Montag, 15. Juli 2013

Merkels Wähler verstehen die Botschaft ihres Schweigens

Autoritäres Totschweigen sichert Merkel den Vorsprung in den Meinungsumfragen. Sie hat genau verstanden, wie wir Deutschen in Krisenzeiten ticken. Krieg ist ok, solange wir davon zu Hause nichts mitkriegen. Das gilt auch für Wirtschaftskriege oder kalte Bürgerkriege wie den jetzigen: Angi, es ist ok wenn Du uns abhören lässt und wir unsere Gehaltserhöhungen durch Steuererhöhungen für die Bankenrettungen wieder verlieren. Solange Du uns den islamistischen Terror und das griechische Elend vom Hals hälst. Das sind die. Die sind weit weg. Man muss sehen, wo man bleibt. Da man das nicht aussprechen kann, schweigt man drüber. Merkel hat das verstanden.

Die Frage ist, ob und wann der Wirtschaftskrieg zu uns nach Hause kommt. Solange Chinesen und Russen unsere Autos kaufen halten wir durch. Und seht, Opel könnte es jetzt wieder schaffen. Aber schon brechen die Kollegen von Peugeot ein. Minus fünfzehn Prozent Absatzeinbruch im ersten Halbjahr. Hat sich ein Unternehmen von solchen Zahlen schon mal erholt? Ein Familienbetrieb mit 200.000 Mitarbeitern, davon 100.000 in Frankreich. Das wird brutal. Genau so wie für Fiat. Fiat und Peugeot sind die beiden europäischen Autohersteller, die mangels starker Partner nicht in neue Modell investieren können.

 Die Welt hat sich gewandelt, aber wir werden erst später erkennen, in welche Richtung.

Ich spüre den Wandel deutlich. Als sei wieder einmal einer dieser Superzyklen herum, nach denen man nicht mehr derselbe ist. Viele Dinge, die unser heutiges Leben prägen, haben wir vor langer Zeit begonnen. Alles lief, doch auf einmal stottert alles auf einmal. Es versetzt uns nicht in Panik, aber es wird uns gerade bewusst. Zeit für Veränderungen. Change before you have to.

Sonntag, 14. Juli 2013

Die Autoimmunerkrankung unserer Kommunikationsadern

Was einer behauptet zu sein oder zu haben, ist er nicht, hat er nicht. Wenn Snowden jetzt ankündigen lässt, der Supergau für die US-Geheimdienste drohe erst noch, wenn ihm etwas zustoße, ist klar, dass er sein Pulver verschossen hat. Er mag ein Nerd und Überzeugungstäter sein, ein geschickter Kommunikator ist er nicht. Ernst nehmen muss man aber die Todesangst, die seine Drohung verströmt.

Davon abgesehen, wenn die weltweiten Telekommunikationsnetze so etwas wie die Adern unserer Zivilisation sind, dann droht von PRISM und TEMPORA die Gefahr, vom Immunsystem in eine Autoimmunerkrankung umzukippen. Die vollständige Erfassung unserer Kommunikation leistet  so etwas wie die weißen Blutkörperchen, die Krankheitserreger unschädlich machen. Doch eine falsche Programmierung, eine falsche Mustererkennung, und das System bekämpft sein eigenes Gewebe, wird autoimmun.

Das schlimme an unserer vollständigen Erfassung ist die Erkenntnis, nicht souverän zu sein. Wir haben ein fremdes Immunsystem, dass zum Schutze unseres aber vor allem im Dienste eines fremden Körpers agiert. Nicht verwechseln: Anders als Grüne, Linke und Piraten fühle ich mich nicht aufgewertet, wenn mächtige Dienste meine Emails loggen. Anders als jene brauche ich keine großen Gegner, von denen man auf meine eigene Größe schließen möge. Ich falle durch das Raster, denn meine Kommunikationspartner sitzen nicht in Pakistan. Nur wer mit Pakistan oder anderen verdächtigen Staaten verkehrt, dessen Emails könnten gelesen werden. Noch verdächtiger ist, wer Google Maps Screenshots an mehrere Empfänger versendet. Über Google Maps läuft bekanntlich die Zielmarkierung.

