Donnerstag, 7. September 2023

Nach getanem Werk ist leichter Abschied

 Wenn Softwareprojekte live gegangen sind dauert es bei mir oft nur ein oder zwei weitere Releases, bis ich es als getanes Werk betracht. Sagen wir, sobald die letzte große Benutzergruppe "am Netz" ist und die gröbsten Fehler ausgebügelt sind.

Danach fällt es mir merkwürdig leicht, mich davon zu verabschieden. Im Kopf dachte ich immer, es seien zufriedene Anwender, die mich motivieren. Aber inzwischen glaube ich, es ist die geknackte Nuss, die mir die innere Befriedigung verschafft. Das nächste Projekt ist ja immer etwas größer oder schwieriger, und deshalb ist da immer eine Unsicherheit, ob man es denn schaffen werde. Und diese Unsicherheit zu überwinden ist für mich der erlösende Moment. 

Wenn ich auf dem TE-Gelände unterwegs bin, treffe ich manchmal Anwender von "früher". Oder einer von den ersten Anwendern stellt mich an der Kaffeebar einem anderen Anwender vor. "Ach, Du bist das?" höre ich dann oft. Und immer auch einen Kommentar zu der Anwendung selbst. Was gefällt, was nicht. Natürlich ärgere ich mich über Dinge, an die wir auch noch hätten denken können, und die nicht viel gekostet hätten. Aber eigentlich ist das Perfektionismus. Und den versuche ich mir seit Jahren abzutrainieren.

Mich interessiert schon länger ob es anderen auch so geht. Und immer wieder höre ich es in Interviews mit Sportlern und Künstlern entweder direkt oder indirekt heraus, dass auch sie diesen Effekt haben. Musiker werden nicht gerne auf alte Stücke angesprochen. Sportler nicht auf frühere Erfolge. Jedenfalls solange sie alle noch aktiv sind. Später, im Ruhestand, sprechen manche dann doch gerne darüber. So wie man hin und wieder gerne alte Fotos schaut. Man erneuert dann seine Identität mit früheren Werken, baut sie in die eigene Lebenslinie ein und sucht nach dem roten Faden.

Kann man diesen Effekt auch vergrößern und aufs ganze Leben beziehen?

Ich hatte ja geschrieben, dass mir der Abschied von Verstorbenen leichter fällt bei denjenigen, die ein erfülltes bzw. aktives Leben hatten, und mit denen ich im Reinen war, und es deshalb beurteilen konnte. Das Leben als die Summe aller Werke und die Reflexion darüber. Und natürlich die Summe aller Genüsse und Leiden.

Aber die Summe aller Werke. Wenn wir das, was wir abschließen einen Anfang hatte, unseren Beitrag und ein sinnvolles Ende, dann kann man es leicht beenden und ins Regal stellen. Könnte so auch das Gefühl sein, wenn das eigene Leben zu Ende geht?

Donnerstag, 31. August 2023

Das allmähliche Verschwinden der Heimat

Wenn nahe stehende Menschen sterben unterscheiden wir zwischen "davor" und "danach". Wir hatten vor etwa zehn Jahren, im Unglücksjahr 2013, einen regelrechten Schub. Da starben Großeltern, Onkels, Tanten aber auch Cousinen.

Jetzt scheint der Sensenmann wieder durch die Reihen zu gehen. Erst vorigen Sonntag waren wir zu einer Beerdigung in Gelsenkirchen. Die Eltern und Freunde waren immer ein Grund, ins Ruhrgebiet zu fahren. Aber so wie wir unsere Verwandten überleben geht es auch den alten Freunden. Und inzwischen gibt es die ersten, die gar keine Verwandten mehr im Ruhrgebiet haben.

Uns wird bewusst, dass es auch uns irgendwann so gehen wird. Dann kommen wir nicht mehr her. Dann fahren wir vielleicht einmal an Dortmund oder Gelsenkirchen vorbei und erinnern uns, das das mal unsere Heimat, unser Lebensmittelpunkt war. 

Ähnliche Gefühle hatte ich schon beim Anblick des abgerissenen RWE Hochhauses in Essen. Ich weiß noch, wie ich am 2. Mai 1996 hier meinen ersten Berufstag als Ingenieur antrat. Zwar kannte ich es schon aus meiner vorherigen Zeit als Werkstudent. Aber jetzt dachte ich: "Und das werde ich nun 40 Jahre machen?". Die vor mir liegende Zeit schien mir unendlich, unermessbar. Jetzt habe ich schon drei Viertel dieser Zeit hinter mir. Und sie schien mir nicht lang, weil fast dauernd etwas los war. 

Ich blättere zurück in meine Fotosammlung und sehe meine Eltern in meinem heutigen Alter. Ich sehe mich mit 20 oder 30 und halte mich da aus heutiger Sicht noch für ein Kind. Wie ambitioniert und obrigkeitshörig ich war. Wie lange ich brauchte, um vom Mitschwimmen zum Schwimmen in die eigene Richtung zu kommen. 

Und wie jung mir überhaupt Verwandte erscheinen, die ich damals für erwachsen und mitten im Leben hielt. Heute weiß ich von den meisten, wie passiv sie doch eigentlich durchs Leben gegangen sind. 

Umso heller strahlen die wenigen, die wirklich Spuren hinterlassen haben. Auch diese verwischt die Brandung im Sand allmählich. Aber sie waren zumindest mal da. Und es gab Leute, die da mitgemacht hatten, die es gesehen und anerkannt hatten. 

Mit diesen wenigen habe ich mich fast immer gut verstanden. Wir haben uns oft ausgetauscht. Und irgendwie entwickelten wir ähnliche Haltungen zum Leben. Man muss es nutzen, es selbst zu lenken versuchen - es greifen auch so schon genug andere ins Steuer. Und stolz sein auf alles was man gegen die Strömung schafft. Wir wussten und wissen es. Wir leben bewusst und schöpfen. 

Und irgendwann wussten wir um unsere eigene Sterblichkeit. Zunächst ein Schock, dann eine Art Befreiung. Dann kommt der Tod als der große Bruder des Schlafes.

