Ich kenne etliche Anhänger von Richard Floridas These, dass die Zukunft den Kreativen gehört. Aber ich kenne keinen, der sie in Deutschland mal richtig umgesetzt hätte.
Richard Floridas Leistung liegt meiner Meinung nach darin, dass er erkannte, wie wichtig der Modus ist, in dem Kreative arbeiten. Unter "Kreativen" verstehe ich in diesem Zusammenhang diejenigen, die Werke schaffen, die durch ein gewerbliches Schutzrecht schützbar sind, also Texte, Grafiken, Filme, Fotos, Musik, technische Lösungen und Software.
Es gibt Kreative, die in Vorleistung gehen. In ihr Werk investieren, ihre Schutzrechte absichern und dann Kunden dafür suchen, die bereit sind, für eine Lizenz zu bezahlen. Das sind die Unternehmer in eigener Sache. Sie schaffen Produkte, die sich durch einfaches Kopieren beliebig vervielfachen und zum Preis einer Stücklizenz verkaufen lassen. Diese Kreativen schaffen Arbeitsplätze und generieren Steuereinnahmen. Ihnen kommen Multiplikatoreffekte zu.
Und es gibt Kreative, die mögen die gleiche Ausbildung und Bildung genossen haben, und die gleichen Dinge tun, sogar die gleichen Werke herstellen. Der wichtige Unterschied: Sie tun dies im Auftrag. Als Dienstleistung. Ihr Vorteil: Sie müssen keine Investitionen riskieren, kein Eigenkapital beschaffen. Und sie haften nicht. Ihr Nachteil: Sie werden nach Aufwand bezahlt und haben in der Regel eine Klausel in ihrem Dienstleistungsvertrag, nach der sie die Verwertungsrechte an ihren Auftraggeber abgeben. Diese Kreativen sind die Prototypen der Ich-AGs. Sie erfinden das Rad immer wieder neu, im Auftrag für andere. Von Multiplikatoreffekten profitieren sie nur wenig.
Richard Florida und seine Anhänger wie Wolf Lotter meinen erstere, wenn sie von der Creative Class schwärmen. Die Politik und viele Wirtschaftsförderungen jedoch haben das Thema lange missverstanden und dachten, hinter jeder Ich-AG lauere ein Steve Jobs auf seine Gelegenheit.
Richtig ist auf jeden Fall: Nur durch kreative Leistungen schaffen wir neues Wachstum (wenn wir das wollen). Nicht durch Nachahmung und Preisdumping. Einer der wenigen richtigen Sätze von Angela Merkel lautet: Wir dürfen um soviel teuerer sein, wie wir besser sind.
Der Auftragsprogrammierer konkurriert gegen die unschlagbar billigen Konkurrenten aus Indien und China. Der Lizenzgeber, der ein Produkt für einen neuen Markt geschaffen und mit Schutzrechten abgesichert hat, muss wenig Konkurrenz fürchten.
Landes- und Regionalpolitiker haben eine Lernprozess hinter sich. Und gerade im Ruhrgebiet und in Berlin hat man sehr ähnliche Lernprozesse hinter sich. Beiden brach die industrielle Basis weg. Sie beobachteten wie Massenarbeitsplätze aus der Produktion nach Fernost exportiert wurden. Ihre Reaktion darauf: Dann müssen wir uns auf das stürzen, was nicht exportiert werden kann: Dienstleistungen. Die müssen immer am Kunden, also im Lande, erbracht werden. Deshalb waren Dienstleistungen das neue Allheilmittel. Doch sie taugten als wirtschaftspolitische Strategie nur dafür, Leute über Wasser zu halten. Z.B. in Callcentern. Callcenter haben keine Schornsteine und beschäftigen trotzdem hunderte von Leuten zu beliebig flexiblen Arbeitszeiten. Und nutzen Telekommunikation, waren also nach dem Verständnis von Regionalpolitikern "innovativ".
Aber, wir schon mein früherer Kollege bei RWE gerne sagte: "Deutschlands Zukunft liegt nicht darin, dass wir uns gegenseitig alle die Haare schneiden." Damit traf er den Punkt.
Der Berliner Senat schwamm eine Weile auf der kreativen Welle mit. Weil Berlin so viele Kreative hat: Zig Modedesigner in der Kastanienallee in Berlin Mitte. Tausende "selbständiger" Softwareentwickler. Aber daraus wurden nur ganz wenige produzierende Unternehmen, die "ansprangen" und schutzrechtsfähige Standardprodukte in die Welt verkaufen.
