Erster Hauptsatz der Lebenserfahrung:
Die Summe aller großen Probleme im Leben ist immer gleich. Und wenn Du glaubst, sie durch Lebenserfahrung überwunden zu haben, denken sich die Manager im Bahntower am Potsdamer Platz etwas Neues aus.
Dass ich einmal täglich acht Stunden in Zügen und auf Bahnhöfen verbringen würde um meinem Beruf nachzugehen, hätte ich nicht geglaubt. Zu Beraterzeiten brauchte ich von Gelsenkirchen bis Wien via Flughafen Düsseldorf nicht so lange wie heute mit der Bahn von Berlin nach Wolfsburg.
„Was pendelt Ihr auch so weite Strecken und arbeitet nicht in Berlin?“ - „Weil es in Berlin keine guten Jobs für Ingenieure gibt. Wowereit und sein Senat haben sich nicht gekümmert. Außerdem ist die Bezahlung auf Brandenburgniveau während die Mieten und Abgaben steigen.“ Und mein Bewerbungsgespräch bei Bombardier damals habe ich vom Bahnof Spandau aus abgesagt, weil mein Zug nach Henningsdorf Verspätung hatte. Ich blieb deshalb beim Auto als Berufsgegenstand..
Umsonst früh aufstehen..
4:00 Aufstehen
5:15 Letzter Blick auf Bahn.de, ob mein ICE 5:48 pünktlich sein wird. Er wird.
5.30 Ankunft Hauptbahnhof Berlin. Noch Zeit, also ab in die Bahn Lounge. Doch vergeblich, um die Zeit hat sie noch geschlossen.
5:45 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 5 Minuten später.“
5:50 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 10 Minuten später.“
5:55 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 20 Minuten später.“
6:00 „Auf Gleis 13 fährt jetzt ein: ICE abc nach Köln. Ursprüngliche Abfahrt 4:48.“
Wäre ich so früh aufgestanden, nur um hier mehr als eine Stunde herum zu stehen, hätte ich mich als Warlord zum Bahntower aufgemacht. So bin ich nur wütend.
Millionenumsatz - aber keine Infos
Einstieg in den verspäteten ICE. Der Zugchef begrüßt uns als wenn nichts wäre. Erste brauchbare Information nach dem belästigenden Pflichttext: Informationen von der Transportleitung über Anschlüsse in Magdeburg und Braunschweig liegen nicht vor. Diese Anschlüsse sind wichtig, denn die ICEs fahren Wolfsburg nicht mehr an. Obwohl sie könnten. Aber die mindestens 300 Dauerkarteninhaber sind den Bahnvorständen Ulrich Homburg und Fernverkehrs-Chef Berthold Huber egal.
800 Pendler x 4.090 EUR/Bahncard100 = 3
,3 Mio EUR Jahresumsatz
auf einem Gleisabschnitt von 200km Länge. Das sind 6.135 EUR pro Kilometer. Was müssen wir tun, damit die Manager im Bahntower das erkennen?
Pressekonferenz in der Festung Berlin
Als Bahnpendler muss man Umstiege vermeiden, denn hier verliert man bei Verspätungen am meisten Zeit. Berthold Huber hatte am Mittwoch eine Pressekonferenz zu dem unseligen Thema „Elbehochwasser“ gegeben. Er nutzte den Tag, an dem Berlin Mitte für Barack Obama komplett abgeriegelt war um zu einer PK am Potsdamer Platz einzuladen. Nie konnten sich blöde Rückfragen so gut vermeiden lassen wie an diesem Tag.
Einladung zur Pressekonferenz
„Vorstellung Interims-Fahrplan aufgrund der Hochwassersperrungen“ am 19. Juni 2013, 10:00 Uhr, im BahnTower, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin, 21. OG
Berlin, 18. Juni 2013
Sehr geehrte Damen und Herren,
durch die andauernde Sperrung der Schnellfahrstrecke Hannover-Berlin aufgrund des
Hochwassers wird die DB ab Freitag, 21. Juni 2013, interimsweise den Fahrplan der
Fernverkehrszüge nach bzw. von Berlin für die nächsten Wochen anpassen. DB Fernverkehrs-Vorstand Berthold Huber wird Ihnen die Maßnahmen zur bundesweiten Stabilisierung des Zugverkehrs im Einzelnen erläutern und steht für O-Töne zur Verfügung.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen. Bitte beachten Sie die temporären Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen anlässlich des US-Präsidentenbesuchs rund um den BahnTower. In den Bereichen von Ebertstraße, Bellevuestraße, Lennéstraße, Auguste-Hauschner-Straße, Hansvon-Bülow-Straße, Voßstraße, Ben-Gurion-Straße, Potsdamer Straße und am Potsdamer sowie Leipziger Platz kommt es zu Sperrungen. Der Zugang zum BahnTower ist morgen nur über die kleine Drehtür auf der Westseite (Hintereingang) möglich. Führen Sie bitte Ihren Personalausweis/Pass mit sich und kalkulieren Sie für die Anfahrt mehr Zeit ein.