Diese Menschen kann ich relativ leicht gehen lassen. Wenn da nichts Ungesagtes mehr gesagt werden wollte. Wenn man voneinander wusste. Ich kann dann ganz bewusst, und nicht so sehr überwältigt, Abschied nehmen. 

Am Sonntag verstand ich zum ersten Mal, warum es Trauer"Feier" heißt. Die beste Ehefrau von allen gestaltete den Tod ihres Vaters so, dass sie ihn noch einmal, in aller Sanftmut und mit den richtigen Klängen, hoch leben ließ. Das war würdig und schön. 

Natürlich verstand das nicht jeder. Und natürlich wissen die meisten Verwandten und Bekannten auch in höherem Alter immer noch nicht, was Würde und Anstand sind, was es heißt, aktiv zu leben. Ich habe mich früher immer gefragt, ob es diese Leute nicht auch in anderen Verwandtschaften gibt. Warum ließt man sie nie bei Hermann Hesse zum Beispiel? Heute weiß ich es: Man versaut sich nur den Tag und das eigene Erleben, wenn man sie wahrnimmt. 

Und so verließen wir am Sonntag unsere Heimat und sahen sie im Rückspiegel wieder etwas blasser werden.

Mittwoch, 16. August 2023

Zwei gern gehörte Experten sind zu früh verstorben

Am 03. August verstarb "langer und schwerer Krankheit" die Börsenjournalistin Katja Dofel. Sie wurde nur 52 Jahre alt. Ich erfuhr es auf dem Account ihres langjährigen Weggefährten Markus Koch. Sie gehörte zu den Journalisten, die mir Ende der 90er Jahre die Börse beigebracht haben. Ich sah sie bis vor kurzem genauso regelmäßig wie Markus Koch, Jens Korte und Anja Kohl.

Sie war eine sympathische Expertin, in meinem Alter und mir nur über die Medien vertraut. Deshalb ging mir die Nachricht von ihrem Tod nahe. Ich hatte mich einige Tage vorher mal halb bewusst gefragt, was sie eigentlich macht. Denn schon seit längerem war sie von der Bildfläche verschwunden. Und dann diese böse Nachricht.

Eine andere Todesnachricht ereilte mich gestern. Stefan Tilkov ist vorigen Donnerstag gestorben. Er war Mitinhaber einer IT-Dienstleistungsfirma (INOQ). Mir war er seit über zehn Jahren als sehr kompetente und angenehme Stimme in Heises Podcast "SoftwarearchitekTour" vertraut. Er war der erste, von dem ich fundierte Informationen über die Bedeutung von IT-Architekturen hörte und lernte. Auch er war in meinem Alter. Anders als Katja Dofel erwischte es ihn wohl mehr oder weniger aus heiterem Himmel.

Mich berührt das, weil ich beide einseitig kannte, weil sie gut waren, und weil sie in meinem Alter waren. Nichts schützt einen davor, dass es einen früh erwischt. 

Wieder einmal werde ich still. Mögen sie in Frieden ruhen.

Sonntag, 6. August 2023

Improvisation als Ausgangspunkt für Karrieren

Bei Walter Röhrl waren es die zu kleinen Radkästen seines Rallye Fiat 131. Bei Larry Mullen jr. das fehlende Geld für einen Schlagzeuglehrer. Und bei Jürgen Klopp war es zu wenig Zeit für eine Vorbereitung als Trainer. Um nur einige zu nennen. Alle drei machten aus einer Not eine Tugend und genau diese machte später die Unterschiede, die ihre Karrieren begründeten:

Walter Röhrl erkannte, dass er die Kurven nicht so anfahren konnte wie alle anderen, um entweder mit einem Powerslide oder einer Drift möglichst schnell durch zu kommen. Fiat Ingenieure hatten Räder und Radkasten nicht aufeinander abgestimmt und so blieb ihm nur ein sehr eingeschränkter Lenkwinkel. Er hätte das akzeptieren und als Entschuldigung für ausbleibende Erfolge nehmen können. Aber er tat das Gegenteil, er entwickelte einen alternativen Fahrstil: Die Ideallinie, bei der möglichst geringe Lenkwinkel benötigt werden. 

Larry Mullen Jr. offenbarte anlässlich seiner Auszeichnung für sein Lebenswerk durch seinen Schlagzeugausrüster Yamaha, dass er Schlagzeug nicht wie jeder andere gelernt habe, weil er keinen Schlagzeuglehrer hatte. Das habe bewirkt, dass bei ihm zwischen ersten Inspirationen für einen Song und dem späteren Werk nicht der Filter für das üblicherweise "Machbare" liege. Hätte er eine Schlagzeugschule besucht, wäre er so nie an den Song "Sunday, bloody Sunday" herangegangen.

Und Jürgen Klopp erzählte im Podcast "Hotel Matze", dass er völlig ohne Vorbereitung plötzlich Trainer wurde. Er sei zunächst so verunsichert gewesen, dass er ständig bei ihm bekannten Trainern angerufen hätte um sich Rat zu holen. Bis er die Erkenntnis hatte, er wolle keinen Mix aus ihm bekannten Trainern entwickeln sondern einen eigenen Stil. Geholfen habe ihm der Rat eines Trainers, dass die Unsicherheit am Anfang normal sei. Das wichtigste für seine Mannschaft sei aber, dass er so wirke als wisse er was er tue. Man müsse eh dauernd entscheiden, was man im Trainingsprogramm weglasse, niemand aber wisse, ob dies aus bewusster Taktik oder Unwissenheit passiere ;-).

Ich glaube, dass uns in Sport, Kunst, aber auch im Ingenieurwesen diese Fähigkeit zum zuversichtlichen Improvisieren fehlt. Wir sind auf Perfektionismus, vor allem aber auf Fehlerlosigkeit getrimmt. Achten ständig auf Rechtfertigbarkeit unserer Arbeit und sichern uns ab. So entsteht aber nichts Neues, jedenfalls nichts großartig Neues. Die Arbeit bleibt so ohne Unterschrift.

Samstag, 5. August 2023

DFB reagiert: Abschaffung des Wettbewerbprinzips im Jugendfussball

Nach dem Ersatz des objektiven durch das relative Leistungsprinzip bei den Bundesjugendspielen zieht der DFB nun nach. Ab 2024 findet der Jugendfußball nicht mehr als Liga mit Ergebnissen und Tabellen statt, sondern als Happening, bei denen jeder mal den Ball haben darf.