Doch seit heute gibt es eine neue "Agenda", zumindest in der Berliner SPD. Die lautet:
Kreative in die Industrie!
"Hauptstadt im Gespräch"
Heute fand im Charlottenburger Ludwig-Erhard-Haus die zweite "Berliner Ideenkonferenz" statt. Motto: "Neue Industrialisierung - Nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften".
Dort fielen heute Stichworte und Namen, die ich vor Jahren vergeblich versuchte, in der Berliner FDP zu etablieren, doch leider tummeln sich in der vermeintlichen Wirtschaftskompetenzpartei nur Rechtsanwälte. Also, heute war die Rede von AEG als Blaupause von Apple, weil schon der alte Rathenau wusste, dass man neuartige Produkte besonders kundenfreundlich gestalten muss. (Das stimmt: die alten Dreh-Lichtschalter im Keller waren den Drehschaltern nachempfunden, mit denen man davor die Gasleitung für die Beleuchtung aufdrehte.)
Auf dem Podium tummelten sich heute ein Wirtschaftsprofessor, ein Berater für Wirtschaftsförderung, der Manager vom Technologiezentrum Adlershof und eine echte Unternehmerin: Gabi Grützner von der micro resist GmbH.
Zuerst befürchtete ich, dies sei eine der vielen Veranstaltungen, bei denen sich die vielen Angestellten der Wirtschaftsförderung, Landesbank, Stadtmarketing, IHK und etlichen öffentlicht finanzierten "Netzwerkkoordinatoren" gegenseitig Vorträge halten und Kaffee und Kekse anbieten. Aber heute war doch etwas anders, besser:
Denn während die Philosophie vieler Teilnehmer sonst lautet: "Hauptsache, man wird nichts gefragt", war heute das Publikum ausdrücklich zu Ideen und Fragen aufgerufen. Außerdem hatte man mit Christian Stahl einen schlagfertigen Moderator. Und so erinnerte mich manches an Hart, aber fair.
Das Opening besorgte McKinsey mit der senationallen Erkenntnis, dass Berlin "mehr kann". Z.B. Modellstadt für -Achtung: Sensation- Elektromobilität sein. Berlin sei hier im Wettbewerb mit dem Ruhrgebiet und Singapur.
Ich hatte das der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt schon mal vor zwei Jahren vorgeschlagen. Antwort damals: Elektroautos sind zu leise. Die schleichen sich an Fussgänger ran und fahren sie dann um. Außerdem sind die noch völlig unterentwickelt. Wenn McKinsey das gleiche schreibt und fordert, ist das aber etwas anderes. Dann ist das professionelle Kreativität, und mit dem Namen wird man gehört.
Der Adlershofer Manager lobt McKinsey ausdrücklich dafür, dass die sich mal "hingesetzt und nachgedacht" haben. Es erinnerte mich an die Art, mit der sich Wolfgang Schäuble neulich bei Josef Ackermann für dessen "Engagement" in Griechenland bedankte...
Der Professor für Volkswirtschaft griff als nächstes das Bild vom Kreativen mit Laptop im Cafe auf, um zu verdeutlichen, dass die neuen Industrien nicht mehr mit großen Hallen und Schornsteinen daher kommen. Worauf ihm die Unternehmerin später erwiderte: "Ich habe schon lange nicht mehr mit einem Laptop im Cafe gesessen habe. Ich muss eigentlich andauernd irgendwelche Aufgaben und Probleme lösen."
Sie wies darauf hin, dass achtzig Prozent der Berliner Unternehmer weniger als fünfzehn Mitarbeiter haben. Und dass es angesichts des niedrigen Gehaltsniveaus in Berlin schwierig sei, Hochschulabsolventen und ausgelernte Azubis im Unternehmen zu halten. Viele wanderten einfach ab nach Süddeutschland. Kreativität sei auch wichtig, aber zum Handwerkszeug fürs Wachstum gehöre mehr. Denn jedes neue Produkt müsse aus einer erfolgreichen Cash-Kuh finanziert werden.