Schlimm wird es, wenn uns der behördliche Virenscanner zu sehr lahmt oder wenn man irrtümlich in die Fänge gerät. Das stelle ich mir wie Kafkas "Schloss" vor.

Was die Frage nach der Freihandelszone und der Industriespionage betrifft: Ich hörte im Autoradio unseren Innenminister sagen, er habe seine Gesprächspartner in Washington explizit gefragt, ob sie auch Industriespionage betreiben. Die Antwort sein ein klares 'Nein' gewesen. Wir können also beruhigt sein.

Sonntag, 7. Juli 2013

Ein Sommerfahrtstraum mit dem 924S

Philip Lahm hat mal gesagt: "Ich gebe gerne Gas, aber nur wenn alle Bedingungen stimmen." Solche Bedingungen hatte ich am Wochenende mit dem 924S auf der Autobahn . Und zwar auf Hin- und Rückfahrt. Wenig Verkehr, kaum Baustellen. Ein Traum.

Ölwechsel war diese Woche frisch gemacht, der Öldruckgeber repariert und ich war allein, also mit Idealgewicht ;-)

500 Kilometer auf der A2 Richtung Ruhrgebiet. Keine Störungen, nur ein paar Porsche-BMW-Audi Geschwader unterwegs, mit denen ich ein bisschen mitgeflogen bin. Die haben doppelt so viel Leistung wie meiner. Die vermisse ich aber nur im unteren Bereich, oben geht er bis zur Begrenzung bei knapp 6.000 Umdrehungen voll mit. 

Unser neues TomTom misst die Realgeschwindigkeit über GPS. Das ist für mich noch neu (Schuster, Leisten,...).  Und siehe da, tatsächlich habe auch ich reichlich Tachoreserve, locker 12-17 km/h. 

Die "Geschwader" machten vor mir immer schön den Weg frei. Die Tachonadel ging sage und schreibe bis 240 (noch nie), gemessene Höchstgeschwindigkeit war 227 km/h. Dann kam eine Linkskurve, bei der der Q7 vor mir leider bremste..

Woher kommt soviel Performance aus gerade mal 160 PS? Es ist das Konzept: 2,5 Liter  Hubraum mit großer Fläche und kurzem Hubweg. Das macht ihn extrem drehzahlfreudig im oberen Bereich. Ist man bei 140 im fünften Gang angekommen, bekommt man bis 6.000 ein nicht enden wollendes Drehmoment (max. 210 Newtonmeter, die Turboversion bietet 250..). Er zieht und zieht an den Platzmachern vorbei und hängt sich an die Platzhirsche dran.

Vor Autobahnkurven muss einem nicht bang sein. Die hälftige Gewichtsverteilung der 1.190 kg auf Vorder- und Hinterachse (Frontmotor, Heckgetriebe verbunden durch eine Welle mit Motordrehzahl "Transaxle") verleiht optimale Straßenlage. 

Die geringe Windangriffsfläche und der gute cw-Wert leisten ihren Beitrag zur Höchstgeschwindigkeit und zum moderaten Verbrauch.

Dafür dann aber auch pro Richtung satt 1 Liter Öl. Der Verbrauch an Superplus lag bei 8,8 Liter.

Samstag, 6. Juli 2013

Freitag, 5. Juli 2013

Freihandelszone absagen?

Der erreichte technische Fortschritt ermöglicht eine Datenerfassung in einer neuen Dimension. Man spioniert heute nicht mehr gezielt unter der Prämisse einer bestimmten Fragestellung. Man erfasst heute erst einmal alles und geht danach mit immer wieder neuen Fragestellungen in den Datenbestand. Inzwischen bieten Unternehmen wie IBM unter dem Schlagwort Homeland Security auch Software an, die anstelle eines Agenten Fragestellungen und Muster ermittelt.

Von der Bundesregierung haben wir folgendes zur Kenntnis genommen: Als es noch so aussah, als seien "nur" private Bürger betroffen, befand sie, das sei normal. Sie empörte sich erst, als sie selbst betroffen war. Sie, wie die EU-Kommission, will die transatlantische Freihandelszone aber trotzdem verhandeln. Denn da gehe es auch "um Arbeitsplätze".