Kein Witz: Quelle

Das DFB Management um Präsident Neuendorf, den eine Karriere als SPD-Pressesprecher zu seinem Amt qualifiziert hatte, hat erkannt, wie ausgrenzend das Leistungsprinzip für die Jugend ist. Da werden Spieler ausgewechselt, wenn sie die Erwartungen nicht erfüllen. Sie werden an schlechten Tagen nicht angespielt. Usw.

Damit macht der DFB jetzt Schluss. Zitat:
Einsatzzeiten dürfen sich entsprechend nie nach Ergebnissen richten. Alle Kinder wollen und sollen spielen! Auch bei den F-Junior*innen sind Meisterschaftswettbewerbe demnach unangebracht! Die Kinder sollen sich frei und ohne Ergebniszwänge entfalten und entwickeln können. In vielen Kreisen wird hierfür auch mit der innovativen FairPlay-Liga gespielt. Das bedeutet, es gibt keine Schiedsrichter, und die Kinder entscheiden selbst!

Ist das nicht toll? Weiter heißt es:

Um den Leistungsdruck zu minimieren und die sportliche Entwicklung der Kinder stärker in den Vordergrund zu rücken, wird in der G- und F-Jugend keine Meisterschaftsrunde ausgetragen. Stattdessen sind Spielenachmittage und Festivals mit mehreren Mannschaften und Spielfeldern vorgesehen.

Integriert in die Spielformen ist ein Rotationsprinzip mit festen Wechseln der Spieler*innen, um allen Kindern Einsatzzeiten zu ermöglichen. Wichtigstes Ziel der Reform in den Altersklassen U 6 bis U 11 ist es, mit einer kindgerechten Art des Fußballs den Spaß am Spiel nachhaltig zu fördern. Den Spieler*innen werden mehr Aktionen und persönliche Erfolgserlebnisse ermöglicht.

Hätte es das doch bloß schon zu meiner E-Jugendzeit gegeben! Wir hatten damals einen Schleifer als Trainer, der Kondition gebolzt hat und vor Spieltagen knallharte Auslese betrieb. Der mich nach der Halbzeit einwechselte und schnell wieder rausnahm, weil ich bei einem langen Pass vom Anstoßkreis aufs eigene Tor den Seitenwechsel vergessen hatte. Heute würde der Trainer sagen: Macht nichts, Hauptsache Du warst auch mal am Ball!

Dabei sein ist alles sagen sich ja auch unsere Nationaltrainer schon lange. Und die Frauen stellen sich da den Männern absolut gleich. Ist doch klar: Es geht vor einer WM doch wirklich nicht um Ergebnisse und Titel. Sondern darum, für welche politische Botschaft wir die Aufmerksamkeit der Welt nutzen und dass Frauen endlich so hoch bezahlt werden müssen wir Männer, auch wenn gerade keine arabischen Mäzene zur Stelle sind.

Warum übertragen wir das nicht auch auf die Wirtschaft? Es geht nicht mehr ums Geld verdienen sondern ums Dabeisein? Ach, machen wir schon, meinen Sie? Ja, also. Mir war auch schon länger so, aber ich dachte bis heute, dass ich mich verhört hatte. Oder dass da einige wenige irr gegangen waren. Aber Sie haben schon recht, Deutschland geht da nur progressiv voran. Wir werden der Welt schon zeigen, dass es ohne Leistung, Druck und dafür mehr Spaß am Spiel und Achtsamkeit viel besser geht...!

Ich bin nur gespannt, ob die arabischen und türkischen Eltern das auch so sehen werden. Die greifen ja jeden Schiedsrichter, der die Mannschaft ihres Prinzen zur Niederlage pfeift tätlich an..

Freitag, 4. August 2023

Meine Filmkritik zu "Oppenheimer" (Aktualisiert)

Vielleicht kann man heute schon sagen, dass die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts das vorläufige Allzeithoch menschlicher Fähigkeiten gewesen ist. Aber auch das Allzeittief. 

Die Entdeckungen, Entwicklungen und Schaffenskräfte in Wissenschaft, Kunst und Technik sind bis heute noch nicht ganz verstanden. Und leider verlieren wir allmählich auch die Fähigkeiten, sie vollends zu verstehen. Weil wir, zumindest im Westen und vor allem in Deutschland, dabei sind, Willen und Leistung zu diffamieren. Dazu gehört es, sich grundsätzlich auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner einigen zu müssen und alles in einfacher Sprache ausdrücken zu sollen.

Und damit bin ich bei meiner rein persönlichen Kritik an dem Film "Oppenheimer", den wir gestern im Cineplex Kino in Berlin Spandau gesehen haben.

Denn auch dieser leidet darunter, mit viel "Haltung" und Spektakel auf viele Likes aus zu sein, aber dabei auch Wahrhaftigkeit und Qualität zu opfern.

Aber nähern wir uns dem Ganzen vom Groben ins Feine. Die Berliner Humboldt Universität war einmal, man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, das Labor der hellsten Geister aus Wissenschaft und Literatur. Etliche Nobelpreisträger, deren Portraits man im Foyer der Universität hängen, zeugen davon.

Was Einstein, Heisenberg, Planck, Schrödinger, Bohr und andere in Berlin und anderswo entdeckten, modellierten, entwickelten, testeten, interpretierten war in kurzer Zeit so viel Stoff über das Verständnis der Beschaffenheit unserer Welt, dass wir bis heute dabei sind, es zu verstehen und Nutzen daraus zu ziehen.

Die Gegenwart der Wissenschaftler war aber leider auch von der Dynamik in einer anderen Disziplin geprägt: politischen Ideologien als neuem Motiv oder auch Vorwand für imperialistische Kriege. 

Und so griffen die Machthaber in Deutschland, den USA und der Sowjetunion sogleich nach den Wissenschaftlern um ein Wettrennen um Atombomben und Raketen zu starten.

Man muss sich das klar machen: Die Grundlagen für die prägendsten Leistungen der Menschheit, die Atombombe und die Mondlandung, wurden in Berlin entwickelt. Die Umsetzung erfolgte aber in den USA (und der Sowjetunion).