Da fiel mir eine alte Diskussion aus meinem sozialliberalen Gesprächskreis im Grunewald ein. Ich meldete mich am Mikro: "Ich wundere mich, warum das Stichwort Kapitalbedarf und Untenehmensfinanzierung heute noch nicht genannt wurde." Einwurf vom Moderator: "Sie meinen, nach all den unrealen Zockereien jetzt mal in was Reales investieren?" - Und ich so: "Genau: Warum kann ich als Berliner nicht in Berliner Startups investieren. Warum werden hierfür nicht mal Fonds aufgelegt und Foren für Anleger und Existenzgründer organisiert?".
Heftiges Kopfnicken bei der McKinsey Beraterin. Doch Kopfschütteln bei der Unternehmerin. Wie bitte? "Nee, ich kann Ihnen nur raten: Bleiben Sie selbstbestimmt! Holen Sie sich keine Mitbestimmer ins Haus. Die Berliner Banken haben während der Finanzkrise alle weiter gut funktioniert und den Berliner Mittelstand mit Krediten versorgt. Die IBB hat die 250k€ Startdarlehen aufgelegt und die Mikrokredite. Funktioniert alles gut." Was ihr viel Dringender fehle seien gute Vertriebsmitarbeiter. Das wiederum wusste ich seit fünf Jahren, als ich mit der IHK Frankfurt/Oder und Professor Fricke von der TFH WIldau mal eine Vertriebs- und Marketinginitiative für Technologieunternehmen organisiert hatte. Da waren wir auch mal bei ihr zu Gast.
Da war ich baff. Mein im Kern immer noch liberales (aber eben sozialliberales) Weltbild ein wenig erschüttert. Dem Berliner Mittelständler fehlt es nicht an Kapital oder Krediten. Die McKinsey Beraterin sagte mir später in der Pause, solche Fonds gebe es inzwischen. Man könne hin und wieder im -nächste Überraschung:- Tagesspiegel davon lesen, oder Werbung sehen.
Was Frau Grützner von der Berliner Politik erwarte, waren nur zwei Dinge: Erstens, werdet schneller. Wir können selten so lange warten, bis Ihr etwas entschieden habt. Und werft im Bezirk nicht alle Regeln um, wenn mal der Bürgermeister wechselt. Und zweitens: Lasst Euch was einfallen, mit dem Ihr die jungen Leute in Berlin haltet. (Wenn man das so liest, wundert man sich: Ich dachte immer, vor allem die Jugend ziehe es nach Berlin..).
Mein Zwischenresüme, bevor der SPD-Landesvorsitzende Müller- zum "Hard Talk" (Konfrontationsinterview) musste: Die neue Industrialisierung kommt sehr sozialdemokratisch daher. Die Berliner Unternehmer wollen kein Fremdkapital mehr und leiden nicht unter Kreditklemmen. Sie erwartet von der Politik, dass die Verwaltung schneller wird. Und dass irgendwer die Jugend im Lande hält.
Zum Schluss also wurde noch Gastgeber und SPD - Chef Micharl Müller interviewt. Er eröffnete mit einem verblüffenden Statement: "Die Politik will sich zurücknehmen, wenn auf dieser Konferenz über Ideen diskutiert wird." Klang das nur in meinen Ohren schwach..? Was er von der McKinsey - Studie halte, nach der Tourismus, Elektroautos und die Pharmazie bis zu 500.000 neue Arbeitsplätze hergäben? Antwort, und das fand ich jetzt gut: "Es ist richtig, so einen hohen und konkreten Anspruch zu haben." Und außerdem sei es Gerhard Schröder zu verdanken, dass die SPD wieder über Wirtschaft spreche und Kompetenz beanspruche.
Als dicke Pfunde, mit denen Berlin im Wettbewerb um die neue Industrialisierung wuchern könne, seien drei leere Großflächen inmitten einer gewachsenen Großstadt: Tempelhof, Tegel und der Humboldthafen, nördlich vom neuen Hauptbahnhof.
Und dann fragte ihn der Moderator, was er denn von Berlin als Modellstadt für Elektromobilität halte. Und Müller antwortete: "Also, für Entfernungen unter 100 Kilometern muss eigentlich keiner mit dem Auto fahren. Meine Vision ist die einer Großstadt, in der der öffentliche Nahverkehr so gut ist, dass niemand mehr ein Auto braucht."
Dieses Statement brachte den größten Applaus auf der gesamten Veranstaltung...
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