Freitag, 1. Januar 2010
Stahlwerke zu Yachthäfen: Die Kulturhauptstadt Ruhr2010
Frohes Neues Jahr allerseits!
In der neuesten ADAC-Motorwelt wird folgende Geschichte kolportiert: Eine Kandidatin bei "Wer wird Millionär" wurde gefragt, welches 2010 die europäische Kulturhauptstadt sein wird. Sie weiß es nicht und wählt den Publikumsjoker. 90% wissen: Ruhr2010.
Jauch fragt die Kandidatin aus welcher Stadt sie denn komme. Antwort: Aus Gelsenkirchen. "Und was machen Sie beruflich?" Antwort: "Ich arbeite bei der IHK Gelsenkirchen."
Kann man sich ein besseres Aushängeschild wünschen?
Ich komme selbst aus dem Ruhrgebiet, bin sogar in der Nähe des Borsigplatzes geboren. Auf Hoeschpark und Hoeschbad lass ich jedenfalls nix kommen. Damals gab es Unternehmer, die für ihre Arbeiter Erholungsparks bauten. (In Berlin baute sogar der Regierungschef Friedrich Zwo einen Volkspark für die wertschöpfende Klasse, wie mir Tom neulich zeigte.) Unvorstellbar heute.
Ich dachte bis zu meinem Umzug nach Essen, dass ich im Ruhrgebiet aufgewachsen sei. Aber ehrlich gesagt ging mit der Schließung von Kohle, Stahl und Bier in Dortmund auch das Ruhrgebiet unter. In Essen pulste noch, was in Dortmund verschwunden war. Aber so richtig Ruhrpott war es dann erst in Gelsenkirchen. Ich kannte die aggressive Leidenschaft der Südtribühne. Aber anrührendes Schicksal erlebte ich erst im Parkstadion, als Schalke gegen Juventus aus dem Europapokal flog (immerhin als amtierender UEFA-Cup Sieger).
Über Weihnachten sind wir mit der Nord-West-Bahn von Dortmund über Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel nach GE gefahren (siehe Foto oben). Danach konnte ich den Ärger verstehen, den der Soli hier auslöst..
Nee, es ist eine alte Streitfrage im Ruhrgebiet, ob das Sauerland westlich oder östlich von Dortmund anfängt. Und In Dortmund fühlt man sich näher an Münster als an Bochum und Gelsenkirchen. So kann das natürlich nichts werden mit der vereinigten Ruhrstadt.
Eins haben Ruhrgebiet und Berlin gemeinsam: Den Wandel auf dem schmalen Grad zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex. Man schwärmt von den alten Zeiten und hat keine große Idee von der eigenen Zukunft. Viele wählen die Opferrolle ein Leben lang und warten auf die Rente. Im Pott kultiviert man alte Zechen zu Museen und in Berlin baut man das Stadtschloss wieder auf. Die Sehnsucht nach den alten Hierarchien, wo einem einer sagte, wo Norden ist und für einen sorgte ist anscheinend eine unerschöpfliche Energie- und Identitätsquelle entlang der West-Ost-Achse.
Ich verdanke es der kurzen sozialliberalen Glanzzeit, dass ich in Dortmund ohne Studiengebühren studieren konnte. Danke dafür! Aber mal im Ernst: Was haben wir dort entwickelt? Es hatte immer alles irgendwie mit Bergbau zu tun und musste vor allem Maloche sein, um die Diplom-, Studien- oder Seminararbeit vom Betreuer anerkannt zu bekommen. (Da tun sich manche Bundeskanzler und Ministerinnen viel leichter!) Kein Witz: Wir entwickelten Neuronale Netze für die Auswertung von Schutzmeldungen, die bei Kurzschlüssen unter Tage die Runde durch die Prozessleittechnik machen. Wer sich in einer Arbeitsgemeinschaft "regenerative Energien" engagierte, begab sich hingegen in den Ruch eines vaterlandslosen Gesellen. Am Lehrstuhl für elektrische Energieversorgung in Dortmung gab es Anfang der Neunzige Jahre gerade mal einen wissenschaftlichen Angestellten, der sich mit regenerativen Energien beschäftigte. Und der leider immer auch darauf achtete, dass nicht zu viel Euphorie aufkam.. Tja, hätten wir damals was auf die Beine gestellt - gegen den Widerstand der Drittmittelgeber VEW, RWE usw. - wo könnten wir heute sein...?
Hans Frey, SPD Gelsenkirchen, begrüßte 1999 den gebürtigen Bueraner Fritz Vahrenholt, der zu der Zeit bei Shell Solar angeheuert hatte, auf einem Energiepodium im Wissenschaftspark mit den unüberhörbar ironischen Worten: "Mensch Fritz, aus Dir is ja richtig wat geworden." Damit war das Niveau dieses Podiums auf Sohle neun gelegt. Klar, Leute mit Ehrgeiz wurden von den Mittelmäßigen schon immer runtergezogen. Später setzte Hans Frey noch einen drauf: Mit Blick auf die Solarzellen des WiPa sagte er noch: "Wir müssen jetzt vor allem darauf achten, dass unsere Bergleute nicht ins Bergfreie fallen." Denn Hans Frey bevorzugte das Sinnfreie.
Und auch Dortmunds OB Samtlebe ("Amtsklebe") begann jede Rede zu einer Unternehmensgründung mit den Worten "Is ja alles schön und gut hier, aber ich sach Euch eins: Vergesst mir die Blaumänner nicht." Samtlebes Ära endete damit, dass Dortmund seinen Stahlguss "Phoenix" in dem Jahr demontierte und nach China verkaufte, in dem Rohstoffwerte zu einer beispiellosen Börsenrallye ansetzten. Phoenix ist in Bauschutt versunken, der bald geflutet werden soll. Ein Yachthafen soll da entstehen. Das ist die konsequente Weiterentwicklung von Stadtstränden, könnte man positiv denken.