Die USA profitierten zweimal von Deutschland: Während des Krieges nahmen sie geflüchtete Wissenschaftler aus Deutschland auf. Nach dem Krieg griffen sie Forschungs- und Entwicklungsergebnisse als Siegermacht aus den deutschen Laboren ab. Wernher von Braun wechselte vom V2-Programm in die NASA und bereitete den Weg zum Mond.

Aber davon handelt der Film von Christopher Nolan nicht. Nicht ganz. Sondern von dem Projektleiter und Atomphysiker Robert Oppenheimer in Los Alamos. Der Zwiespalt zwischen dem Reiz der Erkenntnis und der Verantwortung für den Missbrauch der Wissenschaft wurde bei uns schon in der Schule gelehrt, wo wir in den 80ern "In der Sache Robert Oppenheimer" lasen. Und schon damals war es die Stunde derjenigen, die es in Mathe und Physik nicht so weit brachten, die sich dann aber groß hervortaten, angehenden Physikern und Ingenieuren schon mal ihre moralischen Grenzen und Pflichten aufzeigen zu wollen. Unser linker SoWi-Lehrer verstieg sich zu der Bemerkung, die Mondlandung habe dem Normalverbraucher nur die Teflonpfanne gebracht. 
Dieses Niveau haben wir heute in Deutschland ja im XXL-Format.

Regisseur Nolan nimmt aber nicht exakt diese Richtung sondern passt sich noch mehr an unsere Zeit an. Denn seine Botschaft lautet:

Du sollst Deine Fähigkeiten nicht in den Dienst der bösen Russen stellen. Und: Du sollst den Weltfrieden nicht als Wirkung einer Sicherheitsarchitektur und Abrüstung betrachten sondern als Wirkung einer einzigen Supermacht mit Atomwaffen: Uns!

Denn die Russen kommen immer mit einer Verführung. In den 30er und 40er Jahren war es der Kommunismus (übrigens auch eine deutsche Erfindung). Und was man heute kaum noch weiß: Stalin hatte seine ersten Regierungsjahre dem Marketing der roten Ideologie gewidmet, indem er Moskau als Vorzeigegesellschaft herausputzte. Er beutete russische Städte und annektierte Länder aus um die Welt mit einem Schauspiel in Moskau zu täuschen. Inmitten von Armut, Hunger, Mangel gab es ein Moskau, dem es an nichts fehlte, das sogar glänzte. Journalisten, Intellektuelle und auch Wissenschaftler ließen sich davon blenden und anstecken (Filmtipp: "Red Secrets" von 2019).

Und so gab es auch in den USA kommunistische Bewegungen, die via neu gegründete Gewerkschaften auch helle Köpfe gewannen. So auch einige der Atomphysiker in amerikanischen Universitäten. Oppenheimer flirtet immer wieder mit dieser Ideologie und ihren Protagonisten und zieht keine harten Linien gegenüber nahe stehenden Personen. Weil er die Völker als Bewohner der gleichen Welt denkt und nicht nach ihren Regierungen und Systemen unterscheidet, ist ihm irgendwann die Nicht-Zündung einer Atombombe wichtiger als der Gewinner im Rennen um ihre erste Realisierung zu werden. Der Film wirft die Frage auf: Wenn die Sowjets auch fähig sind, eine Bombe zu bauen. Von wem haben sie das Knowhow? Hat Oppenheimer ein doppeltes Spiel gespielt? Oder jemand aus seinem Projekt?

Oppenheimer diskutiert mit Einstein und anderen die Frage. ob die Zündung einer genügend starken Atombombe, namentlich der Wasserstoffbombe, so außer Kontrolle geraten könnte, dass sich am Ende die ganze Atmosphäre entzündet. Wenn so, sei das ein Grund, sie nie zu bauen. Und so periodisiert er auch nicht Edward Tellers Vorschlag, von der Kernspaltungs- zur Fusionsbombe zu wechseln. Und auch das wird ihm später negativ ausgelegt.

In der Schule hörten wir die Botschaft: "Wenn Du unbedingt Physiker oder Ingenieur werden willst, werden wir Dir aber genau auf die Finger schauen. Im Zweifel solltest Du Deine Arbeit einstellen. Oder sie zumindest für die linke Sache einsetzen."

Die Botschaft von Nolans Film ist: "Bedenke das Wohl des Planeten und lasse Dich nie mit den Russen ein. Wenn die Regierung Dein Projekt sponsert, bestimmt sie auch, was sie mit den Ergebnissen Deiner Arbeit macht. Und die Russen sind die Bösen." Und als Resume: Ohne Oppenheimer hätten wir heute nichts, womit wir die bösen Russen in Schach halten können.

Aber der Kampf gegen die Sowjets war gar nicht Oppenheimers ursprüngliche Motivation. Sondern der Kampf gegen die Nazis, denn Oppenheimer war Jude. Und nach der Kapitulation Deutschlands versiegt Oppenheimers Motivation, die Bombe jemals zu zünden. Aber er wird unter Druck gesetzt und macht weiter. 

Von der "Sache Robert Oppenheimer" zu "Oppenheimer" verschiebt sich also die Botschaft von "Die Bombe an sich ist schlecht und die Wissenschaftler sind Schuld" hin zu "Gegen die Russen ist die Bombe  nicht so schlecht."

Leider blendet der Film viele der interessantesten Fragen gänzlich aus:
  • War der Einsatz von Waffen gegen die Zivilbevölkerung nicht schon damals ein Kriegsverbrechen? (Die Frage wird im Russland-Ukraine Konflikt auch diskutiert.). Inwieweit dürfen Völker für ihre Regierungen bzw. Diktatoren haftbar gemacht werden?
  • Hat der Einsatz zweier Atombomben durch seine Anschauung und abschreckende Wirkung langfristig mehr Menschenleben gerettet als er in Japan gekostet hat?
  • Welche Schuld haben die USA insgesamt durch Bomben auf Zivilbevölkerung auf sich geladen?

