ihr ein Lokführer im Seminar erzählt, er habe im letzten Winter im Dunkeln auch mal eine Gestalt im Scheinwerferlicht gesehen. So spät, dass er wirklich nichts mehr tun konnte. Er habe die Luft angehalten als die Lok die Gestalt erreichte. Dann sei Schnee aufgeflogen. April, April. War nur ein Schneemann. Makabrer Scherz! Da sind sich alle einig in unserem Abteil, zu dem auch noch eine Ärztin gehört, die heute 11 Stunden Dienst geschoben hat. Sie bringt wenig Verständnis auf dafür, dass wir uns über Probleme mit der Bahn so auslassen können. Ich denke, die Phantasie von der Schneemanngeschichte angeregt, bei mir: Warum hört man eigentlich so wenig von Bahnmanagern, die sich vor Züge werfen? Die haben doch richtige Probleme, haben sich allein in Berlin den Zorn von zigtausend Fahrgästen zugezogen. Von mir als ICE-Kunden ganz zu schweigen.

Ein Bahnmanager, der sich vor seinen rasenden Angestellten wirft. Das wäre mal eine Verzögerung im Betriebsablauf, für die die Leute womöglich Verständnis hätten...

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