Für weitere Fragen steht Ihnen Daniela Bals gerne zur Verfügung: Tel. +49 (0) 30 297-60020, daniela.bals@deutschebahn.com.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Kornmann
Die Fahrplaninfos gab die Bahn nicht etwa am Vorabend in die Server, sondern am Freitagmorgen. Am ersten Tag des „Notfahrplans“ ging dann auch alles schief, was schief gehen kann, siehe oben.
Vor Magdeburg
In der vertrödelten Anfahrt auf Magdeburg war für uns spannende Frage: Hier umsteigen oder in Braunschweig? In der Nacht auf Freitag hatte es ein Gewitter gegeben. Zuviel für die Bahn. Alle Signalanlagen entlang der Magdeburgstrecke waren gestört. Wir erduldeten einen Stop-and-Go Verkehr wie sonst mit dem Auto in Berlin Mitte.
„Informationen von der Transportleitung liegen mir nicht vor. Achten Sie deshalb bitte auf die Lautsprecheransagen in Magdeburg. Wir danken für Ihre Reise mit der Deutschen Bahn.“ In Magdeburg strömten die Wolfsburgpendler zu den Türen und hielten ihre Köpfe raus, nach Informationen über Anschlüsse lechzend. Doch der einzige Anschluss der angesagt wurde, war der Regionalzug am Nachbargleis Richtung Frankfurt/Oder über: Berlin.
Hieß: Der Zug nach Wolfsburg war abgefahren. Warten auf 300 Pendler schien der Transportleitung unnötig. Die 300 Pendler darüber zu informieren auch.
Reisendeninformationen
Wir waren im informationstechnischen Nirgendwo. Das, obwohl die Bahn am Potsdamer Platz ein großes Projekt „Reisendeninformationen“ betreibt. Aber die Leute dort beschäftigen sich -fern vom Gleis- mehr mit WLAN Hotspots in Fernzügen als mit der Versorgung mitgenommener Pendler mit Reisendeninformationen.
Unser Zugchef hatte nicht nur keine aktuellen Anschlussinformationen. Er hatte auch keine Fahrplaninformationen über Anschlüsse auf dieser umgeleiteten Strecke. Im Zug lagen nur die alten Faltblätter aus, die nicht mehr gelten.
In Braunschweig
Hier hatten wir dann mehr Glück. Unser ICE hatte soviel Verspätung herausgefahren, dass wir den nächsten Regionalzug nach Wolfsburg passend erreichten.
Aber auch das muss man erlebt haben: Neben Hannover ist Braunschweig die Stadt aus der die meisten Menschen nach Wolfsburg pendlen. Es sind tausende. Aber die Bahn stellt hier einen zweiteiligen Schienenbus auf einer eingleisigen Strecke bereit, den dieser sich mit entgegenkommenden ICEs teilt. Der Schienenbus ist hoffnungslos überfüllt. Nicht nur mit Berufspendlern, sondern auch vielen Berufsschülern bzw. Auszubildenden.
Wenn die Sonne auf diesen unklimatisierten Schienenbus scheint wird es hier drin richtig ungemütlich. Fenster kann man nicht öffnen. „Komforteinbußen“ nennt Ulrich Homburg in Talkshows solche Zumutungen.
Ausgelaugt ankommen
Die Fahrt dauert 30 Minuten, wir steigen in Fallersleben um und nutzen von hier einen Bus. Als wir in Wolfsburg ankommen haben wir fast vergessen, warum wir überhaupt hier sind. Wir fühlen uns gerädert und übermüdet. Aber der Arbeitstag liegt noch vor uns. Dreieinhalb Stunden haben wir gebraucht. Zurück kann es noch länger dauern. Bis dahin beobachten wir mit einem Auge die Bahnwebsite und bekommen wir Angebote von entnervten „Werksfahrern“, die längst aufs Auto umgestiegen sind.
Ich entscheide mich trotzdem, auch zurück mit der Bahn zu fahren, denn im Zug kann ich immerhin arbeiten. Denke ich und ahne nicht, dass ich wieder eine falsche Annahme treffe.