Gibt es irgendetwas Neues oder Reizvolles, was den Besuch eines Kinos für diesen Film rechtfertigen könnte? Ich meine: Nein:
  • Nichts rechtfertigt die Dauer von 3h. Ich habe sie als Zumutung empfunden.
  • Keine visuellen Effekte, die das Verständnis von der Zündung einer Atombombe weiter vertiefen. Man hat das so schon gesehen (auch wenn man anerkennen muss, dass Nolan hier auf Computeranimation verzichtet hat und stattdessen eine reale Explosion mit analogen Mitteln gekonnt in Szene gesetzt hat.).
  • Dass die Mc Carthy haften Repressalien Oppenheimers auf der Rache eines gekränkten Wissenschaftsfunktionärs beruhten, wusste ich noch nicht. Diese Erkenntnis nehme ich allerdings als neu mit.
  • Inquisitionen, Verhöre, Drangsalierungen hat man im Film schon x-mal gesehen. 
Meine Empfehlung:
Wen der Stoff interessiert (insbesondere das spannende Projektleben in der Cowboyartigen Stadt Los Alamos) ist mit der Serie "Manhattan" besser bedient.

PS: Interessantes Interview mit Charles, einem Enkel von Robert Oppenheimer: TIME

Mittwoch, 2. August 2023

Am nächsten Morgen mit rauher Laune

Die See wechselte über Nacht ihre Laune. Schon am nächsten Morgen wollte sie von unserem sonnigen Flirt nichts mehr wissen. So ist das mit den Hanseatentöchtern. Sie gab mir nicht mal die Hand sondern ließ rot-gelb flaggen. Was so viel hieß wie: Nichts für Anfänger, aber die Rettung wird da sein, wenn du zu sinken drohst.

ich weiß was Sie jetzt denken und Sie haben recht. Da muss man selbst auf Abstand gehen und das rein dokumentarische Interesse eines Chronisten vortäuschen. "Ich bin nur hier um dich mit kalter Neugier zu beobachten. Nicht mit Gefühl. Wenn es spektakulär wird, halte ich einfach drauf."


Und sie lebte ihren Rausch mit Rauschen. Eine Armada heftiger Vorwürfe (für was?). Salven tosender Wellen schmiss sie an Land und Brecher. Zuhören wollte sie nicht, sie wollte walten.


Wenn das Schicksal ungebremst seinen Lauf nimmt, dachte ich, kann ich das sogar noch beschleunigen. Das Jiu-Jitsu des Fotografen sind die Effektfilter. Und so schaltete ich um auf den Rausch am Spektakel und ließ sie gewähren. Schon heute Abend könnte sie sich ausgetobt haben und es sich wieder anders überlegen. Ich aber würde in meinem Fotolabor sitzen und mich daran erinnern was ihr vielleicht schon wieder peinlich sein könnte. Vielleicht aber auch nicht. Mein Eindruck war: Die See weiß nichts vom morgen und nichts vom gestern. Sie lebt im hier und jetzt. Und genau das macht sie so hinreißend!






Dienstag, 1. August 2023

Am sonnigen Ostseestrand

Das Dauertief über Nordeuropa hatte die Mecklenburger Bucht in Wallung gebracht. So kam es, dass wir Wellen und Gischt sahen (und hörten), als wir an den Strand von Ahrenshoop kamen. Wellen hatte ich an der Ostsee nur selten gesehen. Im Herbst vielleicht, wenn wir mal wieder für eine oder zwei Nächte in Warnemünde in der Nachsaison gebucht hatten.

Aber heute passte alles zusammen. Die Sonne schien. Die Tafel am DLRG-Turm am Strandzugang in den Dünen zeigte eine Wassertemperatur von 18° Celsius. Das ist nicht jedermanns Wohlfühltemperatur. Aber wir sind ein bisschen abgehärtet aus dem Havelland. Der Sand weiß, die Strandkörbe fast alle noch ungenutzt. Aber wie kommt man an den Schlüssel? Und schon kam eine Mitarbeiterin von unserem Hotel entlang und verkaufte uns den, den sie gerade in der Hand hatte. Und da kann mir einer sagen was er will: Die Dinger sind praktisch, wenn so ein Wind geht. Man dreht ihn in Richtung Sonne und kippt ihn in eine angenehme Lage. Und dann hinpflanzen und sehen, was die anderen machen. Niemand traute sich ins Wasser. Ok, es war auch noch etwas früh, quasi direkt nach dem Frühstück. Und plenum venter non natat libenter ;-).

Nachdem uns die Sonne windgeschützt etwas aufgeheizt hatte, machte ich den Anfang. Schwimmen im Meer ist das Höchste. Im See ist es auch schon schön. Man stößt sich von der Stehleiter am Steg ab und ist augenblicklich das Leben an Land los. Aber dort fehlt der Seegang. Und denn erfuhr ich nun. Die Gischt rauschte. Die Wellenausläufer leckten am Strandsand und man bekam die erste Temperaturprobe an den Füßen. Und sogleich entzog sich das Wasser dem Willigen wieder mit einer Sogwirkung. Jetzt hieß es weitergehen. Schön, dass hier weder Muscheln noch Seetang lagen, der Strand war gut gekämmt. Und schon war ich bis zu den Knien drin und die nächste Welle erledigte den Rest. Heißa, jetzt brauchte ich nicht mehr zu überlegen oder mich überwinden ganz reinzugehen, das war jetzt erledigt. Und es war nicht zu warm, es war ganz schön frisch. Die Luft wirkte sogleich viel wärmer. Noch ein paar Meter rein. Die Möwen auf den Wellenbrecherpfählen schauten mich an und ich konnte erkennen dass sie grinsten.

Die nächste Welle nutzte ich, ich stieg ein und begann zurück an Land zu schwimmen. Herrlich! Sich den Kräften der Natur auszusetzen und einfach mitzugehen. Ein Wogen und Rauschen. Im Nu war ich zurück auf Kniehöhe und stand auf. Ich fühlte mich von Grund auf erfrischt! Gleich nochmal! Zurück ins Tiefe waten, gegen die Wellen schwimmen und dann irgendwann umkehren. Herrlich. Alles was größer ist als man selbst bindet die ganze Aufmerksamkeit und alles andere ist vergessen. So muss es sein. 