Um Arbeitsplätze geht es aber auch bei der Industriespionage. Wir sollten nicht unsere Sanktionsinstrumente aufgeben und uns gleichzeitig stehlen lassen, was wir als Tauschmittel verwenden wollen.

Also, erst die Spionage abstellen, dann über Freihandel verhandeln.

Und in dem Zusammenhang mal aufdecken, wie die Finanzkrise und die vollständige Datenerfassung zusammenhängen? Trug die Spionage dazu bei, US-Bürger mit Nummernkonten in der Schweiz zu ermitteln? Haben die USA Erkenntnisse über die Anordnung der Dominosteine der Finanzindustrie? Ist das Argument, Schuldenschnitte zögen "unvorhersehbare" Kettenreaktionen nach sich, schon obsolet?


Fernsehbilder Lisicki in Wimbledon

Nach der Ölkrise, der Atomraketenmodernisierung, Anti-AKW Demos, Terrorismus, Inflation und  Retro-Autos begegnet uns auf dem Rückweg von der Spitze der Entwicklung ein weiteres Deja Vu: eine deutsche Wimbledonfinalistin.

Sabine Lisicki ist in den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht zu sehen. Weichen wir deshalb ins Internet aus. SkySportHD zeigt Zusammenfassungen auf YouTube, hat aber das Einbetten in Webseiten deaktiviert. Deshalb nur Links:

Achtelfinale Lisicki vs. Stosur: http://youtu.be/gDnggRwwbCM
Viertelfinale Lisicki vs. Williams: http://youtu.be/xsakHuZLaIs 

Sonntag, 30. Juni 2013

Marodeure der Moderne - Heute: Abhörbehörden

Was einer betont zu sein, ist er nicht. Was er in anderen bekämpft, das birgt er selbst. Homophobe Kleriker und Neonazis bekämpfen ihre eigene unterdrückte Neigung, oder verbergen ein besonders verachtendes Frauenbild. Werbung weist oft nicht auf die Stärke eines Produktes sondern seine Schwäche ("Mit der Bahn am Stau vorbei fahren.") "Neid" ist kein Privileg der Unterschicht sondern Handlungsmotiv vieler FDP-Mitglieder. Und Rassismus und Antisemitismus sind besonders verbreitet unter Gutmenschen, darunter Literaturnobelpreisträger.

Nach dem gleichen Prinzip lauscht niemand mehr an Nachbars Tür und Wand als der, der Anlass zu übler Nachrede gibt: Staatssicherheit, Geheimpolizisten, Prozesshansel, Denunzianten, Demokratiesimulationen.

Souveräne Zeitgenossen wissen sowohl um ihre eigene Robustheit als auch die Krankheit, die hinter dem Zwang zum Lauschen, Beobachten und Verfolgen steckt. Es verletzt sie nicht gleich. Gleichwohl verbitten sie es sich. Sie fühlen sich durch eine Präsenz in NSA-Blobs auch nicht aufgewertet, wie manche Piraten oder Foristen der linken Tagespresse.

Wer sein eigenes Volk belauscht, hat es vorher betrogen und ausgebeutet. Wer andere Völker belauscht, will Ansätze zu ihrer Manipulation finden. Wer ausländische Industrien belauscht, weiß um die Schwäche der eigenen. Wer andere Regierungen belauscht, verfolgt ob die eigenen Pläne aufgehen.

Was hinter der amerikanischen Paranoia steckt, hat Michael Moore vor zehn Jahren herausgearbeitet und veranschaulicht: Das schlechte Gewissen.

Als der Nachrichtenstand vor einer Woche nur die vollständige Überwachung unserer privaten Telekommunikation hergab, gaben sich Mitglieder unserer Regierung "pragmatisch". Terrorabwehr. Einige im Kanzleramt dachten vielleicht, "unsere Bürger bespitzeln wir immer noch selbst!". Jetzt allerdings wissen sie von ihrer eigenen Überwachung und jetzt verleihen sie den Enthüllungen den Rang eines Eklats.