So liberal der Ansatz "Bildung für alle" im Ruhrgebiet auch war. Er war eine Idee der hellen Köpfe Brandt, Scheel und Flach. In den Rathäusern zwischen Duisburg und Dortmund ist er nie so richtig angekommen. Denn dort profitiert man immer noch am meisten, wenn das Wahlvolk nicht so gut bescheid weiß. Auch das erinnert stark an Berlin. "Kreativ" ist hier ein Synonym für "arm aber sexy". Mit Lizenzen, sei es auf Software oder Mode, verdient man sich anderswo dumm und dusselig. Doch im Ruhrgebiet und in Berlin wird immer Solidarität mit denen erwartet, die einen runterziehen und unten halten wollen.
Die Ingenieursstudenten und Doktoranden fusionierten diese Zielkonflikte zwischen Loyalität zu den Berg- und Sinnfreien und der Erwartungshaltung, etwas Neues zu schaffen, immer so, dass sie sich in endlose Fleißarbeiten flüchteten. Programmieren und keine Flausen im Kopf haben, hieß die Devise. Und so arbeiteten uns immer lieber an Drittmittelprojekten von Ruhrkohle, VEW und RWE ab, anstatt selbst was zu gründen. Gut, von den Sparkassen und der Landesbank und den Privatbanken hätte man ohne Beziehungen eh kein Startdarlehen bekommen:
"Und wann wollen Sie ihren Return of Invest machen?" fragt der Sparkassenangestellte. "Sie meinen, den Return on Invest?" - " Ja, wann wollen Sie den machen?" Die gleiche Spezies, die Existenzgründer am Boden hält, hatte später kein Problem, Milliarden in nicht gedeckte Immobilienkredite am anderen Ende der Welt zu stecken. Bei den Ruhrbaronen kann man da dolle Geschichten lesen. Ein Landesbänker findet es viel schicker, mit den London Boys "Business" zu machen, als einem daher gelaufenen Akademiker seine Flausen zu finanzieren.
Solange das nicht funktioniert heißt es "Zechen zu Eventplattformen". Sieht ja ehrlich gesagt auch nicht schlecht aus. Und als Kultur geht das auch durch.
Glück auf!
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Eratmalig sind 3 Städte Kulturhauptstädte. Ruhr2010 ist nur eine davon. Preisfrage wer sind die anderen? Und warst Du schon einmal in der kleinsten? Sehr zu empfehlen
AntwortenLöschenZu Anfang: Ein grandioser Text. Und natürlich hast Du Recht wenn Du sagst, dass die Universitäten nicht in den Köpfen der Stadtverwaltungen angekommen sind - das ändert sich erst ganz langsam aber vieles ist hier nur ein Lippenbekenntnis. Chancen werden nicht erkannt und Trends rennt man hinterher - immer mit einem gebührlichen zeitlich Abstand. Ich kann auch das Solidaritäts-Gerede nicht mehr hören, vor allem wenn Solidarität bedeutet, dass andere Regionen und Städte für den Unfug aufkommen sollen, den wir selbst verbrochen haben. Nimm die Bodensperre: Bergbau, Stahl und Politik haben in den 60er und 70er Jahren Neuansiedlungen verhindert. Das ist vorbei, wirkt aber natürlich nach. Erst wenn sich das Bewusstsein im Ruhrgebiet ändert und man wieder zur Spitze gehören will, geht es hier aufwärts - wenn nicht, geht es weiter runter. Was Dortmund betrifft muss ich Dir aber widersprechen: So eng ist die Bindung an Westfalen nicht mehr - da hat sich was getan :-)
AntwortenLöschen@Tom: Naja, Preisfragen im Internet zu stellen is nich so spannend: Istanbul in der Türkei, Pécs in Ungarn. Aber danke für den Reisetip :-)
AntwortenLöschen@Stefan: Danke für die Blumen :-)
Ja, das Thema Bodensperren habe ich in GE auch kennen gelernt. Z.B. Zeche Bismarck. Die Altbesitzer wollen keine Verantwortung übernehmen und so bleiben beste Lagen ungenutzt..
...
Dass sich in Dortmund was tut, sei unbenommen. Kaum war ich weggezogen, wurde der BvB Championsleaguesieger. Und meine alte Abteilung zog nach Dortmund an die B1. Wäre ich in Dortmund geblieben, es wäre mir alles entgegen gekommen ;-)
Und natürlich auch baulich. Im Schwerter Wald kann man sich jetzt richtig verfahren, wenn man aus dem neuen Tunnel kommt. Und ganz zu schweigen von der City und dem Unigelände.
Wir haben jahrelang in ehemaligen Zechen, Kokereien und Industriehallen Firmen-Weihnachtsfeiern gemacht: ich konnte es nicht mehr sehen. Wirklich - das Alte bewahren ist schön, aber es muss und darf auch neues entstehen!
AntwortenLöschenWie du schon schreibst: der Strukturwandel muss in den Köpfen passieren. Da liegt auch das SPD-Problem: Arbeiterpartei ohne Arbeiter! Übrigens waren in Dortmund schon in den 80ern mehr Menschen in Verwaltungen beschäftigt denn als Malocher...
Langsam haben die Resteverwalter an der Ruhr sich Lernen und Leisten gewöhnt, aber nur ganz langsam. Fremd ist es immer noch, dass man in DO eine Universität hat. Die FH ist ja wenigstens halb in der Stadt, das kann man noch kapieren.
Aber das Neue läßt sich nicht dauerhaft aufhalten!