Irgendwann wurde es mir dann doch etwas frisch und ich ging zurück an Land. Meine Frau hielt ihr Smartphone noch auf mich gerichtet, sie hatte mich photographiert oder gefilmt, was weiß ich. Eine Fahrradklingel kündigte den Eiswagen an. "Like Ice In The Sunshine", der Tag war wirklich perfekt. 

Die Möwen schrien, lachten, flogen tief und lauerten auf das Langneseeis das rund um uns herum ausgepackt wurde. Die Brandung rauschte. Und ich dachte: Man muss doch wirklich nicht ans Mittelmeer fahren. Man muss einfach nur an der Ostsee die richtigen Tage erwischen. 

Donnerstag, 27. Juli 2023

Wissenschaft und Politik

Ab dem Moment, in dem eine Regierung ihre Machtausübung mit "der Wissenschaft" begründet, sind die Wissenschaftler in diesem Land nicht mehr unbefangen sondern gelenkt.

Das gilt ganz offensichtlich für Wissenschaftler, die direkt vom Staat oder regierungsnahen Organisationen finanziert werden, wie z. B. die Stiftung Wissenschaft und Politik, die vom Bundeskanzleramt finanziert wird (Quelle). Man darf hier plausibel von einer direkten Setzung von Themen und Bewertungen ausgehen.

Die zweite Stufe der staatlichen Lenkung besteht darin, bestimmte Forschungsthemen zu setzen und zu finanzieren, und andere nicht. Dies lenkt Forschungsaktivitäten sofort auf diese Themen und erzeugt blinde Flecken bei nicht finanzierten Themen. 

Forscher, die einmal Begründungen für Regierungsentscheidungen geliefert haben, werden dafür mit Prominenz belohnt. Ich vermeide bewusst den Begriff "Reputation", denn diese bezieht sich ja auf Anerkennung innerhalb der Fachwelt. Aber diese ist durch das Regierungshandeln inzwischen zweitrangig geworden. Der prominente Forscher dominiert nach dem Lob von der Regierung sein Metier und richtet andere, konform gesinnte oder finanziell abhängige Forscher nach seiner Linie aus.

Bekannte Forscher hierfür sind Drosten, Kemfert und Schellnhuber.

Je konformer und opportunistischer aber die Forschung danach wird, desto höher wird das Potenzial für eine neue Reputation durch qualifizierten Widerspruch. Wer sich traut, regierungstreuen Forschern zu widersprechen, sobald er belastbare Befunde oder Kritik an Interpretationen bestehender Beobachtungen hat, erarbeitet sich einen neuen Ruf. 

Beispiele hierfür sind Streeck und Sinn (ifo).

Es können Situationen entstehen, in denen die Regierungslinie und die ihnen zustimmenden Wissenschaftler nicht belegte Befunde und Bewertungen zum Stand "der Wissenschaft"erheben und die von konformen Massenmedien hierzu Zustimmung Volk erzeugen. Das ganze wird dann zu einer Wissenschaft, in der Erkenntnisse nicht mehr bewiesen und verteidigt werden müssen, sondern per Mehrheit entstehen.

Wissenschaftler, die an den hohen, bewährten Standards von Wissenschaftlichkeit festhalten, werden über kurz oder lang zu Dissidenten. Und nutzen irgendwann Chancen, ins Ausland zu gehen. So dass die Konzentration von konformistischen Wissenschaftlern im eigenen Land immer weiter zunimmt und die Qualität der Forschung abnimmt.

Ein subtile Form von Widerstand oder Kritik unter Forschern ist es, der Regierung nicht zu widersprechen, sondern "weiteren Forschungsbedarf" anzumelden und möglichen Zuspruch zur Regierungslinie nur anzudeuten. So antwortete mir ein Informatikprofessor für Geodaten einmal vor zehn Jahren auf die Frage, ob der menschengemachte Klimawandel inzwischen belegbar sei mit: "Die Zahlen geben das nicht her."

Somit spaltet sich die Wissenschaft in Forscher, die Zahlen, Daten und Fakten liefern und ihre Ergebnisse einander kritisch bewerten und solche, denen die Kritik anderer Forscher egal ist und die auf Parteien und Medien setzen. 

Die gleiche Spaltung droht der industriellen Forschung und Entwicklung. Natürlich gibt es die Unternehmen, die von der Regierungslinie profitieren. Die sogar vorher als Lobby auf die Regierung eingewirkt haben und sogar politische Gruppen aktivieren können (#MarchForScience #LetzteGeneration).

Beispiele hierfür: Habeck, Graichen, Spahn, Biontech, von der Leyen, Pfizer, Braun

Mutig auch hier die Unternehmen, die weiter in die Zukunft schauen und weiterhin auf belastbare Wissenschaft setzen. Sie wissen, man kann auf Lügen und Propaganda keine Produkte setze kann. Man kann zwar böswillig an gutgläubige Kunden verkaufen. Aber nur solange bis der Betrug sichtbar wird und das Gebäude zusammenbricht.

Beispiele: BMW (Technologieoffenheit), eFuels Hersteller

Die Politik entwertet somit einen ganzen Berufsstand. Und zwar genau den, mit dem Deutschland vor und nach zwei Weltkriegen sich einen guten Ruf und einen hohen Wohlstand erarbeitet hatte. Es gibt Leute, die daran nicht teilnahmen und die es kaum erwarten können, die Bildungs- und Leistungsträger endlich fallen zu sehen. So eine Verwahrlosung und Charakterlosigkeit gab es nicht einmal unter den Stalinisten..

Mittwoch, 26. Juli 2023

Unser Elektrikermeister denkt jetzt ans Aufhören

Unser Elektrikermeister, der unsere Ladebox für’s Elektroauto angeschlossen hatte, ist inzwischen Ende 50. Neulich trafen wir ihn wieder: 

Wir: "Elektroautos, Wärmepumpen - Sie müssen sich ja vor Aufträgen kaum retten können."

Er: "Hör'n se uff. Ja, Anfragen gibt es genug. Aber ich habe keine Leute dafür."

Wir: "Was ist mit den Schulabgängern? Und den Flüchtlingen?"