Unsere Regierung hat mit ihren Verfassungsbrüchen ihr Volk bereits verraten (Bundestrojaner, ESM, die Akzeptanz von Vertragsbrüchen, die Politik der EZB). Ich schließe mich ihrer Empörung deshalb nicht an. Vielmehr hatten wir Grund, den "Dunkelgremien" Schäubles mit eigener Aufklärung etwas nachzuhelfen.

Einerseits heißt es "Terrorfahndung", andererseits ist das Finanzzentrum Frankfurt ein Angriffsschwerpunkt. Hier könnte man denken: Dann steht die NSA doch auf der richtigen Seite? In den USA hat man schon Banker in Handschellen gesehen, bei uns noch nicht. Oder Steuerhinterziehung, Terrorfinanzierung, Geldwäsche - in der EU wird ja längst nicht jedes große Verbrechen verfolgt.

Warum genau fühlen sich manche EU-Politiker so empfindlich getroffen - haben sie was zu verbergen?

Samstag, 29. Juni 2013

Jeans Team, "Alkomerz"

Für mich der Knaller des Jahres. Das neue Album von unseren Nachbarn vom Jeans Team "Das ist Alkomerz" (Link).

Lustig auch die Rezension "Stößchen hier und Stößchen da" von Jens Friebe in der FAZ (Link).

Anna R. fährt abweichend auf Gleis 8

Bei Rosenstolz schieden sich die Geister. Schlager mit Stichwortgebern für Verwirrte mit Selbstmitleid?   Anna's Stimme klingt eigentlich anspruchsvoller als manche Texte, die sie transportierte. Aber oft genug traf das Duo auch ins Schwarze. Sagen wir, einfach gute Popmusik. Rosenstolz kuriert am Burnout. Dafür fährt Anna jetzt abweichend in Spandau am "Gleis 8". Da kommen wir leider nicht mehr dran vorbei (siehe unten). Ich glaube, wir verpassen da was:



"Marodeure der Moderne" - Heute: Bahnkunden

Teil 1 - In der S-Bahn

Am Bahnhof Friedrichstraße steige ich um in die S-Bahn Richtung Wannsee. Sie ist nicht so voll wie sonst und ich kann für mich alleine sogar einen Vierer in Beschlag nehmen. Auf dem Nachbarvierer: ein türkischer oder arabischer Student. Und ein weißhaariger Mann im Rentenalter. Groß und schlaksig. Er  hat Kopfhörer auf und sein verkrampfter Gesichtsausdruck vermittelt eine brutale Entschlossenheit zu irgendetwas.

Das nehme ich jedoch nur nebenbei wahr. Bis zu dem Moment, an dem der Alte einen markerschütternden Schrei ausstößt. Zweimal. Als wolle ein Steinzeitmensch ein wildes Tier  beschwören. Wir Umsitzenden schrecken zusammen. Der Student nimmt seine Tasche und wechselt den Platz. Wir anderen tauschen vielsagende Blicke. Meine Geduld ist aufgebraucht. Noch einmal, denke ich, und ich greife ein. 

Er tut es nochmal. Zweimal hintereinander. Sinnlich ist das eine neue Erfahrung. So ein Schrei bewirkt einen Adrenalinausstoß. Jetzt erhebe ich meine Stimme: "Geht's noch?!". Er schaut mich aus den Augenwinkeln an und dann wieder gerade aus. Hat er mich wahrgenommen? Habe ich etwas bewegt? Wir sind in der Anfahrt auf meinen Zielbahnhof. Ich muss irgendwo hin mit meinem Adrenalin. Als er wieder seinen Kopf wackelt, als würde er sich zu einem erneuten Schrei sammeln, stehe ich ruckartig auf, mit einer Bewegung auf ihn zu die einen Schatten auf ihn wirft. Er zuckt. Seine Reflexe funktionieren. Im Rausgehen überlege ich, ob meine Zubewegung auf die Gefahrenquelle auch ein Reflex war.  

Teil 2 - Im ICE

In Braunschweig steige ich um in den ICE nach Berlin. Seit drei Wochen geht das schon so. die ICE-Brücke über die Elbe wurde vom Hochwasser unterspült, die Gleise liegen unter Wasser. Die Bahn leitet um über Braunschweig und Magdeburg. In Magdeburg steigt ein Typ in kurzen Hosen ein und kommt an den Vierer mir schräg gegenüber. An diesem sitzt ein Student (würde ich tippen). Tag, ist dann hier noch frei? - Ja. - Also, ich heiße Michael früher war alles besser, als man noch nicht über Uelzen nach Hamburg fahren musste wie heißt Du denn? - Thomas. - Ja die kriegen hier nüschte mehr auf die Reihe ich komme aus Zossen. 