Auf der Rückfahrt erleben wir am Hbf Braunschweig erstmal 45 Minuten Verspätung. Ankommt ein ICE aus Köln, der mal ein aus zwei Zugteilen bestand. Eine Hälfte wurde wohl unterwegs aufgerieben, jetzt verteilen sich die Passagiere auf die verbliebene. In den Gängen sitzen bereits -pro Waggon- 20 Leute auf dem Boden. Uns bleiben die Stehplätze in den Übergängen. Es ist so warm und stickig, dass wir beschließen, in Magdeburg wieder auszusteigen, denn dort hält zeitgleich wieder der Regionalzug nach Frankfurt Oder - angeblich am selben Bahnsteig.
Doch als wir ankommen, fährt er ab.
Unterwegs im Güterwagen
Wir bleiben stehen. Schweißperlen rinnen, Ärmel werden hochgekrempelt. Eine Schaffnerin drängelt sich durch mit einem Serviertablet vom Speisewagen in die 1. Klasse. 1. Klasse haben mein Kollege und ich auch, aber wir stehen nicht mal erstklassig. Für die Bahn sind wir nur Fracht. Immer gewesen. Es scheint in die DNA eingewebt zu sein. Wir müssen Platz machen, aufstehen, zusammenrücken, damit der Umsatz mit dem Speisewagen nicht unter den Zumutungen uns gegenüber leidet.
Man ermattet äußerlich, wenn man so transportiert wird. Innerlich regt sich immer noch Widerstand. Mir fallen böse Bilder ein. Ich erinnere mich an den „Zug der Erinnerung“. An die Bilder von Güterwagen, die die damaligen Manager der Reichsbahn so kalkuliert hatten, dass der Umsatz maximal und die Kosten minimal waren. Die Bahn knöpft den Initiatoren des Erinnerungszuges Gebühren für Gleise und Bahnhöfe ab. Muss man mehr wissen über das Selbstverständnis der Herren Homburg, Huber, Grube und Co. um ihr Verhalten auch uns gegenüber zu verstehen?
Ja natürlich ist diese Anspielung krass und viele werden es unpassend finden. Was ich meine ist, mir ist das Menschenbild der Bahnvorstände klarer geworden. Dass der Blick der Personenverkehrsvorstände auf die Passagiere der gleiche ist, wie der des Güterverkehrvorstandes auf seine Fracht. Es geht nur um Profit. Abgesichert durch die Eisenbahnversordnung, die bereits 1938 die Transportierten mit minimalen Rechten versehen hat.
Siemens
In der Zeitung lese ich, dass sich Ulrich Homburg über Siemens aufgeregt hat, weil die auf einer Veranstaltung Zugwartung als Dienstleistung angeboten haben. Die WELT schreibt (
Link):
Die Bahn fühlt sich nun düpiert. "Das würde bedeuten, wir tun nicht alles, um unsere Züge ordentlich in Schuss zu halten. Oder wir sind zu blöd dazu", grollt Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg.
So viel Reflexionsvermögen ist man von Ulrich Homburg gar nicht gewöhnt. Zum Thema Klimaanlagen gibt er zum besten (Tagesspiegel):
„Die Klimaanlagen verhalten sich so, wie wir es erwartet haben“, bekennt vielsagend Ulrich Homburg, Personenverkehrs-Vorstand der Deutschen Bahn.
Homburg erklärt den Ausfall der Klimaanlagen mit deren Alter. Dass er dafür verantwortlich ist, ist jedem klar außer ihm. Dass die Prüfintervalle verkürzt und die Zulassung der immer komplizierter werdenden Anforderungen des Vorstands an die Züge immer langwieriger werden, auch das verantwortet allein Ulrich Homburg. Wer vor einem Börsengang auf Verschleiß fährt muss sich nicht wundern, wenn ihm anschließend auf die Finger gehauen wird.
Wir Pendler grübeln intensiv über Alternativen. Der Wohnungsmarkt in Wolfsburg ist leergefegt, Braunschweig ist nicht billig. Herziehen wollen wir nicht, und wenn dann nur ein Zimmer. Aber nicht ab 400 EUR.
Das Auto als Alternative
Oder der Umstieg aufs Auto? Leben wir nicht von Autos? Wir können uns so organisieren, dass wir mit Kollegen fahren, mit denen wir eh oft zu tun habe. Besprechungen im Auto. Statt Emails über WLAN im Zug. Oder Telefonate mit Mithörern.
Man verfährt pro Auto für die 500 km hin und zurück 50 Liter Sprit. 80 EUR. Zu dritt sind das 27 EURO, zu viert 20 EUR pro Kopf. Zuzüglich Öl und Wartung.
Es wird Zeit, dass wir eine solche Mitfahrerbörse im Intranet organisieren!