Er: "Hör'n se uff. Mit den Schulabgängern kann ich überhaupt nichts mehr anfangen. Die wissen nichts und können nichts. Unter den Flüchtlingen gibt es schon einige, die man mit Weiterbildung weiter bringen könnte. Aber: Sprachprobleme. Und oft dürfen die gar nicht arbeiten. Ich hatte einen, der durfte bei mir anfangen. Er kam aus der staatlichen Vollversorgung in meinen Betrieb. Und war motiviert und lernbereit. Er unterschrieb den Arbeitsvertrag mit Blick auf sein Bruttogehalt. Als er die erste Abrechnung bekam und seine Abzüge sah, hatte er keine Lust mehr! Staat ist Dieb, hat er gesagt."

Wir: "Oha. Und jetzt? Verkaufen Sie ihre Firma doch."

Er: "Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich will ja eigentlich nicht aufhören."

Wir: "Aber Ihre Firma ist intakt. Hat Kunden und Personal."

Er: "Ja, noch haben wir Personal. Einer meiner Besten hat neulich gekündigt und ist zu einer größeren Firma gewechselt, weil er dort mehr verdienen kann."

Wir: "Sehen Sie? Die Großen machen jetzt das Rennen. Jetzt ist bestimmt die Zeit, wo sie das meiste für Ihre Firma kriegen. Und wer weiß, was unsere Regierung den Mittelständlern noch alles reindrücken wird."

Er: "Darüber muss ich mal nachdenken. Danke für die Anregung.."

Freitag, 14. Juli 2023

Bester Arbeitstag des Jahres

Wenn Freitag der schönste Tag einer Arbeitswoche ist, dann ist der Freitag vor dem Urlaub der schönste Tag des Jahres. Der ganze Urlaub liegt noch vor einem. Es ist die präholidare Euphorie und diese Wortschöpfung ist von mir :-).

Und was haben wir dieses Jahr für einen Sommer, mit viel Sonne aber auch Regen. Ich bin neulich mit der U2 über den Gleisdreickpark in Kreuzberg gefahren. Und er war saftig grün. Ich habe den Park seit Jahren nur sonnenverdorrt gelb in Erinnerung. Jetzt wirkt er wie im April. 

Und die Temperaturen sind genau richtig. Man kann in Kurz herumlaufen, aber auch ohne Schweißband. Man kann etwas machen ohne zusammen zu brechen, aber man kann auch im Garten auf der Liege liegen. Ich finde das perfekt.

Wenn dann auch noch ein paar Tage Urlaub an der Ostsee gebucht sind, dann können die 3 Wochen Urlaub doch kommen. Schon ist es auch, wenn alle Kollegen gleichzeitig in Urlaub gehen. Genannt Werksurlaub. Diesem Tag freuen wir uns alle entgegen wie früher auf den letzten Schultag. Und zum Abschied spielt am Werkstor das Werksorchester. Eine der letzten Traditionen.

Jetzt liegt alles vor uns. Reisepläne, Bücher. Wir müssen erstmal runter kommen. Noch schwirrt alles in meinem Kopf: Budgetrunden, Steuerkreisagenden, Architekturabstimmungen. Jeder will am letzten Tag seinen Schreibtisch leer haben und jeden Ball weiter oder zurückgespielt haben, bevor er geht.

Gerade habe ich den Rechner herunter gefahren, der Rest läuft über das Smartphone. 

Nachher fahren wir erstmal einkaufen. Morgen soll es ja über 30 Grad geben, da planen wir erst einmal Garten - und nichts tun. Vielleicht die Gemüsebeete etwas nachdüngen. Ansonsten aber vor allem das nächste Buch vom Stapel nehmen. Jetzt kommt die Science Fiction dran: "2054". Aber vielleicht ist es auch keine Science Fiction.

Dienstag, 11. Juli 2023

Urkunden für alle - die Bundesjugendspiele senken ihre Maßstäbe

 Bei den Bundesjugendspielen kam ich erst spät auf den Geschmack. Da traten wir längst im Stadion Rote Erde an. Und ich hatte mich nach Jahren am Homecomputer doch mal durchgerungen, regelmäßig Sport zu treiben. Hauptsächlich Fußball. Irgendwann auch Tennis und Squash. Und ich ging mit Kumpels regelmäßig zu Borussia ins Westfalenstadion.

Vielleicht war es das Gefühl, einmal im Jahr selbst in einem Stadion auftreten zu können. Ich fühlte mich als "Mehrkämpfer". Denn über Sprint, Wurf und Weitsprung waren inzwischen auch Hürdenlauf und Hochsprung dazu gekommen. Und da war ich besser als viele erwartet hatten - vielleicht weil es hier auch auf Technik ankam?

In ganz jungen Jahren war es mir eher verhasst. Nie holte ich auch nur eine Siegerurkunde. Aber in den letzten Schuljahren dann doch irgendwann die erste. Und da freute ich mich wie Bolle, endlich auch mal dazu zu gehören. Das muss so um 1986 gewesen sein.

Das Punktesystem galt ja bundesweit. Man musste sich anstrengen. Und man strengte sich an. So wie auch unsere Vorbilder im Sport: Die Nationalmannschaft, die Tennisspieler und die Leichtathleten. Irgendwie war Deutschland (bzw. die Bundesrepublik) oft vorne dabei.

Das hat sich geändert. Nationalmannschaft? Nach dem Weltmeister 2014 mittlerweile aus drei Turnieren in der Vorrunde ausgeschieden. Tennis? Rausgeflogen - aber "mit mir zufrieden". Leichtathletik? Oft zwischen den großen Veranstaltungen gut, aber selten wenn es drauf ankommt. Und Wintersport?

Wir sind nicht mehr vorne. Aber wir sind immer noch zufrieden mit uns. Das höre ich ganz oft in Interviews nach einer Niederlage. Man misst sich nicht mehr mit der Welt, sondern nur noch mit sich selbst. Ähnlich wie in der Politik. 

Und damit auch die Jugend in diese neue Vorstellung von Leistung reinwächst werden jetzt die Maßstäbe für die Urkunden bei Bundesjugendspielen geändert. Fortan muss man keinen objektiven Spitzenleistungen mehr bringen, sondern nur relative. Man muss nur noch zu den Besten der eigenen Schule gehören. Also so ähnlich wie beim SPD Programm "Abitur für alle".  „Bewegungsorientierter Wettbewerb“ statt „leistungsorientierter Wettkampf“. Damit sich weniger sportliche Schüler weniger diskriminiert fühlen. Und das Spektrum wird erweitert: Nicht mehr nur Weitwurf, sondern auch Zielwurf. 