Er missbraucht die Höflichkeit des Studenten um ihn hemmungslos vollzuquatschen. Eine Art Sozialmissbrauch. Der Typ packt sein Kofferradio aus, stellt es auf den Tisch und dreht auf. Anschwellendes Radiorauschen, lange nicht mehr gehört sowas. Dann findet er einen Sender mit den Andrew Sisters. Zusammen mit dem Bild, das Magdeburg und sein Bahnbetriebswerk vor dem Fenster bietet, kann man sich jetzt wirklich ans Kriegsende versetzt fühlen. Der Zug ruckelt gemütlich vorbei an mechanischen Signalen. Seit dem Siegeszug des iPod ist Radiohören über Lautsprecherboxen ungewohnt. Ein Rentner steht auf und kommt an den Tisch: Ruhe! - Nein. - Ruhe!! - Ich habe keine Kopfhörer, geht nicht anders. - Radio aus!

Dann legt er nach: In der ersten Klasse sitzen die größten Arschlöcher, ich gehe in die zweite. Macht sich eine Dose Bier auf und rülpst zweimal vernehmlich. Wo kommst du noch mal her, fragt er den Studenten. - Aus Dortmund.

Donnerstag, 27. Juni 2013

"Reisende nach Wolfsburg steigen bitte in Braunschweig um."

Gestern fuhr ich mit dem Auto nach WOB. Zwei Stunden hin, zweieinhalb zurück.

Die Kollegen im 5:48h Zug erlebten folgendes:

  • Ansage des Zugchefs vor Magdeburg: "Der Anschluss in Magdeburg nach Wolfsburg konnte leider nicht warten. Reisende nach WOB steigen bitte in Braunschweig um."
  • In Braunschweig sahen die Kollegen nach WOB gerade abfahren. Drei Minuten Wartezeit waren doch nicht drin. 
Nachträgliche Erklärung: Verspätungen werden im Fern- und Nahverkehr unterschiedlich bestraft. Bei strengen Verträgen mit den -regionalen- Auftraggebern, können drei Minuten schon zu teuer sein. Dann fährt der Regionalzug eben ohne die verspäteten Pendler. Selbst Schuld..

Sonntag, 23. Juni 2013

Wie ICE-Vorstand Berthold Huber Wolfsburgpendler abhängt


Erster Hauptsatz der Lebenserfahrung:

Die Summe aller großen Probleme im Leben ist immer gleich. Und wenn Du glaubst, sie durch Lebenserfahrung überwunden zu haben, denken sich die Manager im Bahntower am Potsdamer Platz etwas Neues aus.
Dass ich einmal täglich acht Stunden in Zügen und auf Bahnhöfen verbringen würde um meinem Beruf nachzugehen, hätte ich nicht geglaubt. Zu Beraterzeiten brauchte ich von Gelsenkirchen bis Wien via Flughafen Düsseldorf nicht so lange wie heute mit der Bahn von Berlin nach Wolfsburg.

„Was pendelt Ihr auch so weite Strecken und arbeitet nicht in Berlin?“ - „Weil es in Berlin keine guten Jobs für Ingenieure gibt. Wowereit und sein Senat haben sich nicht gekümmert. Außerdem ist die Bezahlung auf Brandenburgniveau während die Mieten und Abgaben steigen.“ Und mein Bewerbungsgespräch bei Bombardier damals habe ich vom Bahnof Spandau aus abgesagt, weil mein Zug nach Henningsdorf Verspätung hatte. Ich blieb deshalb beim Auto als Berufsgegenstand..

Umsonst früh aufstehen..