Einige diskutieren schon, ob die Bundesjugendspiele überhaupt noch zeitgemäß seien. (Ist das nicht irgendwie Nazi?) Ulf Poschardt schlug dann gleich mal Urkunden fürs Rutschen und Rollerrennen vor. Oder für alle zum Abschluss der Skisaison. Ohne Urkunde für erfolgreiches morgens Aufstehen und in die Firma kommen verlangen ja auch schon einige.

Systematisch trainiert uns die Politik das Leistungsprinzip ab und suggeriert, Erfolg sei nur eine Frage der "Gerechtigkeit". Am besten auch einklagbar. Am Anfang mag das noch lustig sein. Aber irgendwann sickert das als Lebenseinstellung ein: Es muss reichen, dass ich hier bin.

Ein Kollege erzählte mir neulich, seine neue Kollegin im Bereich Forschung und Entwicklung sei Krankenschwester. Sie habe sich aus dem Gesundheitsdienst bei ihm in der Abteilung beworben, weil sie mal was anderes machen wollte. Und weil es keine anderen Bewerber (oder keine anderen weiblichen) gab, wurde sie genommen. "Es kommt doch nicht nur auf Qualifikation an, sondern auf Leidenschaft. Auf PASSION." Er müsse sie nur richtig anlernen, dann klappe das schon.

Ich weiß noch, wie ich 1979 aufs Gymnasium kam. Ich war stolz, ich war der erste aus der Familie. Aber von meinen Großeltern hörte ich die Frage, ob ich demnächst auf Matratzen gammeln und Hasch rauchen wolle? Ich verstand die Frage überhaupt nicht. Ich wusste nicht viel von den 68ern. Aber sie befürchteten  damals, was heute, 44 Jahre später, das Selbstverständnis von Schulen und Politikern geworden ist. Ich hätte das nie für möglich gehalten..


Sonntag, 9. Juli 2023

Wie Haupt- und einfache Abteilungsleiter die Digitalisierung lähmen

Bei uns geht es seit Anfang diesen Jahres in die Vollen. Prozesse, Methoden und Tools (IT-Systeme) sollen programmartig geplant und implementiert werden. Nicht mehr isoliert jeder kämpft für seins. Schnittstellen sollen an beiden Enden synchron finanziert und umgesetzt werden. Was wir eine Selbstverständlichkeit anmutet, ist für unsere Organisation eine kleine Revolution.

Bis vor kurzem waren dafür noch "ehrenamtliche" Fachkoordinatoren verantwortlich, die sich Zeit und Einsatz dafür von ihrer Kapa fürs eigene Projekt abknappsen mussten. Unsere Chefs sahen es aber nie gerne, wenn wir für eine Sache arbeiteten, die nicht nur ihnen selbst sondern ein bisschen auch anderen nützte. Wie oft hatte ich versucht, sie vom Sinn einer Programmplanung zu überzeugen. Wie oft versucht, Tools und Prozesse Hand in Hand anzugehen und dafür auch die Aufmerksamkeit unserer Bereichsleitung zu wecken? Es war ein mühseliges Geschäft.

Jetzt hat der Vorstand erkannt: Das ändert sich nur, wenn wir die HALs und ALs selbst in die Programmleitungen setzen. Gleichzeitig führen wir mehrere neue Vorgehensweisen ein, die in anderen Industrien seit Jahren und Jahrzehnten etabliert sind: Systems Engineering und das Scaled Agile Framework. 

Ich zog mit in die Programmleitung einer der Fachdomänen mit ein. Da die Herren aber sogleich mit der Absicherung ihrer Macht und weniger mit dem Verständnisaufbau wie es künftig gehen soll, beschäftigt waren, blieb die fachliche Arbeit sogleich bei genau einem Mitglied der Fachdomäne liegen: Bei mir. 

Und während ich mich durch den Parcour der Planungsrunde mühte und die sich umorganisierende IT gleich mit vertrat, überlegte es sich der Vorstand noch einmal anders. Vor kurzem verkündete er sein ORG Chart 2.0 und dazu auch gleich noch eine Liste gesetzter Tools, die wir bitte mit in die Planungsrunde zu nehmen hätten. Unser Finanzvorstand begleitete diese Mehrbedarfe parallel mit einer Budgetkürzung. 

Vorige Woche kam dann unsere Fachdomänenleitung zu dem Schluss, dass es für sie jetzt langsam ernst würde. Bald würden sie ihre neuen Organisationsrollen aufnehmen und vor allem spielen müssen. Unruhe machte sich breit. Und sie suchten Hilfe: Und anstatt zum ersten Mal ihre eigenen Fachleute einzubinden engagierten sie Unternehmensberater. Als die ihnen klar machten, was sie künftig können müssten, reagierten sie noch einmal: Jetzt suchen sie Mitarbeiter, an die sie die Sache delegieren können. Wohlgemerkt nur die Arbeit, nicht die Entscheidung und nicht ihre Vergütung. 

Wer für solche Leiter arbeitet, setzt nicht einfach Aufträge um. Er erklärt den Leitenden zuerst, worum es überhaupt geht. Erarbeitet dann Powerpointfolien mit Umsetzungsvorschlägen und läuft tagelang hinter diesen Leitenden für die Freigabe her. Und dann macht er sich an die Arbeit. Und sucht seine Pendants in den anderen Konzernmarken - wo ähnliches stattfindet. Am Ende haben wir die gleiche Organisation wie immer: Gremien, Regeltermine, Anträge, Freigaben und ein Ausmaß an Delegation, bei der die Führungskräfte am Ende glauben, nicht einmal verstehen zu müssen, was sie an ihre Mitarbeiter delegieren.

Lustig, wenn man dann am Wochenende wieder Artikel über die Digitalisierung in Deutschland liest, in denen Manager und Politiker betonen, dass dies ganz wichtige Themen in der "Transformation" seien...