4:00 Aufstehen
5:15 Letzter Blick auf Bahn.de, ob mein ICE 5:48 pünktlich sein wird. Er wird.
5.30 Ankunft Hauptbahnhof Berlin. Noch Zeit, also ab in die Bahn Lounge. Doch vergeblich, um die Zeit hat sie noch geschlossen.
5:45 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 5 Minuten später.“
5:50 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 10 Minuten später.“
5:55 „Information für ICE xyz nach Köln. Heute ca. 20 Minuten später.“
6:00 „Auf Gleis 13 fährt jetzt ein: ICE abc nach Köln. Ursprüngliche Abfahrt 4:48.“

Wäre ich so früh aufgestanden, nur um hier mehr als eine Stunde herum zu stehen, hätte ich mich als Warlord zum Bahntower aufgemacht. So bin ich nur wütend.

Millionenumsatz - aber keine Infos

Einstieg in den verspäteten ICE. Der Zugchef begrüßt uns als wenn nichts wäre. Erste brauchbare Information nach dem belästigenden Pflichttext: Informationen von der Transportleitung über Anschlüsse in Magdeburg und Braunschweig liegen nicht vor. Diese Anschlüsse sind wichtig, denn die ICEs fahren Wolfsburg nicht mehr an. Obwohl sie könnten. Aber die mindestens 300 Dauerkarteninhaber sind den Bahnvorständen Ulrich Homburg und Fernverkehrs-Chef Berthold Huber egal.

800 Pendler x 4.090 EUR/Bahncard100 = 3,3 Mio EUR Jahresumsatz

auf einem Gleisabschnitt von 200km Länge. Das sind 6.135 EUR pro Kilometer. Was müssen wir tun, damit die Manager im Bahntower das erkennen?

Pressekonferenz in der Festung Berlin

Als Bahnpendler muss man Umstiege vermeiden, denn hier verliert man bei Verspätungen am meisten Zeit. Berthold Huber hatte am Mittwoch eine Pressekonferenz zu dem unseligen Thema „Elbehochwasser“ gegeben. Er nutzte den Tag, an dem Berlin Mitte für Barack Obama komplett abgeriegelt war um zu einer PK am Potsdamer Platz einzuladen. Nie konnten sich blöde Rückfragen so gut vermeiden lassen wie an diesem Tag.

Einladung zur Pressekonferenz 
„Vorstellung Interims-Fahrplan aufgrund der Hochwassersperrungen“ am 19. Juni 2013, 10:00 Uhr, im BahnTower, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin, 21. OG 
Berlin, 18. Juni 2013 
Sehr geehrte Damen und Herren, 
durch die andauernde Sperrung der Schnellfahrstrecke Hannover-Berlin aufgrund des
Hochwassers wird die DB ab Freitag, 21. Juni 2013, interimsweise den Fahrplan der
Fernverkehrszüge nach bzw. von Berlin für die nächsten Wochen anpassen. DB Fernverkehrs-Vorstand Berthold Huber wird Ihnen die Maßnahmen zur bundesweiten Stabilisierung des Zugverkehrs im Einzelnen erläutern und steht für O-Töne zur Verfügung.
Wir freuen uns auf Ihr Kommen. Bitte beachten Sie die temporären Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen anlässlich des US-Präsidentenbesuchs rund um den BahnTower. In den Bereichen von Ebertstraße, Bellevuestraße, Lennéstraße, Auguste-Hauschner-Straße, Hansvon-Bülow-Straße, Voßstraße, Ben-Gurion-Straße, Potsdamer Straße und am Potsdamer sowie Leipziger Platz kommt es zu Sperrungen. Der Zugang zum BahnTower ist morgen nur über die kleine Drehtür auf der Westseite (Hintereingang) möglich. Führen Sie bitte Ihren Personalausweis/Pass mit sich und kalkulieren Sie für die Anfahrt mehr Zeit ein
Für weitere Fragen steht Ihnen Daniela Bals gerne zur Verfügung: Tel. +49 (0) 30 297-60020, daniela.bals@deutschebahn.com. 
Mit freundlichen Grüßen 
Jürgen Kornmann

Die Fahrplaninfos gab die Bahn nicht etwa am Vorabend in die Server, sondern am Freitagmorgen. Am ersten Tag des „Notfahrplans“ ging dann auch alles schief, was schief gehen kann, siehe oben.

Vor Magdeburg

In der vertrödelten Anfahrt auf Magdeburg war für uns spannende Frage: Hier umsteigen oder in Braunschweig? In der Nacht auf Freitag hatte es ein Gewitter gegeben. Zuviel für die Bahn. Alle Signalanlagen entlang der Magdeburgstrecke waren gestört. Wir erduldeten einen Stop-and-Go Verkehr wie sonst mit dem Auto in Berlin Mitte.

„Informationen von der Transportleitung liegen mir nicht vor. Achten Sie deshalb bitte auf die Lautsprecheransagen in Magdeburg. Wir danken für Ihre Reise mit der Deutschen Bahn.“ In Magdeburg strömten die Wolfsburgpendler zu den Türen und hielten ihre Köpfe raus, nach Informationen über Anschlüsse lechzend. Doch der einzige Anschluss der angesagt wurde, war der Regionalzug am Nachbargleis Richtung Frankfurt/Oder über: Berlin.

Hieß: Der Zug nach Wolfsburg war abgefahren. Warten auf 300 Pendler schien der Transportleitung unnötig. Die 300 Pendler darüber zu informieren auch.

Reisendeninformationen

Wir waren im informationstechnischen Nirgendwo. Das, obwohl die Bahn am Potsdamer Platz ein großes Projekt „Reisendeninformationen“ betreibt. Aber die Leute dort beschäftigen sich -fern vom Gleis- mehr mit WLAN Hotspots in Fernzügen als mit der Versorgung mitgenommener Pendler mit Reisendeninformationen.

Unser Zugchef hatte nicht nur keine aktuellen Anschlussinformationen. Er hatte auch keine  Fahrplaninformationen über Anschlüsse auf dieser umgeleiteten Strecke. Im Zug lagen nur die alten  Faltblätter aus, die nicht mehr gelten.

In Braunschweig

Hier hatten wir dann mehr Glück. Unser ICE hatte soviel Verspätung herausgefahren, dass wir den nächsten Regionalzug nach Wolfsburg passend erreichten.

Aber auch das muss man erlebt haben: Neben Hannover ist Braunschweig die Stadt aus der die meisten Menschen nach Wolfsburg pendlen. Es sind tausende. Aber die Bahn stellt hier einen zweiteiligen Schienenbus auf einer eingleisigen Strecke bereit, den dieser sich mit entgegenkommenden ICEs teilt. Der Schienenbus ist hoffnungslos überfüllt. Nicht nur mit Berufspendlern, sondern auch vielen Berufsschülern bzw. Auszubildenden.

Wenn die Sonne auf diesen unklimatisierten Schienenbus scheint wird es hier drin richtig ungemütlich. Fenster kann man nicht öffnen. „Komforteinbußen“ nennt Ulrich Homburg in Talkshows solche Zumutungen.

Ausgelaugt ankommen

Die Fahrt dauert 30 Minuten, wir steigen in Fallersleben um und nutzen von hier einen Bus. Als wir in Wolfsburg ankommen haben wir fast vergessen, warum wir überhaupt hier sind. Wir fühlen uns gerädert und übermüdet. Aber der Arbeitstag liegt noch vor uns. Dreieinhalb Stunden haben wir gebraucht. Zurück kann es noch länger dauern. Bis dahin beobachten wir mit einem Auge die Bahnwebsite und bekommen wir Angebote von entnervten „Werksfahrern“, die längst aufs Auto umgestiegen sind.

Ich entscheide mich trotzdem, auch zurück mit der Bahn zu fahren, denn im Zug kann ich immerhin arbeiten. Denke ich und ahne nicht, dass ich wieder eine falsche Annahme treffe.

Auf der Rückfahrt erleben wir am Hbf Braunschweig erstmal 45 Minuten Verspätung. Ankommt ein ICE aus Köln, der mal ein aus zwei Zugteilen bestand. Eine Hälfte wurde wohl unterwegs aufgerieben, jetzt verteilen sich die Passagiere auf die verbliebene. In den Gängen sitzen bereits -pro Waggon- 20 Leute auf dem Boden. Uns bleiben die Stehplätze in den Übergängen. Es ist so warm und stickig, dass wir beschließen, in Magdeburg wieder auszusteigen, denn dort hält zeitgleich wieder der Regionalzug nach Frankfurt Oder - angeblich am selben Bahnsteig.

Doch als wir ankommen, fährt er ab.

Unterwegs im Güterwagen

Wir bleiben stehen. Schweißperlen rinnen, Ärmel werden hochgekrempelt. Eine Schaffnerin drängelt sich durch mit einem Serviertablet vom Speisewagen in die 1. Klasse.  1. Klasse haben mein Kollege und ich auch, aber wir stehen nicht mal erstklassig. Für die Bahn sind wir nur Fracht. Immer gewesen. Es scheint in die DNA eingewebt zu sein. Wir müssen Platz machen, aufstehen, zusammenrücken, damit der Umsatz mit dem Speisewagen nicht unter den Zumutungen uns gegenüber leidet.

Man ermattet äußerlich, wenn man so transportiert wird. Innerlich regt sich immer noch Widerstand. Mir fallen böse Bilder ein. Ich erinnere mich an den „Zug der Erinnerung“. An die Bilder von Güterwagen, die die damaligen Manager der Reichsbahn so kalkuliert hatten, dass der Umsatz maximal und die Kosten minimal waren. Die Bahn knöpft den Initiatoren des Erinnerungszuges Gebühren für Gleise und Bahnhöfe ab. Muss man mehr wissen über das Selbstverständnis der Herren Homburg, Huber, Grube und Co. um ihr Verhalten auch uns gegenüber zu verstehen?
Ja natürlich ist diese Anspielung krass und viele werden es unpassend finden. Was ich meine ist, mir ist das Menschenbild der Bahnvorstände klarer geworden. Dass der Blick der Personenverkehrsvorstände auf die Passagiere der gleiche ist, wie der des Güterverkehrvorstandes auf seine Fracht. Es geht nur um Profit. Abgesichert durch die Eisenbahnversordnung, die bereits 1938 die Transportierten mit minimalen Rechten versehen hat.

Siemens

In der Zeitung lese ich, dass sich Ulrich Homburg über Siemens aufgeregt hat, weil die auf einer Veranstaltung Zugwartung als Dienstleistung angeboten haben. Die WELT schreibt (Link):
Die Bahn fühlt sich nun düpiert. "Das würde bedeuten, wir tun nicht alles, um unsere Züge ordentlich in Schuss zu halten. Oder wir sind zu blöd dazu", grollt Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg.
So viel Reflexionsvermögen ist man von Ulrich Homburg gar nicht gewöhnt. Zum Thema Klimaanlagen gibt er zum besten (Tagesspiegel):
„Die Klimaanlagen verhalten sich so, wie wir es erwartet haben“, bekennt vielsagend Ulrich Homburg, Personenverkehrs-Vorstand der Deutschen Bahn.
Homburg erklärt den Ausfall der Klimaanlagen mit deren Alter. Dass er dafür verantwortlich ist, ist jedem klar außer ihm. Dass die Prüfintervalle verkürzt und die Zulassung der immer komplizierter werdenden Anforderungen des Vorstands an die Züge immer langwieriger werden, auch das verantwortet allein Ulrich Homburg. Wer vor einem Börsengang auf Verschleiß fährt muss sich nicht wundern, wenn ihm anschließend auf die Finger gehauen wird.

Wir Pendler grübeln intensiv über Alternativen. Der Wohnungsmarkt in Wolfsburg ist leergefegt, Braunschweig ist nicht billig. Herziehen wollen wir nicht, und wenn dann nur ein Zimmer. Aber nicht ab 400 EUR.

Das Auto als Alternative

Oder der Umstieg aufs Auto? Leben wir nicht von Autos? Wir können uns so organisieren, dass wir mit Kollegen fahren, mit denen wir eh oft zu tun habe. Besprechungen im Auto. Statt Emails über WLAN im Zug. Oder Telefonate mit Mithörern.

Man verfährt pro Auto für die 500 km hin und zurück 50 Liter Sprit. 80 EUR. Zu dritt sind das 27 EURO, zu viert 20 EUR pro Kopf. Zuzüglich Öl und Wartung.

Es wird Zeit, dass wir eine solche Mitfahrerbörse im Intranet organisieren!